Nicht alles Gold glänzte - Ein Rückblick auf Vancouver 2010
Geschafft!
Endlich nicht mehr bis frühmorgens vorm Fernseher sitzen und gespannt die Übertragung
der Olympischen Spiele in Vancouver verfolgen; endlich Erholung für die Daumen, die vom
vielen Drücken schon weh tun. Die 21. Olympischen Winterspiele sind vorüber und
Normalität kehrt wieder ein.
Dabei fingen die Spiele gleich mit einer Tragödie an. Das Motto "Schneller - Hüher -
Weiter" nahmen die Verantwortlichen vor Ort wohl etwas zu genau und setzten eine Bob- und
Rodelbahn in die kanadische Landschaft, die ihresgleichen sucht. Für den georgischen
Rennrodler Nodar Kumaritaschwili wurde die Bahn zur Todespiste, weil die erzielten
Geschwindigkeiten über seinem Leistungslimit lagen und weil die Bahn scheinbar
Konstruktionsfehler hatte. Bei über 140 km/h verlor er im Training die Kontrolle über
sein Sportgerät und wurde regelrecht aus der Bahn katapultiert, prallte gegen einen
Stützpfeiler und erlag wenig später seinen schweren Verletzungen. Noch vor der
offiziellen Eröffnung der Spiele wurde somit klar, was von Vancouver im Gedächtnis
bleiben wird: Der Tod eines Sportlers beim größten sportlichen Ereignis weltweit.
Und die Pleiten, Pech und Pannen setzten sich fort. Bei der Eröffnungsfeier versagte die
Technik, so dass die olympische Flamme mit Verspätung und nur halber Kraft entzündet
wurde.
Eine neu entwickelte Eismaschine, die eigentlich für die Eisaufbereitung im
Eisschnellauf-Stadion gedacht war, produzierte alles Mögliche, nur kein Wettkampfeis. Die
Gäste im Olympischen Dorf moserten über die Esskultur, weil man mit Plastikbesteck von
Papptellern essen musste.
Es sollten "grüne" Spiele werden, und beinahe wären es auch solche geworden. Das Wetter
spielte nämlich verrückt, sorgte für jede Menge Verschiebungen im Zeitplan und
kuriose Ergebnisse. Beim Sprintrennen der Biathlon-Herren hatten die ersten zehn Starter Glück
und beste Wetterbedingungen. Alle Nachfolgenden kamen erst in ein Schneetreiben und dann in einen
Regenschauer, der das Klassement durcheinander wirbelte. Plötzlich standen jene ganz oben,
die im Vorfeld der Spiele unter "ferner liefen" geführt wurden. Und die Favoriten fanden
sich im gesicherten Mittelfeld wieder.
Auch die Langläufer in der Doppelverfolgung hatten sich das anders vorgestellt. Bei 15°C
plus absolvierten sie ihren Wettkampf und lechzten nach Wasser, um sich abzukühlen. Das
Skispringen der Nordischen Kombination von der Großschanze wurde zur Windlotterie und viele
Favoriten hatten plötzlich einen nicht mehr aufholbaren Rückstand.
Das Abfahrtsrennen der Damen erinnerte wegen der eingebauten Wellen und den damit verbundenen
Sprüngen eher an ein Skifliegen. Die Schwedin Anja Pärson, als mehrfache Weltmeisterin
sicherlich keine Anfängerin in ihrer Sportart, hatte beim Zielsprung eine derartige Höhe
erreicht, dass sie beinahe auf dem Radarbild des nächstgelegenen Flughafens aufgetaucht
wäre. Dass sie ihren 60-Meter Sprung nicht stehen würde, war selbst für Laien
vorhersehbar. Aber sie hatte noch Glück im Unglück: es blieb bei ein paar Prellungen.
Und neben ihr gab es weitere Abfahrtsläuferinnen, für die die Piste zu anspruchsvoll war.
Noch schlimmer erwischte es die slowenische Langläuferin Petra Majdic, die beim Warmfahren
in einer wenig gesicherten Kurve stürzte und 3 Meter in die Tiefe gegen einen Baum prallte.
Mit viel Kampfgeist und 4 gebrochenen Rippen sowie einem Lungenfellriss erkämpfte sie am
Ende doch noch die Bronzemedaille im Langlauf-Sprint der Frauen. Und es gab keinen, der ihr die
Medaille angesichts der Geschehnisse nicht gönnte! Ihr Heimatland verlieh der Kämpferin
sogar den goldenen Staatsorden für besondere Verdienste.
Aber neben all den organisatorischen Problemen gab aus deutscher Sicht viel Erfreuliches zu
vermelden. Deutschlands Sportliebling Nummer Eins Magdalena Neuner hatte schon vor Jahren in
ihrem jugendlichen Leichtsinn ausgeplaudert, dass sie mal Olympiasiegerin werden will. Sie war
dermaßen auf das Erreichen ihres Lebenstraumes fixiert, dass sie vor und während der
Olympischen Spiele alles Andere diesem Ziel unterordnete. "Ich habe gewusst, das schaff' ich
irgendwie, und wenn ich sterben muss auf der Runde", strahlte Magdalena Neuner in die
Fernsehkameras nach ihrem Sieg. Mit zarten 23 Jahren hat sie nun alles erreicht, was man in ihrer
Sportart erreichen kann. Und es war eine historische Medaille: Mit ihrer ersten olympischen
Goldmedaille machte "Gold-Lena" Deutschland gleichzeitig zur erfolgreichsten Nation bei
Olympischen Winterspielen seit 1924.
Ein paar Tage später, nach dem Gewinn ihrer zweiten Goldmedaille, zeigte Magdalena Neuner
auch menschliche Größe: Statt weiter auf Medaillenjagd zu gehen und so vielleicht zur
erfolgreichsten Athletin dieser Winterspiele zu werden, verzichtete sie auf ihren Platz in der
Biathlon-Staffel, um neben den bereits gesetzten Läuferinnen einer weiteren
Mannschaftskollegin die Möglichkeit zu geben, Mitglied einer möglichst erfolgreichen
Staffel zu werden. Magdalena Neuner ahnte da wohl schon, dass der ganze Rummel um sie nur die
Konzentration auf den Wettkampf stören würde und wollte ihren Teamkolleginnen nicht die
Medaillenchance rauben. Am Ende gab es Bronze für die Staffel und eine Fair-Play-Medaille
für Magdalena.
Ebenfalls enorm viel Druck musste auch Maria Riesch verkraften. Sie galt in den deutschen Medien
als heiße Goldkandidatin und enttäuschte die Nation nicht. Aber Riesch musste
zunächst auf anderen Nebenschauplätzen kämpfen. Es habe, so hieß es, Streit
gegeben zwischen Maria Riesch und ihrer Konkurrentin und besten Freundin Lindsay Vonn (USA). Und
das angeblich nur, weil Riesch bei den vorolympischen Wettkämpfen in Vonns Spezialdisziplin,
dem Abfahrtslauf, gewonnen habe. Den Beiden war es schließlich egal, Vonn gewann im
Abfahrtslauf ihre Goldmedaille, Riesch in der Kombination und im Slalom. Man gönnte der
jeweils Anderen den Erfolg und die Aufmerksamkeit und der "Zickenkrieg", der keiner war, endete
noch bevor er richtig angefangen hatte. Und wer noch letzte Zweifel hatte, wurde nach Rieschs
Goldmedaille im Slalom endgültig eines Besseren belehrt. Lindsay Vonn, im ersten Lauf
ausgeschieden, umarmte im Zielraum Riesch nach ihrer Goldfahrt und freute sich mit ihr in einer
Art und Weise, wie man es nur tut, wenn man sich wirklich gern hat.
Es waren die Minuten der großen Gesten und vielleicht die Bilder der Spiele. Denn Maria
Riesch musste ihre kleine Schwester Susanne in den Arm nehmen und trösten, die – auf
Medaillenkurs liegend – im Slalom kurz vor dem Ziel ausschied und danach untröstlich war.
So dicht liegen manchmal Freud und Leid beieinander.
Nicht trösten musste man Kerstin Szymkowiak und Anja Huber nach der Entscheidung im Skeleton.
Beide hüpften im Zielbereich wie kleine Mädchen umher. Sie hatten völlig
überraschend Silber und Bronze gewonnen und konnten ihr Glück kaum fassen. Es waren
gleichzeitig die ersten beiden Medaillen für Deutschland in dieser Disziplin überhaupt.
Auch die Skiläufer hatten Grund zur Freude. Evi Sachenbacher-Stehle und Claudia Nystadt
liefen im Teamsprint völlig überraschend zu Gold und waren anschließend
völlig aus dem Häuschen.
Die Langlaufstaffel der Damen hatte ebenfalls allen Grund zum Jubeln. Die "Zöpfchen-Staffel"
hatte Silber gewonnen. Das Kücken im Team, Miriam Gössner (die als Biathletin bei den
Spezialistinnen "aushalf"), wäre bei der Siegerehrung vor lauter Jubeln beinahe vom Podest
gestürzt, konnte sich aber gerade noch so an den "Oldies" Nystad und Sachenbacher-Stehle
festhalten.
Wie es sich anfühlt, Olympiasieger zu werden, weiß André Lange schon. Auch er
wurde in Vancouver zur Legende. Sein Gold im Zweierbob, zusammen mit Kevin Kuske, machte ihn zum
erfolgreichsten Bobfahrer aller Zeiten.
Die Viererbob-Entscheidung wurde dagegen zur Farce. Fast jeder Bob hatte so seine Probleme in der
"Fifty-Fifty"-Kurve - so benannt, weil die Chancen, nicht zu stürzen, Fifty-Fifty stehen.
Und in dieser berüchtigten Kurve erwischte es nicht nur die "Exoten", sondern auch die
Medaillenanwärter.
Es gab natürlich wieder die Überraschungen, mit denen keiner rechnet. Viktoria
Rebensburg gewann bis zu Olympia nicht ein einziges Weltcup-Rennen, aber beim Saisonhöhepunkt
war sie hellwach und wurde Olympiasiegerin im Riesenslalom.
Der Norweger Petter Northug wollte 6 mal Gold im Langlauf gewinnen, am Ende reichte es nur zu
zwei Goldmedaillen, eine davon mit Hilfe der Staffel. Auch andere hoch gehandelte Athleten
versagten kläglich, wie die deutschen Biathlon-Herren, die das schlechteste Ergebnis seit
42 Jahren ablieferten. Auch die weltcupführende Biathletin Helena Jonsson aus Schweden ging
ebenfalls leer aus.
Und noch ein Todesfall wurde zum Gesprächsthema. Die Mutter der kanadischen
Eiskunstläuferin Joannie Rochette starb völlig unerwartet zwei Tage vor Beginn der
Eiskunstlauf-Entscheidung der Damen. Joannie entschied sich, trotzdem an den Start zu gehen, weil
ihre Mutter es so gewollt hätte. Voll konzentriert lief sie ihre Kurzkür, erst danach
brachen bei ihr alle Dämme. 12.000 Zuschauer in der Halle standen wie eine Wand hinter der
Kanadierin und waren gerührt. Am Ende gewann Joannie Rochette Bronze.
Der emotionalste und dramatischste Moment aus deutscher Sicht war das Mannschafts-Verfolgungsrennen
der Damen im Eisschnelllauf. Im Halbfinale gegen die USA gingen Anni Friesinger-Postma eine Runde
vor dem Ziel die Kräfte aus, sie fing an zu straucheln. Auf der Zielgeraden stürzte sie
dann endgültig und rutschte auf dem Bauch liegend mit wilden Armbewegungen über die
Ziellinie. Geistesgegenwärtig und mit viel Akrobatrik schob sie ihr Bein nach vorn, das die
Zeitnahme auslöste. Es reichte, um ins Finale zu gelangen. Dort schien gegen die Japanerinnen
die Goldmedaille außer Reichweite, weil der Rückstand von Runde zu Runde für das
deutsche Team immer größer wurde. Erst in den letzten beiden Runden drehten die
Deutschen auf und machten Boden gut. Am Ende reichten dem "Gold-Express" zwei Hundertstel
Sekunden Vorsprung zum Sieg.
Nun denn, die Spiele sind vorüber. Um die Zukunft muss uns nicht bange sein, die meisten
deutschen Medaillengewinner sind noch jung und absolvierten ihre ersten Olympischen Spiele, was
für Sotschi 2014 und vielleicht München 2018 hoffen lässt. Deutschland festigte
seine Position als Wintersportmacht und wurde Zweiter in der Medaillenwertung. Am Ende stehen
10 Gold-, 13 Silber- und 7 Bronzemedaillen zu Buche. Ganz oben stehen die kanadischen Gastgeber,
die am letzten Wettkampftag ihr wichtigstes Gold, nämlich das im Männer-Eishockey,
gewannen. Ganz Kanada flippte aus, wie man überhaupt den Zuschauern ein Kompliment machen muss.
Es waren sicher nicht die besten Spiele, aber es waren schöne Spiele mit tollen
Wettkämpfen, sympathischen Athleten und jeder Menge Dramatik. Danke Kanada und Danke an alle
Sportler für zwei aufregende Wochen. Und Danke, dass man endlich wieder zu normalen Zeiten
ins Bett gehen kann...
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