Spiegel online "einestages" 11.02.2008

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US-Rocker Dean Reed

Der Elvis des Ostblocks

Als blonder Sonnyboy stürmte er die US-Charts - dann wandelte er sich zum Rock'n'Roll-Bolschewisten und zog in die DDR. Dean Reed war im Osten ein Weltstar, im Westen kennt ihn niemand. In den kommenden Wochen entscheidet sich, ob Hollywood-Star Tom Hanks Reeds Leben verfilmt.

Es war ein Ende, wie es sich für eine echte Poplegende gehört. Mit Drogen vollgepumpt trieb der Sänger Gesicht nach unten im Wasser, als die Polizei ihn am 17. Juni 1986 fand. Er hatte Stadien gefüllt, Filmerfolge gefeiert, eigene Fernsehshows gehabt. Firmen hatten sich mit seinem Namen geschmückt, Politiker seine Nähe gesucht und schöne Frauen. Jetzt war er tot.

Doch mit Elvis oder Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Jim Morrison, mit Keith Moon, Kurt Cobain oder all den anderen früh Verblichenen aus dem Pantheon des Pop wird sein Name nie in einem Atmzug genannt. Er war ein Weltstar, sicherlich - aber leider im falschen Teil der Welt: Anstatt zugekokst in einem Swimmingpool in Beverly Hills zu enden, starb er an einer Überdosis Schlaftabletten im Zeuthener See bei Ost-Berlin: Dean Reed aus Denver/Colorado, USA - der Elvis des Ostblocks.

Hinter dem Eisernen Vorhang war er in den sechziger und siebziger Jahren eine lebende Legende. "Von der Berliner Mauer bis nach Sibirien ist Dean Reed im Kommunismus die Spitze des Pop", vermeldete der perplexe Reporter des Magazins "People" 1976 seinen wohl nicht minder erstaunten Lesern. "Nach Präsident Ford und Außenminister Kissinger ist er bei den Russen der bekannteste Amerikaner." Und noch zwei Jahre vor seinem Tod ernannte die "New York Times" Reed durchaus mit einem Schuss Ehrfurcht zum "Johnny Cash des Kommunismus".

Nummer eins vor Elvis Presley und Paul Anka

Alles begann 1959, dem Jahr in dem Buddy Holly und Ritchie Valens starben und Elvis seinen Militärdienst in Deutschland ableistete. Die Rundfunkstationen zwischen Boston und Santa Barbara dudelten in jenem Jahr einen Song mit dem Titel "Our Summer Romance" rauf und runter, bis er auf Platz 2 der Charts gestiegen war. Gesungen wurde der süßliche Sommerhit von einem 21-jährigen abgebrochenen Meteorlogiestudenten namens Dean Reed aus Wheat Ridge, einem Vorort von Denver am Fuße der Rocky Mountains.

Es war ein denkbar vielversprechender Start in eine womöglich große Popzukunft für den Sohn eines erzkonservativen High-School-Lehrers, der 1938 auf einer Hühnerfarm im Mittleren Westen zur Welt gekommen war. Vater Reed hielt Popmusik für eine "internationale kommunistische Verschwörung", Sohn Dean erkor sie zum Beruf - und spielte er seine Schnulzen bald nicht mehr nur vor heimischem Publikum, sondern auch in Südamerika. Dort wählten die Fans den blonden Sonnyboy 1960 zum beliebtesten Popstar des Kontinents - vor Elvis Presley, Paul Anka und Ray Charles. Ab 1965 hatte er seine eigene "Dean-Reed-Show" im argentinischen Fernsehen, jeden Samstag um 21 Uhr.

Damit allerdings war es wieder vorbei, als 1966 rechte Militärs am Rio de la Plata putschten und den blonden Gringo mit dem erstaunlichen Schlag bei den Frauen umgehend aus dem Land warfen: Der Superstar hatte amerikanische Nukleartests und den Krieg in Vietnam kritisiert. 1965 war er sogar als Mitglied der argentinischen Delegation zum sowjetisch gesteuerten "Weltfriedenskongress" nach Helsinki gefahren. Wiederholt wurde Reed verhaftet und bedroht.

Verkehrsstau in Moskau wegen eines US-Countrysängers

In Moskau erkannte man derweil das propagandistische Potenzial des Rock'n'Roll-Bolschewisten. Ein gut aussehender Cowboy mit Schmeichelstimme, dabei ideologisch gefestigt und im antiimperialistischen Kampf bewährt - davon gab es nicht allzu viele. Also wurde Reed auf Tournee durch das Sowjetreich eingeladen, als zweiter US-Künstler überhaupt nach dem Folkbarden Pete Seeger. Er gab 39 Konzerte in acht Städten; Zehntausende füllten ganze Sportarenen, um dem Cowboy aus dem Herzland des Klassenfeindes zu lauschen. Als Reed in Moskau zu Fuß den Majakowskiring entlanglief, kam es zum Verkehrsstau.

Reeds nächster Karriereschritt folgte eher kapitalistischer Verwertungslogik: Er ließ sich in Italien nieder und versuchte sich als Filmschauspieler. In Roms Cinecittà drehte er B-Movies und Italo-Western - in einem davon, der spanisch-italienischen Westernkomödie "Adios, Sabata", war immerhin Hollywoodstar Yul Brynner ("Die Zehn Gebote") sein Gegenspieler - bis heute läuft der Streifen immer mal wieder zu später Stunde im TV. Die italienischen Behörden goutierten die politische Haltung des Gastarbeiters aus den Vereinigten Staaten allerdings ebenso wenig wie zuvor die Argentinier. Nachdem Reed vor der US-Botschaft in Rom gegen den Vietnamkrieg demonstriert hatte, kassierten sie 1969 kurzerhand seine Arbeitserlaubnis.

Also ging der erst einmal zurück nach Südamerika, um in Chile Wahlkampf für seinen Freund Salvador Allende zu machen. Wenige Tage vor der Präsidentenwahl Anfang September 1970 inszenierte Reed einen pathetisch-patriotischen Protest: Vor der US-Botschaft in Santiago de Chile wusch Reed öffentlich die amerikanische Fahne, die Vietnamkriegsgegner allerorten lieber verbrannten. "Diese Flagge ist beschmutzt mit dem Blut und den Tränen Tausender vietnamesischer Frauen und Kinder", erklärte Reed dazu, "ich wasche symbolisch diese Flagge meines Landes, der Vereinigten Staaten von Amerika."

"You are the best looking man of the world"

Dann kam ein regnerischer Novembertag in Leipzig 1971. Der Stargast aus Amerika, gerade von einer Tour durch neun Sowjetrepubliken zurückgekehrt, hatte seinen neuen Chile-Film auf der Internationalen Dokumentar- und Kurzfilmwochen präsentiert, als ihm beim Abschlussempfang eine grünäugige Ostdeutsche zuprostete. "You are the best looking man of the world", sagt sie zu ihm. Wiebke, eine Lehrerin, trennt sich von ihrem Mann; Reed verlässt seine erste Frau Patricia - und zieht 1972 in die DDR.

Ein kommunistischer Countrysänger aus USA passt Honecker perfekt ins Konzept - mit dem politisch korrekten "Mann aus Colorado" (so der Titel seiner ab 1977 ausgestrahlten DDR-Fernsehshow) als Projektionsfläche können die DDR-Bürger ruhig ein wenig für das ansonsten verpönte Amerika schwärmen, ohne auf falsche Gedanken zu kommen. Reed selbst bedient das Klischee des "guten" Cowboys mit Gusto. In dem DEFA-Streifen "Blutsbrüder", für das er selbst das Drehbuch schreibt, gibt er 1975 an der Seite von DDR-Rothaut Gojko Mitic einen geläuterten US-Kavalleristen, der nach einem Massaker an Indianern erst die US-Standarte zerbricht und sich dann den Cheyenne anschließt: Der Film ist sein endgültiger Durchbruch in der DDR.

Auch die Stasi schätzt den "klaren politischen Standpunkt" des Genossen Rockstar, den sie ab 1976 unter dem Decknamen "Victor" führt. Dass Reed sich 1978 bei Honecker über Zudringlichkeiten des MfS beschwert und die Liaison ein Ende hat, sieht man ihm nach - zu wertvoll ist der Blondschopf im Propagandakampf. Und das nicht nur als Gast bei "Ein Kessel Buntes". 1978 machte Reed weltweit Schlagzeilen, als er nach einem Solidaritätsauftritt für Farmer in der US-Provinz festgenommen wird. Per Hungerstreik bringt er die Berichterstattung in Gang, Prominente wie Joan Baez und Pete Seeger appellieren an US-Präsident Jimmy Carter, einzugreifen und als Reed nach elf Tagen freikommt, ist er für Millionen Fans im ganzen Ostblock nicht mehr nur einfach ein Star, sondern ein Held.

Seltsamer Anachronismus

Die goldenen Jahre allerdings sind langsam vorbei. Von den Sowjets bekommt Reed noch den Lenin-Preis für Kunst und Literatur, als erster Ausländer. In der DDR erscheint eine offizielle Biografie, und im vorpommerschen Pasewalk wird ein Bäckereikombinat nach ihm benannt. Aber als in den frühen Achtzigern Ostdeutsche begannen, zu Zehntausenden Ausreisenanträge stellen, wird der US-Bürger mit Wohnsitz Ost-Berlin zu einem seltsamen Anachronismus. Die Ehe mit Wiebke scheitert, seine Western-Klamotte "Sing, Cowboy, sing" floppt. Die Verkaufszahlen seiner Platten stürzen Mitte der Achtziger ab, und ein Filmprojekt, in das er viel Hoffnung gesteckt hatte, platzt.

Im April 1986 hat Reed seinen letzten großen Auftritt. In der CBS-Sendung "60 Minutes" darf er im US-Fernsehen noch einmal die Berliner Mauer verteidigen und Ronald Reagan Staatsterrorismus vorwerfen. Sechs Wochen später liegt der Star tot im knietiefen Zeuthener See, unweit seiner Villa auf dem Rauchfangwerder, mit aufgeschnittenen Pulsadern und einer Überdosis Schlaftabletten, Marke "Radedorm". Erich Honecker selbst ordnet nach Lektüre des Abschiedsbriefs an, den Selbstmord zu vertuschen; die 15 Blatt, in zittrigen Großbuchstaben verfasst, tauchen erst nach der Wende wieder auf. Als Todesursache vermelden die DDR-Abendnachrichten einen "tragischen Unglücksfall".

Dreieinhalb Jahre nach Reeds nassem Ende fällt die Mauer; die DDR scheidet dahin und mit ihr der gesamte Ostblock. Die Welt, in der der "rote Elvis" ein Weltstar war, gibt es nicht mehr. Doch obwohl - oder vielleicht weil - ihn im siegreichen Westen niemand wirklich kannte, zieht der "Mann aus Colorado" auch mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tod Interesse auf sich. Im Web pflegt eine aktive Fangemeinde sein Andenken, Dutzende von Büchern und Dokumentarfilmen haben sich seit 1990 des Falls angenommen. Der Ritterschlag steht nun womöglich unmittelbar bevor. Hollywoodstar Tom Hanks hat sich schon vor Jahren die Filmrechte an der Lebensgeschichte seines Landsmannes gesichert; 2003 traf er sich in Berlin mit alten Weggefährten wie Egon Krenz und Wiebke Reed. Vergangenes Jahr hat Hanks die Option noch einmal verlängert, bis zum Frühsommer 2008 muss er sich entscheiden. Mehrfach schon waberten Gerüchte durch potenzielle Drehorte in Ostdeutschland, der Beginn der Aufnahmen stünde unmittelbar bevor.

Ein Hollywood-Film über Dean Reed - es wäre so etwas wie die Heimholung eines verlorenen Sohnes. Und Reed wäre endlich, was er im Kalten krieg nie sein konnte: ein richtiger Weltstar.

Hans Michael Kloth

Kommentare

Unter dem Titel "Der Rote Elvis" gibt es übrigens bereits einen Film über Dean Reed.

Sarah Ines Struck, einestages.spiegel.de, 11. Feb. 2008

Dieser die Ereignisse stark verkürzende Artikel vernachlässigt völlig Renate Blume, es ist albern ignorant im Zusammenhang mit D.R. Tod nur Wiebke R. zu nennen und Renate Blume überhaupt nicht zu nennen.

Stefan Grünwald, einestages.spiegel.de, 12. Feb. 2008

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Letzte Änderung: 2007-03-19