Die Welt 13.02.2007

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Popkultur

Dean Reed war wie Elvis, nur rot

Der amerikanische Protestsänger ertrank 1986 in der DDR. Er wollte dort gutes tun. Jetzt wird Dean Reed mit allen Mitteln wieder belebt. Der Genosse Rockstar taucht in Büchern, CD-Alben und einem Film auf.

Von Michael Pilz

Im Sommer 1975 unternahm die Klasse einen Ausflug zum südöstlichen Berliner Rand. Dort gab es Eis und zufällig auch einen Prominenten zu bestaunen. 30 neunjährige Kinder schrieen: "Dean! Ein Autogramm!" Dean Reed, erläuterte die Lehrerin, lebe als Rockstar in der DDR, weil er die herrschende Unterdrückung in den USA, in seiner Heimat, nicht ertrage. Strahlend rief Dean Reed: "Lasst uns was singen, Kinder!" Während er die winzigen Rucksäcke mit seinem Namenszug verzierte, trug der Wind das Lied der Friedenstaube über jenen See, aus dem man seine Leiche 1986 bergen sollte.

Nochmals 20 Jahre später setzte ein gewaltige Erinnern ein; die Früchte können nun betrachtet, angehört oder gelesen werden: Auf der Berlinale wird ein Filmporträt gezeigt, "Der Rote Elvis" von Leopold Grün. Seit kurzem liegt die gleichnamige, ähnlich ausgewogene Biographie von Stefan Ernsting vor. Und den Obskuritätensammlern von Bear Family gelang es, Dean Reeds frühe Hits zu finden und sie erstmals zu veröffentlichen unter dem schon nicht mehr ganz so originellen Titel "The Red Elvis".

Aber darauf gründete ja auch der Rummel um Dean Reed im Osten. Seine Songs wurden zu Superhits erklärt und er zum Weltstar, der es vorzog, in der DDR zu wohnen und in Moskau Platten aufzunehmen. Je bedeutsamer ein singender Schauspieler, der sich zur sozialistischen Idee bekannte, umso überwältigender die Idee und desto größer auch die schönste DDR der Welt.

Dass Reed dann freiwillig aus der Idylle schied, war seinen Gastgebern entsprechend peinlich. So sehr, dass sie in der "Aktuellen Kamera" den Tod als "tragischen Unglücksfall" vermelden ließen. Das Gehüstel führte dazu, dass Gerüchte zu Verschwörungstheorien reiften und Dean Reeds Geschichte noch um einiges interessanter wurde und nie enden wird. Zumal auch der Bedarf an "guten Amerikanern" heute größer scheint als gestern. Schon um jenes Land, das uns die Popkultur geliefert hat, wieder zu lieben.

Reed, ein Bild von einem Amerikaner, wuchs in Wheat Ridge auf, nicht weit von Laramie. Ein Pferd und erstes eigenes Geld verdiente er sich durch Gesänge in den Kneipen Denvers, spielte Cowboy für Touristen und besiegte Maultiere im Marathon. Mit 20, 1959, zog es Reed nach Hollywood. Das Studio Warner schickte Reed auf ihre School Of Stars. Bald spielte er in Seifenopern, weigerte sich allerdings in ersten Anfällen von Renegatentum, bewaffnet aufzutreten.

"Our Summer Romance" hieß Reeds erster nennenswerter, elvishafter Song. Das Popgeschäft suchte nach frischen Presleys. Reed sprach später stolz über den zweiten Platz des Liedes in den US-Hitparaden. Die Platzierung lässt sich heute nur noch für einen Lokalsender belegen. Der Amerika-Erfolg war eine notwendige Propagandalüge. Oder wie es Egon Krenz, der Ziehsohn Honeckers ausdrückt: "Ich glaubte schon, man kann sagen, er war ein Hollywood-Star."

Stattdessen zeigte sich Lateinamerika begeistert von Dean Reed. In Chile wurde er hysterischer als jeder andere Star begrüßt. Hier sang er für die Reichen in den Nachtclubs und die Armen in den Stadien, lernte so die Klassenproblematik kennen und die Vorgeschichte seines Kontinents. Als er sich 1962 zur WM im Fußball mit Lew Jaschin, dem Sowjettorwart, verbrüderte, wurde Reed erstmals aktenkundig beim Geheimdienst CIA. Dean Reed kam zwar zu spät zum Rock'n'Roll aber zur rechten Zeit als Revoluzzer an.

Dass er ausgerechnet in den linksbewegten Sechzigern ging, trug ihm den Ruf des Feiglings ein, der er nie war. Sondern ein Selbstdarsteller, der sich nach Erfolge verzehrte. Diesen fand er als authentischer Wildwestheld in Telenovelas und Italowestern. Oder als Gesandter Argentiniens zum Weltfriedenskongress in Helsinki.

Dort schlichtete er einen Podiumsstreit zwischen der Kosmonautin Tereschkowa, dem Dichter Neruda und dem Pfarrer Niemöller auf seine Weise: Er erhob sich, stimmte "We Shall Overcome" an, der Kongress fiel glücklich ein. Anschließend begab er sich auf Tournee in die Sowjetunion. Die Argentinier schickten ihn danach als Russenfreund zurück in seine Heimat, wo sein Haus beschossen wurde.

Verhaften und verprügeln ließ Dean Reed sich regelmäßig. 1970 wusch er vor dem Konsulat in Chile seine Flagge rein vom Schmutz des Imperialismus. Später pflanzte er dasselbe Sternenbanner hinter seinem Haus in Rauchfangswerder auf. Zeitlebens blieb er Patriot, berief sich ausdrücklich auf 1776 und die revolutionären Wurzeln seiner Heimat und trugt Jeans und Hüte durch die DDR.

Der DDR war das durchaus willkommen. 1971 traf Dean Reed beim Leipziger Filmfest seine zweite Frau und blieb. Es war ein beiderseitiges Missverständnis: Während ihn die DDR für einen Weltstar hielt, hielt er die DDR für eine Keimzelle der Weltrevolution. Am Ende lag er tot im Zeuthener See.

Das sogenannte Volk hat Reed niemals so ernst genommen wie er es sich wünschte. Treu blieben ihm nur die jüngsten Pioniere und Senioren, die bereit waren, in seinen Schnulzen Botschaften der weiten Welt zu hören. Auch beim Sänger selbst ließ die Bereitschaft nach, die Wahlheimat zu lieben. Es fing an mit Sprüchen wie: "Jetzt weiß ich auch, warum es in der DDR keine Arbeitslosigkeit gibt - ich habe noch nie ein so großes Orchester gesehen." Und: "Die DDR ist ein faschistischer Staat", was sich ein Polizist, der Reed als Raser stoppte, anzuhören hatte.

Von den Mächtigen benutzt, verspottet von Machtlosen trat Reed in Filmen auf, in der er seine öffentliche Rolle idealisierte. Ob in "Blutsbrüder", wo er einen Unionssoldaten spielte, der zu den Indianern, zu den Roten, überläuft. Oder als Volkssänger und Märtyrer, als Victor Jara in "El Cantor". Selbst wenn Reed die Stasi informierte, nannte er sich "Victor".

Umso exzessiver reiste er. Es existieren Bilder aus dem Libanon, mit Arafat, Gitarre und Klaschnikow. Reed erschien 1978 plötzlich zwischen Farmern, die in Minnesota gegen Leitungsmasten demonstrierten. Im Gefängnis trat er in den Hungerstreik, setzte die Welt davon in Kenntnis, bat um Solidaritätskundgebungen und scheuchte damit sogar Jimmy Carter auf.

Aber das war nicht nur Amerika zuviel, sondern auch vielen Insassen der DDR: Da stilisierte sich ein Sänger zum politischen Gefangenen, während man in der DDR sehr schnell vom Sänger zum politischen Gefangenen werden konnte. Selbst den Funktionären wurde Dean Reed lästig. "Sing, Cowboy, sing", eine Komödie, fiel auf einmalige Weise von ganz oben bis nach unten durch.

Dean Reed sprach 1986 häufiger von seiner Rückkehr nach Amerika. Als er Ronald Reagan allerdings mit Stalin gleichsetzte, brachte der Briefträger die Bannflüche und Morddrohungen bis nach Rauchfangswerder. Dort verschwand Reed schließlich tagelang und tauchte als Legende wieder auf.

Seither wird manches ventiliert über ein Heldenleben, das von Stasi, Mossad, KGB und CIA beendet worden sei. Im Abschiedsbrief, den Erich Honecker im Panzerschrank verschwinden ließ, teilt Reed der Nachwelt mit: "Ich wäre viel lieber auch in Libanon oder Chile gestorben." Auch.

In Hollywood versucht Tom Hanks sich schon seit Jahren an seinem Debüt als Regisseur. Der Film soll "Comrade Rockstar" heißen, um Dean Reed, den guten Amerikaner, nun auch dort heimzuholen.

1982 stiefelten vier 17-jährige am Rand Berlins entlang. An einer Tankstelle entstieg Dean Reed seinem verdreckten Lada und winkte den Langhaarigen zu, von denen zwei Gitarrenkoffer trugen. Johlendes Gelächter. Einer rief: "Sing, Cowboy, sing!"

Dean Reed - The Red Elvis (Bear Family Records)

Stefan Ernsting: Der Rote Elvis - Dean Reed oder Das kuriose Leben eines US-Rockstars in der DDR (Aufbau, 314 S., 7,95 Euro)

Leopold Grüns Film "Der Rote Elvis" läuft vom 13. bis 15.2. auf der Berlinale


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Letzte Änderung: 2011-09-02