Nicaragua 1990-2006
Als die FSLN 1990 nach der von ihr initiierten Verfassung abgewählt wurde, schien der Traum
der sandinistischen Volksrevolution zu Ende gegangen zu sein. Nach 11jährigem Kampf gegen das
USA-Imperium, das Nicaragua mit Contrakrieg und Wirtschaftsblockade überzog, war das
nicaraguanische Volk müde geworden und die FSLN fast verbraucht. Bei den Wahlen erreichte sie
zwar 41 Prozent, das langte aber nicht, um gegen die von Frau Violeta Barrios de Chamorro
angeführte Nationale Oppositionsunion (UNO), eine antisandinistische Allianz, zu bestehen. Die
neue Regierung versprach dem Volk den Beginn eines neuen Zeitalters. Es brachte dem Volk zwar den Frieden,
aber auch unermessliche Armut. Die volkseigenen und staatseigenen Betriebe wurden für
geringfügige Geldsummen an die neuen Unternehmer verschleudert, die mit der UNO auftauchten.
Für die FSLN begann eine schwere Zeit. Hetze, Verleumdung und Rufmord jagten sie. Sie wurde als
zweite Diktatur nach Somoza verteufelt. Nach der Methode "Haltet den Dieb!", erfand die Reaktion die
Piñata, den angeblichen Selbstbedienungsladen der Sandinisten. Konzentrationslager und
Massengräber wurden erfunden. Der Krieg, die Wirtschaftskrise verwandelten sich in Folgen der
Gewaltherrschaft der Sandnisten. Den Ostdeutschen, und nicht nur ihnen, wird das alles bekannt vorkommen.
1996 verlor Daniel Ortega und die FSLN erneut. Sie erreichte 38 Prozent gegenüber 56 der liberalen
Allianz von Arnoldo Alemán. Frau Violeta Barrios de Chamorro hatte öffentlich dazu aufgerufen,
den Bürgermeister von Managua, der Hauptstadt Nicaraguas, zu wählen. Alemán
bedeutete fünf weitere Jahre des Elends für die Nicaraguaner. Er gestattete nicht nur den
Erhalt des Systems. Vom ersten Tag seiner Regierung an begann er, die Beute unter seinen ihm am
nächsten stehenden Gesinnungsgenossen zu verteilen.
An die Regierung gekommen, liefen Alemán und der PLC ein Teil der Mitglieder und Abgeordneten weg.
Um in der Nationalversammlung die Mehrheit zu sichern, bot die PLC der FSLN einen Vertrag an. Die FSLN
ging darauf ein und sicherte auf diesem Wege die Ergebnisse der Agrarreform, das Wahlgesetz, ihre
Plätze im Obersten Wahlrat und ihre Richter. Sicherlich kann man sich bessere Konstellationen vorstellen.
Man kann das Verhalten der FSLN in dieser Zeit kritisieren, keine Frage. Wer keine Verantwortung hat und
keine übernehmen will, wird immer klüger sein. Der Vertrag wurde später als "Pakt zweier
Caudillos", Alemán und Ortega, verteufelt.
2001 erhielt die FSLN 42 Prozent der Stimmen. Es reichte wieder nicht. Nach dem 11. September hatte das
Weiße Haus den Wahlkampf der bürgerlichen Parteien übernommen. Sie verordneten dem
liberal-konservativen Lager einen Kandidaten, Enrique Bolaños, drohten mit Krieg und
Wirtschaftsblockade, falls die FSLN die Wahl gewinnen sollte. Das Volk war eingeschüchtert. Mit der
FSLN ging damals die Sandinistische Erneuerungsbewegung MRS, die Organisation der früheren Sandinisten,
die sich von der FSLN abgewandt hatten oder aus ihr ausgeschlossen worden waren.
Die Regierung Bolaños setzte den Raubzug am Volk fort. Eine weitere Periode der Korruption begann,
nur dass sie dezenter, dafür hinterhältiger war. Letzte Beispiele: Die Abendgabe von 500 Millionen
Dollar an eine Ingenieurgesellschaft und die Wertpapiere der bankrotten Banken, die sie zu aufgeweichten
Preisen an die Ministranten der Regierung verkaufte. Oder das Geschäft mit dem Nicaraguasee.
Mit NICANOR entstand ein norwegisch-nicaraguanischer Konzern, der in Fischfarmen drei Millionen Kilogramm
Tilapias, eine afrikanische Barschart, züchtet. Alle Warnungen vor der Verschmutzung des
Trinkwasser-Reservoires stießen auf taube Ohren. Gegründet wurde das Unternehmen vom Neffen des
Ex-Präsidenten Bolaños.
2002 kam es zu einer schweren politischen Krise. Bolaños wollte sich der Forderung des Weißen
Hauses fügen, die Sandinisten aus allen Ämtern zu vertreiben. Das war jedoch nicht im Sinne eines
Teils der PLC, der widerspenstig gegenüber der USA-Administration auftrat. Dieser Flügel versagte
Bolaños die Gefolgschaft. Es kam zu einem Machtvakuum. Das Land wurde unregierbar. Gerüchte
über einen Staatsstreich lagen in der Luft. In diesem Moment handelte die FSLN und erneuerte den Vertrag.
Bolaños fing seine Anhänger in der APRE, der Patriotischen Allianz für die Republik, auf.
Daraus entwickelte sich die liberal-konservative Allianz Nicaraguas ALN.
Der lange Weg der FSLN zurück an die Macht
Am 5. November 2006 bewahrheiteten sich die Prognosen für die FSLN. Der lange Weg Daniel Ortegas
und der FSLN zurück an die Macht war möglich geworden. Warum?
Erstens hat das nicaraguanische Volk genug von 16 Jahren liberaler Regierungen. Diese hatten jedes Mal
geschworen, mit und für das Volk zu arbeiten. Das angekündigte neue Zeitalter wurde eins mit
fatalen Folgen. Die Kennziffern der Armut wuchsen: 82 Prozent der Bevölkerung
leben in Armut: 4,2 Millionen Menschen. Ungefähr 50 Prozent sind arbeitslos. Einige verdienen
monatlich zwischen 4.000 und 20.000 Dollar, während in anderen Bereichen, wie im Gesundheitswesen,
im Bildungswesen, bei der Polizei und in der Armee nicht mehr als 500 bis 1.000 Cordoba gezahlt werden,
das heißt 28 bis 56 Dollar.
Der Analphabetismus betrug 1990 12 Prozent. Er wuchs auf 35 Prozent. Er hat die höchste Rate in der
Region. Unter den Frauen auf dem Lande beträgt er 40 Prozent. 20 Prozent der Bevölkerung im
schulfähigen Alter haben keinen Zugang zur ersten Bildungsstufe und 77 Prozent der Kinder, die in der
ersten Bildungsstufe begannen, beenden sie nicht. 1998 gab es 313 öffentliche Schulen der zweiten Stufe
entgegen 436 private Schulen der zweiten Stufe. 253.057 Kinder (das ist die offizielle Angabe, real sind
es mit Sicherheit mehr) sind dazu verdammt, für die Familie zu sorgen.
Costa Rica hat einen Analphabetismus von 4,4 Prozent. Auf Kuba ist er faktisch Null. Die Kindersterblichkeit
wuchs in Nicaragua auf 35 tote auf 1.000 lebend geborene Kinder. Damit steht das Land auf einem Niveau mit
El Salvador, Brasilien und Guatemala. Auf dem Gebiet der Kindersterblichkeit befindet sich Nicaragua unter
den 36 Ländern der Erde mit den schlechtesten Werten. 1998 schickte Arnoldo Alemän die
kubanischen Ärzte nach Hause, was dazu führte, dass die ländlichen Gebiete ohne nennenswerte
ärztlich Betreuung sind.
Seit 1990 erfuhr Nicaragua einen noch nie dagewesenen Exodus, massive Immigrationen nach Costa Rica und
in die Vereinigten Staaten, auf der Suche nach besseren Perspektiven. Rund 20 Prozent der Bevölkerung
verließ in den vergangenen 16 Jahren das Land. Nicaragua exportiert die billigsten Arbeitskräfte.
Es gibt mehr als 1 Million Immigranten: 600.000 in Costa Rica, 350.000 in den Vereinigten Staaten und
100.000 in El Salvador. Die Überweisungen an die Familien beliefen sich 1993 auf 50 Millionen Dollar.
Heute sind es 1 Milliarde Dollar. Deshalb überlebte Nicaragua und erlitt keinen Kollaps.
Die Nicaraguaner ertrugen drei Regierungen, die in Friedenszeiten regierten, ohne Krieg, ohne Blockaden,
mit einer enormen finanziellen Unterstützung. Am 5. November 2006 wählten sie das liberale Lager
ab. Wie zerfressen dieses ist, beweist schon die Tatsache, dass es selbst der USA-Regierung nicht gelang,
es diesmal zusammenzuhalten und auf einen Kandidaten einzuschwören.
Zweitens hat es die FSLN geschafft, Vertrauen im Volk zurück zu gewinnen. Dafür sprechen die
Ergebnisse der Wahlen in den Departements, in den Munizipien und in den Autonomen Atlantikregionen. Nach
1990 hatte die Frente in den Departements und Munizipien empfindliche Wahlniederlagen einstecken müssen.
Selbst historische Einflussgebiete gingen ihr verloren. Noch bei den Munizipalwahlen 2000
hatten die Liberalen Regionen in ihrer Hand, in denen Sandino erfolgreich kämpfte und später
die FSLN im Kampf gegen Somoza "ihre Quartiere" hatte. Am schmerzlichsten mussten für sie die Verluste
von Pancasán, Villa Sandino und Villa Carlos Fonseca gewesen sein. 2000
gewann die PLC 90, die FSLN nur 36 Munizipien.
Bei den Munizipalwahlen 2004 wandte sich das Blatt. Die FSLN gewann 87 der 152 Munizipien, die PLC
Alemáns 59, die Indigenenpartei YATAMA und die APRE Bolaños je drei. Die FSLN gewann die
Hauptstadt Managua mit 44 Prozent der Stimmen gegenüber 35 Prozent der PLC. Sie gewann ebenfalls
in den Regionen Nueva Segovia, Madriz, Estelí, Chinandega, León, Managua, Masaya, Carazo,
Granada und Rivas.
Bei den Wahlen in den Autonomen Atlantikregionen 2006 verbesserte das Bündnis aus FSLN und der YATAMA
seine Positionen gegenüber 2002. Im Norden behielt es 9 Verwaltungsbezirke gegenüber 6
Verwaltungsbezirke der Liberalen. Im Süden verloren die Liberalen von 13 Verwaltungsbezirken fünf,
während das Bündnis FSLN-YATAMA fünf zu den vorher zwei hinzu gewann. Die Frente nutzte
die gewonnen Positionen. So hat sie mit einer Alphabetisierungskampagne in den 87 von ihr regierten Regionen
begonnen. Nach einem Pilotplan werden 300.000 Personen lesen und schreiben lernen. Der beharrliche Kampf der
FSLN, die nicaraguanischen Menschen durch konstruktive Arbeit in den Kommunen zurück zu gewinnen,
zahlt sich endlich aus.
Die Frente hat es in den Jahren geschafft, neue Bündnispartner zu finden. Dabei hat sie zweifellos
taktiert. Bei den diesjährigen Wahlen führte die FSLN das Wahlbündnis Unida Nicaragua Triunfa
an. Zu ihm gehört YATAMA, christliche Parteien, traditionelle Bewegungen, Teile der
früheren Contra, sowie Liberale, die der PLC den Rücken kehrten. Mit der Verbindung zur YATAMA
und anderen Parteien der Autonomie wurde ein Durchbruch unter der indigenen Bevölkerung erreicht.
Zur Zeit der Sandinistischen Regierung waren die Beziehungen zu ihr keine fruchtbaren.
Die FSLN und ihre Verbündeten sind für die unteren Schichten der Bevölkerung eine Alternative
geworden. Auch die Aussöhnung mit der katholischen Kirche und Teilen der früheren Contra scheint
Früchte zu tragen. Besonders Letzteres war umstritten. Wer denkt noch daran, dass die FSLN 1988, als
die sowjetische Führung Gorbatschows sie im Regen stehen ließ, an den Verhandlungstisch mit der
Contra musste? Damals schloss sie ein Abkommen. Die Demobilisierten der Armee und der Contra sollten Land
erhalten und sich ansässig machen. Die Sandinisten konnten das Abkommen nicht mehr erfüllen und
die folgenden liberalen Regierungen taten es nicht. Ist es so abwegig, dass die FSLN um Daniel Ortega es
wieder aufnehmen und realisieren will?
Nicht aufrecht erhalten blieb für die FSLN die Zusammenarbeit mit der MRS. Noch auf dem III. Kongress der
FSLN hatte diese ihre Bereitschaft dazu erklärt, rückte aber 2005 mit der eigenen Kandidatur davon
ab. Ihre Auftritte gegen die FSLN und Daniel Ortega nutzten dem liberal-konservativen Lager. Anlässlich
einer Beratung im Mai diesen Jahres, zu der das State Department die drei Präsidentschaftskandidaten
Rizo, Montealegre und Lewites nach Miami eingeladen hatte, schloss letzterer einen Pakt, dass er und seine
Allianz im Falle einer Stichwahl auf eine eigene Kandidatur verzichten würden und dem von der
USA-Administration favorisierten Montealegre die Stimmen gäben. Das Volk hat das Manöver
durchschaut. Nicht so einige Linke in der Bundesrepublik Deutschland. Abgeordnete der Linkspartei.PDS
ergriffen Partei für die MRS. In einem Internet-Bericht stellten sie die "Retter des Sandinismus"
als linke Alternative zur FSLN vor.
Drittens hat die FSLN einen schweren Entwicklungsprozess durchgemacht. Sie behielt aber immer ihre
sandinistische Identität bei. Nach dem Vorbild Sandinos kämpft sie für die nationale
Unabhängigkeit Nicaraguas und gegen die nordamerikanische Intervention. Bis zu ihrer Wahlniederlage
1990 war die FSLN keine Partei. Als solche konstituierte sie sich auf dem I. Kongress im Juli 1991. Auf
diesem Kongress nahm sie strategische Linien an. Zwei Richtungen bestimmten die Debatte. Die eine wollte
auf dem Weg von Reformen die Gesellschaft verbessern. Die andere verlangte, der neoliberalen Politik
eine revolutionäre Antwort zu geben. Ihr Wortführer war Daniel Ortega. Der Kongress war eine
Veranstaltung der taktischen Einheit. Er stoppte die Meinungsvielfalt und privilegierte die
Ortega-Strömung. Die Mehrheit der Delegierten wählte Daniel Ortega zum Generalsekretär.
Vor den Präsidentschaftswahlen 1996 fand im Mai der II. Kongress der FSLN statt. Er beschloss die
Wahlplattform und eine Politik der Allianz. Die FSLN nahm erneut Gespräche mit Führern der
Ex-Contra auf. Sie wollte einer Rekrutierung durch nordamerikanische Werber im Falle
eines erneuten Machtantritts der Frente vorbeugen. Nach der Wahlniederlage brachen Machtkämpfe
innerhalb der FSLN offen aus. Es entstanden Fraktionen und politische Gruppierungen. Die Frente verlor
angesehene Leute. Sergio Ramirez, unter Daniel Ortega Vizepräsident, verließ die FSLN und
gründete die Sandinistische Erneuerungsbewegung. Ihm gleich tat es Dora Maria Tellez,
Gesundheitsministerin im Ortega-Kabinett. Sie wurde Vorsitzende dieser Bewegung. Die Priesterbrüder
Ernesto und Fernando Cardenal, Minister in der Sandinistischen Regierung, zogen sich ebenfalls aus der
FSLN zurück. Henry Ruiz, Victor Tirado, Jaime Wheelock und Luis Carrión, alle früher
Mitglied der Nationalleitung, gingen auf Distanz. Einige von ihnen gehören heute der MRS an.
Auf ihrem III. Kongress 2002 beschloss die FSLN ein neues Programm. Darin formuliert sie zum ersten Mal
in ihrer Geschichte, dass sie eine revolutionäre sozialistische Partei sein will, die sich den
Sozialismus zum Ziel stellt. 2005 unternahm die MRS den Versuch, das Heft des Handelns in die Hand zu
bekommen. Sie baute Herty Lewites als Präsidentschaftskandidat der FSLN gegen Daniel Ortega auf.
Der Kongress der FSLN entschied anders. Ortega blieb der Präsidentschaftskandidat. Einzelne
FSLN-Mitglieder, darunter das Mitglied des Nationalrates der FSLN, Victor Hugo Tinoco und Monica
Baltodano lehnten sich dagegen auf. Sie wurden aus der FSLN ausgeschlossen beziehungsweise
verließen diese und gingen zur MRS. Auch Herty Lewites.
Wer war Herty Lewites? Zur Zeit der Sandinistischen Regierung war er Tourismusminister im Ortega-Kabinett
und Direktor des größten Tourismusunternehmens Nicaraguas NICATUR. Das Unternehmen behielt er
nach der Wahlniederlage 1990. 2000 gewann er für die FSLN das Bürgermeisteramt der Hauptstadt
Managua. 2004 trat er noch einmal dafür an, jedoch als Unabhängiger. Daraufhin stellte die FSLN
Dionisio Marenco als Bürgermeisterkandidaten auf, der dann auch prompt die Wahl gewann. Herty Lewites
hat diese Niederlage nicht überwunden. Er verstarb im Sommer diesen Jahres. Als
Präsidentschaftskandidat beerbte ihn Edmundo Jarquin, der Schwiegersohn von Ex-Präsidentin
Violeta Barrios de Chamorro. Es wird erzählt, daß er COSEP, dem reaktionären Unternehmerverband,
nahe stehe. Die MRS ist eine Minderheit von Leuten, die sich von der FSLN trennten.
Die heute zur MRS gehörenden Henry Ruiz, Luis Carrión und Victor Tirado, Dora Maria Téllez,
Ernesto Cardenal, Hugo Torres, Mónica Baltodano, Sergio Ramirez und Victor Hugo Tinoco, waren in der
Zeit der Sandinistischen Regierung dabei: als Vizepräsident, als Mitglieder der Nationalleitung, als
Minister und als Abgeordnete der Nationalversammlung. Damals war Daniel Ortega für sie kein Caudillo,
kein Kuppler und kein Diktator. Damals war er ihr Bruder. Und er war bereit, nach der Wahlniederlage
1990 den ganzen Schmutz, der über die FSLN ausgeschüttet worden ist, auf sich zu nehmen. Hat er
das getan, um sich heute ihren Verrat abzuholen? Toni Solo, ein freier Journalist
Mittelamerikas, schrieb dazu: "Die Führungskräfte der MRS und Herty Lewites schafften es nicht,
in der FSLN zu überzeugen. Sie wurden geschlagen und sie gingen."
In der FSLN haben sich also die Kräfte durchgesetzt, die ihr heutiges Profil bestimmen. An der Spitze
dieser Kräfte steht Daniel Ortega. Der Formierungsprozess der FSLN ist mit seinem Namen verbunden.
Deshalb setzt die Frente immer wieder auf ihn. Er ist der Mann der Frente mit den größten Erfahrungen,
sowohl als Guerillaführer, wie als Präsident und auch als Oppositionsführer. In seiner
Person vereinigt sich viel aus der kämpferischen und schwierigen Geschichte der FSLN. Er hat die FSLN
durch die schweren Zeiten nach der Wahlniederlage 1990 geführt.
Viertens haben sich die äußeren Bedingungen für die FSLN verbessert. Die Existenz des
sozialistischen Kuba, die Bolivarianische Revolution in Venezuela, die Wahlergebnisse in anderen
lateinamerikanischen Ländern zeigen auch auf Nicaragua Wirkung. Vor einiger Zeit
schloss die FSLN mit der Bolivarianischen Regierung ein Abkommen ab, wonach 53 der von ihr regierten Regionen
mit Erdöl aus Venezuela zu Vorzugspreisen beliefert werden.
In den Glückwünschen der fortschrittlichen Präsidenten Lateinamerikas kam die Freude über
den Erfolg Ortegas zum Ausdruck. Fídel Castro gratulierte Daniel Ortega vom Krankenbett aus zum
"grandiosen Sieg". Hugo Chávez lud ihn ein, sich Venezuela beim "Aufbau der zukünftigen
sozialistischen Bruderschaft des 21. Jahrhunderts" anzuschließen.
Das Weiße Haus hat offensichtlich eine abwartende Haltung eingenommen. Man gab bekannt, mit Ortega
zusammenzuarbeiten, wenn dieser sein Versprechen, sich für eine "demokratische Zukunft" Nicaraguas
einzusetzen, hält. In den USA sprach man bereits von einem "Linksruck in Lateinamerika", mit dem
"besonnen" umzugehen sei. Gegenüber Nicaragua müsse "Reife" gezeigt werden, damit das Land nicht in den
"venezolanischen Orbit" eintrete.
Unida Nicaragua Triunfa
Die FSLN führte das Wahlbündnis Unida Nicaragua Triunfa (das vereinte Nicaragua siegt) zum
Wahlerfolg. Dieses legte ein Regierungsprogramm mit acht Verpflichtungen vor. Es geht um Arbeit für
das ganze Volk. Auf dem Lande soll sofort der Wandel der Monokulturen in Multikulturen veranlasst werden.
Man will die landwirtschaftlichen und industriellen Quellen des Exports erweitern. Im Gesundheitswesen
sind mehr Krankenhäuser und Gesundheitszentren, bessere Apotheken und mehr Medikamente vorgesehen.
Der Bedarf soll langfristig aus dem Gewinn des günstigen Erdölkaufs aus Venezuela finanziert
werden. Die Alphabetisierungskampagne wird im ganzen Land fortgesetzt. Für die Universitäten sind
sechs Prozent des Budgets vorgesehen. Jede Gemeinde soll frei vom Analphabetismus werden.
Nicaragua will sich an der von der UNESCO initiierten Wissensära des 21. Jahrhundert beteiligen.
Es soll ein langfristiger Prozess der Gleichstellung der Infrastruktur der Autonomen Atlantikregionen
mit der des Pazifik beginnen. Zehn Prozent des Budgets sind zukünftig für die Gemeinden gedacht.
Man will den Verbrauch an Naturreichtümern einschränken. Produzenten, die aus CAFTA austreten
wollen, werden Möglichkeiten des Zutritts zu ALBA, dem alternativen Markt der Länder
Südamerikas und der Karibik, angeboten.
Die unterlegenen Kandidaten der liberalen Parteien gratulierten Daniel Ortega zum Wahlsieg. Dieser nannte
den Auftritt Montealegres "würdevoll und tapfer". Ortega wies darauf hin, dass seine Politik auf
Versöhnung und Frieden orientiere. Er sagte: "Wir haben noch einmal die Chance, Nicaragua zu regieren,
dieses Mal in Frieden und Ruhe. Wir glauben, dass die Bedingungen in Nicaragua günstig sind, um eine neue
politische Kultur zu praktizieren. Wir alle müssen zusammenarbeiten für unser einiges Nicaragua.
Unsere große Aufgabe wird sein, unser Volk aus der Armut zu befreien."
Die FSLN und ihre Bündnispartner haben keinen einfachen Weg vor sich. Zunächst muss es gelingen,
die Mehrheit in der Nationalversammlung zu finden. Dazu benötigen sie 56 Stimmen. Sie haben aber nur
37 Sitze (vorher 38). Die MRS, die mit 6 Abgeordneten vertreten sein wird, hat bereits jegliche
Zusammenarbeit ausgeschlossen. Von der ALN, die 27 Sitze besetzt, wird man wenig erwarten
können. Bleibt die PLC, die der größte Verlierer der Wahlen war und nur noch 22 Abgeordnete
statt vorher 53 hat. Der "berüchtigte Pakt" zwischen Ortega und Alemán, der in Wirklichkeit ein
Vertrag zwischen FSLN und PLC ist, kann neue Bedeutung erlangen. Und es wird die Zeit
kommen, in der nicht mehr vom "Pakt", sondern von einem vernünftigen Vertrag gesprochen werden wird.
Die innere Reaktion und vor allem die USA-Administration werden dem neuen Präsidenten und seiner
Regierung das Leben schwer machen. Die Sandinisten beschreiten mit dem Projekt Unida Nicaragua Triunfa
Neuland. Sie können sich der Solidarität des revolutionären
Lateinamerika sicher sein, das wiederum einen erfahrenen Partner zurückbekommen hat.
Wolfgang Herrmann, 28.11.2006,
www.nicaragua-libre.info
Wolfgang Herrmann war von 1985 bis 88 Berater bei der FSLN. Er ist der Koordinator des Freundeskreises
Nicaragua Libre und lebt in Grünow.
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