P.M. History 03/2020

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Die Ballade vom roten Cowboy

Was für ein Propaganda-Erfolg für die Führung der DDR: Ein US-Musikstar zieht nach Sachsen - und rockt für den Sozialismus! Die Geschichte von Dean Reed, einem Wanderer zwischen Ideal und Realität

Von Thomas Röbke

Ostberlin, 29. Juli 1973: Auf dem Alexanderplatz drängen sich Zehntausende junge Leute, viele in den blauen Hemden der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Die Stimmung ist ausgelassen, Bands spielen, am Märchenbrunnen wird getanzt. "Rotes Woodstock" wird man diese "X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten" später nennen. Neun sommerheiße Tage, Dutzende Konzerte und politische Diskussionen. Mehr als acht Millionen Menschen, darunter 25.000 ausländische Jugendliche aus 140 Ländern. Vom grauen Sozialismus keine Spur. Viele glauben, dies sei der Beginn einer neuen Zeit. In Wirklichkeit buhlt der neue Staatschef Erich Honecker um die Anerkennung der Welt und will sein Land als Musterbeispiel präsentieren. Nie zuvor war die DDR so weltoffen und liberal wie in diesen Tagen - und wird es nie wieder sein.

Auf der Hauptbühne unter dem neuen Fernsehturm tritt sogar ein amerikanischer Sänger auf. Dean Reed heißt der Mann, und er ist ein Star. Nur mit polizeilicher Hilfe hat er sich den Weg zur Bühne gebahnt, nun singt er vor jubelnden Fans sein Lied "Wir sagen Ja". Sein amerikanischer Akzent ist nicht zu überhören, doch die Botschaft ist ganz im Sinne der Parteiführung: "Und sollte man uns fragen, ob wir die Feinde kennen, dann woll'n wir sie gemeinsam bei ihrem Namen nennen."

Ja, man kennt sie, die "Feinde des Sozialismus": 4.200 Stasi-Männer und fast 20.000 Polizisten überwachen das Festival. Schon im Vorfeld wurden 2.293 Menschen verhaftet, mehr als 5.000 stehen unter verschärfter Kontrolle, 800 wurden der Stadt verwiesen, 477 kamen zwangsweise in die Psychiatrie.

Reed jedenfalls gehört zu den Freunden. Ein Jahr zuvor ist er der Liebe wegen in die DDR gezogen. Seinem Antrag auf Bleiberecht wird gern stattgegeben - etwas Besseres als ein Neubürger wie Reed kann der DDR-Führung nicht passieren: Er ist der "gute Amerikaner", überzeugter Sozialist, der Arbeiterlieder und Lobeshymnen auf die DDR mit Rock'n'Roll verbindet. Der "rote Elvis", der "kommunistische Cowboy" und dazu auch noch ein echter Frauenschwarm. Was will man mehr?

Seine linke Gesinnung wurde dem 1938 in Colorado geborenen Reed nicht in die Wiege gelegt. Im Gegenteil: Sein Vater, ein erzkonservativer Highschool-Lehrer, vermutete selbst hinter Rockmusik die kommunistische Weltverschwörung. Immerhin schenkte erdem Sohn zum zwölften Geburtstag eine Gitarre. Mit 16 schrieb Dean seinen ersten Song, vier Jahre später unterzeichnete in Los Angeles einen Plattenvertrag bei Capitol Records. Doch es war das Jahr 1958, die Konkurrenz war riesig, und mit Superstars wie Bill Haley oder Elvis Presley konnte er nicht mithalten

Dann aber schickte ihn die Plattenfirma 1961 auf eine Tournee durch Südamerika, die zum Überraschungserfog wurde: Seine Single Our Summer Romance verkaufte sich eine Million Mal. Für den knapp 23-Jährigen wurde die Reise zum Wendepunkt, nicht nur beruflich. Denn was er in Chile, Argentinien, Brasilien und Peru an Armut und Unrecht sah, empörte ihn zutiefst. Er beschloss, für eine bessere Welt zu kämpfen - mit den Mitteln des Sozialismus. Und mit Musik.

In den nächsten Jahren lebte er in Mexiko und Argentinien, drehte Musikfilme und wurde mit Telenovelas und einer eigenen Samstagabendshow zum Star im argentinischen Fernsehen. Er gab Gratis-Konzerte in Fabriken und Elendsvierteln, traf sich mit chilenischen Gewerkschaftern und dem kubanischen Revolutionsführer Che Guevara. 1965 schickte ihn die argentinische Linke als Delegierten zum Weltfriendskongress nach Helsinki. Doch dem argentinischen Militärregime war Reed ein Dorn im Auge. Als er die sowjetische Kosmonautin Walentina Tereschkowa in seine Fernsehshow holte, wurde ihm wegen "prokommunistischer Aktivitäten" das Bleiberecht entzogen.

In der Führung der UdSSR war man nun jedoch auf den jungen US-Kommunisten aufmerksam geworden und lud ihn 1966 ein zu einer Konzertreise durch die Sowjetunion: Was könnte besser die Überlegenheit des sozialistischen Systems belegen als ein Amerikaner, der die Seiten wechselt? Die Tour wurde ein fulminanter Erfolg. Reed spielte in ausverkauften Stadien, seine Platten verkauften sich millionenfach.

Nach der Reise zog er nach Rom - im Westen ließ es sich eben doch leichter Geld verdienen. Dort drehte er Italo-Western und Krimis mit Stars wie Anita Ekberg und Yul Brynner. Bis ihm die Regierung 1969 die Arbeitserlaubnis entzog, weil er vor der US-Botschaft gegen den Vietnamkrieg protestiert hatte. Aufhalten ließ er sich davon nicht: 1970 reiste er nach Chile, um den Wahlkampf Salvador Allendes zu unterstützen. Später nahm er als Ehrengast an dessen Amtseinführung teil. Nach einer weiteren Tournee durch die UdSSR besuchte Reed zum ersten Mal die DDR. In Leipzig lernte er die Lehrerin Wiebke Dorndeck kennen. Für beide war es Liebe auf den ersten Blick. Ein paar Monate später zog der 33-jährige Reed nach Sachsen, im Juni 1973 fand die Hochzeit statt.

Im staatlich gelenkten Kulturbetrieb ist Reed bald allgegenwärtig: Er tritt bei Filmfestspielen, Kundgebungen und FDJ-Veranstaltungen auf, in Schulen, Altenheimen, Kulturpalästen und vor den "Werktätigen" der "Volkseigenen Betriebe". Daneben dreht er in sechs Jahren fünf DEFA-Filme, darunter "Aus dem Leben eines Taugenichts" (1973) mit West-Star Hannelore Elsner. Reeds größter Erfolg wird der Film "Blutsbrüder" mit Gojko Mitić, dem "Winnetou des Ostens" (1975), für den er selbst das Drehbuch schreibt. Ab Frühjahr 1977 läuft im DDR-Fernsehen seine Unterhaltungsshow "Der Mann aus Colorado".

Das Leben als privilegierter DDR-Bürger mit US-Pass lässt sich aushalten: Reed lebt in Berlin-Schmöckwitz in einem Haus mit Grundstück am Wasser, das schicke Mototboot am eigenen Steg. Er ist viel unterwegs, darf ungehindert reisen - auch in den Westen. Mittlerweile versteht er sich als "revoutionärer Künstler", beteiligt sich an politischen Aktionen in Chile, Nicaragua und Uruguay, besucht auf Einladung der PLO den Libanon, singt für Jassir Arafat, unterstützt Proteste der Farmer in Minnesota. Immer wieder wird er festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt. Es ist keine Pose, wenn er sagt, er wolle das Gleiche auf sich nehmen, das auch andere erleiden müssen, die für Gerechtigkeit kämpfen.

Dass es in seiner Wahlheimat DDR mit Recht und Freiheit ebenfalls nicht zum Besten steht, will er nicht sehen. "Die Leute im SED-Zentralkomitee sind aufgeschlossen", lobt der die DDR-Führung in einem Interview. Für Kritiker hat er kein Verständnis: "Ihr seid nicht eingesperrt", belehrt er seine Mitbürger, "ihr könnt nach Bulgarien oder in die ČSSR fahren." Und es sei doch viel wichtiger, dass es in der DDR keine Arbeitslosigkeit gebe. In Amerika habe man die Freiheit, "arbeitslos zu sein und nicht genug zu essen zu haben", das gebe es im Sozialismus nicht. Für solche Äußerungen lieben ihn die Genossen. Zwischen seinen Fans und ihm aber wächst die Entfremdung.

Im DDR-Fernsehen gibt Reed weiter den Entertainer, reitet singend auf die Bühne von "Ein Kessel Buntes" oder trällert zwischen den Damen des TV-Balletts Beatles-Lieder. Doch sein Stern beginnt zu sinken. Vielen DDR-Bürgern gehen seine Polit-Aktionen auf die Nerven. Die DEFA-Komödie "Sing, Cowboy, sing" wird ein Flop, seine Platten verkaufen sich schlechter. Und Mitte der 1980-er Jahre überrollen die von Michail Gorbatschow eingeleiteten Reformen dann auch den Sozialisten aus Colorado: Was er besungen hat, erweist sich als Lüge, und mit dem Image des "guten Amerikaners" ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen

In der Hoffnung, in seiner alten Heimat endlich bekannt zu werden, gibt Reed Anfang 1986 dem US-Fernsehsender CBS ein Interview.

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Letzte Änderung: 2022-08-04