Neues Deutschland 22.09.1998

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Troubadour aus Colorado: Dean Reed wäre heute 60 Jahre alt geworden

Zermahlen zwischen Ost und West

Im Filmschauspielerlexikon der DDR 1989 sind ihm einige Zeilen gewidmet. Im Handbuch 1995 des gleichen Verlages, mit neuer Redaktion aus Hamburg taucht er nicht mehr auf. Abgewickelt zu Recht? Einige Internetadressen im amerikanischen Colorado bezeichnen ihn als einen der größten Folkloresänger der Sowjetunion.

Das Leben dieses Mannes, der vor 60 Jahren, am 22. September 1938 in Denver (Colorado) geboren wurde war facettenreich, schillernd. In seiner Heimatstadt trat er als Rock'n'Roll-Sänger auf, besuchte einige Zeit das Schauspielstudio einer großen Filmgesellschaft. Mit 24 verläßt er die USA, geht nach Mexiko, verdient sich dort sein Brot als Sänger und Schauspieler. 1965 nimmt er am Weltfriedenskongress in Helsinki teil. Ende der 60er steht er in Italien in meist künstlerisch anspruchslosen Western vor der Kamera. 1972 kommt er in die DDR, gewinnt außerordentliche Popularität in der Zeit des Kalten Krieges zwischen den Systemen. Auf Solidaritätsveranstaltungen in vielen Ländern wird er als Stimme des "anderen Amerika" präsentiert. Dean Reed arbeitet als Schauspieler und Regisseur für die DEFA, ist Autor, Hauptdarsteller und Regisseur des Fernsehfilms "El Cantor" (1977) über den von chilenischen Militärs ermordeten Sänger Victor Jara. Im Frühjahr 1986 bereitet er einen neuen Film über den Indianeraufstand in Wounded Knee vor, am 13. Juni wird er tot aus dem Zeuthener See geborgen. In seinem Auto finden sich einige Zeilen, die von seinem Glauben an eine bessere, sozialistische Welt sprechen. Alle Umstände seines Todes, auch nach dem Zusammenbruch der DDR, verlaufen im Sande. Diese Vita im Telegrammstil sagt wenig über den Menschen.

Wer Dean Reed kannte, auf öffentlichen Veranstaltungen oder auf Filmfestivalen in Moskau, Karlovy Vary oder Leipzig erlebt hatte, konnte sich seinem Charme nicht entziehen. Viele teilten seine Träume von einer friedvollen Welt. Im politischen Kalkül der Regierenden in den sozialistischen Ländern war das Mitglied des Weltfriedensrates ein Vorzeigeheld aus einer feindlichen Hemisphäre. Der immer jugendlich wirkende Mann aus Colorado, groß und gutaussehend, war als Sänger, Schauspieler und Regisseur nicht unumstritten. Er stand zwar mit Yul Brunner, Armin Mueller-Stahl, Manfred Krug, Rolf Hoppe, Nadja Tiller, Anita Ekberg vor der Kamera, von seinen Filmen, die er als Autor und Regisseur betreute, fanden "Blutsbrüder" (1975) und "Sing, Cowboy, sing" (1981) ihr Publikum. Den kritischen Blicken der Profis hielten sie nicht stand. Dean Reed hat deshalb vielschichtige Formen von Zurückhaltung gespürt, auch den Neid, hat die Mühsal erlebt, einen Filmstoff an den Mann zu bringen. Als die öffentlichen Veranstaltungen in den 70er Jahren und am Anfang der 80er nicht mehr das große, jubelnde Publikum brachten, hat ihn das irritiert. Doch er wahrte den Schein, fraß vieles über die spürbaren gesellschaftlichen Defizite in den sozialen Ländern, vieles auch an persönlichen Konflikten in sich hinein. In seiner Heimat hat man ihn weitgehend totgeschwiegen, dann in einer sich politisch und ideologisch zunehmend polarisierenden Welt zu einem kommunistischen Verräter gestempelt.

Nach einem Interview im amerikanischen Fernsehen, von dem er hoffte, es könnte ihm einen Neubeginn in den USA erleichtern, drohten ihm Lesebriefschreiber in den USA mit elektrischem Stuhl und Gaskammer. Wie reagiert ein sensibler, einmal gefeierter Mensch von lauterer, idealistischer Gesinnung, wenn er spürt, daß die Ideale seines Lebens der Korrosion ausgesetzt sind, der sich Sorgen um seine Zukunft machen muss? Waren seine zunehmenden Alpträume tödlich?

Horst Knietzsch

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Letzte Änderung: 2014-02-05