Im Dienste von Frieden und Völkerverständigung:
die ungewöhnliche Karriere des Dean Reed
Der MARX Brother
Von Stefan Ernsting
Der ungeklärte Tod des sozialistischen Jugendidols bietet bis heute Anlass zu abstrusen
Spekulationen. Stefan Ernsting versucht in seiner
Reed-Biografie
mit der Legendenbildung aufzuräumen, in Kürze folgt auch eine
filmische Dokumentation
über den Amerikaner in der DDR. Und sogar Hollywood hat sich gemeldet:
Tom Hanks
recherchiert schon seit Jahren den Stoff und will mit Steven Spielberg die bizarre Geschichte vom
unbekanntesten Superstar aller Zeiten verfilmen.
"Von der Berliner Mauer bis Sibirien, Dean Reed aus Colorado ist der größte Star der Popmusik.
Reed wird von Russen und anderen Osteuropäern als der prominenteste Amerikaner nach Präsident
Ford und Henry Kissinger genannt." (People Magazine/1976)
Als man Dean Reed am 17. Juni 1986 aus einem See am Rande von Ost-Berlin zog, wurde hinter dem Eisernen
Vorhang munter spekuliert. Hinter vorgehaltener Hand sprach man von einem Mord durch KGB, CIA, Mossad,
Stasi oder zumindest eine eifersüchtige Frau. Offiziell meldete die Presseagentur der DDR einen
"tragischen Unglücksfall".
Doch daran mochten vor allem die Fans des sozialistischen Superstars nicht glauben. Ein Mann wie Dean Reed
fiel nicht versehentlich in einen See und ertrank in knietiefem Wasser. Aber auch die Stasi, die Dean Reed
seit seinem mysteriösen Verschwinden vier Tage zuvor quer durch die DDR gesucht hatte, stand vor
einem Rätsel.
Dean Reed spielte in
18 Filmen
mit, produzierte 13 LPs
und gab Konzerte
in 32 Ländern. Bei keinem anderen Weltstar verliefen die Grenzen zwischen Pop und Propaganda so
fließend wie bei ihm. 1938 in einem staubigen Nest am Rande von
Denver/Colorado
geboren, war Dean Reed ein Amerikaner wie aus einem Bilderbuch. Als junger Mann hatte er in Denver bereits
erste Erfolge als Countrysänger gefeiert und eine soziale Ader bewiesen. Im Sommer 1958 zog er nach
Hollywood, wo er einen siebenjährigen Vertrag bei Capitol Records unterschrieb. Er bekam
Schauspielunterricht und lebte für kurze Zeit seinen amerikanischen Traum. Reed glaubte, der Erfolg
würde sich automatisch einstellen, aber die Realitäten der Musikindustrie in den späten
50er Jahren holten ihn schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Nach einer Reihe von Singles,
von denen sich lediglich
"The Search"
für eine Woche auf Platz 96 der Billboard-Carts halten konnte, verlor man bei Capitol schnell das
Interesse. Zudem mochte sich Reed den Spielregeln der Branche nicht unterwerfen. Die Hauptrolle in der
TV-Serie "Wanted Dead ob Alive" lehnte er ab, weil er als Pazifist keine Waffe tragen wollte. Man
verpflichtete stattdessen den jungen Steve McQueen, der mit dieser Rolle zum Star avancierte.
1960 landete Reed mit der Single
"Our Summer Romance"
überraschend einen Hit in Südamerika. Er zögerte nicht lange und tourte 1961 von
Chile
nach Argentinien und wieder zurück. Südamerika war verrückt nach dem Yankee mit dem
Superhit. Sein politisches Engagement und die entwaffnende Ehrlichkeit stießen südlich der
USA auf riesige Resonanz. Man nannte ihn "den roten Elvis" - und die Mädchen lagen ihm zu Füßen.
Für Reed wurde die Tour zur prägenden Erfahrung. Als typischer Amerikaner hatte er nie Gedanken
über den Rest der Welt verschwendet. Er bekam Kontakt zur politischen Opposition in Ländern wie
Chile,
Argentinien oder
Brasilien
und sah zum ersten Mal die bittere Armut in den südamerikanischen Elendsvierteln. Er war geschockt
von den Lebensumständen seiner neuen Freunde. Zurück in Hollywood, packte Reed umgehend wieder
seine Koffer und zog nach Südamerika, wo er sich schnell zum
politischen Aktivisten
entwickelte. Er lernte
Pablo Neruda,
Salvador Allende und
Victor Jara
kennen, die schon bald zu seinem Freundeskreis zählten. Er protestierte öffentlich gegen die
Politik der USA und bezeichnete sich als
Marxist.
Ab 1962 lebte er in Mexiko, Argentinien oder Chile, wo er kleine Rollen in
Teen-Komödien
bekam, im Fernsehen
auftrat und sich immer mehr zum Agitator entwickelte.
1965 wurden die Sowjets auf Reed aufmerksam. Seine Vergangenheit als mäßig erfolgreicher
Sänger und Schauspieler mit marxistischen Idealen war die ideale Voraussetzung, um im popkulturell
ausgehungerten Sozialismus zum Rockstar aufgebaut zu werden. Man lud ihn nach Moskau ein und organisierte
für ihn Konzerte
in riesigen Hallen. In den nächsten Jahren sollte er als Amerikaner mehrfach durch die Sowjetunion
touren - und
weit darüber hinaus. Für die Menschen in Russland, Nicaragua, Kuba, Bangladesch, Irak, im Libanon
oder der Mongolei war er der erste Popstar, den sie je zu Gesicht bekamen.
Reed wohnte zu dieser Zeit weiter mit seiner ersten Frau
Patricia Hobbs
in Argentinien, wo er jede Woche eine Fernsehsendung moderierte. Inzwischen hatte er sich mit seinen
Protestaktionen in südamerikanischen Regierungskreisen bereits mehrfach unbeliebt gemacht; auch die
amerikanischen Geheimdienste waren auf ihn aufmerksam geworden. Man machte ihm Schwierigkeiten, aber Reed
ließ sich auch von massiven Drohungen nicht abschrecken. Nachdem er in seiner TV-Show die erste Frau
auf dem Mond, die charmante Kosmonautin
Valentina Tereschkowa
präsentierte, hatte er den Bogen allerdings überspannt. In
Buenos Aires
wurde er von ein paar bulligen Herren mit Sonnenbrillen in einen dunklen Keller verschleppt. "Ich werde es
nie vergessen. Da war eine Tür, auf der oben stand: PRO SOWJET", erinnerte sich Reed später.
"Ich wurde reingebracht, und sie sagten: 'Wie viel haben sie bezahlt, dass du das gezeigt hast?'
Und: 'Bist du ein Agent des Kremls?' Letztendlich wurde ich 1966 aus Argentinien rausgeschmissen, weil der
Staat sagte, dass ich ein Risiko für die Sicherheit der Nation sei." In Buenos Aires wurde
wiederholt auf ihn geschossen.
Über Spanien verschlug es ihn 1967 nach Rom, wo er für drei Jahre einen Vertrag als
Schauspieler
bekam. Er wirkte neben Yul Brynner in Spagetti-Western wie
"Adios Sabata" (1968)
oder Klamotten a la "The Cousins of Zorro"
(1969) mit. Aber auch in Italien eckte er an. Reed konnte und wollte seine politische Überzeugung
nicht verheimlichen. Er solidarisierte sich bei jeder Gelegenheit mit denen, die er zu den
Unterdrückten dieser Welt zählte - ob das nun hungernde Kinder in Peru oder unterbezahlte
Beleuchter eines italienischen B-Movies waren. Solange er sich als Kämpfer für Frieden und
Freiheit inszenieren konnte, war er in seinem Element. Als Künstler stagnierte er allerdings bereits
am Anfang seiner Karriere.
Nach der Geburt seiner ersten Tochter
Ramona
ließ sich Reed scheiden. Er tourte weiter um die Welt und tauchte erneut in
Chile
auf, um in den Slums für die "Unidad Popular" zu singen und einen Dokumentarfilm zu drehen.
Für ein Jahr unterstützte er mit Victor Jara das Linksbündnis ihres Freundes Salvador
Allende und trat bei Parteiveranstaltungen auf. In Italien wurde sein Vertrag nicht weiter verlängert,
neue Angebote blieben aus. Seine große Klappe und das politische Engagement schienen eine Karriere
im Westen unmöglich zu machen. Im Osten hingegen war er noch immer ein gefragter Mann.
Im Herbst 1971 reiste Reed erstmals in die DDR, um bei der
Leipziger Dokumentarfilmwoche
seinen Film
über die "Unidad Popular" zu zeigen. Bei seinem Empfang traf er Dame namens
Wiebke,
die er umgehend ehelichte. Der Umzug in die DDR war die logische Konsequenz. Man bot ihm die Hauptrolle in
"Aus dem Leben eines Taugenichts"
an. "Ich wäre auch nach Moskau gezogen, wenn ich mich dort verliebt hätte", kommentierte er
später seinen Umzug.
Reed wurde gefeiert und trat regelmäßig im
DDR-Fernsehen
auf, wo man ihn als Weltstar präsentierte, der aus politischen Gründen hinter die Mauer gezogen
war. Er sang für die FDJ oder wo auch immer man ihn "einsetzten" konnte. Reed mimte den amerikanischen
Rockstar und kokettierte mit seinen Status. In Interviews suggerierte er immer wieder,
"Our Summer Romance"
hätte es in den US-Charts auf Platz 2 geschafft; als Beweis diente ihm die
Playlist
eines kleinen Radiosenders in Denver. In den offiziellen Billboard-Charts war davon nichts zu lesen,
aber die Story ließ sich in der DDR nicht so leicht überprüfen. Auch die sowjetische
Propaganda übernahm die Legende und verkündete immer wieder, Reed habe in den USA große
Erfolge gefeiert - und das Land nur aus Protest gegen den Vietnamkrieg verlassen. Reed wurde im ehemaligen
Ostblock unantastbar. Er nahm diverse LPs auf, durfte sich für die DEFA als
Filmregisseur
versuchen und schüttelte regelmäßig die Hände von Staatsoberhäuptern, die sich
gern mit dem illustren Amerikaner ablichten ließen.
In einem Interview für den
"Tagesspiegel"
klagte Reed seinerzeit: "Überall hat man mich rausgeschmissen. Natürlich habe ich auch in der
DDR manche Probleme und ich will hier nicht alles verteidigen. Aber es gibt in diesem Staat Prioritäten,
mit denen ich mich als Marxist identifiziere. Was ist da immer im Westen die Rede von der
'Freiheit des Reisens'? Mein Vater
aus Colorado ist auch nie ins Nachbarland Mexiko gereist! Wichtiger
ist doch in der DDR, dass keine Arbeitslosigkeit herrscht."
Reed protestierte gegen Atomkraft, Militär-Juntas und den Krieg in Vietnam, aber sein Erfolg im
Osten machte ihn blind für die politische Unterdrückung in der DDR. Er hatte einem
amerikanischen Pass und genoss die volle Reisefreiheit, pries in Interviews aber stets die Vorzüge
der Mauer. Seine Naivität und die Akzeptanz durch hochrangige Parteibonzen paarten sich dabei ideal
mit Reeds künstlerischer Mittelmäßigkeit. Während im Westen Sozialkritik in die
Popmusik Einzug hielt, blieb Reed bei seinem Standard-Repertoire zwischen
"My Way" und
"Guantanamera".
Sein Erfolg in den Siebzigern und das spätere Scheitern an den eigenen Ansprüchen stand
stellvertretend für das Scheitern der DDR-Kulturpropaganda und einer staatlichen Popkultur, die
jungen Menschen hinter dem Eisernen Vorhang vergeblich einen Hauch von weiter Welt vermitteln wollte.
Die DDR war stets bemüht, der kapitalistischen Kultur mit einem Gegenentwurf zu begegnen. Im
Gegensatz zum klassischen Western erzählte man die amerikanische Geschichte aus der Perspektive
der Ureinwohner und hatte 1965 mit "Die Söhne der großen Bärin" ein eigenes Sub-Genre
gestartet: die Indianerfilme. 1975 ritten Dean Reed und der jugoslawische Superstar
Gojko Mitic
als "Blutsbrüder"
über die Leinwand. Der Film wurde zu einem der erfolgreichsten DDR-Filme überhaupt. Reed gab
den Weißen, den das Schicksal an die Seite der armen Rothäute führte.
Er selbst hatte das Drehbuch verfasst und schrieb sich die Rolle auf den Leib.
In einer von Pathos triefenden Szene ist er vor einem Meer brennender Tippis zu sehen und zerbricht
vor Zorn über die Massaker an den Indianern eine amerikanische Flagge. Goiko Mitic, der Häuptling,
durfte nach der Wende noch als alternder Winnetou in Bad Segeberg auftreten.
Mitic gab bereits seit zehn Jahren den Häuptling im Ostblock, doch auch in seiner sozialistischen
Spielart war der Western 1975 längst ausgereizt. Reed kam zu spät, um auf einen Zug
aufzuspringen, der längst den Endbahnhof erreicht hatte. Dennoch: Bei einem Staatsbesuch in der DDR
wünschte sich selbst Yassir Arafat
im offiziellen Protokoll ein Treffen mit Reed. Arafat war ein Fan von italienischen B-Movies
und verstand sich blendend mit dem Amerikaner. Beide trafen sich mehrfach und planten gemeinsam einen
DEFA-Film
über die Kinder im Libanon, der allerdings nie realisiert wurde.
Die Geburt seiner zweiten Tochter
Natascha
markierte 1976 das Ende seiner zweiten Ehe. Wenig später fand er in der prominenten Schauspielerin
Renate Blume
die Liebe seines Lebens. Das Paar heiratete 1981 und verlieh dem DDR-Alltag einen kleinen Hauch von Glamour.
Ein Jahr später drehte Reed mit der Erfolgsklomotte
"Sing Cowboy, Sing"
den ersten DEFA-Film, der ausschließlich als Unterhaltung konzipiert war. Er ließ sich wieder
als Cowboy feiern, der für das Gute in den Kampf ritt und stets brav zurück in den Osten kehrte,
aber inzwischen nahm man ihn immer weniger ernst.
"Wir wollten aus dem Käfig DDR lieber raus. Und da kommt ein Amerikaner, aus einem Land, in dem es alle
Möglichkeiten des Films gibt, und marschiert in den Käfig freiwillig", kommentierte
Armin Mueller-Stahl
im Dokumentarfilm "Der rote Elvis" - und schüttelte den Kopf über einen Kollegen, dem er
durchaus eine Karriere in den USA zugetraut hätte. "Ich dachte: Mensch, ein toller Typ. Wieso kommt
der hierher? Das ist doch ein amerikanischer Star, der kann doch Karriere in Amerika machen. Was will
der hier? Hier ist er doch sofort wie ein Spielauto, was sich immer am Tisch so rumdreht und in alle
Richtungen fährt, aber über die Kante nie hinaus. Was will der eigentlich hier in diesem kleinen
Land? Wen will er erreichen?"
Der Berliner Zeitung
sagte Reed 1981: "Für mich gibt es folgende Alternativen zu leben: Ein Mensch kann auf einer
breiten, graden Straße gehen, die gut beleuchtet ist und wenig Schlaglöcher aufweist. Er wird
nicht stolpern, er wird nicht viel weinen, aber er wird auch wenig lachen. Oder der Mensch nimmt seinen Weg
durch eine kleine Straße, auf der er durch tiefe Löcher stolpert, auf die Nase fällt und
sich die Knie zerschlägt. Aber er steht wieder auf und geht weiter. Und ich meine, ein Künstler
muss durch diese kleine Straße gehen, sonst kann sein Werk keine Emotionalität besitzen und
vermitteln. Und all jene Leute, die Angst vor dem Abenteuer haben, etwas neu zu probieren, muss er
mitführen."
1983 reiste Reed erneut nach
Chile - ein Land,
das sich gerade gegen den Diktator Pinochet auflehnte. In den umkämpften Straßen spielte er
die verbotene Hymne "Venceremos".
Sein naiver Internationalismus konnte in der DDR nicht mehr funktionieren, aber in Südamerika war
der rote Elvis wieder ganz der Alte. Mochte man ihn als Künstler auch lächerlich finden, so
bewies er einmal mehr, dass es mit seinem Engagement ernst war. 1984 unterstütze er den Kampf von
Daniel Ortega in Nicaragua
und hielt eine Rede gegen die Politik Ronald Reagens vor der amerikanischen Botschaft. Im Herbst desselben
Jahres wurde er in Uruguay
verhaftet. Jeder seiner symbolischen Proteste hätte in der DDR allerdings mit einem längeren
Gefängnisaufenthalt geendet. Viele Menschen, die nicht seine Reisefreiheit genießen durften,
empfanden ihn schon lange als lächerlichen Anpasser und narzistischen Salon-Bolschewiken. Seine Haare
wurden grauer - und die kreischenden Mädchen vor seinem Haus waren längst erwachsen.
Es wurde stiller um den roten Elvis, und in Moskau begann sich der Wind zu drehen. Schlagworte wie Glasnost
und Perestroika machten die Runde. Als die hilflose Ikonographie sozialistischer Popkultur Anfang der
Achtziger immer mehr vom Einbruch politischer Realitäten verdrängt wurde, bekam der linientreue
Cowboy irgendwann kaum noch Auftritte.
Nach einem Interview für das amerikanische TV-Magazin "60 Minutes" bekam Reed Drohbriefe aus seiner
Heimat. Er hatte im US-Fernsehen die Mauer verteidigt und Reagen mit Stalin verglichen. Eine Rückkehr
in seine Heimat schien unter diesen Umständen ausgeschlossen. Reed schloss sich in sein Schlafzimmer
ein. Immer wieder las er die hasserfüllten Briefe seiner Landsleute. Verzweiflung stieg in ihm hoch.
Man engagierte ihn nur noch als Einheizer für die DDR-Schlagerparade - und seine Sucht nach Harmonie
trieb ihn nur noch tiefer in die Depression. Dean Reed, der oft von sich selbst in der dritten Person
sprach, konnte es nicht ertragen, langsam aber sicher zu verblassen. Er hatte nie einen Hit gehabt, an den
sich jemand erinnern konnte, seine letzte
LP "Country"
war ein gewaltiger Flop, und ein heftiger Streit mit seiner Frau gab ihm den Rest.
Bis zu seinem Tod arbeitete er an
"Blutiges Herz",
einem Film über das Massaker im Indianerreservat Wounded Knee 1973 und die Gründung des
American Indian Movement (AIM). Wenige Tage vor Beginn der Dreharbeiten ertrank Reed im Zeuthener See.
Nach einem Streit mit Renate Blume hatte er am Abend des 12. Juni 1986 sein Haus verlassen um die Nacht bei
Gerrit List,
dem Produzenten von "Blutiges Herz", zu verbringen. Hier verlor sich seine Spur. Erst drei Tage später
entdeckten Volkspolizisten sein Auto. Die genauen Umstände seines Todes blieben ungeklärt.
Der rebellische Cowboy starb einsam und wenig heroisch. Auch die Stasi konnte die letzten 24 Stunden im
Leben des Dean Reed nicht rekonstruieren. Hektisch verbreitete man die Mär von einem Unfall, aber
längst war sein Ableben den DDR-Medien nur noch eine
Randnotiz
wert. Ohne die Propaganda-Maschine war er wieder ein Niemand.
Nach dem Fall der Mauer allerdings machte die Nachricht von einem Abschiedsbrief die Runde. Erich Honecker
habe den Brief ein seinen persönlichen Safe gelegt und den Selbstmord des sozialistischen
Vorzeige-Amerikaners vertuschen lassen. Honecker bereitete gerade seinen Besuch in den USA vor und wollte
unangenehme Schlagzeilen vermeiden. Die Angst vor einem internationalen Skandal aber erwies sich als
völlig unbegründet: Die Amerikaner hatten auch nach seinem ungeklärten Tod kein Interesse
an ihrem ehemaligen Mitbürger.
Die Mauer fiel - und Reed wurde schnell vergessen. Seine Platten landeten auf Flohmärkten, man machte
sich über ihn lustig. Nach der Wende wurde das Original seines Abschiedsbriefes von dem
Innenministerium der Übergangsregierung in die
Presse
lanciert und 1990 veröffentlicht. "Lass alle
vorschrittlichen Menschen eine besseres gerechtiges und friedliches Welt schaffen", wünschte sich
Reed darin in eigenwilligem Deutsch. "Socialismus ist noch nicht erwachsen. Meine Grüße auch
an Erich - Ich bin nicht mit alles einverstanden."
Mit dem Auftauchen des Abschiedsbriefes begann die Gerüchtekuuml;che neu zu brodeln. Sämtliche
Verschwörungstheorien im Falle Dean Reed waren vor allem auf der Tatsache begründet, dass die
genauen Umstände seines Todes tatsächlich vertuscht worden waren. Wenn es auch nicht
unwahrscheinlich schien, dass einige mächtige Männer ihn lieber von der Bildfläche
verschwinden lassen wollten, war Reed in eine Falle geraten, die er sich letztlich selbst gestellt hatte.
Seine musikalische Karriere hatte den Richtlinien derer zu folgen, die ihm seine privilegierten
Auftrittsmöglichkeiten verschafften. Er hatte zu spät bemerkt, dass er sich verändern
musste. Als Mann von gestern, der bis zu seinem Tode die Mauer verteidigte, konnte er sich im Osten nur
noch schwer behaupten, wenn es um Reformen ging. Auch seine Form von Protest hatte sich verbraucht. Reed
hätte die keimende Opposition innerhalb der DDR unterstützen können, aber für solche
Ansätze gab es kaum Anzeichen. Reed war das Opfer seiner eigenen Inszenierung geworden.
Seine letzten Jahre waren geprägt von Depressionen - und ein Selbstmord schien der einzige Weg, die
eigene Legende für die Ewigkeit zu konservieren. Wer Reed persönlich gekannt hatte, hatte an der
Selbstmord-Theorie keinen Zweifel. In seinem privaten Umfeld bedauerten allerdings auch hartgesottene
Intellektuelle, die Reed immer als Schlagerclown abgetan hatten, dass man seine Depressionen hinter der
lächelnden Fassade nicht früher bemerkt hatte.
Jutta Voigt schrieb am 13. Juni 1987 in der
"Leipziger Volkszeitung":
"Er war der Parlamentär mit der weißen Fahne zwischen den Völkern, keiner hatte ihn
ausgeschickt, niemand ihn aufgerufen, nur sein eigenes Gewissen. (...) Dass er entgegenkommend war, im
tiefen Sinne des Wortes, gehörte zu seiner Botschaft und wurde, meine ich, von uns öfter nicht
so verstanden, wie er es meinte: als sein Ausdruck einer inneren Überzeugung, nicht als
Äußerlichkeit. Das Keep-smiling, der Sonnyboy-Touch waren ebenso seiner Herkunft geschuldet wie
das Schwärmerische und Sentimentale seiner künstlerischen Präsentation. Etwas
Tröstliches hat Dean Reeds früher Tod: Das Bild, das von ihm bleibt, ist unvollendet, aber auch
unzerstört. Er hat nicht alles erreicht, aber er hat auch nichts aufgegeben, schon gar nichts verraten.
Vom Moskauer Filmfestival im letzten Jahr flogen wir in derselben Maschine zurück nach Berlin. Er
bemerkte meine Angst vorm Fliegen und fragte: 'Soll ich für Dich singen? Dann brauchst Du keine Angst mehr
zu haben.'"
Es dürfte nicht überraschen, dass man irgendwann auch in seiner amerikanischen Heimat auf das
schillernde Leben des singenden Friedenskämpfers aufmerksam wurde.
Tom Hanks
und Steven Spielberg wollen demnächst das Leben und Sterben von Dean Reed mit "Comrade Rockstar"
auf die große Leinwand bringen. Hangs recherchiert dafür seit 2004 auf eigene Faust und kommt
regelmäßig nach Berlin, um Interviews mit Zeitzeugen zu führen. Alle, die dem Hollywoodstar
dabei begegnet sind, betonen einhellig, wie ernsthaft Hanks seine Regiearbeit angeht. Man ist verwundert,
wie detailliert er sich inzwischen in der Geschichte der DDR auskenne.
Die Berliner Produktionsfirma Totho kam Hollywood allerdings zuvor. Unter der Regie von Leopold Grün
arbeitet man in Deutschland bereits seit 2002 an einem Dokumentarfilm mit dem Titel
"Der rote Elvis",
der bereits 2007 in die Kinos kommt. Regisseur Grün und seine Crew haben dafür Material aus
aller Welt gesammelt und endlose Interviews geführt. Egon Krenz,
Armin Mueller-Stahl und
Isabel Allende
kommen zu Wort, und seltene Aufnahmen von Dean Reed bei einem Tänzchen mit Yassir Arafat sind
ebenfalls zu sehen. Postum bekommt Dean Reed nun selbst in den USA die Aufmerksamkeit, die ihm sein Leben
lang verwehrt blieb. Der neue Rummel um seine Person hätte ihm sicher gefallen.
Richtig Rot
Mit Film und CD wird der singende Sozi ausführlich gewürdigt
Nach vier Jahren intensiver Recherchen feiert
"Der rote Elvis",
Leopold Grüns Dokumentarfilm über Aufstieg und Fall des singenden Sozis, im Februar Premiere.
Durch die Nachricht, dass Tom Hanks an einem Spielfilm über Dean Reed arbeitet, ließ sich der
Regisseur nicht beirren, aber die Konkurrenz aus Hollywood dürfte das Projekt sicher beflügelt haben.
Durch eine Vielzahl von Zeitzeugen, unbekanntes Archivmaterial sowie den Soundtrack von Dekadenz2000
[Monomango] ist ein ungewöhnliches politisches Dokument entstanden, das sich dem illustren
Friedenskämpfer und Frauenhelden aber auch auf durchaus unterhaltsame Weise nähert. Tom Hanks
und Steven Spielberg werden sich daran messen lassen müssen. (Trailer:
www.theredelvis.com)
Ebenfalls unter dem Titel "The Red Elvis - The very strange story
of Dean Reed" erscheint bei Bear Family die passende CD zum Film. BF-Chef Richard Weize hat wieder einmal
keine Kosten und Mühen gescheut, um sämtliche Aufnahmen aufzutreiben, die Reed für Capitol
Records bis 1961 eingespielt hat - wobei die meisten Tracks bisher auch im ehemaligen Ostblock unbekannt
waren. Zu hören ist hier der junge Dean Reed mit Anfang 20, ein Junge aus der Provinz, der vom
"weißen" Elvis offensichtlich inspiriert ist.
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