Hatte Dean Reed bis 1962 ausschließlich Singles aufgenommen, 6 für Capitol und eine für
Imperial, so war es schließlich dem Plattenlabel "Philips" in Chile vorbehalten, Deans erste
vollständige LP zu veröffentlichen. Auf wessen Intention hin dies geschah, wird man wohl
heute kaum noch nachvollziehen können; ob er selbst darauf drängte, sein Publikum danach verlangte,
oder, am wahrscheinlichsten, die Plattenfirma darin die Möglichkeit auf entsprechenden Ab- bzw. Umsatz
sah. Denn seine amerikanischen Singles waren zwar nicht in seiner Heimat, dafür aber in Südamerika
sehr beliebt und erfolgreich, und so lag die Idee der ersten Platte nahe.
Wohl aufgrund dessen, dass er zum damaligen Zeitpunkt (1962) noch ein recht unbeschriebenes Blatt in Chile
war, und auch weil wohl kaum die Zeit vorhanden war, ihm eigene Songs auf den Leib zu schreiben, griff man
bei der Titelauswahl bis auf wenige Ausnahmen auf Altbewährtes zurück. So ist
"Love Is The Mightiest Force"
(=El Amor Es La Fuerza Poderosa) nicht nur Deans einzige Eigenkomposition,
sondern gleichzeitig der einzig zeitgemäße Song, ein schnelles Pop-Stück, das sofort ins
Ohr geht und nach "Our Summer Romance"
erneut belegt, dass Dean schon früh durchaus in der Lage war, gute, eingängige Lieder
selbst zu schreiben.
Ein weiteres Lied jüngeren Datums ist
"Her Royal Majesty" (=Su Majestad Real)
von Gerry Goffin und Carole King, das kurz zuvor erst für James Darren geschrieben wurde und dessen
Version 1962 immerhin ein Top-Ten-Hit in den US-Billboard-Charts wurde (höchste Platzierung: 6).
Deans Version steht dem Original in nichts nach, ganz im Gegenteil, er beschleunigt das Tempo etwas
und bringt damit so viel Schwung in den Song, dass man das Gefühl hat, es wäre sein eigener.
Neben diesen beiden sind vor allem auch die anderen schnellen Stücke hervorzuheben,
"Jericho",
"Riders In The Sky" (=Jinetes En El Cielo),
"Hava Nagilah" und
"The Lady Is A Tramp".
Denn hier kommt nicht nur Deans Energie jener Tage zum Tragen, sondern vor allem auch die Spielfreude
des fantastischen und mitreißenden Orchesters Saul San Martin, welches ihn auf der gesamten
Platte unterstützt.
Die hier aufgenommene Version von (Joshua Fights The Battle Of)
"Jericho"
ist übrigens nicht identisch mit der später für "Odeon" aufgenommenen und auf seiner
2. LP "Simpatia" (Argentinien, 1965)
veröffentlichten; letztere wurde mit dem Orchester Armando Patrono neu eingespielt.
Im Falle von "Riders In The Sky"
sollte es mit der Neuaufnahme etwas länger dauern, gut 20 Jahre nämlich. 1984, auf der in der
damaligen CSSR veröffentlichten LP "Country",
sollte diese unsterbliche Country-&-Western-Hymne erneut zu Ehren kommen. 1949 von Stan Jones
für den singenden Western-Star Gene Autry für dessen gleichnamigen Film (dt. "Gespensterreiter")
geschrieben, ist dieser Song wohl einer der meistgecoverten der Country-&-Western-Geschichte.
Von Frankie Laine, Marty Robbins, Johnny Cash bis hin zu Lorne Greene, besser bekannt als "Ben Cartwright",
hat ihn wohl jeder bessere Country-Sänger in sein Repertoire aufgenommen. Selbst in der gerade
aufkommenden Surf-Rock-Szene wurde der Song geehrt, indem Gruppen wie "The Chantay" oder
"Dick Dale & The Deltones" ihn neu aufnahmen.
Letztere nahmen neben "Riders In The Sky" übrigens auch eine Instrumental-Version von
"Hava Nagilah",
dem vielleicht bekanntesten jüdischen (Hochzeits-)Lied, auf, ebenso wie der von Dean sehr verehrte
Harry Belafonte.
Dean erhöht in seiner Version wiederum das Tempo gegenüber dem Original
und macht daraus ein absolutes Feuerwerk, vielleicht DAS Highlight der Platte.
"The Lady Is A Tramp"
wurde von seinen Autoren Richard Rogers und Lorenz Hart bereits 1937 für das Musical
"Babes In Armes" geschrieben und damals, in seiner Urform, von Mitzi Green gesungen. So richtig
berühmt wurde das Lied allerdings erst 1957 durch Frank Sinatra, der es in seinem Film "Pal Joey"
etwas verändert zum Besten gab. Auch Dean (bzw. ein Beteiligter) hat noch am Text gebastelt,
er fügt seiner Version noch 2, 3 zusätzliche Strophen hinzu, wobei vor allem die Textzeile
"..for Elvis Presley she whistles and stamps, thats why the lady is a tramp" ins Ohr geht.
Besagter, bzw. besungener Elvis Presley nahm 1966 auch eine Version des alten Gospelsongs
"Down By The Riverside"
auf, vermischt mit "When the Saints Go Marching In", das Dean Reed 2 Jahre später dann in
"Dont Tell Him No"
umtexten sollte. Am alten Gospelklassiker "Down By The Riverside" versucht er
sich schon hier und verändert auch hier (leicht) den Text, eine Eigenart die typisch für
Gospel ist, die aber auch typisch für ihn werden sollte.
Der Rest der Platte ist eher gemächlich, und bis auf
"My Yiddish Mama"
in spanisch gesungen. Erstmals hatte er dies bei einer spanischen Version seiner Capitol-Single
"La Novia"
getan, und gerade diese Version war begeistert in Südamerika aufgenommen worden. Während
"Muneco De Trapo"
jedoch noch recht gefällt und auch im Ohr hängen bleibt, sind
"Sabor A Mi" und
"La Noche Di Mi Amor"
vielleicht etwas zu glatt und eintönig geraten, dadurch schnell vergessen. Die gelungenste
der Balladen ist zweifelsfrei das zur Hälfte in englisch, zur anderen in spanisch gesungene
"Todo El Camino" (=All The Way),
wofür vor allem die tolle Komposition verantwortlich ist, die 1957 auch mit dem Oscar für
den besten Filmsong belohnt wurde. Geschrieben wurde "All The Way" von Sammy Cahn und James Van Heusen,
2 der erfolgreichsten Songschreiber jener Tage, auf deren Konto u.a. "Aint That A Kick In The Head"
(Dean Martin) und "Come Fly With Me" (Frank Sintra) gehen. 1956 ursprünglich für den Film
"The Joker Is Wild" (dt. Schicksalsmelodie) komponiert, war Sinatra so unzufrieden mit dieser Version,
dass er es nur ein Jahr später für eine Single erneut aufnahm. Und prompt bis auf Platz 2
der Billboard-Charts kam und damit den größten Erfolg seiner damaligen Capitol-Phase landete...
Man merkt der Platte durchaus an, dass sie spontan und kurzfristig aufgenommen wurde und auch abschließend
nicht übermäßig daran herumgefeilt wurde. Zum einen hätten der Platte, zumindest
für den kommerziellen Erfolg, sicherlich mehr Neukompositionen gut getan, vor allem wenn man bedenkt,
dass etwa zeitgleich in Amerika die Beach Boys und in England die Beatles und die Stones mit ihren ersten
Singles auf sich aufmerksam machten. Andererseits ist dieses Debutalbum durch seine Mischung aus Gospel,
Pop, Jazz, Country und Balladen äußerst abwechslungsreich geworden und damit vor allem aus
heutiger Sicht musikalisch ein Genuss. Während die Hörer sich 1962, als diese Musik noch
weitverbreitet und in den Charts vertreten war, vielleicht nach neuen Tönen sehnten, ist man heute
froh, wenn man den Spaß und die Energie spürt, mit dem Interpret und Orchester damals zu Werke gingen.
Ob die Platte damals kommerziell erfolgreich war, lässt sich schwer nachvollziehen, da bisher auch
keine Chart-Statistiken verzeichnet sind. Es darf allerdings angezweifelt werden, denn meines Wissens
wurde die Platte auch nirgendwo anders als in Chile veröffentlicht. Im Gegensatz zu seinen argentinischen
"Simpatia"-Alben, die zusammengefasst auch in
Venezuela ("Los Exitos..."),
England ("La Bamba")
und Spanien (als EP) veröffentlicht wurden.
Qualitativ ist es allerdings trotz allem eines seiner schönsten und daher auch empfehlenswertesten Alben.
Sebastian Bierbach, 31.10.2005
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