24. Oktober 2011 Manolis Glezos, Mikis Theodorakis, Kontakt:
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Gemeinsamer Appell für die Rettung der Völker Europas
Mit ihrem Aufruf versuchen Manolis Glezos, jener legendäre Antifaschist, der einst die
Nazi-Fahne von der Akropolis holte, und Mikis Theodorakis, der über alle Kontinente
Musikmachende, die europäische Öffentlichkeit wachzurütteln.
65 Jahre nach dem Sieg über Nazismus und Faschismus stehen die europäischen Völker
heute einer dramatischen Bedrohung gegenüber, dieses Mal nicht militärischer, sondern
finanzieller, sozialer und politischer Art.
Ein neues "Imperium des Geldes" hat in den letzten 18 Monaten systematisch ein europäisches
Land nach dem anderen angegriffen, ohne substantiellen Widerstand zu erfahren. Den europäischen
Regierungen misslingt es nicht nur, die europäischen Völker gegen die Märkte zu
verteidigen, stattdessen versuchen sie, die Märkte "zu beruhigen", in dem sie Politiken
einführen, die uns an die Art und Weise erinnern, wie Regierungen versucht haben, dem Nazismus
in den 30ern zu begegnen. Sie organisieren "Schuldenkriege" zwischen den Völkern Europas,
genauso wie damals, als sie von der belle époque bis zum Ersten Weltkrieg getrieben wurden.
Die Marktoffensive begann einen Krieg gegen Griechenland, einen EU-Mitgliedsstaat, dessen
Bevölkerung eine entscheidende Rolle im Widerstand gegen Barbarei und in der Befreiung Europas
im Zweiten Weltkrieg gespielt hat. Zu Anfang war dieser Krieg ein Kommunikationskrieg, der uns an
die Kampagnen gegen feindliche, ausgestoßene Länder, wie Irak und Jugoslawien, erinnerte.
Diese Kampagne präsentierte Griechenland als ein Land fauler und korrupter Bürgerinnen
und Bürger, während sie versucht, die "PIIGS" Europas und nicht die internationalen
Banken für die Schuldenkrise verantwortlich zu machen.
Schnell entwickelte sich diese Offensive in eine finanzielle, die die Unterwerfung Griechenlands
unter einen Status der eingeschränkten Souveränität und die Einmischung des IWF
in die internen Angelegenheiten der Eurozone verursachte.
Nachdem sie bekommen hatten, was sie von Griechenland wollten, zielten die Märkte auf die
anderen kleineren oder größeren Länder in der europäischen Peripherie. Das
Ziel ist in allen Fällen ein und dasselbe: Die umfassende Gewährleistung der Interessen
der Banken gegenüber den Staaten, die Zerstörung des europäischen Wohlfahrtstaates,
der ein Grundpfeiler der europäischen Demokratie und Kultur gewesen ist, die Zerstörung
der europäischen Staaten und die Unterwerfung der übrigen staatlichen Strukturen unter
die neue "Internationale des Geldes". Die EU, die ihren Völkern als ein Instrument des
kollektiven Fortschritts und der Demokratie präsentiert wurde, tendiert dazu, das Instrument
für die Beendigung von Wohlstand und Demokratie zu werden. Sie wurde als ein Instrument des
Widerstandes gegen die Globalisierung eingeführt, aber die Märkte wünschen sie sich
als ein Instrument dieser Globalisierung.
Sie wurde dem deutschen und anderen europäischen Völkern als ein Instrument der friedvollen
Mehrung ihrer Macht und ihres Wohlstandes vorgestellt, aber die Art und Weise, wie alle Völker
den Finanzmärkten als Opfer vorgesetzt werden, zerstört das Bild von Europa und verwandelt
die Märkte in Akteure eines neuen Finanztotalitarismus, in die neuen Bosse Europas.
Wir stehen momentan der Gefahr gegenüber, das Finanzäquivalent des Ersten und Zweiten
Weltkriegs auf unserem Kontinent zu wiederholen und in Chaos und Zersetzung aufzugehen, zugunsten
eines internationalen Imperiums des Geldes und der Waffen, in dessen ökonomischem Epizentrum
die Macht der Märkte liegt.
Die Völker Europas und der Welt stehen einer historisch noch nie dagewesenen Konzentration
von finanzieller, aber auch politischer und medialer Macht durch das internationale Finanzkapital,
d.i. einer Handvoll von Finanzinstituten, Ratingagenturen und einer von ihnen gekauften politischen
und medialen Klasse, mit mehr Zentren außerhalb als innerhalb Europas, gegenüber. Das
sind die Märkte, die heute ein europäisches Land nach dem anderen angreifen, in dem sie
den Hebel der Verschuldung nutzen, um die europäischen Wohlfahrtstaaten und die europäische
Demokratie zu zerstören.
Das "Imperium des Geldes" fordert nun eine schnelle, gewaltsame und brutale Transformation eines
Eurozonenlandes, Griechenlands, in ein Drittweltland durch ein sogenanntes "Rettungs"-Programm,
welches tatsächlich die "Rettung" der Banken ist, die dem Land Geld geliehen haben. In
Griechenland hat die Allianz der Banken und der politischen Führungen – durch die EU, die EZB
und den IWF – ein Programm verhängt, das einem "wirtschaftlichen und sozialen Mord" an diesem
Land und seiner Demokratie gleichkommt, und organisiert die Ausplünderung des Landes vor
dessen kalkuliertem Bankrott, mit dem Wunsch, das Land zum Sündenbock der globalen Finanzkrise
zu machen und es als ein "Paradigma" zur Terrorisierung aller europäischen Völker zu nutzen.
Die gegenwärtig in Griechenland ausgeübte Politik, die versucht sich auszuweiten, ist
die gleiche, die in Pinochets
Chile,
in Jelzins Russland oder Argentinien angewandt wurde und sie wird die gleichen Ergebnisse liefern,
wenn sie nicht sofort unterbrochen wird. Infolge eines Programms, das angeblich beabsichtigt, dem
Land zu helfen, ist Griechenland jetzt an der Schwelle des wirtschaftlichen und sozialen Desasters;
es wird als ein Versuchskaninchen genutzt, die Reaktion der Bevölkerung auf Sozialdarwinismus
zu testen und die gesamte Europäische Union damit in Schrecken zu versetzen, was einem ihrer
Mitglieder passieren kann.
Die Märkte können auch die deutsche Führung bedrängen und dazu benutzen, die
Zerstörung der Europäischen Union voranzutreiben. Aber es stellt einen Akt extremer
politischer und historischer Blindheit für die herrschenden Kräfte in der EU und in
erster Linie für Deutschland dar, zu glauben, dass es irgendein Projekt europäischer
Integration oder auch nur einfacher Kooperation auf den Ruinen eines oder mehrerer Mitglieder der
Eurozone geben kann.
Die geplante Zerstörung der großen, global bedeutenden politischen und sozialen
Errungenschaften der europäischen Völker kann keine Art von Europäischer Union etablieren.
Dies wird zu Chaos und Desintegration führen und das Aufkommen faschistischer Lösungen
auf unserem Kontinent fördern. 2008 haben private Bankgiganten der Wall Street die Staaten
und staatliche Banken gezwungen, sie aus der Krise, die sie selbst kreiert haben, freizukaufen,
indem sie mit dem Geld der Steuerzahler die Kosten ihres enormen Betrugs, wie etwa Hypotheken, aber
auch die operationellen Kosten eines in den letzten zwanzig Jahren aufgezwungenen unregulierten
Kasino-Kapitalismus, bezahlt haben. Sie haben ihre eigene Krise in eine öffentliche
Verschuldungskrise verwandelt.
Jetzt nutzen sie die Krise und die Verschuldung, die sie selbst kreiert haben, um die Staaten und
ihre Bürgerinnen und Bürger ihres noch wenigen übrig gebliebenen Einflusses zu berauben.
Dies ist ein Teil der Schuldenkrise. Der andere ist, dass das Finanzkapital zusammen mit den
politischen Kräften, die es global unterstützen, eine Agenda der neoliberalen Globalisierung
verhängt, die unweigerlich zu einer Produktionsverlagerung außerhalb Europas und zu einer
absteigenden Annäherung der sozialen und ökologischen Standards Europas mit denen der
Dritten Welt führen wird. Für viele Jahre haben sie diesen Prozess hinter Krediten versteckt,
aber jetzt nutzen sie diese Kredite, um ihn zu vollenden.
Die "Internationale des Geldes", die jeglichen Ansatz von Staaten in Europa vernichten möchte,
bedroht heute Griechenland und morgen Italien und Portugal. Sie fördert die Konfrontation
zwischen den Völkern Europas und stellt die EU vor das Dilemma, sich entweder in eine Diktatur
der Märkte zu wandeln oder sich aufzulösen. Sie zielt darauf ab, Europa und die Welt in
einen Zustand ähnlich dem vor 1945 zu stürzen oder sogar in einen noch früheren vor
der Französischen Revolution oder der Aufklärung.
In früheren Zeiten legte die sogenannte Seisachtheia-Reform, die Aufhebung der Schulden durch
Solon, die die Armen dazu zwang, die Sklaven der Reichen zu werden, das Fundament für die Geburt
des antiken Griechenland, der Ideen von Demokratie, Zivilgesellschaft, Politik und Europa, das
Fundament europäischer und Weltkultur.
Im Kampf gegen die Klasse der Wohlhabenden ebneten die Bürger von Athen den Weg zur Verfassung
des Perikles und der politischen Philosophie des Protagoras, welcher erklärte, dass "der Mensch
das Maß aller Dinge" sei.
Heute versuchen die wohlhabenden Klassen diesen menschlichen Geist zu ahnden: "Die Märkte sind
das Maß aller Dinge" ist das Motto, das unsere politische Führung bereitwillig
unterstützt, in einer Allianz mit dem Teufel des Geldes, gerade so wie Faust dies tat.
Eine Handvoll internationaler Banken, Ratingagenturen, Investmentfonds – eine globale Konzentration
des Finanzkapitals ohne historischen Vergleich – möchte in Europa und der Welt die Macht an
sich reißen und bereitet sich auf eine Beseitigung der Staaten und unserer Demokratie vor,
indem es die Waffe der Schulden nutzt, um die Völker Europas zu versklaven und anstelle der
unvollständigen Demokratie, in der wir leben, eine Diktatur des Geldes und der Banken zu
errichten; die Macht des totalitären Empires der Globalisierung, dessen politisches Zentrum
sich außerhalb Kontinentaleuropas befindet, trotz des Bestehens mächtiger Banken im
Herzen dieses Empires.
Sie begannen in Griechenland, indem sie es als ein Versuchskaninchen benutzten, um sich dann zu
anderen Ländern an der europäischen Peripherie fortzubewegen und sich langsam dem Zentrum
zu nähern. Die Hoffnung einiger europäischer Länder, dem letztendlich zu entkommen,
zeigt nur, dass die europäische Führung von heute gegen die Bedrohung eines neuen
"Finanzfaschismus" nicht besser gewappnet ist, als gegen die Bedrohung durch Hitler während
der Zeit zwischen den Weltkriegen.
Es ist kein Zufall, dass ein großer Teil der von Bankern kontrollierten Medien sich entschlossen,
die europäische Peripherie anzugreifen, in dem sie diese Länder als "Schweine" betitelten
und eine verachtenswerte, sadistische und rassistische Medienkampagne starteten, nicht nur gegen
die Griechen, sondern auch gegen das Erbe des antiken Griechenland und der antiken griechischen
Zivilisation. Dieser Fokus zeigt die tieferen, dahinter liegenden Ziele dieser Ideologie und der
Werte des Finanzkapitals, welches einen zerstörerischen Kapitalismus vorantreibt. Der Versuch
eines Teils der deutschen Medien, Symbole wie die Akropolis oder die Venus von Milo zu verunglimpfen,
Monumente also, die selbst von Hitlers Offizieren respektiert wurden, ist nichts weiter als der
Ausdruck der tiefen Verachtung der Banker, die diese Medien kontrollieren; nicht so sehr gegen die
Griechen, sondern hauptsächlich gegen die Ideen der Freiheit und Demokratie, welche in diesem
Land ihre Geburtsstunde hatten.
Das Finanzmonster hat für das Kapital vier Jahrzehnte der Steuerfreiheit geschaffen, alle
möglichen Arten von "Marktliberalisierung", weitverbreitete Deregulierung, Aufhebung aller
Barrieren des Kapital- und Warenflusses, permanente Angriffe auf den Staat, massive Übernahme
von politischen Parteien und Medien, im Besitz des globalen Überschusses einer Handvoll von
"Vampirbanken" der Wall Street. Jetzt wurde aufgedeckt, dass dieses Monster, ein wahrer "Staat hinter
den Staaten", versucht, den finanziellen und politischen "dauerhaften coup d'état" zu vollenden,
welcher seit vier Jahrzehnten vorbereitet wird.
Diesem Angriff unmittelbar ausgesetzt, scheinen die politischen Kräfte des europäischen
rechten Flügels und der Sozialdemokratie kompromittiert, angesichts von Jahrzehnten des
Hereindrängens des Finanzkapitals, dessen wichtigste Zentren sich nicht in Europa befinden.
Es besteht der dringende Bedarf an unmittelbarer, grenzüberschreitender Koordinierung aller
Aktionen von Intellektuellen, Künstlern und Künstlerinnen, spontanen Bewegungen, sozialen
Kräften und Persönlichkeiten, die die Bedeutung der Lage erkennen; wir müssen eine
mächtige Widerstandsfront gegen das nahende "totalitäre Empire der Globalisierung"
aufstellen, bevor es zu spät ist.
Europa kann nur überleben, wenn wir den Märkten vereinten Widerstand entgegenstellen,
eine größere Herausforderung als ihre, einen neuen europäischen "New Deal".
- Wir müssen die Angriffe auf Griechenland und andere EU-Staaten der Peripherie sofort unterbinden;
wir müssen die unverantwortliche Spar- und Privatisierungspolitik stoppen, die direkt in eine
schlimmere Krise als die von 1929 führt.
- Öffentliche Schulden müssen europaweit radikal restrukturiert werden, insbesondere zu
Lasten der privaten Bankgiganten. Die Kontrolle über die Banken muss wieder in staatliche
Hände fallen, ebenso wie die Finanzierung der europäischen Wirtschaft, die unter nationaler
und sozialer Kontrolle stehen muss. Man darf die Schlüssel zum Geld nicht Banken wie Goldman
Sachs, JP Morgan, UBS, Deutsche Bank usw. überlassen. Wir müssen die unkontrollierten
Derivate, die die Speerspitze des destruktiven Finanzkapitalismus sind, verbannen und echte
wirtschaftliche Entwicklung erzeugen statt spekulativer Profite.
- Die momentane Architektur des Finanzwesens, welche auf den Verträgen von Maastricht und der
WHO basiert, hat in Europa eine Schuldenerzeugungsmaschine geschaffen. Wir brauchen eine radikale
Änderung aller Verträge, die Unterordnung der EZB unter die politische Kontrolle durch
die Völker Europas, eine "goldene Regel" für soziale, fiskalische und ökologische
Mindeststandards in Europa. Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel, die Rückkehr zur
Wachstumsstimulation durch die Stimulation der Nachfrage, durch neue europäische
Investitionsprogramme, eine neue Regulierung, Besteuerung und Kontrolle des internationalen
Kapital- und Warenflusses; eine neue Form des vernünftigen und bedachten Protektionismus
in einem unabhängigen Europa, welches der Protagonist im Kampf um einen multipolaren,
demokratischen, ökologischen und sozialen Planeten sein wird.
- Wir rufen die Kräfte und Individuen, die diese Ideen teilen, auf, so bald wie möglich
zu einer breiten europäischen Aktionsfront zu verschmelzen; ein europäisches
Übergangsprogramm zu erstellen, unsere internationalen Aktionen zu koordinieren, um so die
Kräfte einer öffentlichen Bewegung zu mobilisieren, das gegenwärtige
Mächteverhältnis rückgängig zu machen und die momentanen historisch
verantwortungslosen Führungen unserer Länder zu stürzen, um unsere Völker
und Gesellschaften zu retten, bevor es für Europa zu spät ist.
Athen im Oktober 2011
Mikis Theodorakis
Manolis Glezos
Diesem Appell haben sich inzwischen zahlreiche Persönlichkeiten angeschlossen, unter ihnen:
Rolf Becker (Schauspieler)
Daniela Dahn (Schriftstellerin)
Dr. Diether Dehm (Liedermacher, Mitglied des Deutschen Bundestages)
Angelica Domröse (Schauspielerin, Regisseurin)
Katja Ebstein (Sängerin, Schauspielerin)
Klaus Ernst (Mitglied des Deutschen Bundestages, Vorsitzender der Partei DIE LINKE)
Prof. Dr. Heinrich Fink (Theologe, em. Rektor der Humboldt Universität zu Berlin)
Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Deutschen Bundestages, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE)
Heidrun Hegewald (Malerin, Autorin)
Klaus Höpcke (Journalist)
Barbara und Winfried Junge (Dokumentarfilmer, z.B. "Die Kinder von Golzow")
Asteris Koutoulas (Autor)
Oskar Lafontaine (Mitglied des Landtages des Saarlandes,1985–1998 Ministerpräsident des Saarlandes)
Dr. Gesine Loetzsch (Mitglied des Deutschen Bundestages, Vorsitzende der Partei DIE LINKE)
Takis Mitsidis (Kulturmanager)
Kostas Papanastasiou (Architekt, Dichter, Schauspieler, Sänger)
Gina Pietsch (Sängerin, Schauspielerin)
Dr. Beate Reisch (Literaturwissenschaftlerin)
Prof. Günter Reisch (Filmregisseur, z. B. "Die Verlobte")
Renate Richter (Schauspielerin)
Peter Sodann (Schauspieler, Regisseur)
Eckart Spoo (Journalist, "Ossietzky"-Herausgeber)
Hilmar Thate (Schauspieler)
Hannes Wader (Liedermacher)
Sahra Wagenknecht (Mitglied des Deutschen Bundestages)
Konstantin Wecker (Liedermacher)
Prof. Dr. Manfred Wekwerth (Regisseur)
Prof. Dr. Jean Ziegler (Autor, Human Rights Council's Advisory Committee der Vereinten Nationen)
Quelle:
de.mikis-theodorakis.net
www.kominform.at
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