Pablo Neruda |
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Pablo Neruda (Neftali Ricardo Reyes Basualto), 12. Juli 1904 - 23. September 1973, chilenischer Dichter, ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Literatur 1971 Pablo Neruda (Neftali Ricardo Reyes Basualto), July 12, 1904 - September 23, 1973, Chilean poet, Nobel Prize for Literature in 1971 Пабло Неруда |
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Dichter vom Zwiegespräch der Geschlechter - 30. Todestag Pablo NerudasSantiago de Chile (dpa) - Die Poesie Pablo Nerudas sei wie die Anden Chiles: hohe Gipfel und tiefe Täler. So beschreibt der Freund und Biograf Volodia Teitelboim das Lebenswerk des bekanntesten chilenischen Dichters und Literaturnobelpreisträgers, der am 23. September 1973 im Alter von 69 Jahren an Krebs gestorben ist. An Krebs, sicherlich, aber auch an dem Putsch von Heereschef Augusto Pinochet gegen Nerudas Freund, den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Neruda überlebte Allende, der sich am 11. September im belagerten Präsidentenpalast das Leben nahm, nur um zwölf Tage. "Das hat seine Krankheit beschleunigt. Das war in seinem Gedächtnis wie ein Sturm. Nicht nur die Morde, die Verletzung der Menschenrechte, sondern auch die Plünderung seines Hauses in Santiago, die Vernichtung seiner Bücher waren dauernde Erniedrigung", erinnert sich Allendes Tochter Isabel. Ein trauriges Ende für einen humorvollen Menschen. Die Senatorin Isabel Allende beschreibt die Beziehung zwischen ihrem Vater und Neruda als "Konkurrenz des Humors". Auch der frühere Botschafter Chiles in Berlin und wohl bekannteste Gegenwartsautor Chiles, Antonio Skarmeta, erinnert sich noch heute lachend an Neruda, an dessen Humor und Ironie. "Wir redeten eigentlich nie über Kultur oder Politik, sondern über Mädchen, rissen Witze, machten uns über mittelmäßige Politiker der Rechten wie der Linken lustig." Vergebens versuchte der damals noch junge Skarmeta aus Neruda mehr über Liebe und Erotik herauszubekommen. "Er wusste darüber so glänzend zu dichten, da musste er doch noch mehr darüber wissen", erzählt Skarmeta in seinem Haus in Santiago. Neruda wurde am 12. Juli 1904 in Parral im Süden Chiles als Sohn eines Lokomotivführers geboren. Eigentlich hieß er Neftali Ricardo Reyes Basualto. Als Schriftsteller nannte er sich aber nach dem heute fast vergessenen tschechischen Autor Jan Neruda, der von 1834 bis 1891 lebte und als Führer und geistiger Mittelpunkt der tschechischen realistischen Schule gilt. Schon als kleiner Junge fühlte er sich zum Dichter berufen. Nach einigen Frühwerken verschaffte ihm die Sammlung Liebesgedichte "Veinte poemas de amor y una canción desesperada" den Durchbruch. Nach dem Studium trat Neruda 1927 in den diplomatischen Dienst ein und war in der Zeit des spanischen Bürgerkrieges als Konsul in Madrid. Er beteiligte sich aktiv auf roter Seite am Kampf und organisierte angesichts des absehbaren Sieges der Franco-Truppen Flüchtlingsschiffe Richtung Chile, erzählt der Verfassungsrechtler José Zalaquett. Die Erschießung seines Freundes Garcia Lorca prägte ihn tief und holte ihn zum Ende seines Lebens wieder ein, erzählt Teitelboim. Als ihn seine zweite Frau Mathilde Urrutia nach dem Putsch gegen Allende damit zu beruhigen versucht habe, ihm, dem Literaturnobelpreisträger würden die Militärs schon nichts antun, habe Neruda geantwortet: "Nein, die respektieren niemanden, wie die Franco-Leute auch Lorca nicht respektiert haben." 1945 trat Neruda der kommunistischen Partei Chiles bei, aber sein Kommunismus war kaum ideologisch geprägt, sondern von einem "Sinn für Gerechtigkeit", erinnert sich Teitelboim: "Wenn er arme Kinder sah oder hungernde Jugendliche, dann war er Kommunist." Nerudas Poesie aber war vom Gespräch eines Mannes mit einer Frau geprägt. "Wenn ein Mann intim mit einer Frau sprechen will, hat er in Neruda den besten Verbündeten", sagte Teitelboim augenzwinkernd. Und den Dialog mit dem Schicksal des Nächsten, des Bruders, des Unbekannten, mit der ganzen Menschheit. Der Gründer der Kultband Quilapayun, Eduardo Carrasco, sagt wohl stellvertretend für viele Chilenen: "So wie ich mich als Chilene für Pinochet schäme, bin ich wegen Neruda stolz, Chilene zu sein." © dpa - Meldung vom 22.09.2003 |
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Junge Welt
"Einer der ganz Großen, aber einer wie wir alle"Gespräch mit David Schidlowsky über den Diplomaten und den Dichter Pablo Neruda, über menschliche Schwächen und politische Ikonisierung* David Schidlowsky wird 1954 als Sohn des chilenischen Komponisten León Schidlowsky und der Klavierprofessorin Susanne Schidlowsky in Detmold/Westfalen geboren. Bis 1968 lebt er in Santiago de Chile, dann in Israel, wo er im Kibbuz Maábarot lebt. 1979 kehrt er nach Deutschland zurück. Nach einem Studium der Lateinamerikanistik an der Freien Universität Berlin arbeitet er unter anderem als Produzent von Dokumentarfilmen. Seit Anfang der neunziger Jahre arbeitet er an einer Biographie Pablo Nerudas, mit der er 2003 in Berlin promoviert. Sie erscheint "ohne Unterstützung wissenschaftlicher Institutionen" (Schidlowsky) mit 80 Exemplaren in einer Privatedition im Wissenschaftlichen Verlag Berlin. "Ohne die finanzielle und moralische Unterstützung meiner Frau Gertrud hätte ich diese Arbeit nicht leisten können", sagt er. Schidlowsky lehrt am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin Literaturwissenschaft. Ich lese am Meer Quevedo
Ich lebe zwischen dem Ozean und Quevedo,
Mit 1.337 Seiten in zwei Bänden ist von Ihnen unter dem Titel "Las Furias y Las Penas" (etwa: "Von der Wut und den Schmerzen") zwar eine späte, wohl aber die umfangreichste Biographie von Pablo Neruda erschienen. Sie sind Neruda selbst begegnet? Das stimmt. Ich habe ihn als Kind in seinem Haus auf der Isla Negra in Chile getroffen, wohin meine Eltern meine Schwester Judith, meinen Bruder Elías und mich mitgenommen hatten. Mein Vater war an jenem Sommertag von dem chilenischen Komponisten Alfonso Leng eingeladen worden, der eng mit Neruda befreundet war. Am Nachmittag dann sind wir zusammen zu einem Besuch bei Neruda aufgebrochen, auch weil mein Vater Texte von ihm für sein Werk "Caupolicán" verwendet hatte. Eine einmalige Zusammenarbeit? Nein, mein Vater hat mit dem Einverständnis von Neruda auch später noch Texte für seine Stücke verwenden können. Was war Ihr Eindruck von Pablo Neruda? Das Bild, das Neruda bei uns Schidlowsky-Kindern hinterließ, war das eines großen Brummbären mit einer beruhigenden Stimme. Ich muss damals etwa sechs Jahre alt gewesen sein, kann mich aber noch genau an die chinesischen Hunde erinnern, die in einem fort bellten. Im Gedächtnis sind mir auch die vielen Muscheln in der Wohnung und ein kleines Holzhäuschen geblieben, auf dem die Namen aller seiner Freunde und der Schriftsteller geschrieben standen, die ihn beeinflusst haben. Neben den vielen Geschichten, die mir später über ihn erzählt wurden, hat mich eine besonders fasziniert. Sie spielt während seines Aufenthaltes in Kuba von März bis April 1942. Im Nachbarland Mexiko lebte die Mutter des brasilianischen Kommunisten Luis Carlos Prestes, Leocidia Prestes. Sie war offenbar sehr besorgt um ihre Schwiegertochter Olga Benario, die 1936 vom Regime des profaschistischen Machthabers in Brasilien, Getúlio Vargas, an Nazideutschland ausgeliefert wurde. Leocidia Prestes suchte in ihrer Verzweiflung den Rat bei zwei Hellseherinnen. Beide, so Neruda, hätten ihr übereinstimmend erklärt, dass ihre Schwiegertochter Olga ermordet worden sei. Die alte Frau sandte daraufhin ein Telegramm an Neruda: "Sag Prestes, dass Olga tot ist". Aber Pablo Neruda konnte die Nachricht nicht weiterleiten, denn Prestes war vom Vargas-Regime inhaftiert und von der Außenwelt abgeschnitten. Jahre später habe Prestes Neruda erzählt, dass er davon geträumt habe wie seine Mutter dem Poeten eine Nachricht mit der Bitte zukommen ließ, ihren Sohn von dem Tode Olgas zu unterrichten. So habe er das Schicksal seiner Frau geahnt. Gewissheit bekam er aber erst nach Kriegsende: Olga Benario war in den Gaskammern von Bernburg ermordet worden. Das Grauenhafte ist, dass Prestes 1945 dazu genötigt war, Vargas in aller Öffentlichkeit die Hand zu reichen - dem Mann, der für die Deportation und Ermordung seiner schwangeren Frau verantwortlich zeichnete. Die brasilianischen Kommunisten setzten sich zu dieser Zeit für ein strategisches Bündnis aller progressiven Kräfte ein, und Vargas hatte sich inzwischen von den Faschisten abgewandt. Neruda nahm später, am 15. Juli 1945, im Pacaembú-Stadion in São Paulo an einer Feier zu Ehren des inzwischen in die Freiheit entlassenen Luis Carlos Prestes teil. Vor 100.000 Gästen rezitierte er sein berühmtes Gedicht "Gruß an Carlos Prestes", das später unter dem spanischen Titel "Dicho de Pacaembú" (Worte von Pacaembú) Teil des "Canto General", des Großen Gesanges, werden sollte. Im Gegensatz zu anderen Biographen widmen Sie sich ausführlich dem Verhalten Nerudas gegenüber seiner ersten Frau. Sie schreiben, dass er Maria Antonieta Hagenaar (Neruda nannte sie Maruca Reyes), in den Niederlanden sitzenließ. Mich erstaunt immer, dass dieses Kapitel gemeinhin ausgegrenzt wird. Das Schicksal von Maruca Reyes ist eine tragische Geschichte, die wie ein Schatten auf der Biographie Nerudas liegt: Pablo Neruda hat seine Frau und ihre kranke Tochter Malva Marina 1936 in dem von den Nazis besetzten Holland mit dem Versprechen zurückgelassen, ihnen eine monatliche Unterstützung zukommen zu lassen. Als ihre Tochter im März 1943 starb, wandte er sich entgegen einer Empfehlung aus dem Außenministerium gegen eine Einbürgerung seiner Frau. Er drohte ihr sogar, die Unterhaltszahlungen einzustellen, wenn sie eine Einreise nach Chile versuchen sollte. Maruca Reyes war also dazu gezwungen, den gesamten Krieg über in den besetzten Niederlanden zu verbringen. Erst im Laufe dieser Auseinandersetzung mit Pablo Neruda erfuhr sie, dass er sich schon 1942 notariell im mexikanischen Cuernavaca von ihr hat scheiden lassen. Er übte zu dieser Zeit in Mexiko das Amt des Generalkonsuls von Chile aus. Nach dem Krieg wurde die Geschichte Maruca Reyes' von dem chilenischen Präsidenten Gabriel González Videla für seine Kampagnen gegen die Kommunisten und im Speziellen gegen Neruda benutzt. Maruca Reyes starb im März 1965 in den Niederlanden und wurde in einem Armengrab beigesetzt. Erst eine Weile nach ihrem Tod hatte Neruda seine Beziehung zu Matilde Urrutia offiziell bekanntgegeben, im Oktober 1966. Wie lange haben Sie für Ihre Nachforschungen benötigt? Alles in allem etwa zwölf Jahre. 1994, 1996 und 1999 war ich auf Forschungsreisen in Chile, die in eine minutiöse Suche nach fehlenden Dokumenten in der Nationalbibliothek, dem Nationalarchiv und den Beständen der Neruda-Stiftung mündeten. Material habe ich auch aus Deutschland, Dänemark, den USA, den Niederlanden, Großbritannien, Mexiko und Russland ausgewertet. Ein enormes Engagement nur für eine weitere Neruda-Biographie. Man könnte meinen, Sie suchten geradezu nach Informationen, die Pablo Neruda diskreditieren. Meine Absicht war es weder, die Leistungen des Poeten in den Himmel zu heben, noch hatte ich den Vorsatz, seine Fehltritte totzuschweigen. Es ging vielmehr darum, das Leben und das Werk von Neruda in seiner Gesamtheit zu erfassen. Ich wollte mich dem Menschen, dem Politiker und dem Poeten Pablo Neruda ohne Vorbehalte nähern. Trotzdem kann man sich bei der Lektüre Ihrer Neruda-Biographie nicht des Eindrucks erwehren, dass Sie gewisse Entscheidungen besonders hart bewerten. So behandelt ein zentrales Kapitel in der Biographie den Umstand, dass Neruda als chilenischer Konsul in Madrid zum Ende des spanischen Bürgerkrieges einigen Anarchisten die Visa verweigerte. Welche Beweise haben Sie für diese Behauptung? Ich bin auf den Fall bei meinen Recherchen im Archiv der Neruda-Stiftung in Chile gestoßen. Dort fand ich einen Brief, den er am 19. Juni 1939 an den Generalsekretär des "Chilenischen Komitees zur Hilfe für spanische Flüchtlinge", Dr. José Manuel Calvo, sandte. Neruda schreibt Calvo, dass er sich "der Einreise von Anarchisten (nach Chile, d. Verf.) verweigert" habe. In dem Schreiben heißt es weiter: "Bis vor kurzem hat Mexiko diese Leute aufgenommen, nun weiß die Regierung aber offenbar nicht weiter". Dazu muss man sich einer Fußnote der bekannten Winnipeg-Episode bewusst werden: Die chilenische Volksfrontregierung unter Pedro Aguirre Cerda forderte von der spanischen Exilregierung für die Aufnahme der rund 2.000 in Frankreich internierten republikanischen Kämpfer eine Kopfsumme. Die chilenische Regierung war außerdem nur bereit, die in ihren Augen "nützlichsten" Flüchtlinge aufzunehmen, keine Intellektuellen also. Zu dieser Diskriminierung fügte Neruda seine eigene politische hinzu, indem er die Einreise von Anarchisten verhinderte. Zweifelsohne stand Neruda in jenen Jahren dem moskautreuen Flügel der kommunistischen Bewegung nahe. Aber gehen Sie mit dieser Haltung nicht zu hart ins Gericht? Immerhin hat er nach dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 auch seine Haltung korrigiert. Müssten Sie seine damalige Entscheidung nicht in dem damaligen politischen Kontext bewerten? Im nachhinein ist man immer schlauer, wenn nicht besserwisserisch... Wir sollten uns bewusst sein, wie sich der Diplomat Neruda der kommunistischen Bewegung annäherte. Dieser Prozess fand nicht in Chile statt, sondern in Europa. Und dort durchlief er nicht eine "normale" Karriere, indem er in Basisgruppen aktiv war und der Position des jeweiligen Zentralkomitees gemäß geschult wurde, um so in der Parteihierarchie aufzusteigen. Nachdem er 1935 am "I. Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur" in Paris teilnahm, unterzeichnete Neruda erstmals eine politische Protestnote wegen der Repression gegen den argentinischen Schriftsteller Raúl González Tuñón. Dieses Dokument trug auch die Unterschriften von Heinrich Mann, Anna Seghers, César Vallejo und Serrano Plata. Die "Internationale Schriftstellervereinigung zur Verteidigung der Kultur", in der kommunistische Kräfte dominierten, wollte den zweiten Kongress 1937 in Madrid abhalten. Im Rahmen dieser Vorbereitungsarbeit näherte sich Neruda der kommunistischen Linken an. Unter seinen zahlreichen Einladungen findet sich auch ein Schreiben an den Mexikaner Octavio Paz - der erste Kontakt zwischen den beiden Männern. Wenn man diese Entwicklung nun mit den Gedichten Nerudas dieser Zeit vergleicht, ist die Radikalisierung offensichtlich. Ihren Höhepunkt erreicht seine politische Metamorphose mit dem Gedicht "Erklärung einiger Dinge", das ursprünglich in der Zeitschrift Mono Azul (Der blaue Affe) unter dem Titel "So ist es" erschienen war. Bei dem Kongress selbst gehörte Neruda dem Präsidium an, was ohne das Einverständnis Stalins kaum möglich gewesen wäre. Zum ersten Mal trat Neruda so in einer offiziellen politischen Position an die Öffentlichkeit. Er suchte dabei den Kontakt zu einer ideologischen Organisation, die ihn unterstützte. Zwar nahm er zu diesem Zeitpunkt noch keine führende Position ein, aber er gehörte nun Gremien an, in denen taktische und strategische Entscheidungen für den politischen Kampf getroffen wurden. Von diesem Zeitpunkt an stand Pablo Neruda der internationalen kommunistischen Bewegung nahe, die ihm vergleichsweise viel Nachsicht entgegenbrachte und aus der er zeitlebens unterstützt wurde. Wir dürfen dabei nicht außer acht lassen, dass er zu diesem Zeitpunkt als chilenischer Konsul noch immer dem Außenministerium in Santiago de Chile unterstand, ein Posten, der eigentlich absolute politische Neutralität erfordert. Als er im selben Jahr, 1937, nach Chile zurückkehrte, hatte er bei der kommunistischen Linken den guten Ruf des chilenischen Poeten, der den II. Schriftstellerkongress in Madrid mitorganisiert hatte. Um den neuen Erwartungen gerecht zu werden, setzte er sich fortan in Chile dafür ein, die KP aus ihrer politischen Isolation zu holen. Wegen dieser beidseitigen Annäherung war es lange Zeit nicht notwendig, dass Neruda der Partei beitrat. Das änderte sich erst 1945. Diese Symbiose zwischen Neruda und der Partei dauerte bis zu seinem Tod 1973 und wurde von ideologischen Brüchen in der KP nicht im geringsten beeinträchtigt. Die Partei nutzte seinen Namen, und Neruda war auf einen Schlag eine internationale Persönlichkeit. Sind solche Motive aber in Anbetracht des Resultates nicht unwichtig? Immerhin hat Pablo Neruda Tausende Antifaschisten gerettet und nach dem 9. November 1938 eine Protestversammlung in Chile gegen die Nazis organisiert. Das geht aus einem Bericht faschistischer Agenten hervor, den Sie doch selbst zitieren! Natürlich ehrt ihn dieses Engagement. Der Punkt ist, dass es sich bei Neruda um eine sehr komplexe Persönlichkeit handelt, bei der Opportunismus aber eine große Rolle spielt. Neruda hätte nie die Linie der Partei kritisiert. Ganz im Gegenteil änderte er seine Ansichten mehrmals der offiziellen Politik entsprechend. So nahm er 1938 noch an antifaschistischen Demonstrationen teil. Sobald aber der Hitler-Stalin-Pakt unterzeichnet war und sich Nazideutschland und die Sowjetunion Osteuropa aufteilten, brachen diese Aktionen abrupt ab. Neruda ging so weit, in einem Interview zu sagen, es sei belanglos, dass Deutschland in Polen einmarschiert sei, weil dieser Krieg zwischen kapitalistischen Staaten stattfinden würde. Er hat sich also noch nicht einmal zurückgehalten, wie es viele andere Intellektuelle der kommunistischen Linken taten. Sie schrieben in "Las Furias y Las Penas", dass Neruda für zahlreiche Interessen missbraucht werden könne. Könnte das mit Ihrer Arbeit nicht auch geschehen? Diese Gefahr besteht immer, aber ich bin weder Nerudas Fürsprecher noch sein Feind. Neruda ist einer der bedeutendsten Poeten Lateinamerikas, und das wird er immer sein. Ich versuche, ihn zu verstehen, mich ihm zu nähern. Es gibt einen Satz, den Thomas Mann über Wolfgang Goethe gesagt hat: "Er ist einer der ganz Großen, aber er ist wie wir alle". In diesem Sinne brauchen wir auch Pablo Neruda nicht in göttliche Sphären zu erheben, sondern wir sollten ihn als einen Menschen sehen. Und in der Biographie des Menschen Neruda gibt es Lichtblicke und Schattenseiten, wie in jeder anderen auch. * Auf Spanisch erschienen: Las furias y las penas. Pablo Neruda y su tiempo. Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 2003, 1.337 Seiten, 80 Euro Sara Vial. Pablo Neruda in Valparaiso. Atlantik Verlag, Berlin 2004, 294 Seiten, 29,80 Euro |
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