Wochenpost 38/1993, 16.09.1993 (Wochenzeitung)

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Der rote Prinz

Der Sänger Dean Reed erzählte das Märchen von Frieden und Gerechtigkeit, bis es keiner mehr hören wollte

Er war schön. Der bestausehende Mann der Welt. Ein so schöner Mensch. Schön wie ein Gedicht von Rilke. So schön, sagten die Leute. Und plötzlich war er tot. Seine Leiche, bekleidet mit einer lammfellgefütterten Jeansjacke, Bluejeans und grauen Leinenschuhen, ist an einem kühlen Junimorgen aus dem Zeuthener See gezogen worden. Vier Jahre lang wurde verschwiegen, dass es Selbstmord war. Denn der Märchenprinz aus Denver, Colorado, hatte sich mit Haut und Haaren dem Parteiapparat verschrieben. Im Reich des Guten und Wahren durfte ein amerikanischer Friedenskämpfer nicht Selbstmord begangen haben. "Es war ein Unglücksfall", entschied E. Honecker.

Da läuft spätabends im Fernsehen ein Dokumentarfilm, man möchte eigentlich ausmachen, schlafengehen und kann doch nicht aufhören hinzusehen: "Ein Cowboy im Sozialismus". Abgestoßen und fasziniert von diesem Schicksal, dieser versunkenen Welt. Kinder in Pionierblusen singen vom "einfachen Frieden", eine Schule in Potsdam bekommt den Namen "Dean Reed", FDJler wiegen sich mit hocherhobenen Armen in der saumseligen Gewissheit des "We shall overcome", jubeln dem Sänger zu, der die Welt umarmen und dafür von der Welt umarmt werden möchte. Funktionär und Minister, der Entertainer, die Dramaturgin und die Dichterin, die Schauspielerin und die Ehefrau erinnern sich im Film an das Charisma des Dean Reed, erwähnen ausnahmslos dessen Schönheit.

Das sensible Gesicht mit den coloradoblauen Augen und dem frischen Lächeln von Wrigleys Chewing Gum allein kann es nicht gewesen sein, auch nicht der schmale sportliche Körper oder das dichte dunkelblonde Haar. Die Schönheit des Protestsängers war ideologisch. Sie hatte ihren Grund in der Sehnsucht des Betrachters, dem entstellten Gesicht der Revolution den Glamour wiederzugeben. Wenn es schon nicht Che Guevara sein konnte, der galt in der DDR lange als Anarchist, also als unerwünscht, dann sollte es wenigstens dieser gute Junge aus Amerika sein, der mit kleiner Stimme und großem Herzen eine Botschaft verbreitete, die Anfang der siebziger Jahre noch die meisten hören wollten: Frieden und Gerechtigkeit.

Als er 1971 zum ersten Mal in der DDR auftauchte, das war anlässlich der Internationalen Leipziger Dokumentarfilmwoche, als er da auf der Bühne stand, sein "We are the revolutionaries" sang und die Zuschauer im Kino Capitol dazu brachte, mit geballten Fäusten "Hoch die internationale Solidarität" zu skandieren, "so laut, dass Angela es hört", da konnte er sich vor Anbetung kaum retten. Männer und Frauen waren hingerissen vom Charme dieses Traumrevolutionärs aus Amerika, der aussah wie ein Simultanbild aus James Dean und John F. Kennedy. Irgendwas musste dran sein am Sozialismus, wenn so ein Mensch extra aus Denver nach Leipzig kam, um gegen die Unterdrückung der Dritten Welt zu singen. Und die Funktionäre der Abteilung Agitation und Propaganda waren froh, dass alles so allgemein blieb, so unverbindlich romantisch und sentimental, dafür liebten sie den Cowboy aus Colorado. Er nannte sie "meine lieben compañeros".

Dean Reed wuchs in einer soliden Mittelstandsfamilie auf. 1950, mit zwölf, schenkte der Vater ihm die erste Gitarre. Er studierte erst Meteorologie, ging dann aber nach Hollywood, absolvierte die Schauspielschule, bekam einen Plattenvertrag und schaffte es einmal bis ganz oben in der Hit-Parade, noch vor Elvis Presley und Paul Anka, Summer-Romance hieß der Glückstreffer. Seine Manager schickten ihn auf Südamerika-Tournee. Da wurde der junge Rock'n'Roll-Star euphorisch gefeiert, da begann er, politisch zu fühlen. Sein blauer Blick fiel auf den Glanz auf der einen, das Elend auf der anderen Seite. Dagegen muss man doch was tun, dachte der brave Junge, dagegen müssen sich doch alle guten Menschen auf der Welt zusammenschließen. Dean Reed lernte spanisch und wurde Kommunist, aus Naivität. Er protestierte gegen Nukleartests, gegen den Krieg in Vietnam, für die Befreiung Lateinamerikas, wusch die amerikanische Flagge öffentlich rein, wurde Freund von Salvador Allende, Yassir Arafat, Valentina Tereschkowa und Erich Honecker, Mitglied des Weltfriedensrates, the show must go on.

Wie ein Prinz in roter Rüstung auf weißem Pferd zog er aus, landauf, landab das Märchen von Liebe und Gerechtigkeit zu verkünden, von Solidarität und dem Sieg des Guten über das Böse: Venceremos. In der DDR ließ sich der Sänger nieder und blieb, auf Leben und Tod. Ein fremder Stern am grauen Berliner Himmel, der leuchtete bei den Festivals des Politischen Liedes, bei den Weltfestspielen 1973, und der verblasste, je unglaubwürdiger die Botschaft wurde. In den achtziger Jahren wollte kaum einer noch was wissen von Klassenkampf und Revolution.

Dean Reed begann, eine traurige Gestalt zu werden, sein naives Pathos wirkte lächerlich. Plötzlich hörten alle, dass seine Stimme dünn war und das Repertoire eintönig, dass der Mann aus Hollywoood kein erstklassiger Schauspieler gewesen ist und erst recht kein guter Regisseur. Die Haut aus Glamour und Ekstase war verschlissen, die Zeit vorbei, aus der Traum. Der Ami hatte seine Schuldigkeit getan. Sein Gesicht wurde schmaler, seine Kleidung zu jugendlich, im Badezimmer stapelten sich Vitamine und Tranquilizer. Nur das Bedürfnis, geliebt zu werden, das blieb, das wuchs, das fand keine Ruhe. Manchmal, in kleinen Hotelzimmern, bei Filmfestivals in Moskau und Karlovy Vary, sang Dean Reed, nachts bei Rotwein für Freunde, ohne den Druck der Bühne. Er sang leise Songs von Elvis Presley oder Victor Jara oder einfach nur Besame mucho. Da gab es Momente, wo sich die Aura des Märchenprinzen restaurierte, wo im Schein von Kerzen das erschöpfte Gesicht des Sängers sich aufhellte und hinter ihm wieder das weiße Schlachtross des El Cid zu stehen schien.

Dean Reed und die DDR - eine tödliche Umarmung, eine merkwürdige Symbiose. Beide auf Anerkennung fixiert. Der Fremde wurde ein einverleibtes Stück des engen Landes. Als er anfing, es zu durchschauen, war es zu spät, und der blaue Himmel von Colorado wollte ihn nicht mehr beherbergen. Die tiefe Kluft zwischen Anspruch und Können - auch das einte Reed und die DDR, diese folgenschwere Selbstüberschätzung.

Als der unglückliche Sänger des Sozialismus sich 1986 umbrachte, wurde das von allen, die das Geheimnis des Selbstmordes kannten, als Omen begriffen, der Hollywood-Tod von Dean Reed nahm den anderen Untergang vorweg. "Ich bin nicht mit alles einverstanden, aber Socialismus ist noch nicht erwachsen...", schrieb er in seinem Abschiedsbrief, den die Stasi beschlagnahmte, "mein Tot hat nichts mit Politik zu tun".

Jutta Voigt

Berühmter Ami

"Doch mit der Zeit sang Dean Reed nicht mehr nur antiautoritäre Protestlieder, sondern auch Loblieder auf das sozialistische Lager. Das US-'People's Magazine' meinte 1976: 'Reed wird von Russen und Osteuropäern als bekanntester Amerikaner nach Präsident Ford und Henry Kissinger bezeichnet.'"

"Tagesspiegel" vom 19.4.84

Der Film

"Glamour und Protest. Ein Cowboy im Sozialismus", der Dokumentarfilm von Peter Gehrig wurde vergangene Woche im ORB gesendet.

Bitter

"Wer Showman, El Cid und Don Quichotte zugleich sein will, erlebt zuweilen Bitteres."

Victor Grossman, Freund von Dean Reed

Unglücksfall

"Ein mutiges Kämpferherz hat aufgehört zu schlagen. Dean Reed, Weggenosse an unserer Seite, der leidenschaftliche Streiter für den Frieden und den gesellschaftlichen Fortschritt, der engagierte Sänger und Schauspieler ist bei einem tragischen Unglücksfall ums Leben gekommen."

Nachruf in der "Freiheit" vom 19.6.86

Neugier

"Gewiss, ich war damals schon oft in der Sowjetunion gewesen und auch in anderen sozialistischen Ländern, aber stets als Gast. Ich lebte in Hotels, aß in Gaststätten, blieb trotz aller herzlichen Gastfreundschaft doch ein Ausländer. Ich aber war neugierig auf den sozialistischen Alltag."

Dean Reed, 1977

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