Rock'n'Roll-Musikmagazin #170, 6/2006 (Dezember 2006/Januar 2007) |
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American Rebel - Die Dean Reed StoryDas Titelbild dieser Ausgabe wird im geeinten Deutschland zwei völlig gegensätzliche Reaktionen hervorgerufen haben. In Westdeutschland ist die typische Reaktion: "Dean Reed? Nie gehört". Auch unter Rock'n'Roll-Fans nur Schulterzucken. In den neuen Bundesländern hingegen kennt ihn jeder, der die DDR noch bewusst miterlebt hat. Von 1972 bis zu seinem Tod 1986 lebte Reed in der DDR, zwölf Singles und sieben Langspielplatten veröffentlichte er hier. Aber auch in der damaligen Sowjetunion (zehn Singles, sechs LPs) und in der Tschechoslowakei (sieben Singles, fünf LPs) war Dean Reed aktiv. Von Schlagern über Country und Rock'n'Roll bis zu politischen Songs reichte sein Repertoire. Szenenwechsel: Santiago de Chile, Oktober 2006, vor einem CD-Geschäft in der Fußgängerzone wird die übliche Musikberieselung durch hoch angebrachte Lautsprecher plötzlich durch eine bekannte Melodie übertönt. Ich stutze, denn das Stück kommt mir bekannt vor. Ist das nicht Dean Reed? Ich gehe in das Geschäft und tatsächlich, die CD "La Era de Oro del Rock and Roll" läuft gerade. Sie enthält vier Titel von Bill Haley, vier von Dean Reed und einzelne von Paul Anka, Frankie Avalon und anderen. Doch an diesem Vormittag interessieren mich die CDs weniger. In der Straße "San Diego", die von der Innenstadt wegführt, reiht sich ein Secondhandladen an den anderen. Allerdings gibt es fast nur Bücher. Doch ich habe Glück, in einem Geschäft gibt es einen versteckten Lagerraum, in dem mir ein alter Chilene vier Singles und eine argentinische LP mit Dean Reed heraussucht. Schließlich finde ich auch noch einen reinen Schallplattenladen. "Dean Reed?" Der Händler greift unter seinen Ladentisch und sucht aus einem Stapel mit Beatles- und Elvis-Singles zwei Dean Reed-Singles. "Sehr teuer" sagte er und ich muss rund 10.- Euro für eine Platte hinlegen. In Chile war Dean Reed Anfang der Sechziger ein Star - und er ist dort auch heute noch bekannt. Er war Gast bei der Amtseinführung des Präsidenten Salvador Allende, er engagierte sich politisch und wurde später in Chile, Argentinien und in den USA verhaftet um anschließend abgeschoben zu werden. Wer war dieser Mann, der sich mit Yassir Arafat und vielen anderen Politprominenten ablichten ließ, der mit Nadja Tiller und Yul Brynner ebenso Filme drehte wie mit Manfred Krug oder dem DDR-Winnetou Goyko Mitic? "Rock'n'Roll Radical", "Der rote Elvis", "Comrade Rockstar" oder "The Singing Marxist" sind nur einige Titel, die ihm posthum verliehen worden sind. Über Dean Reed sind inzwischen mehrere Bücher geschrieben worden, im Fernsehen wurden Dokumentationen gezeigt und im kommenden Frühjahr soll ein Film über ihn in die Kinos kommen. Wir wollen hier nur seine frühen Jahre beleuchten, seine ersten Erfolge in den USA und in Südamerika. Dean Cyril Reed wurde am 22. September 1938 im US-Bundesstaat Colorado geboren. In einigen Quellen wird als Geburtsort Longmont genannt, 37 Meilen nördlich von Denver. Andere Quellen nennen Wheat Ridge, einen nordwestlichen Vorort von Denver, der 1969 eingemeindet wurde, oder Lakewood, etwas südlicher von Wheat Ridge gelegen. Sein Vater Cyril Dale Reed war Mathematik- und Geschichtslehrer an der West High School in Denver, seine Mutter Ruth Anna Hanson Brown war ausgebildete Balletttänzerin, nach der Geburt des ersten Sohnes Dale Robert im Jahre 1935 war sie Hausfrau. Vater Cyril hatte bei einem Unfall ein Bein verloren und brauchte deshalb nicht zur Armee. 1942 gab er seinen Lehrerberuf auf und versuchte sich als Hühnerfarmer. Schließlich ging die Familie nach Kalifornien, weiter nach Salt Lake City, nach Arizona und dann in die Gegend von Los Angeles, wo Deans Vater einen Handel für Rasenmäher aufmachte. Aber so richtig brachte das alles nichts. Als Dean zehn Jahre alt war, zog die Familie nach Denver zurück. Vater Cyril hatte von öffentlichen Schulen die Nase voll und so nahm er auch seine beiden Söhne Dale und Dean von der Schule und schickte sie auf die private Kadettenschule "Colorado Military Academy" im Denver Vorort Littleton. Dean hasste die Schule, das einzig Positive war für ihn der wöchentliche Reitunterricht. Er liebte Pferde und nach einem Jahr konnte er sich mit Blondy sein eigenes Pferd kaufen. Die 150 Dollar hatte er durch Rasenmähen, Verkaufen von Weihnachtsbäumen und anderes verdient. Zur gleichen Zeit wechselte er zur Wheat Ridge Senior High School und entwickelte dort einige Talente im Sport als Läufer und an den Ringen. Zu seinem 12. Geburtstag bekam er vom Vater seine erste Gitarre geschenkt. Schnell lernte er die Songs von Roy Rodgers und Gene Autry und anderen Countrygrößen. 1954 schrieb er mit "Don't Let Her Go" seinen ersten Song, den er seiner ersten großen Liebe Linda Meyers widmete. 1956, nach Beendigung der Schule, gingen Dean und Bruder Dale an die University of Colorado in Boulder um Geschichte zu studieren. Vater Cyril besaß in Wheat Ridge inzwischen drei Appartementhäuser und so konnten die beiden Brüder in eine Wohnung ziehen, ohne Miete zahlen zu müssen. Dale kaufte ein 1948er Dodge Cabrio, so dass sie den Weg nach Boulder problemlos meistern konnten. Der gutaussehende Dean entwickelte sich früh zum "Womanizer" und brachte einmal sogar die amtierende Miss Colorado Marilyn Vandenberg mit nach Hause. Am 6. August 1956 wurde Dean Reed erstmals in "Newsweek" erwähnt. Er hatte aufgrund einer Wette ein Rennen gegen ein Maultier gewonnen. Dabei stellte er einen neuen Rekord auf, er lief 178 Kilometer in zweiundzwanzig Stunden. Inzwischen hatte er sich für ein Studium von Meteorologie und Geographie entschieden. Nebenbei verdiente er sich Geld mit verschiedenen Auftritten als Sänger von Countrysongs. So trat er im Vorprogramm des Tenors Lauritz Melchior im "Antilope Hunt" in Lander, Wyoming, auf. Seine Auftritte häuften sich und er wurde auch hin und wieder in der "Denver Post" erwähnt. Auch im Boulder Country Club gab er regelmäßig sein Bestes und spendete einen Teil seiner Gage für die amerikanische Krebs-Gesellschaft. Anfang 1957 hatte er schon eine gewisse Popularität in Denver und Umgebung. Im April begann er die regelmäßige Countrysendung "UMC Music Lounge" in Denver. Er war DJ und Künstler zugleich, denn er sang auch live im Studio. Im Sommer arbeitete er tagsüber in Estes Park, nordwestlich von Boulder auf einer Ranch, abends sang und spielte er in einer Studentenkneipe und verdiente sich sein Geld. Mehr und mehr merkte er durch den Zuspruch des Publikums, dass in der Musik seine Zukunft liegen könnte. Inzwischen waren Elvis Presley und all die anderen Rock'n'Roller populär und selbstverständlich hatte diese Musik ihren Einfluss auf die Musik und die Songauswahl von Dean. Bruder Dale beendete sein Studium und verließ Colorado und hinterließ Dean den Dodge. Seine Eltern zog es nach Phoenix, Arizona und im August 1958 brach auch Dean Reed sein Studium ab - er hatte anderes im Sinn. Bei einem Abstecher in Richtung Kalifornien, so will es die Legende, nahm er einen Anhalter mit. Dieser entpuppte sich als ein Mann namens Roy Eberhard (eigentlich Leroy Eberharder), der von seinem Leben als erfolgloser Musiker berichtete. Dean sang ihm auf dieser Fahrt seinen eigenen Song "Don't Let Her Go" vor und Eberhard war beeindruckt. Er schlug Reed vor, ihm ein Treffen mit einem Plattenproduzenten zu vermitteln, wenn dieser ihm ein Motelzimmer für eine Nacht bezahlen würde. Der Deal wurde abgemacht und erstaunlicherweise hielt Eberhard Wort. Am folgenden Montag sang Dean Reed bei Capitol Records vor, einen Tag später machte er Probeaufnahmen, kurz danach musste er auch noch vor Voyle Gilmore singen, damals ein hohes Tier bei Capitol. Dean war absolut überzeugend, denn noch am selben Tag unterschrieb er einen Siebenjahresvertrag. Roy Eberhard verpflichtete er als Manager - soweit die Legende. Ob es sich wirklich so zugetragen hat bleibt im Dunkeln. Voyle Gilmore produzierte dann die erste Single, andere Quellen nennen auch Fred Grimes als Produzenten: "The Search"/"Annabelle" (aufgenommen am 28. November 1958 mit Joe Maphis an der Leadgitarre). Die A-Seite war ein eher langsamer Song, musikalisch in der Nähe von Jody Reynolds' "Endless Sleep", "Annabelle" war etwas rockiger mit einem schönen Gitarrensolo, am ehesten vergleichbar mit Ricky Nelson-Songs jener Zeit. "The Search" kam am 2. März 1959 auf Platz 96 der Billboard Charts. Schon eine Woche später war der Song wieder aus der Hitparade. Doch Capitol legte nach: "I Kissed A Queen"/"A Pair Of Sissors" waren schöner Highschool-Pop, aber ebenfalls erfolglos. Dennoch erschien diese Single auch in England (aufgenommen am 2. April 1959 mit u.a. Johnny Bond, Joe Maphis und Skeets Mc Donald). Noch im selben Jahr kam "Our Summer Romance"/"I Aint Got You" auf Capitol 4273 heraus (aufgenommen am 6. August 1959). "Our Summer Romance" passte perfekt in die Fabian-Frankie Avalon-Paul Anka-Welle, war aber eben deswegen möglicherweise nicht originell genug. Immerhin listete der Sender KIMN aus Denver den Song am 4. Oktober 1959 auf Platz zwei der lokalen Charts. Hier hatte Dean Reed ein Heimspiel. "I Aint Got You" war etwas flotter und konnte wieder mit seiner schönen Gitarre glänzen. Im Jahr 1959 soll Dean Reed auch in Dick Clark's "American Bandstand" aufgetreten sein. Dean lebte inzwischen mit Eberhard und dessen Familie in Canoga Park/Los Angeles und geriet wie viele andere auch in die Hände von Leuten, die nur Profit vor Augen hatten. Eberhard erhielt ein Viertel aller Einnahmen, zehn Prozent gingen an seinen Agenten und je fünf Prozent musste er an den Business-Manager und PR-Mann abtreten. Die Steuer kassierte außerdem 30 Prozent. So ganz viel blieb da nicht. Seinen Managervertrag verkaufte Eberhard an eine Organisation in Hollywood, später wurde er an Autohändler in Kansas weiterverkauft. Man schrieb Dean Reed vor was er anziehen solle, mit wem er sich umgeben solle und welche Songs er singen solle. Immerhin bekam Reed noch 1959 einen Filmvertrag bei Warner Brothers. Zusammen mit Phil Everly und Jean Seberg drückte er für drei Jahre die "School Of Stars". Aus dieser Zeit resultiert Deans Freundschaft zu Phil Everly, der ihn viele Jahre später einige Male in der DDR besuchte und dort auch gemeinsame Auftritte mit Dean hatte. Am 4. Februar 1960 folgte ein Auftritt von Reed in der "Bachelor Father Show" bei dem er den Song "Twirly Twirly" zum Besten gab und auch eine kleine Rolle spielte. Mit "Don't Let Her Go"/"No Wonder", Überbleibsel der ersten Sessions, und "Hummingbird"/"Pistolero" (aufgenommen am 6. Mai 1960 mit den Musikern des Orchesters Lincoln Mayorga) brachte Capitol zwei weitere Singles heraus, die ebenfalls erfolglos blieben. In der Zwischenzeit hatte sich "Our Summer Romance" in Südamerika, vor allem in Chile, zu einem richtigen Hit entwickelt. Während Dean Reed immer noch Warner Brothers' Schauspielschule besuchte, avancierte er im Süden des Kontinents zum Star. Als man ihm eine Südamerikatournee durch Chile, Argentinien, Peru und Brasilien anbot, sagte er zu. Am 9. März 1961 flog er von New York ab. Bei seiner Ankunft in Santiago de Chile wurde er schon beim Zoll besonders zuvorkommend behandelt. Sein Kommen hatte sich unter den Teenagern herumgesprochen und zu Hunderten erwarteten sie ihn vor dem Flugplatz. Mit Polizeieskorte wurde er zu seinem Hotel gefahren. "Our Summer Romance" blieb den Rest des Jahres in der Hitparade. Im Dezember 1961 wählten ihn Chiles Teenager bei der Umfrage einer Jugendzeitung mit 29.330 Stimmen auf Platz eins der Beliebtheitsskala noch vor Elvis Presley, der mit 20.805 Stimmen auf dem zweiten Platz landete, gefolgt von Paul Anka, Ray Charles und Neil Sedaka. Am 7. Juli 1961 ging Dean Reed ein letztes Mal ins Capitol-Studio in Hollywood. Unter der Leitung von Lincoln Mayorga, der auch die Arrangements schrieb, wurden zwei Fassungen von "La Novia" aufgenommen, einmal in englischer, einmal in spanischer Sprache. Außerdem die beiden Titel "Donna Donna" und "Female Hercules". Zu den Musikern zählten Plas Johnson, Ray Pohlmann und Earl Palmer. Alle Singles, die von Dean Reed in den USA veröffentlicht worden waren (sechs für Capitol, eine für Imperial) erschienen auch in Chile. Auf dem Label wird der Titel immer ins Spanische übersetzt, es handelt sich aber um die englischsprachigen Titel. In Chile erschien die erste Langspielplatte von Dean Reed, ehe 1965 auch in England mit "La Bamba" eine LP veröffentlicht wird, die im Begleittext auch auf Reeds Erfolge in Südamerika eingeht. In Chile beginnt auch der Politisierungsprozess des Dean Reed. Im Jahre 1980 wendet er sich mit der in der CSSR aufgenommenen LP "Dean Reed singt Rock'n'Roll, Country & Romantic" wieder kurzfristig seinen Rock'n'Roll-Wurzeln zu. In der folgenden Discographie sind nur die Schallplatten bis 1965 aus den USA, Chile und England aufgeführt. Auf den meisten der chilenischen Dean Reed Singles wird das Orchester von Lincoln Mayorga als Begleitung erwähnt, die zweite US-Single nennt Joe Maphis And His Orchestra. Wer mehr über Dean Reed und seine weitere ungewöhnliche und spannende Karriere und seinen tragischen Tod am 12./13.6.1986 erfahren möchte, dem sei die ausgezeichnete Biografie von Stefan Ernsting "Der rote Elvis" empfohlen (Kiepenheuer 2004, ISBN 3-378-01073-8). Dieses Buch war eine Quelle für diesen Artikel, ebenso das Buch "Rock'n'Roll Radical" von Chuck Laszewski (Beaver's Pond 2005, ISBN 1-59298-115-1). Angaben über die Aufnahmesessions habe ich im Booklet der im Januar erscheinenden Bear Family CD "The Red Elvis" - BCD 16829 gefunden. Die meisten Fotos wurden dem Buch "Dean Reed" von Hans Dieter Bräuer (Verlag Neues Leben, 1980) entnommen, als Quelle wird dort "Archiv Reed" genannt. Weitere Abbildungen stammen aus der chilenischen Zeitung "Ritmo De La Juventud". Sehr empfehlenswert ist die Website www.deanreed.de Heinz-Günther Hartig, www.rocknroll-magazin.de |
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www.DeanReed.de
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