Die Macht dem Volke! - Der Prozess von Buffalo
Es ist Sonnabend, der 28. Oktober 1978, auf dem Flugplatz von Minneapolis landet die
viermotorige Linienmaschine aus Los Angeles mit über 100 Passagieren an Bord. Einer von
ihnen will am darauffolgenden Tag in der örtlichen Universität einen Film vorstellen,
der im vielgepriesenen "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" nicht gerne gesehen ist. Es geht
um den im Vorjahr fertig gestellten Film El Cantor, der die letzten Tage des chilenischen
Volks- und Protestsängers Victor Jara schildert und in vielfältiger Form die Verknüpfungen
zwischen der chilenischen faschistischen Junta und der US-amerikanischen Regierung unter Präsident
Nixon aufzeigt.
Klar, dass die Behörden in Minneapolis so eine Filmvorführung nicht gerne
in ihrer Stadt haben, denn er ist dafür gemacht worden, den Menschen die Augen zu öffnen,
ihnen zu zeigen, dass das Streben nach Macht und Profit einiger weniger Menschen und ihrer
"ausführenden Organe" in den Regierungen vor keiner Schweinerei Halt macht. Gleichzeitig aber
ist der Film eine Hommage an den viel geliebten Sänger und Kämpfer für ein
demokratisch-sozialistisches Chile, eine angemessene Ehrung für Victor Jara und seine Lieder.
Deshalb hat sich der Passagier auch auf einige Unannehmlichkeiten eingestellt. Doch das, was ihm in
den nächsten 16 Tagen widerfährt, hat er sich nicht im Traum ausmalen können.
Dean Reed, Friedenskämpfer, Sänger, Schauspieler und Regisseur, soll den Kapitalismus
und seine unbarmherzige Maschinerie am eigenen Leibe erleben.
In einem winzigen Nest namens Delano, nahe der 6.000 Einwohner großen Kleinstadt Buffalo,
sind am Tag nach der Filmvorführung viele Menschen auf den Beinen. Der Grund dafür sind die
Proteste gegen die Machenschaften des Energiekonzernes "North West Coal Company". Auf dem weiten Land,
auf dessen Prärien einst Indianer der Stämme der Algonkin und Sioux ihre Jagdgründe fanden,
grasen heute große Schaf- und Rinderherden. Dort, wo der Boden am fruchtbarsten ist, finden sich
riesengroße Felder, auf denen Soja und Getreide angebaut werden.
Immer wieder haben sich in dieser Region und in anderen Gegenden der USA Energie- und Agrarkonzerne mit
Unterstützung der Justizbehörden unberechtigt das Land der Farmer angeeignet, um dort ihre
profitbringenden Überlandleitungen, Kraftwerke und Agrarfabriken zu errichten. Wer nicht freiwillig
sein Land an die Profitgeier verkauft, wird verhaftet, gedemütigt und letztlich vertrieben.
An dem Ort, wo kurz zuvor wieder einmal einige Farmer vertrieben worden sind, findet die Protestkundgebung
statt. Die Organisatoren wollen dort ihr in der Verfassung der Vereinigten Staaten verbrieftes Recht auf
Demonstrationsfreiheit wahrnehmen. Dean wurde von Freunden gebeten, die Demonstration zu unterstützen
und dort zu singen. Er macht sich deshalb mit Freunden auf den Weg von Minneapolis nach Delano. Doch
nicht nur er will den kämpfenden Farmern zur Seite stehen. Hunderte von Farmern aus der Umgebung
und Arbeiter, Intellektuelle und Studenten aus Minneapolis und der Hauptstadt St. Paul treffen am
Kundgebungsort ein.
Sogar einige für ihre Rechte kämpfende Indianer haben sich, mit ihrem populären Führer
Clyde Bellecourt, erstmals mit den Farmern solidarisiert. Auch sie haben in den Reservationen die
Willkür der großen Konzerne und der Behörden erlebt.
Die Protestaktion verläuft planmäßig. Es werden Reden gehalten und Schilder mit der
Aufschrift "No nuclear" und "Power to the people" hochgehalten. Die Stimmung ist gut, und als Dean zu
seiner Gitarre greift und "We shall overcome" und all die Lieder, die von Freiheit und Menschlichkeit
erzählen, von dem Recht auf Leben und Arbeit, von der Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit,
anstimmt, spüren alle Anwesenden die Stärke der Solidarität.
Alle? Nein! Da sind noch fast einhundert mit Schlagstöcken bewaffnete und mit Helmen geschützte
"Ordnungshüter", die aus Buffalo in 49 Polizeiautos angereist sind. Als die Kundgebung endet und die
Protestierenden geordnet ihren Rückzug antreten, wittern sie ihre Chance und walten ihres Amtes. Sie
springen aus ihren Autos und prügeln wild auf die Demonstranten ein. Die Transparente und Schilder
werden zu Boden gerissen, Teilnehmern und Teilnehmerinnen die Arme auf den Rücken gedreht und
zwanzig von ihnen an den Händen mit Plast-Kabelbinder gefesselt und abtransportiert. Dean ist einer
von ihnen.
Die Stimmung im Gefangenentransportwagen ist gut. Lieder werden gesungen und ein junger Student trägt
entscheidend zur kämpferischen Stimmung bei. Er kann sich geschickt aus seinen Plastikfesseln befreien
und hebt plötzlich zur Überraschung aller seine rechte Hand und ballt sie zur Faust. Einer hat
ein Messer dabei und dann werden schnell alle Fesseln durchschnitten. Als die Verhafteten auf dem Hof
des Wrigh-County-Gefängnisses in Buffalo, der kleinen Stadt westlich von Minneapolis, aus dem
Transportwagen getrieben werden, ziehen die drei Frauen und sieben Männer klatschend und singend
über den Gefängnishof.
Ihre Reise endet in einer der widerwärtigen Gefängniszellen, die aus einem stählernen
Käfig bestehen und weiter nichts enthalten als rostige Bettgestelle, ein paar Decken und eine Toilette.
Doch die Verhafteten sind nicht mutlos! Noch in der gleichen Nacht beschließen sie aus Protest gegen
die willkürliche Verhaftung und um die Öffentlichkeit auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam zu
machen, in den Hungerstreik zu treten. Hungerstreik, das bedeutet, ab sofort wollen sie keine feste
Nahrung mehr zu sich nehmen und dies bis zur Entlassung aus dem Gefängnis oder bis zu ihrem Tode
fortsetzen. An dieser Aktion beteiligen sich außer Dean noch neun weitere Mitgefangene. Die anderen
zehn Verhafteten lassen sich am nächsten Tag gegen die Zahlung einer Kaution von je 1.000 Dollar
entlassen. Das ist notwendig, weil sie sonst ihren Arbeitsplatz verlieren würden.
Dean hat diese 1.000 Dollar nicht, aber es wäre für ihn ein Leichtes, sie unter seinen
Freunden zu sammeln. Doch er denkt nicht daran, für eine so zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit den
Justizbehörden noch Geld in den Rachen zu schmeißen. Für ihn und die anderen Gefangenen
kommt es jetzt darauf an, mit einer aufsehenerregenden Aktion die Unterstützung der Staatsmacht
für die Interessen der Energiekonzerne an den Pranger zu stellen. Deshalb erklären die
Verhafteten als Zweites, dass sie sich ab sofort als politische Gefangene betrachten.
Deans Freunde aus Minneapolis engagieren den Rechtsanwalt Kenneth Tilsen, organisieren Protestaktionen
vor den Gefängnistoren und mobilisieren die Presse.
Es entfaltet sich eine fast beispiellose Solidaritätswelle. Tausende Telegramme, Protestschreiben,
Unterschriftenlisten und Telefonanrufe erreichen den Gouverneur Perpich in Minnesotas Hauptstadt St. Paul
und Präsident Carter im Weißen Haus in Washington. Es protestieren Prominente wie Joan Baez,
Pete Seeger, Dimitri Schostakowitsch und Gisela May für die Freilassung der Inhaftierten. Es vergeht
kaum ein Tag, an dem nicht der Name Dean Reed in den Meldungen der großen internationalen
Nachrichtenagenturen zu finden ist. AP, ADN, CTK, Reuter, TASS und UPI schicken ihre Berichte in die
Welt. Die Presseorgane der DDR berichten fast täglich.
Jetzt macht Dean auch dort Schlagzeilen, wo er bisher von der Presse wie eine Unperson behandelt wurde.
"Der Rote Elvis" ist in aller Munde, und der Chefreporter des "Minneapolis Star" schreibt: "(...) hat
die Nachricht von seiner Verhaftung die Proteste von prominenten Persönlichkeiten und sogar von
Regierungen hervorgerufen".
Am 3. November telefoniert Dean aus dem Gefängnis mit der ADN-Korrespondentin Ilse Schäfer in
Washington: "(...) Wir drücken auf diese Weise aus, worum es uns im Prinzip geht: Wir sind nicht im
Unrecht. Wir haben simpelste Bürgerrechte in Anspruch genommen (...)" . In Schulen und Betrieben der
DDR werden Unterschriften für Deans Freilassung gesammelt und in die USA geschickt. Egon Krenz schreibt
Dean im Auftrag des Zentralrates der FDJ (Freie Deutsche Jugend): "Die Jugend unseres sozialistischen
Vaterlandes, deiner Wahlheimat, bewundert und achtet Deine leidenschaftliche Parteinahme für die
Rechte der Arbeiter, Farmer, der vom Kapital unterdrückten und ausgebeuteten Menschen sowie Deinen
Protest gegen die vom USA-Imperialismus verübten Verbrechen. Der Willkürakt der amerikanischen
Behörden gegen Eure friedliche Demonstration in Buffalo zeigt einmal mehr das wahre,
menschenfeindliche Gesicht des Imperialismus und entlarvt sein Gerede von der Freiheit und den
Menschenrechten als das, was es ist: als pure Heuchelei (...). Wir sind zu jeder Zeit an Deiner Seite.
Freundschaft." Am 5. November sendet Dean ein Telegramm in die DDR, das am nächsten Tag auf der
ersten Seite des Zentralorganes der SED, Neues Deutschland, veröffentlicht wird. Darin grüßt
er das Volk der DDR und Erich Honecker.
Victor Grossman, Deans Landsmann, Dolmetscher und Freund, äußert sich in der Ausgabe der
am 9. November in Berlin erscheinenden Zeitung der FDJ "Junge Welt" zu Deans Verhaftung: "Wie ist es
gestern Dean Reed ergangen? Während ich schreibe, ist die Nachricht aus Minnesota noch nicht da;
sieben Stunden Zeitunterschied machen schon etwas aus. Ich warte mit besonderer Spannung, denn ich kenne
Dean, seit er zum ersten Mal die DDR besuchte. Ich arbeitete mit ihm als Dolmetscher, bevor er Deutsch
lernte; ich habe viele Stunden mit ihm gelacht, freundlich gestritten, gearbeitet, demonstriert und,
wenn auch schlecht, gesungen. Ich frage mich, was wird der Richter der Kleinstadt in Minnesota mit Dean
und den anderen von Hunger geschwächten Mithäftlingen machen? Werden er und der Staatsanwalt
merken, daß man einen groben Fehler gemacht hat, als man mit allzu durchsichtigem Vorwand - wohl
'Betreten fremden Eigentums' - einen Protest verhindern wollte? Wird man - im Erstaunen über den
Strom von Protesten, von Briefen, Telegrammen und Unterschriften von Indianerführern, von Pete
Seeger, Joan Baez, vom Schauspielerverband der USA und unzähligen aus der DDR, der UdSSR und
anderen Ländern - die Verhafteten freilassen? Oder wird die Angst vor demonstrierenden Farmern
und vor dem mutigen, einsatzfreudigen, ja gewiß auch trotzigen Sänger und Schauspieler
in ihrer Mitte sie dazu verleiten, eine Strafe zu verhängen? Das, meine ich, wäre ein sehr
dummer Fehler. Ich hoffe sehr, daß wir Dean Reed bald wieder in der DDR begrüßen
können! Wenn man ihn und die Farmer aber weiter verfolgt, dann bin ich völlig überzeugt,
daß jede derartige Entscheidung durch eine Lawine von Protesten hinweggefegt wird, die der
Richter von Wright in Minnesota und, wenn notwendig, auch höhere Instanzen nicht so schnell
vergessen werden! Und zwar, bis alle wieder frei sind."
Einigen Gefangenen geht es gesundheitlich nicht gut. Deshalb fordert der Anwalt die Anstaltsleitung
auf, die Häftlinge vom Anstaltsarzt untersuchen zu lassen. Statt eines persönlichen Besuches
lässt er verantwortungslos an die Gefangenen Antibiotika verteilen.
Elf Tage lang lassen die Behörden die Gefangenen schmoren, bis ihnen der Prozess gemacht wird.
Für die Hungerstreikenden ist dies eine lange Zeit, aber für die allgemeinen Verhältnisse
in den USA eine ungewöhnlich kurze Zeitspanne. Am Mittwoch, dem 8. November, beginnt endlich der
Prozess im Bezirksgericht von Buffalo. Schon im Vorfeld der Verhandlungen gab es einen Eklat: Der
Vertreter der Anklage, der Bezirksstaatsanwalt William McPhail, hatte wiederholt verleumderische
Bemerkungen über die Angeklagten in die Öffentlichkeit getragen. In den Nächten zuvor
wurden Flugblätter mit hetzerischen Inhalten in mehren Stadtteilen Minneapolis verteilt, um die
Bevölkerung gegen die Protestler aufzubringen. Auf Grund öffentlicher Proteste musste er
suspendiert und durch einen anderen Staatsanwalt ersetzt werden.
Dem verantwortlichen Richter Harold Dahl sollen 12 Geschworene zur Seite stehen, die nun gewählt werden.
Der Staat wird vertreten von Staatsanwalt Thomas Price. Einer der 20 Angeklagten, ein 13-jähriger
High-School-Absolvent, wird aus dem Prozess ausgeklammert und an das Jugendgericht verwiesen. Viel mehr tut
sich an diesem ersten Verhandlungstag nicht, die Verlesung der Anklage wird für den nächsten
Tag angekündigt.
Der Staatsanwalt verdeutlicht am zweiten Verhandlungstag sein Interesse an einer Kriminalisierung der
Angeklagten. Er spricht nachdrücklich von der "Schwere des Falles" und behauptet, dass es sich um
einen ausgesprochen "kriminellen Prozess" handelt. Er lässt in der Beweisaufnahme 18 Sheriffs und
Hilfssheriffs als Zeugen der Anklage aufmarschieren. Sie schildern, dass fünf Sherifftrupps, mehrere
Polizeiautos, ein Gefangenentransportwagen und eine spezielle Einheit, die erkennungsdienstliche
Behandlung von Arretierten vornimmt, bereits Stunden vor Beginn der ordnungsgemäß angemeldeten
und genehmigten Bürgerrechts-Demonstration Aufstellung genommen hatten. Die Demonstranten, die auf
einer öffentlichen Straße entlang zogen, hätten gesungen, Transparente getragen und
sich friedlich und gewaltlos verhalten. Dean Reed habe ein Schild mit der Aufschrift getragen: "Alle
Macht dem Volke". Auf Befragen des Verteidigers mussten die Polizeizeugen bestätigen, dass es von
Seiten der Demonstranten keinerlei Akte von Gewalt oder Anzettelung von aufrührerischen
Handlungen gegeben hätte.
Dann ereignet sich ein merkwürdiger Vorfall: Als die Anklagevertretung in gewohnter Weise einem
Angeklagten das Wort abschneiden will, wird sie zur Richterbank zitiert. Dort kommt es zu einem
längeren, in leisem Ton gehaltenen Gespräch zwischen Richter und Staatsanwalt, woraufhin
Price seinen Einspruch zurückzieht und sich auch danach merklich zurückhält. Die
Vertreter der großen Nachrichtenagenturen und Zeitungen sitzen im Saal, und es ist zu vermuten,
dass Präsident Carter keinen öffentlichen Skandal wünscht.
Die Mitangeklagten Deans, aber auch die Bewohner der Kleinstadt Buffalo hatten bis jetzt wohl kaum
eine Vorstellung über den Begriff "Internationale Solidarität". Jetzt sind sie von den
zahlreichen Sympathiebekundungen und dem immensen Medienecho aus aller Welt tief beeindruckt. Das
gibt ihnen Kraft und Mut und einige wagen es jetzt öffentlich ihre Meinung zu äußern.
Chris Strickling, eine junge Therapeutin für Körperbehinderte fordert z.B., dass das
amerikanische Volk in den Entscheidungsprozess über das Wohl und Wehe des Landes einbezogen wird.
Es darf nicht länger Objekt der Entscheidungen der Monopole sein. Die Indianerin vom Stamme der
Chippewa, Janie Cyssonn, erklärt, sie unterstützt den Protest der Farmer, weil sie schon in
den Reservationen die Willkür der großen Konzerne erlebt hat. Auch dort seien die einfachen
Menschen von ihrem Land vertrieben worden.
Danach kommt Dean zu Wort: "Euer Ehren, Mitglieder der Jury, mein Name ist Dean Reed. Ich bin
geboren und aufgewachsen in Colorado. Ich bin ein amerikanischer Bürger. Ich habe in Kalifornien
gelebt, in Argentinien, in Chile, in Peru, in Mexiko, in Italien und gegenwärtig wohne ich in
der Deutschen Demokratischen Republik.
Manche Leute versuchen daraus zu schließen, ich sei ein Außenseiter. Doch bin ich ein
Internationalist, denn ich glaube, dass es eine einzige große menschliche Familie gibt.
Wie könnte ich ein Außenseiter sein? Genau wie Sie esse ich - zumindest unter normalen
Bedingungen -, wie könnte ich gegenüber dem Schicksal unserer Farmer gleichgültig
sein, die unsere Nahrung produzieren? Alle Menschen dieser Welt, die essen wollen und die wünschen,
dass die Millionen Menschen, die gegenwärtig Hunger leiden, Nahrung bekommen, müssen an
den Problemen der Farmer unseres Landes Anteil nehmen.
Bisher sind Hunderte von Telegrammen, die unsere Freilassung fordern, an Gouverneur Perpich und an
Präsident Carter gesandt worden. Erlauben Sie mir bitte, eines davon vorzulesen. Es ist
adressiert an Gouverneur Perpich, State Capitol, St. Paul.
'Als Bürger und Mitglied des Vorstandes der Berufsgenossenschaft der Schauspieler bin ich zutiefst
darüber empört, daß der international bekannte Schauspieler und Sänger Dean Reed
und andere Bürger unter dem fadenscheinigen Vorwand eingesperrt worden sind, sie hätten
widerrechtlich fremden Grund und Boden betreten, während sie doch friedlich für die
Unterstützung der Farmer von Minnesota demonstrierten. Wir machen uns selbst in aller Welt
unglaubwürdig, wenn wir ständig überall die Menschenrechte glauben verteidigen zu
müssen und gleichzeitig zusehen, wie der Sheriff des Wright County und seine Leute die
Bürgerrechte von Landsleuten verletzen, die an einer gewaltlosen, ehrenwerten Aktion teilgenommen
haben. Ich appelliere an Sie als Gouverneur eines großen Bundesstaates, Ihren Einfluß
dafür zu nutzen, daß dieser Verhöhnung unserer Prinzipien Einhalt geboten wird und
alle Eingekerkerten unverzüglich auf freien Fuß gesetzt werden. Gezeichnet John Randolph.'
Ich bin des widerrechtlichen Betretens fremden Grund und Bodens angeklagt worden, aber ich erkläre
hiermit, dass ich diese Anklage nicht anerkenne. Ich brauche mich nicht zu verteidigen, sondern
ich klage die großen Energiekonzerne an, die mit der Errichtung von neuen Hochspannungsleitungen
Profit machen wollen. Sie sind es, die gegen jedes Recht gehandelt haben. Sie sind es nicht nur
deshalb, weil sie sich widerrechtlich das Land der Farmer von Minnesota angeeignet haben, sondern weil
sie auch deren Menschenrechte mit Füßen getreten haben.
Nachdem ich am 29. Oktober auf einer friedlichen Protestkundgebung gesungen habe, trug ich ein Plakat
mit der Aufschrift 'Die Macht dem Volke' einer Kette von Polizisten entgegen, und während ich
weitersang, wurde ich verhaftet. Ziviler Ungehorsam ist eine ehrenwerte amerikanische Tradition des
Kampfes gegen Ungerechtigkeit, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Wer von Ihnen ist nicht stolz
auf jene amerikanischen Patrioten, die bei der Bostoner Tea-Party, jenem historisch gewordenen Akt
zivilen Ungehorsams, den britischen Tee ins Wasser geworfen haben?
Eines Tages wird sich das Volk von Amerika mit dem gleichen Stolz der Proteste erinnern, die
gegenwärtig in den gesamten Vereinigten Staaten gegen jene Konzerne laut werden, die die Umwelt
verschmutzen und die Profite mehr lieben als die Menschen. Genau das ist es, worum es geht: Das Recht
der großen amerikanischen Energiekonzerne, Profit zu machen, bedroht die Menschenrechte der Farmer.
Einer der Farmer erzählte mir kurz vor meiner Verhaftung vom Schicksal eines seiner Nachbarn,
der achtzig Jahre alt ist. Die Leute des Energiekonzerns sind zu diesem Mann gekommen und haben ihm
gesagt, wenn er ihnen nicht das Land verkaufe, würden sie es beschlagnahmen lassen und ihm
wegnehmen. So eingeschüchtert, verkaufte er sein Land und verlor mit einem Schlag alles, was er
sich achtzig Jahre lang bewahrt hatte: Lebenskraft, Lebenssinn, Lebensunterhalt, Lebensfreude - und Liebe.
Euer Ehren, Mitglieder der Jury, von Südamerika bis Europa blicken heute Millionen von Menschen
auf Sie und darauf, wie Sie entscheiden werden, ob Sie sich zugunsten der großen Unternehmen
und ihrer Profite entscheiden oder zugunsten der Menschenrechte der Farmer und der anderen Bürger
Ihres Staates und unseres ganzen Landes.
Ich erwarte, dass Sie eine gerechte Entscheidung treffen werden - weil ich Ihnen vertraue. Denn
ich stehe hier, weil ich die Rechte der Farmer achte und weil ich die Pflicht gefühlt habe, mich
mit ihnen zu solidarisieren.
Ja, ich erwarte, dass Sie eine gerechte Entscheidung treffen und mich und meine Freunde nicht
schuldig sprechen werden.
Es war mir eine große Ehre, mit meinen Freunden, die neben mir sitzen, elf Tage lang im
Hungerstreik gestanden zu haben. Sie sind gute, prinzipienfeste Menschen und wir alle sollten sehr
stolz auf ihren Mut und ihre Rechtschaffenheit sein.
Die Macht dem Volke!"
Danach beschließt das Gericht, alle Angeklagten vorerst auf freien Fuß zu setzen und
vertagte den Prozess auf Montag, 13. November. Am dritten Verhandlungstag halten die Vertretung
der Anklage und der Verteidigung ihre Plädoyers. Der Gerichtssaal ist bis zum letzten Platz
mit Unterstützern und Journalisten gefüllt, und in der Vorhalle und im Gang vor dem Saal
drängeln sich noch viele Menschen, die keinen Platz gefunden haben.
Staatsanwalt Thomas Price gibt sich nochmals sichtlich Mühe, den Geschworenen den kriminellen
Charakter der Angeklagten zu erläutern. Kenneth Tilsen, der Anwalt der Angeklagten, kontert,
indem er noch einmal die Verfassungsmäßigkeit der friedlichen und angemeldeten Demonstration
hervorhebt. Gegen 16.00 Uhr zieht sich die Jury zur Beratung zurück. Die Zeit vergeht und erst
nach über sieben Stunden, nach 23.00 Uhr, betreten sie wieder den Saal. Der Richter stellt zu
dieser späten Stunde den Geschworenen die traditionelle Frage, ob sie zu einem Ergebnis gekommen
sind. Der Sprecher der Geschworenen antwortet mit "yes". Die mit Spannung erwartete Antwort auf die
zweite Frage des Richters lautet "Not guilty!" Nicht schuldig! Nicht schuldig - das heißt, alle
19 Angeklagten sind freigesprochen.
Ein Jubel geht durch den Saal und die Freigesprochenen stimmen mit ihren Unterstützern den Song
der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung "We shall overcome" an. We shall overcome, we'll walk hand
in hand, we shall live in peace und we are not afraid, wir fürchten uns nicht, schallt es dem
Staatsanwalt und dem Richter um die Ohren. Diesen Tag werden sie nicht so schnell vergessen. In Deans
erster Erklärung nach dem Prozess bedankt er sich im Namen aller für die internationale
Solidarität und für die Standhaftigkeit der Farmer, Gewerkschafter, Indianer und Studenten
innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern. Dann sagt er: "Lasst uns nun unsere
Anstrengungen verdoppeln, um auch die Freilassung von Ben Chavis, Russell Means und der anderen
politischen Gefangenen in den USA zu erkämpfen." Kurze Zeit zuvor hat der US-UN-Botschafter
Andrew Young voreilig erklärt, dass es in den USA viele Hunderte, wenn nicht Tausende politische
Gefangene gibt.
Am nächsten Tag meldet die "Junge Welt" in Berlin: "Dean Reed ist freigekämpft! (...) Durch
internationale Solidarität und die Standhaftigkeit amerikanischer Farmer, Indianer, Gewerkschafter
und Studenten ist Montagnacht im Kreisgericht von Buffalo im USA-Bundesstaat Minnesota ein Erfolg
errungen worden. Nach siebenstündigen dramatischen Beratungen fällten die Geschworenen für
alle 19 Angeklagten, unter ihnen der in der DDR lebende amerikanische Sänger und Schauspieler Dean
Reed, das Urteil "nicht schuldig". Die Angeklagten, die von der USA-Justiz verfolgt wurden, weil sie auf
einer Farmerdemonstration zu Aktionen gegen die Landraubpolitik amerikanischer Industriekonzerne aufgerufen
hatten, brachen im Gerichtssaal in lauten Jubel aus. Verhandlungssaal, Gang und Vorhalle des
Kreisgerichts in Buffalo waren zurzeit des Urteilsspruchs gegen 23.00 Uhr Ortszeit dicht gefüllt
mit Farmerdelegationen, Bürgerrechtsgruppen und Pressevertretern. (...) Die Vertreterin der
Farmerbewegung von Minnesota, Alice Tripp, die zusammen mit ihrem Mann eine Familienfarm bewirtschaftet,
bezeichnet den Freispruch als 'Ermutigung für die Farmer, sich gegen die Existenzbedrohungen
durch die Profitpolitik großer Konzerne zur Wehr zu setzen'. In einem Solidaritätstelegramm
an den eingekerkerten Indianerführer Russel Means hatten die Freigesprochenen am Montag aus dem
Gerichtssaal in Buffalo die sofortige Freilassung des Mitbegründers der amerikanischen
Indianerbewegung gefordert. Sie protestierten nachdrücklich gegen ein System unmenschlicher
Erpressungsmethoden, die der neugewählte Gouverneur von Dakota, William Janklow, gegenwärtig
gegen Russel Means und den Stamm der Sioux anzuwenden versucht. Der zu vier Jahren Gefängnis
verurteilte Indianerführer soll nur auf Bewährung in die Obhut des Stammes entlassen werden,
wenn der Stamm jegliche Rechtsprechungssouveränität in der Reservation an den Bundesstaat
South Dakota abtritt. 'Russel Means wird vom Bundesstaat South Dakota als politische Geisel gegen den
Stamm der Oglala Sioux benutzt', heißt es in dem Protestschreiben. 'Es handelt sich ganz klar
um einen Versuch der USA-Behörden, komplette Kontrolle über die Ländereien, Rohstoffe
und Bewohner der Reservation zu erreichen.' Das sei eine flagrante Verletzung des 1868 zwischen den
Sioux und der USA-Regierung abgeschlossenen Vertrages und reduziere Selbstbestimmung und Menschenrechte
eines der zahlenmäßig größten Indianerstämme der USA auf ein Minimum."
Der Journalist Jürgen Weidlich liefert in der gleichen Zeitung einige Hintergrundinformation
zum Kampf der nordamerikanischen Farmer: "Es war nicht das erste Mal, daß die kleinen Farmer
in den USA auf die Straße gingen, um auf ihre soziale Notlage aufmerksam zu machen. Im Dezember
vergangenen Jahres z.B. fuhren Farmer mit Traktoren zum Capitol in Washington, dem Sitz des
USA-Kongresses und protestierten gegen den ökonomischen Druck, der auf sie ausgeübt wird.
Die Agrarpolitik der USA-Regierung, die in den letzten 20 Jahren fast die Hälfte aller Zuwendungen
für landwirtschaftliche Unternehmen nur den fünf mächtigsten Agrar-Konzernen zukommen
ließ, treibt die kleinen Farmer in den Ruin, begünstigt den Landraub durch amerikanische
Industriekonzerne. Gab es im Jahre 1950 noch 5,4 Millionen kleine Farmer, so weist die Statistik heute
2,8 Millionen aus, und dieser Trend hält weiter an. Die Einnahmen der Farmer für ihre
Erzeugnisse bleiben im Verhältnis zu den Preissteigerungen für landwirtschaftliche
Produkte auf dem Markt weit zurück. Die Farmer bringen ihre Waren nicht selbst auf den Markt,
sondern diese werden von Zwischenhändlern (Aufkaufgesellschaften und Handelskonzernen) angekauft,
die nicht bereit sind, bei steigenden Marktpreisen den Farmern mehr für ihre Produkte zu zahlen.
Andererseits erhöhen sich die Preise für landwirtschaftliche Maschinen, Benzin,
Düngemittel, Saatgut usw. immer mehr. Somit haben die kleinen Landwirte immer höhere
Aufwendungen zu tragen. 'Die amerikanischen Farmer sind heute tiefer verschuldet als zu jeder anderen
Zeit in der Geschichte. Ihr Einkommen ist das geringste seit den 30er Jahren', kommentiert die
'Washington Post' die Lage der Landbesitzer. Die Protestaktion von Minnesota, an der auch Dean Reed
teilnahm, unterstreicht erneut die Kampfentschlossenheit der Farmer gegen die Monopolpolitik. Der
Zusammenbruch der Anklage gegen die inhaftierten Demonstranten beweist, wie notwendig die Solidarität
von Freunden und Verbündeten für die Farmer ist."
Am 19. November wird Dean auf dem Berliner Flughafen Schönefeld ein triumphaler Empfang
geboten. Gestärkt, voller Kampfesmut und Zuversicht wird er sich seinem nächsten Vorhaben widmen.
Norbert Diener
Anmerkung des Autors:
Der mutige Kampf der 19 war nicht vergebens. Der Freispruch von Buffalo ist zu einem
Präzedenzfall geworden, auf den sich noch viele Jahre lang Anwälte von Bürgerrechtlern
beriefen. Er ist alleinig durch das besonnene und verantwortungsbewusste Handeln der angeklagten
Protestler zustande gekommen. Ausschlaggebend für den Erfolg war der Umstand, dass die Verhafteten
sich von vornherein als politische Gefangene betrachtet haben, dementsprechend gehandelt haben und
den Prozess auch politisch geführt haben. Sie sind kaum auf den einzigen rechtsrelevanten
Anklagepunkt, das Betreten fremden Eigentums, eingegangen und haben die wahren Hintergründe,
die Schaffung eines rechtsfreien Raumes für die Energiekonzerne, aufgezeigt.
Die umfassende internationale Solidarität und der Umstand, dass die großen Presseagenturen
anwesend waren, trugen entscheidend zum Erfolg bei. Es ist in den USA nicht üblich, Menschen,
die organisiert für ihre Rechte eintreten, mit Samthandschuhen anzufassen. Aber die Solidarität
und der Presserummel waren zu der Zeit für Präsident Carter, Oberhaupt eines Staates, der
laufend mit dem Begriff Menschenrechte herumjongliert und sich oft als Hüter derselben aufspielt,
zu groß, um vor aller Welt sein Gesicht zu verlieren.
Diese Reportage wurde nach den uns z.Z. zugänglichen Quellen erstellt. Deans Biografie, die
Berichterstattung der Massenmedien der DDR bildeten hierfür den Grundstock. Aber es geht
weiter: Neue Quellen werden erschlossen, Augenzeugen befragt und die Berichterstattung der
örtlichen Presse ausgewertet. Deshalb lohnt es sich, in einiger Zeit diese Seite wieder zu besuchen.
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Beiträge von euch zum Thema - macht mit!
Der aktuellste Beitrag steht immer oben.
Sorry, lieber JB, aber du haust hier Äpfel und Birnen durcheinander. Das Thema hieß
"Dean Reed und die DDR". Was das mit dem Computer zu tun hat, auf dem wir schreiben und dem
Medium, das wir nutzen, erschließt sich uns nicht. Schon gemerkt? Die DDR gibt es nicht
mehr und keiner will sie ernsthaft zurück. Das ändert aber nichts daran, dass es
überhaupt nichts bringt, ihr im Nachhinein Sachen anzudichten, die nicht stimmen, nur
um sie schlimmer aussehen zu lassen als sie war (oder besser: die eigenen Unzulänglichkeiten
besser aussehen zu lassen). Es gibt nun wahrlich jede Menge Stoff für kritische
Nachbetrachtungen, der reicht vollkommen.
Was uns stört, ist die Art und Weise, wie Dean Reed nach seinem Tode instrumentalisiert
wird, die DDR mit allen Mitteln in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Wir
glauben kaum, dass das in seinem Sinne gewesen wäre und es passt auch nicht. Außerdem
sollten Leute, die von den Vorgängen und Umständen offensichtlich wenig wissen,
die Aufarbeitung der Geschichte lieber anderen überlassen und stattdessen besser vor
der eigenen Türe kehren. Da liegt genug herum... Übrigens haben wir mit keinem Wort
behauptet, andere Gesellschaftssysteme wären schlechter als das der DDR (gewesen). Das
wäre nämlich der gleiche Unsinn.
Deine Thesen in allen Ehren, aber ihnen fehlt der Bezug zum Thema und sie haben auch nichts
mit dem zu tun, was in unserem Beitrag steht.
Was du zum Thema "Doppelmoral" schreibst, sehen wir übrigens genauso, nur dass das
eben keine spezifische Eigenschaft der DDR war. Das wird heute gleichermaßen praktiziert.
Achte mal auf die Feinheiten: Bei einer Demo in Russland beispielsweise geht grundsätzlich
"die Polizei mit Gewalt gegen die Demonstranten" vor. Passiert das hier, haben "einige
Vermummte die Polizei provoziert". Ehrlich: Das stinkt zum Himmel...
P.S.: Ja, es gab freie Bauern. Nicht viele, aber es gab sie. Ja, es gab Wettbewerb und
Konkurrenz. In kleinem Rahmen und ganz bestimmt nicht staatstragend, aber es gab sie (bspw.
unter privaten Handwerkern). Zum Thema Demo - siehe oben. Es wäre allerdings interessant
zu erfahren, wie man im anderen Teil Deutschlands auf das reagiert hätte, was bei uns
1989 passierte... Und, um Missverständnisse zu vermeiden: Halstuch meistens "vergessen"
(oder zum Cowboyspielen missbraucht), DSF, FDGB und FDJ "Tschüß!" gesagt, Wehrdienst
(Waffe) verweigert und in Staatsbürgerkunde Fünfen gefangen wegen "falscher Meinung".
P.P.S.: Wer die DDR heute noch "rosig darstellt", muss irgendwas verpasst haben...
(kf), 11. März 2008
Mir fällt hierbei eine gewisse Doppelmoral auf, dass die DDR in anderen Ländern
das kritisierte, was sie selber gerne tat. In der DDR gab es nichts, was offiziell
"Großgrundbesitzer und Monopolisten" hieß, aber gab es denn Bauern, die nicht
in der LPG sein mussten? Gab es etwa Wettbewerb und Konkurrenz? Es gab immer wieder auch
eine Demo, die aufgelöst wurde und bei der dann einige heimlich still und leise
ins Gefängnis kamen.
(kf) schreibt interessante Dinge und benutzt einen Computer, der so in der DDR vielleicht
erst 2017 erhältlich gewesen wäre und den er sich hätte niemals leisten
können über ein Medium, was es so in der DDR sicher auch nicht gegeben hätte.
Es war nicht alles schlecht in der DDR, aber es war auch nicht alles schlecht in anderen
Gesellschaftsformen, die es auf deutschem Boden vorher gab. Die Bundesrepublik ist mit
Sicherheit auch kein Paradies, aber das gilt auch für jede Demokratie, die es vorher
auf deutschem Boden gab. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen, würde die Bundesrepublik
Deutschland die gleiche Toleranz haben, wie sie die DDR hatte, dann wäre die PDS schon
lange verboten, die Luxemburg/Liebknecht Demos würden mit Gewalt verhindert werden
und jegliche Website, welche die DDR rosig darstellt, wäre verboten und deren Betreiber
würden Nacht für Nacht geweckt und verhört.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich habe blaues und rotes Halstuch geknotet, brav
den Märchen der Staatsbürgerkundelehrerin gelauscht und bei einer Wahl mitgemacht,
wo man den Wahlzettel unverändert in die Urne tat.
JB (Jose-Buskers), 11. März 2008
Norbert Dieners Beiträge enthalten soviel Diskussionsstoff, dass man gar nicht
weiß, wo man anfangen soll... Auf jeden Fall verwundern uns seine Aussagen sehr,
insbesondere da sie von jemandem kommen, der angetreten ist, das Andenken an Dean Reed
zu wahren und zu würdigen. Nimmt man diesen Vorsatz ernst, verbietet es sich eigentlich
von selbst, Deans Lebenslauf oder Stationen davon als Argumente gegen die DDR einzusetzen,
weil man damit nur allzu leicht auf höchst dünnes Eis gerät. Das ist hier
passiert. Norbert Diener versucht, komplizierte und sensible Zusammenhänge auf einen
einfachen Nenner zu reduzieren, der da lautet: Die DDR ist schuld. Doch das ist nichts
anderes als Schmierenpropaganda und weit von historisch korrekter Aufarbeitung entfernt.
Diese Form von "Vergangenheitsbewältigung", die man so von den westlichen Medien
und ihrer "neuen Geschichtsschreibung" her kennt, hätten wir gerade hier nicht erwartet.
Norbert schreibt, ein Transparent mit der Aufschrift "Die Macht dem Volke" hätte in
der DDR keine drei Minuten gehangen. Das ist schlicht Unsinn, denn Transparente mit diesem
Text wurden bei diversen offiziellen Demonstrationen massenweise zur Schau getragen. Sie
hingen in Pionierräumen, an Wandzeitungen, in Kulturhäusern usw. Man hätte
sich den Slogan auch auf ein T-Shirt drucken lassen können und wäre damit von
den Behörden unbehelligt geblieben, denn die DDR sah sich nunmal selbst als Volksherrschaft.
Was die Mitmenschen dann von einem gehalten hätten, sei mal dahingestellt... Die
Aufschrift allein hätte jedenfalls nicht genügt, in der DDR für Ärger
zu sorgen - auf den Zusammenhang wäre es angekommen. Und gerade Dean Reed wäre
nun wirklich der Unverdächtigste mit so einem Transparent gewesen...
Reichlich seltsam erscheint auch der Versuch zu beurteilen, wie eine "ähnliche Aktion"
in der DDR ausgegangen wäre. Diese schwammige Formulierung ist entlarvend! Es hätte
im Arbeiter- und Bauernstaat keine auch nur ansatzweise vergleichbare Aktion stattfinden
können, dazu fehlten jegliche Voraussetzungen. Gegen welche Großgrundbesitzer
und Monopolisten hätte man denn hier demonstrieren sollen? Der Vergleich hinkt nicht
nur - er sitzt geradezu im Rollstuhl.
Genauso ungenau ist die Behauptung, man hätte Reed rasch fallen gelassen, als das
Blatt sich wendete. In Wahrheit war Dean zu diesem Zeitpunkt schon tot. Zu seinen Lebzeiten
genoss er bis zum Schluss alle Privilegien, die der Staat zu bieten im Stande war. Darüber
gibt sein Abschiedsbrief Aufschluss, der sich u.a. an Erich Honecker persönlich wandte.
Überdies: Bekommt ein "Fallengelassener" noch kurz vor seinem Ende eine eigene
Fernsehsendung!? Wohl kaum... Und hier liegt wohl auch die Ursache dafür, dass Dean
Reed öffentlich nicht gegen den Staat opponierte: Er hätte seinen Lebensstandard
und seinen Status riskiert, an dem er noch festhielt, obwohl er sicher selbst nicht mehr
dran glaubte. Dass man Reeds Ideale später nicht mehr zu Propagandazwecken benutzte,
stimmt. Der Grund war aber äußerst profaner Natur: Das Volk nahm den Vorzeige-Ami
längst nicht mehr ernst, er hätte keine Massen mehr bewegen können. So
blöd waren denn selbst die Kulturmächtigen in der DDR nicht...
Zur Berichterstattung in den Medien sei gesagt, dass man damit auch die Leute erreichen muss.
Glaubst du, es hätte jemanden interessiert, wenn detailliert über die Hintergründe
berichtet worden wäre? Und warum gerade an dieser Stelle? Es gab soviel Ungerechtigkeit
auf der Welt, dass man damit ganze Bücher hätte füllen können - die
am Ende keiner gelesen hätte. Das ist noch heute so. Warum wirfst du derartiges
ausgerechnet der DDR vor? Sprechen wir doch mal über die Berichterstattung der
bundesdeutschen Medien...
Dean Reed wusste genau, dass sein Einsatz für Aufsehen sorgen würde, eben genau
weil ER es war, der dem ganzen das öffentliche Interesse bescherte. Wer benutzte also
wen? Hat er sich je dagegen gewehrt, als "Held" und "Idol" gefeiert zu werden? Mach die
Augen auf! Er inszenierte sich selbst in dieser Weise, er glaubte daran. Und mal im Ernst:
Glaubst du wirklich, Dean Reed (der beispielsweise seine Unterschrift gegen die
Ausbürgerung Wolf Biermanns verweigert hatte) hätte die Demonstrationen zur
Wendezeit angeführt? Sorry, aber das ist reichlich weltfremd. Die Demonstranten
hätten ihn ausgelacht und davongejagt, wenn er etwas in der Art versucht hätte!
Auch wir haben seinerzeit Unterschriften für Deans Freilassung gesammelt. Natürlich!
ER war es ja, der uns nahe stand, nicht die Farmer, deren Probleme wir detailliert nicht
hätten verstehen können, selbst wenn wir es versucht hätten. Dean Reed
hatte sich für etwas eingesetzt und war dafür verhaftet worden. Wir wollten
ihn wiederhaben, mehr nicht. Was ist daran schlecht? Und hatte Reed nicht gerade DARAUF
gesetzt, um durch dieses öffentliche Interesse auch etwas für die Farmer zu tun?
Ist das nicht letztendlich gelungen? Du nennst das revisionistisch, wir nennen es realistisch.
Man kann nunmal nicht überall gleichzeitig kämpfen und es bringt auch herzlich wenig,
wenn man täglich 10mal in der Schule herumrennt, um Unterschriften für die
verschiedensten unterdrückten Leute zu sammeln, die kein Mensch kennt. Wer hätte
das denn noch ernst nehmen sollen? Hat man das im Westen etwa getan???
Du verrennst dich hier in wilden Anschuldigungen und merkst dabei gar nicht, wie lächerlich
das alles rüberkommt. Und der ganze Aufwand nur, um etwas zu beweisen, was eh jeder
weiß. Die DDR hatte wahrlich genug Eigenheiten, die ihr nicht zur Ehre gereichten - man
muss keine dazuerfinden, um das zu erkennen. Und übrigens: So penetrant und so absolut,
wie man heutzutage vorgelogen bekommt, dass die BRD der demokratischste und gerechteste Staat
der Welt ist, hat sich das die DDR (aus gutem Grund) niemals erlaubt. In diesem Sinne: PEACE!
P.S.: Harmonica, du darfst getrost davon ausgehen, dass sich Dean Reed über die
möglichen Folgen seines Handelns SEHR WOHL bewusst war. Das war nicht spontan, das war
gut organisiert. Was die Sache aber nicht weniger bewundernswert macht...
(kf), 22. Oktober 2007
Ich muss gestehen, dass mich diese Reportage sehr gefesselt hat. Man muss sich das einmal
vorstellen: Der Mann kam Anfang der 70er in die DDR und konnte hier eine - für
planwirtschaftliche Verhältnisse - große Karriere als Sänger und Schauspieler
starten, hatte also, wie man so sagt, sein Schäflein im Trockenen. Und nicht nur von
Saßnitz bis Sonneberg, auch in den sozialistischen Bruderländern feierte man den
exotischen Friedensaktivisten aus Amerika, der nicht in der vermeintlichen Traumwelt Colorados
sondern diesseits des Eisernen Vorhangs leben und wirken wollte, wie einen großen Star.
Dass er dennoch, als er 1978 in die USA flog, um eigentlich "nur" seinen engagierten
Film über Victor Jara
vorzustellen, alles aufs Spiel setzte und die Grenzen seiner Privilegien als international
bekannter Unterhaltungskünstler auszuloten schien, verwundert mich im gleichen Maße,
wie ich Reed für seine selbstlose Solidarität den amerikanischen Farmern
gegenüber bewundere. Schließlich konnte er die Folgen seiner Beteiligung
an einer öffentlichen Protestaktion unmöglich abschätzen, hätte zur
Abschreckung für potentielle Nachahmer verurteilt und für einige Jahre ins
Gefängnis gesteckt werden können.
Sein demonstratives und zugleich weitsichtiges Auftreten vor Gericht hat mich menschlich tief
beeindruckt. Dort bewies er mit Nachdruck, was ihn im Leben wirklich antrieb, was ihm wichtig
erschien und wovon er offenbar zutiefst überzeugt gewesen ist. Und weil er für seine
Überzeugungen bereit war, große Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, ist der
Stellenwert des Dean Reed im Gesamtgefüge der Zeit, in der er lebte, weit größer
einzuordnen, als es seine Profession als Sänger und Schauspieler auf den ersten Blick
vermuten ließe.
Meiner Einschätzung nach bringt diese wirklich beeindruckende Geschichte all jenen,
die mit dem "Showman" Dean Reed nie wirklich etwas anfangen konnten, auf einer anderen Ebene
den Menschen, der hinter dem Künstler steckte, sehr viel näher.
Harmonica, 31. August 2007
Was ging in Dean Reed vor?
Als er wieder den für ihn sicheren Boden der DDR betrat und ihm die Glückwünsche und
das Lob der Bevölkerung und des Staates entgegengebracht wurden? Er wusste genau, dass eine
ähnliche Aktion in der DDR nicht so glimpflich ausgegangen wäre, dass die Demonstranten
wahrscheinich viele Jahre lang, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, hinter Mauern verschwunden
wären. Ein Transparent mit der Aufschrift "Die Macht dem Volke" hätte dort keine drei
Minuten hängen dürfen.
Nicht erst nach der sogenannten Wende wissen wir, welch immenser Unrechtsstaat auch die DDR war.
War Dean wirklich so naiv und merkte nicht, dass er und seine von Grund auf aufrichtige Haltung
für eine bessere und gerechtere Welt von der Staatsmacht missbraucht wurde? Ja, er wusste es,
und wie sich später herausstellte, benutzten sie Dean nur so lange, wie er ihnen als nützlich
erschien. Als sich das Blatt wendete, ließen sie ihn rasch fallen.
Über die näheren Umstände und über den anscheinlichen Widerspruch, dass ein
Mensch mit so hohen sozialistischen Idealen wie Dean gleichzeitig öffentlich auf den
Unrechtsstaat DDR nichts kommen ließ, werden wir uns sicherlich noch viele Gedanken machen
müssen und Nachforschungen anstellen.
Zunächst aber möchte ich zur Beruhigung aller Leser und Leserinnen einen Satz von Dean
zitieren, den er im engen Freundeskreis oft aussprach: "DIE BERLINER MAUER IST EINE SCHANDE
FÜR GANZ EUROPA!"
Norbert Diener
Zur Berichterstattung der DDR-Medien
Ich habe festgestellt, dass die Zeitungsartikel zu den Vorfällen in Buffalo oft oberflächlich
und überwiegend geprägt vom Schaffen des "Heldenmythos Dean Reed" sind. Daran kann man sehen,
dass die DDR kein sozialistischer Staat, wie ihn Marx und Engels wollten, war. Statt sich mit den
kämpfenden amerikanischen Farmern zu solidarisieren und die Hintergründe ihres Kampfes und
die einzelnen Stationen aufzuzeigen, heben sie Dean bis auf wenige Ausnahmen hoch bis zum "Gehtnichtmehr"
und verdrängen damit die Ursachen für die Proteste. Ungerechtigkeiten und Korruption in
den USA werden nur oberflächlich, aber medienwirksam erwähnt, um den Lesern die Gräuel des
Kapitalismus vor Augen zu führen und - wahrscheinlich - vom eigenen Unrechtsstaat abzulenken.
Gleichzeitig stilisiert die DDR-Presse Dean zum Helden und Idol hoch. Das Ergebnis davon ist, dass die
DDR-Bevölkerung die sofortige Freilassung von Dean will, sich aber um die Lage der kleinen Farmer
und ihren Kampf wenig oder gar keine Gedanken macht. Das ist "Revisionismus hoch drei" und kann nie dazu
führen, dass die Werktätigen der Welt erkennen, wer "Freund und Feind" ist. "Neues Deutschland"
schreibt am 3.11.: "(...) 18 weitere Demonstranten sind festgenommen worden. Sein 'Verbrechen': Dean
hatte vor mehreren tausend Farmern seine Lieder gesungen, (...)." Wieso sein "Verbrechen"? Verhaftet
wurden 20 Protestler, 19 davon hatten keine Gitarre mit, und verhaftet wurden sie, weil sie es sich
gewagt haben aufzubegehren und wahrscheinlich zur Abschreckung und Einschüchterung anderer.
Aber niemals, weil Dean gesungen hat. Und weiter: "(...) Dean sang, was sich in seiner
selbstgewählten Heimat - der sozialistischen DDR - erfüllt. In unserer Republik, das hat
Dean Reed wiederholt erklärt, findet er jene Ideale der Menschlichkeit verwirklicht, für
die er sich als aktives Mitglied der Weltfriedensbewegung engagiert (...)" . Da wird in gewohnter
Weise die Erwähnung der Widrigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft genutzt, um dem Volk
weiszumachen, dass sie nichts zu meckern haben und die praktizierte Staatsform wirklich sozialistisch
und gerecht sei. Und für den, der's jetzt immer noch nicht glaubt: "Volksheld Dean" sagt es auch!!!
Dümmlicher geht's wirklich nicht.
Dass die Deutschen in der DDR mit solchen Sprüchen nicht langfristig "bei der Stange" gehalten
werden können, haben sie 11 Jahre später gezeigt. Auch da hätte Dean gesungen und
alle Deutschen hätten ihn dann bei der großen Kundgebung auf dem Alex im Fernsehen singen
und reden sehen und hören können.
Die Schüler und Schülerinnen in der DDR haben in ihren Klassen keine Unterschriften zur
Unterstützung des Kampfes der Farmer in Minnesota gesammelt, sondern "nur" für Deans
Freilassung. Kein Bauer oder Landarbeiter der DDR hat sich mit den kämpfenden Farmern solidarisiert
oder ist für die Freilassung der politischen Gefangenen eingetreten. Mit dieser revisionistischen
Handlungsweise ist die DDR-Presse Dean in den Rücken gefallen. Mit dieser Oberflächlichkeit
haben sie alles lächerlich gemacht. Dean und seine Genossen im und vorm Gefängnis haben
eine klare Strategie gehabt. Es ging nicht um den Ruhm einzelner, sondern darum, einer breiten
Öffentlichkeit aufzuzeigen, dass der Kampf der Farmer berechtigt ist und dass es alle Menschen
angeht. Das kann man in Deans Biografie zwischen den Zeilen gut lesen.
Der Entschluss, in den Hungerstreik zu treten, wenn dadurch nicht der Arbeitsplatz gefährdet
ist, wurde bewusst und verantwortungsvoll gefasst, um den Kampf der Farmer voranzutreiben und dabei
keinen Einzelnen zu gefährden. Es wäre ein Leichtes für die Genossen "vor dem
Gefängnis" gewesen, die 30.000 Dollar für die Kautionen zu sammeln.
Norbert Diener
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