Märkische Allgemeine Zeitung 20./21.09.2003

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Idealist, Macho, Narziss

Wie ein US-Bürger in der DDR seine Wahlheimat, aber keinen inneren Frieden fand - Dean Reed zum 65.

Jan Eik

MAZ 20.09.2003

Am Montag wäre er 65 Jahre alt geworden und hätte in den Westen fahren dürfen. Wenn es die DDR noch gäbe und er ein echter Bürger seiner Wahlheimat gewesen wäre. Er war und blieb jedoch ein Amerikaner wie aus dem Bilderbuch: ein blendend aussehendes männliches Sex-Symbol, ein gitarrespielender Gesangs- und Hollywood-Star - jedenfalls beinahe. Oder demnächst. Im Januar 2003 folgte Tom Hanks seinen Spuren in Berlin und sprach außer mit Egon Krenz mit Freunden und Vertrauten über Dean Reed, dessen Leben der "Forrest Gump"-Held derzeit verfilmt. Tatsächlich gleicht es einer an Abenteuern, Massenszenen und Liebesromanzen reichen Filmstory. Dazu das angeblich ungelöste Rätsel um den Tod im Zeuthener See. Bis heute wollen die Gerüchte nicht verstummen, die Stasi (oder wahlweise CIA und KGB) hätte ihn umgebracht.

Schlagzeilenträchtig: Wettlauf gegen Maultier

Geboren wurde Dean Cyril Reed am 22. September 1938 in Denver. Beinahe, denn die Hühnerfarm der Mutter befand sich in einem ärmlichen Vorort der durch Öl-Boom und den TV-Clan berühmt gewordenen Hauptstadt Colorados. Dean geriet als Sieger eines 110-Meilen-Wettlaufs gegen ein Maultier zum ersten Mal in die Schlagzeilen. Er wird als Sänger entdeckt und erhält einen Siebenjahresvertrag der Plattenfirma Capitol. Er nimmt Schauspielunterricht und landet mit "Summer Romance" für einige Wochen auf den vorderen Plätzen in den Charts.

Es zieht ihn nach Lateinamerika, wo er zu ungeahnter Popularität aufsteigt. In Chile nimmt er die erste LP auf, heiratet 1964 in Mexiko und dreht den ersten Film, dem ein weiterer in Argentinien folgt. Seiner Kontakte zur sowjetisch dominierten Friedensbewegung wegen weist ihn die argentinische Militärjunta 1966 aus. Da kommt die Einladung des Komsomol-Sekretärs Pastuchow zu einer Tournee durch neun Großstädte der UdSSR gerade recht. Die Begeisterung der rockhungrigen sowjetischen Jugend ist unvorstellbar. Auch in den Folgejahren, während Dean in Rom in Filmen wie "Zwanzig Stufen zum Tode", "Machine Gun Baby Face" und "Zorros Neffen" u.a. neben Anita Ekberg, Yul Brunner und Nadja Tiller brilliert, bleibt das Vaterland aller Werktätigen das Land seiner traumhaften Erfolge - bis man dort der folkloristisch angehauchten Liedchen des Breshnew-treuen Barden überdrüssig ist.

Bis dahin ist es ein langer Weg, und Reed geht ihn mit Konsequenz. Nie verleugnet er sein soziales Engagement und die Sympathie für den Marxismus-Leninismus, von dem er sich rudimentäre Kenntnisse aneignet. Er lässt sich zu einem offenen Brief gegen Solshenizyn hinreißen, unterstützt in Chile Salvador Allende, wird bei Protestaktionen vor US-Botschaften verhaftet.

1971 kommt Reed zum ersten Mal in die DDR. Wiebke, eine blonde junge Frau, beeindruckt ihn am Rande der Leipziger Dokfilmwoche so stark, dass sie bald darauf seine Lebensgefährtin und 1973 seine Frau wird. Sie beziehen ein Haus in Berlin-Rauchfangswerder. 1976 wird Tochter Natascha geboren. Inzwischen hatte Dean, Star der Berliner Weltfestspiele, einige Defa-Filme gedreht und in "Kit & Co" mit Renate Blume vor der Kamera gestanden. Die prominente Schauspielerin wird Wiebkes Nachfolgerin bei dem narzistischen, eigensinnigen Idealisten und Macho, der sich laut Wiebke nur für Sex und Politik interessiert. Seine Freunde hingegen schätzen sein aufrichtiges Engagement und sein Professionalität. Auch das Ministerium für Staatssicherheit interessiert sich für den offenherzigen Amerikaner, der als "Victor" für die Hauptabteilung II agiert. Als die Defa jedoch nach Reeds Besuch bei Jassir Arafat - den er 1973 in Berlin kennen gelernt hatte - unter fadenscheinigen Vorwänden das Drehbuch zur Palästina-Problematik ablehnt, kündigt er der Spionageabwehr die Freundschaft.

Im Herbst 1978 reist Dean Reed nach 16 Jahren zum ersten Mal wieder in seine Heimat, im Gepäck den Victor-Jara-Film "El Cantor". In Minnesota gerät er in eine Protestaktion der Farmer und wird verhaftet. Dean ist in seinem Element. Auf Seite eins veröffentlicht "Neues Deutschland" das Telegramm, in dem er "das Volk der DDR und Erich Honecker" grüßt. Als aus den Klauen des Klassenfeindes befreiter Held kehrt er in seine Wahlheimat zurück, wo gerade eine neue Eiszeit in Kunst und Literatur anbricht. Reeds Filmklamotte "Sing Cowboy sing", populärster Film des Jahres 1981, fällt unter kein ideologisches Verdikt. Dennoch ist Dean unzufrieden. Die Umsätze seiner Platten sinken, Defa und Fernsehen bieten ihm keine Rollen an. Nicht einmal zum alljährlichen "Festival des politischen Liedes" lädt man ihn ein. Dass eine Brigade des Backwarenkombinats Pasewalk seinen Namen trägt, kann ihn kaum trösten. In Denver begeht sein Vater Selbstmord.

Trotz alledem: Dean hat anspruchsvolle Pläne. "Bloody Heart" heißt das Indianer-Epos, für das er viel Zeit und Mühe aufwendet. Renate Blume und er sollen die Hauptrolle übernehmen. Vorher reist Dean noch einmal in die USA, trifft alte Freunde und lernt Dixie kennen. Die Managerin wird in den letzten Monaten seines Lebens eine große Rolle spielen. Zurück in Berlin telefoniert er oft stundenlang mit ihr. Nach seinem Tod ist sie es, die immer wieder abstruse Vermutungen über sein Ableben äußert. US-Journalistin Reggie Nadelson greift in ihrer Reed-Biografie "Comrade Rockstar" (London 1991) gerne darauf zurück. Eine deutsche Ausgabe des Buches wissen Betroffene zu verhindern.

Empörung nach Reagan-Stalin-Vergleich

Im Februar 1986 zeichnet die CBS einen Beitrag mit Reed für die größte amerikanische Fernsehshow "60 minutes" auf. Die Sendung gerät zum Desaster. Sechzehn Millionen Amerikaner sehen "The Defector" - den Abtrünnigen, wenn man es freundlich übersetzt. Er verteidigt die Berliner Mauer und vergleicht Ronald Reagen mit Stalin. Der Sturm der Empörung erreicht auch Rauchfangswerder. Dean ist zutiefst deprimiert. Anfang Juni, drei Wochen vor Drehbeginn für "Bloody Heart" erleidet er einen leichten Herzanfall; eine Woche später unternimmt er nach einem Streit mit seiner Frau einen demonstrativen Selbstmordversuch. Eberhard Fensch, im Zentralkomitee der SED für Rundfunk und Fernsehen zuständig und ein enger Freund Reeds, nimmt ihm das Versprechen ab, so etwas werde sich nicht wiederholen. Drei Tage später gibt's erneut Krach zwischen den Eheleuten. Am Abend des 12. Juni 1986 setzt sich Dean in den Lada und fährt davon.

Am nächsten Tag beginnt die hektische Suche nach dem Verschwundenen. Das Auto wird nur einen Kilometer von Reeds Haus am Zeuthener See entfernt entdeckt. Stasi-Ermittler finden darin einen 16-seitigen Abschiedsbrief an Fensch, aus dem Reeds Selbstmordabsicht und die Gründe dafür klar hervorgehen. Honecker liest den Brief und entscheidet: Es war ein Unfall. Die Leiche wird erst drei Tage später aus dem Zeuthener See gefischt und am gleichen Tag von Professor Otto Prokop obduziert. Im Sektionsprotokoll steht, dass Dean Reed unter dem Einfluss einer Überdosis des Sedativs und Antiepileptikums Radedorm ertrank (nachzulesen auch bei Geserick/Nendura/Wirth: "Zeitzeuge Tod", Militzke Verlag 2002). Der durch ein kriminalpolizeiliches Gutachten als echt bestätigte Brief verschwand im Panzerschrank des Kripo-Chefs der DDR und gelangte nach der Wende in die Hände von Journalisten, die sich mühten, aus Reeds Tod eine Sensationsstory zu stricken. In seinen jüngst erschienenen Memoiren "So und nur noch besser. Wie Honecker das Fernsehen wollte" (Edition ost) bestätigt Fensch die Authentizität der an ihn gerichteten Abschiedsbotschaft ausdrücklich. Auch 17 Jahre nach Reeds Tod gibt es keine Sensation. Man darf gespannt sein, welches Ende sich Tom Hanks für seinen Film einfallen lässt.

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Letzte Änderung: 2006-11-18