Süddeutsche Zeitung 21.06.2003 |
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Schatz im SeeDer Amerikaner Dean Reed konkurrierte mit Elvis Presley und Frank Sinatra - am Ende starb er traurig in der DDR. Nun verfilmt Tom Hanks in Hollywood das Leben des "Comrade Rockstar". Dies ist die Geschichte des Dean Reed, der ein Sänger war, als er aus den USA aufbrach. In Chile wurde er zum Revolutionär. In der Sowjetunion zum Superstar. Die DDR verließ er endgültig in einer Urne. Am Morgen des 15.Juni 1986 finden Volkspolizisten einen Wagen am Ufer eines Sees nahe Ostberlin. Der weiße Lada steht dem Wasser zugewandt, seine Türen sind geschlossen, es gibt keine Anzeichen eines Einbruchs. Auf dem Beifahrersitz liegt eine Ledermappe, sie enthält das Drehbuch des Films, an dem er zuletzt gearbeitet hat. Einige der Blätter sind herausgenommen und stapeln sich auf dem Armaturenbrett, ihre Rückseite ist beschrieben. Es ist ein Abschiedsbrief, er ist fünfzehn Seiten lang, die Schrift läuft in großen, weiten Bögen. Über den Inhalt werden die Polizisten zum Schweigen verpflichtet. Als sie den Wagen durchsuchen, setzen sie einen Fährtenhund ein. Er nimmt am Fahrersitz Witterung auf und folgt ihr über einen Waldweg, der zwischen Kiefern hindurch in einigem Abstand zum Ufer verläuft. Nach 350 Metern biegt der Weg zum Wasser ab und führt zu einem Bootssteg. Am Ende dieses Stegs bleibt der Hund stehen, denn hier verliert sich erst einmal die Spur von Dean Reed, den die New York Times den "Johnny Cash des Kommunismus" nannte. Hier, am Ufer des Zeuthener Sees nahe Rauchfangswerder, am Morgen eines sonnigen Tages, mitten in der DDR. Es dauerte siebzehn Jahre, bis ein Mann versuchte, diese Spur wieder aufzunehmen. Vor einigen Monaten war er in Berlin. Er suchte nach Menschen, die Dean Reed gekannt haben. Er sagte ihnen, dass er einen Film über ihn drehen wolle und dass er selbst darin die Hauptrolle spielen werde. Sein Name ist Tom Hanks. Der Film, für den Hanks seit mehr als einem Jahr recherchiert, soll "Comrade Rockstar" heißen, "Genosse Rockstar". Er wird die Geschichte des Dean Reed nach Hause holen, heim nach Amerika, dahin zurück, wo sie begann. Dean Reed wird 1938 auf einer Farm in Denver, Colorado, geboren. Als er zwölf ist, schenken ihm seine Eltern eine Gitarre. Bald tritt er auf Rodeos auf, ein Junge mit Cowboyhut, der singt und reitet für Taschengeld. Als er zwanzig ist, geht er nach Kalifornien und bekommt einen Plattenvertrag beim größten Label der USA. "Our Summer Romance" bringt ihn in die Charts. Sein Name steht hinter Elvis Presley und Frank Sinatra. In Südamerika steht er sogar davor. Er wird also von seiner Plattenfirma auf eine Tournee durch Chile, Brasilien und Argentinien geschickt, da ist er dreiundzwanzig und ein Sänger. In einem Elendsviertel am Rande von Santiago de Chile sieht er zum ersten Mal Armut. Er ist auf dem Weg zum Strand Richtung Valparaiso, als er an Hütten vorbeikommt, vor denen Kinder spielen, ohne Schuhe und mit aufgeblähten Bäuchen, umgeben von Gestank und Fliegen. Das verwirrt ihn. Vielleicht hatte er bis zu dem Moment wirklich gedacht, das Leben sei wie in einem seiner Lieder, leicht und frei. Vielleicht denkt einer so, der es von einer Farm an die Spitze der Charts geschafft hat. Die Leute in Südamerika dachten anders. Für sie habe es nur drei Arten von Menschen gegeben, sagte er später. Reaktionäre, Revolutionäre oder Blinde. Und als er den Slum wieder verließ, sei er kein Blinder mehr gewesen. Er spielt für Sozialisten und Gewerkschafter, schreibt Briefe gegen das Wettrüsten, reist nach Europa zu einem Weltfriedenskongress und bringt dort einen Saal voller Delegierter dazu, sich an den Händen zu halten und "We shall overcome" zu singen. Am Ende kommt einer der Sowjets zu ihm und sagt: "We need you in Moscow!" Er ist erst der zweite Amerikaner, den die Russen bei sich singen lassen. Im Publikum sitzen Kriegsveteranen mit Orden, Mütterchen mit Kopftüchern, Intellektuelle mit Hornbrille. Und er steht auf der Bühne und singt Rock'n'Roll und Cowboylieder. Aber es funktioniert. Einige Jahre später haben sich seine Platten, aufgenommen bei Melodia oder Balkanton, millionenfach verkauft. Kein Amerikaner habe im Ostblock je so viel Erfolg gehabt, schreibt Newsweek. Da ist er Anfang dreißig. Zwei Tage, nachdem an dem See das Auto von Dean Reed gefunden wird, treibt die Leiche ans Ufer. Im Blut findet man ein Schlafmittel, auf dem linken Unterarm 50 feine Schnitte, parallel und nicht tief. Die Gerichtsmediziner vermuten, Dean Reed habe sie sich selbst beigebracht. Alles deutete auf Selbstmord. Die Zeitungen der DDR schreiben in den Nachrufen von einem tragischen Unglücksfall. Als Dean Reed 1971 erstmals in die DDR kommt zu einem Filmfest, ist er da noch unbekannt. Wieder bringt er einen Saal dazu, sich an den Händen zu fassen. Er steht auf der Bühne mit einer Gitarre, ein großer, schlanker Mann mit blauen Augen, dunklen Haaren. Er sieht aus wie Elvis, der die Internationale singt. An diesem Tag beobachten ihn zwei Frauen. Die eine ist Journalistin und soll ihn für eine Wochenzeitung der DDR porträtieren. Einen Mann, der im goldenen Samtjackett auftritt und Protestlieder singt. "Ist das seriös?", fragt sie sich. "Meint er es ernst?" Dann spricht sie mit ihm und ihr Artikel, "über einen, der sich an unsere Seite gestellt hat", endet so: "Wir entdeckten revolutionären Geist und wohl auch Unklares, Leidenschaft und wohl auch Sentimentales, Kampfbereitschaft und wohl auch Romantisierung; Ehrlichkeit." Die andere Frau heißt Wiebke und ist verheiratet, aber das vergisst sie, als sie ihn sieht. Sie spricht kaum Englisch, aber einen Satz findet sie, und sie trinkt zwei Wodka, bevor sie ihn sagt. Dann geht sie zu ihm. "You are the most beautiful man in the world", sagt sie. Er lächelt. Sie unterhalten sich, so gut es geht, am Ende fragt er: "Wollen wir von hier fliehen?" Sie sagt ja und hofft, er meint das Land. Aber er meint den Saal, und als er Wiebke zwei Jahre später heiratet, zieht er in die DDR. Sie wird für ihn zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wenn er vom Weltfrieden singt, öffnen sich die Kulturpaläste. Wenn er ins Fernsehen will, bekommt er eine Show. Wenn er dort auf einem Kamel einreiten möchte, beschafft man ihm ein Kamel. Schreibt er ein Drehbuch, lässt man ihn Regie führen und die Hauptrolle spielen. Gerrit List hat die meisten dieser Filme produziert, aber er hat keinen von ihnen gemocht. Er war einer der erfahrensten Leute bei der Defa, er hat Western gedreht, in denen die Indianer gut und die Cowboys böse waren. Nun teilt man ihm diesen Amerikaner zu, der aus dem Wilden Westen einen Witz machen will. Der Film heißt "Sing, Cowboy, Sing", Männer treten in Frauenkleidern auf oder spielen Billard vom Pferd aus. Als List das Drehbuch gelesen hat, geht er ins Büro des Defa-Chefs. Auf seinem Zettel steht, was ihn an diesem Film stört, es ist so viel, dass er hofft, ihn nicht machen zu müssen. "Das muss alles raus", sagt er. "Na gut", antwortet der Defa-Chef. "Dann bleibt aber nichts mehr übrig", sagt List. "Du kannst dich auf den Kopf stellen", antwortet der Defa-Chef, "aber das Ding wird gemacht." Gerrit List schämt sich für den Film, die halbe Defa schämt sich, sogar die Zeitungen verreißen ihn, aber es wird der erfolgreichste Film des Jahres. "Es war diese Sorglosigkeit", sagt Gerrit List. Dass einer einen Film macht, in dem er synchronisiert werden muss, weil er noch immer nicht richtig Deutsch kann. Dass einer zugibt, von den drei Dingen, die er angeblich kann, könne er nur reiten, und trotzdem singt und schauspielert er. Diese Sorglosigkeit, und dass Reed damit durchkommt, ärgert List. Einmal drehen sie in Rumänien und suchen verzweifelt tausend Demonstranten für eine Massenszene, da geht Reed in die nächste Stadt, gibt ein Konzert und danach drückt er den Leuten noch Plakate in die Hand für seinen Film. Einmal stehen sie auf dem Flughafen von Taschkent, weil sie Drehorte suchen. Es ist mitten in der Nacht, aber keiner da, der sie ins Hotel bringt, da holt Reed seine Gitarre raus und singt "I want to be home", und plötzlich ist die Halle voll, und alle wollen sie fahren. "Er wollte immer mit allen best friend sein", sagt Gerrit List, auch ihn hat er so genannt, "Gerrit, my very best friend." Er hat ihn noch angerufen, an dem Abend, als er verschwand. Es ging um einen neuen Film, einen über den Kampf der Indianer in den Reservaten. Er hatte das Drehbuch dafür geschrieben. "Ich komme noch bei dir vorbei", sagte Reed und steckte das Drehbuch in die Ledermappe. Aber er kam damit nie an. Gerrit List hat den Tod im See lange für einen Unfall gehalten, so hatten es die Zeitungen ja geschrieben. Als er erfuhr, dass es nicht so war, fühlte er sich betrogen. "Er hat mich angeschissen", sagt er, "kein Wort gesagt." Es klingt wie sein Beweis, dass er es eben doch nie gewesen ist, der "very best friend". Anfang der 80-er-Jahre gerät Dean Reed in eine Krise. Die Konzerte werden weniger, er tritt nun auch in Orten wie Döbern auf, wenn dort Glasmacherfest ist. Er macht lange keinen Film mehr, und als er sich bei seiner Fernsehshow mit der geballten Faust des Revolutionärs verabschiedet, schneidet man das heraus. "Dean Reed begann, eine traurige Gestalt zu werden, sein naives Pathos wirkte lächerlich", schreibt die Journalistin, die einst seine Ehrlichkeit lobte. "Plötzlich hörten alle, dass seine Stimme dünn war und das Repertoire eintönig, dass der Mann aus Hollywood kein erstklassiger Schauspieler gewesen ist und erst recht kein guter Regisseur. Die Haut aus Glamour und Ekstase war verschlissen." So schreibt sie, aber eben auch erst nach der Wende. Im Grunde haben die Leute in der DDR nie geglaubt, dass einer, der gut genug war, es im Westen zu schaffen, freiwillig im Osten bleibt. Dass einer Revolutionär sein will in einem Land, dessen einziger Kampf der Planerfüllung gilt. Sie können sich nicht vorstellen, dass einer dieses Land mag, sie tun es ja selbst nicht. Er muss das gespürt haben, seine Sorglosigkeit schützte nicht davor. "Er war ein ehrlicher Mensch", sagt Renate Blume, die er einige Jahre nach Wiebke geheiratet hat und die damals sicher die schönste Frau der DDR gewesen ist. "Aber an manchen Tagen quälte es ihn, dass er glaubte, kein richtiges Fundament zu haben." Als er acht Monate vor seinem Tod für ein paar Tage nach Denver reist - er hat noch immer seinen alten Pass -, kommt er verändert zurück. Er glaubt, wieder in den USA arbeiten zu können. Auf einmal spricht er von seiner Heimat, seinen Leuten. Auf einmal findet er, in Colorado sei der Himmel immer blau, in Berlin nie. "Davon war er sehr abhängig", sagte Renate Blume in einem Dokumentarfilm nach der Wende, von Dingen wie der Farbe des Himmels. Sie will ihm die Rückkehr nicht ausreden, aber sie weiß, dass sie nicht mitgehen wird. Drei Monate vor seinem Tod meldet sich der amerikanische Journalist Mike Wallace bei Dean Reed, er arbeitet für die erfolgreiche Sendung "60 minutes" und will ein Interview. Auf dem Weg zum ersten Treffen in einem Hotel in Ostberlin bittet Dean Reed seine Frau, sie solle ihm helfen abzusagen. Aber wie kann sie das? Sie kennt Mike Wallace nicht, sie weiß nicht, dass er dafür berühmt ist, die Leute vor der Kamera zu zerbrechen. Als das Gespräch zu Ende ist, hat Reed zugesagt. Er hofft, mit dem Interview in den USA bekannt zu werden. Es soll eine Brücke sein. Mike Wallace kommt in das Haus am Ufer eines Sees, an dem Dean Reed seit einigen Jahren wohnt. Er sieht sich um. In einem Zimmer hängt eine amerikanische Flagge, daneben steht eine Lenin-Figur, ein Foto zeigt Reed im Libanon zusammen mit Kämpfern der PLO, in der Hand hat er eine Kalaschnikow. Wallace muss nicht nach Widersprüchen suchen, sie sind ausgestellt. Er bleibt zwei Tage, dann hat er einen Amerikaner auf Band, der die Mauer, die PLO und den Afghanistan-Feldzug der Sowjetunion verteidigt. Nachdem das Gespräch im Fernsehen gesendet ist, bekommt Reed Briefe aus Amerika. In ihnen steht, er solle bleiben, wo er ist, in der Heimat gehöre einer wie er auf den elektrischen Stuhl, und: Er könne ja noch nicht einmal singen. "Er hat die Briefe immer wieder mit ins Bett genommen und gelesen", sagt Renate Blume. Er verstand es nicht, das waren doch seine Leute. Aber nun gab es keine Brücke mehr zu ihnen. Einen Tag bevor Dean Reed verschwindet, versucht er, sich den Arm aufzuschneiden. Er nimmt eine Machete, aber es ist nur eine Filmrequisite, die Schnitte bluten, aber sie sind nicht tief. "Nicht mal das kann ich", sagt er. In diesem Moment ruft seine Frau Eberhard Fensch an. Fensch ist im Zentralkomitee der Mann, der für die SED das Fernsehen kontrolliert. Dabei hat er Dean Reed getroffen, sie wurden Freunde. Er redet drei Stunden mit ihm. Reed will sich umbringen. Fensch sagt, er solle daran denken, was die Westpresse aus so einer Geschichte machen werde. "Damit spielst du unseren Feinden in die Hände", sagt er. "Es gibt eine Menge Leute, die daraus politisch Kapital schlagen werden, gegen dich, gegen uns, gegen alles." Da verspricht Dean Reed, es nicht zu tun. Als er einen Tag später den Abschiedsbrief auf die Rückseite des Drehbuchs schreibt, im Auto, den Blick auf den See, da richtet er ihn an Fensch, nicht an seine Frau. "Es tut mir Leid, mein Freund, du warst ein Vorbild für mich", schreibt er. "Mein Tod hat nichts mit Politik zu tun. Lass unsere Feinde, die Faschisten und Reaktionäre, es nicht so auslegen", schreibt er. "Ich wäre viel lieber auch in Libanon oder Chile gestorben - im Kampf gegen unsere Feinde, die Verbrecher, die meine Freunde überall gefoltert und umgebracht haben, aber auch das schaffe ich jetzt nicht", schreibt er, dann grüßt er Erich Honecker. Er sei nicht mit allem einverstanden gewesen, schreibt er, der Sozialismus sei noch nicht erwachsen, aber er sei die Lösung für die Probleme der Menschheit. Als Honecker den Brief liest, entscheidet er, ihn nicht zu veröffentlichen, auch Renate Blume sieht ihn erst nach der Wende, Journalisten zeigen ihn ihr. Bis dahin glaubt auch sie wohl an einen Unglücksfall. Die erste Meldung für die Zeitungen hatte Honecker selbst abgenommen. Als sie dann den Brief zum ersten Mal in den Händen hat, liest sie, dass ihr Mann ihr schwere Vorwürfe macht wegen kleiner Streitereien, wie sie in jeder Ehe vorkommen. In dem letzten längeren Interview, das sie vor einiger Zeit gegeben hat, sagte sie, sie glaube noch immer nicht an einen Selbstmord. An dem Abend, als Dean Reed sein Haus am Ufer des Sees verlässt, kommt er nach einigen Metern an einem kleinen Friedhof vorbei. Auf ihm gibt es einen Grabstein mit der Inschrift "Eheleute Reed", er hat ihn setzen lassen, um zu zeigen, dass er in der DDR beerdigt sein möchte. Den Stein gibt es noch, nur die Inschrift ist heute nicht mehr zu lesen, jemand hat sie mit einem Meißel aus dem Stein geschlagen, und es liegt auch niemand in dem Grab. Einige Zeit nach dem Tod von Dean Reed hat seine Mutter die Asche nach Amerika zurückgeholt. Nun wird Tom Hanks seine Geschichte zurück holen. Das war sie, die Geschichte von Dean Reed. Wie Tom Hanks sie wohl sieht? Marcus Jauer |
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