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60 Minutes

20.04.1986, Interview mit Mike Wallace

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Wenn wir an Amerikaner denken, die auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs wechseln, denken wir normalerweise an Verräter oder Spione. Dean Reed ist weder das eine noch das andere. In Colorado geboren, in Amerika aufgewachsen, lebt er heute in Ostberlin, weil es ihm dort drüben besser gefällt. Ein Entertainer, der die Sowjet-Version eines Superstars wurde, er singt, er spielt, und er spricht mit offensichtlicher Überzeugung von der sowjetischen Idee. Der Kreml hat ihm sogar einen Komsomol-Lenin Preis verliehen. Es gibt nur eines, das ihm fehlt: Er würde so gern seinen Erfolg auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs mit ähnlicher Wirkung zu Hause zu wiederholen.

"Die Amerikaner sagen oft... Die amerikanische Presse nennt mich oft den 'Roten Sinatra' oder den 'Johnny Cash des Kommunismus', oder ich wurde zum 'Elvis von Südamerika'. Wissen Sie, ich bin nur Dean aus Denver, Mike. Und es gibt dieses Sprichwort in Denver: 'Man kann den Jungen aus dem Land nehmen, aber niemals das Land aus dem Jungen', und daran glaube ich. Ich bin Amerikaner."

Ein Rock-Konzert in Moskau im letzten Sommer. Dean Reed, der Superstar, spielt vor 10.000 jungen Russen und deren Gästen beim Jugendfestival. Dean Reed ist in Amerika nicht wirklich bekannt, aber in Osteuropa verkaufen sich seine Platten wie warme Semmeln. Er macht Cowboy-Filme, seine Konzerte füllen Stadien, und er versteht nicht, warum seine Bekanntheit und Popularität noch nicht international nach Nashville, Hollywood und New York übergeschwappt ist.

"Ich glaube, es gibt eine Verschwörung über mich zu schweigen. Und ich glaube, dass Sie damit beginnen, diese Verschwörung zu brechen und dass die Leute wissen werden, wer Dean Reed ist, welche Lieder er singt, welche Filme er macht, wer er ist, wo er ist und warum er dort ein Superstar ist und nicht hier."

Dean Reed ist jetzt das, was man im Showbusiness eine gute Investition nennt. Überall zwischen der Berliner Mauer und Sibirien. Und wie kam es dazu? Er wurde vor 20 Jahren von einem sowjetischen diplomatischen Talentsucher bei einem Treffen des Friedenskomitees in Helsinki entdeckt. Er ist heute bei jungen Russen genauso beliebt wie Bruce Springsteen bei jungen Amerikanern. Und er hat immer noch seinen amerikanischen Pass und die amerikanische Staatsbürgerschaft.

"Ich glaube, dass ich überall in der Welt ein sehr guter Botschafter für Amerika war. Ich habe Leute erreicht, die nie wieder einen Amerikaner zu Gesicht bekommen werden. Und ich habe ihnen eine Seite von Amerika gezeigt, die sie, wie ich denke, achten. Wäre es nicht fantastisch, wenn die Welt die Vereinigten Staaten für ihre Wissenschaft, ihre Kultur, ihre spirituellen und moralischen Werte respektieren würde? Anstatt, wie es im Moment ist, Angst zu haben und es wegen seiner militärischen Macht zu fürchten?"

Sie glauben nicht, dass wir weltweit für Wissenschaft, Kultur oder den moralischen Geist Amerikas respektiert werden?

"Mike, Sie sollten mit mir um die Welt reisen, dann zeige ich Ihnen all die Mauern in Südamerika und all die Straßen, wo geschrieben steht: YANKEE GO HOME. Das war der größte Schock meines Lebens, als ich diese Dinge sah, und ich fragte: Warum?"

Er wurde in Südamerika zum politischen Sänger. Hier ist er zu sehen, wie er mit Anti-Regierungs-Studenten in Chile singt. Diese Szenen stammen aus einem Dokumentarfilm, der vor drei Jahren über ihn gemacht wurde. Reeds Karriere als erfolgreicher Popsänger begann in den 60er Jahren in Südamerika, als er dort mehr Platten verkaufte als Elvis Presley und Frank Sinatra. Aber seine Leidenschaft für Politik war genau so groß wie seine Leidenschaft für Popmusik.

"Wir kämpften einen Krieg, eine Revolution, Mike. Vor 200 Jahren wollten wir keine Kolonie von England sein. Und die Menschen in der dritten Welt sagen, 'Wir wollen keine Kolonie der Vereinigten Staaten sein, keine Halbkolonie. Lasst uns unsere Souveränität und Unabhängigkeit.' Und diese Menschen, die in der amerikanischen Presse meistens als Freiheitskämpfer bezeichnet werden, sind keine Freiheitskämpfer, sie sind die Benedict Arnolds (bekannter amerikanischer Verräter; T.G.) von Nikaragua. Und ich denke, die Amerikaner müssen sich daran erinnern, dass Revolution kein schlimmes Wort ist. Wir waren einmal sehr stolz darauf uns amerikanischen Revolutionäre zu nennen."

Ostdeutschland ist keine Kolonie der Sowjetunion? Polen ist keine Kolonie?

"Natürlich nicht."

Rumänien? Bulgarien?

"Natürlich nicht. Und Sie sollten einmal sehen, wie die ihr eigenes Ding machen. Rumänien hat seine eigene Politik und sagt sehr oft, was es will. Ungarn macht seine eigenen wirtschaftlichen Experimente, die überhaupt nichts mit den Sowjets tun haben."

Dean Reed lebt hier, in der DDR, der Deutschen Demokratischen Republik, einem Land, das doch sehr von Moskau abhängig ist. Es ist das reichste Land im Ostblock, dafür aber mit allen Tabus des Marxismus. Hier gibt es keine Oppositionspartei, die Medien werden behutsam kontrolliert - obwohl Ostdeutsche westdeutsches Fernsehen sehen können - und es gibt keine freie Ausreise in den Westen, außer man hat einen amerikanischen Pass. Dieses kommunistische Land ist für einen Amerikaner mit Hang zum Marxismus das liberalste Land und das, wo er am einfachsten leben kann. Die Eroberung Berlins am Ende des 2. Weltkrieges war der letzte große Sieg für die Rote Armee. Und sie sind immer noch da, 380.000 Mann stark, auf dem Land um ganz Berlin herum.

"Sie besetzen das Land nicht, sie sind hier als Gäste des Landes. Es gibt Gründe..."

Warum?

"Weil es auf der anderen Seite Pershing Raketen und Marschflugkörper gibt, die das Leben aller Menschen hier gefährden."

Warum hat man die Mauer ursprünglich gebaut?

"Der eigentliche Grund des Mauerbaus war um sich zu verteidigen."

Die Mauer wurde gebaut, um die Ostdeutschen daran zu hindern, nach Westdeutschland zu gehen.

"Nein, das stimmt nur zur Hälfte. Nein, es tut mir leid, das ist nicht richtig. Ich glaube daran, dass die ostdeutsche Regierung das Recht hat, sich gegen jegliche Angriffe zu verteidigen. Es ist viel einfacher, wenn eine Armee über die Grenze kommt und man sie sieht. Und ich halte es fü eine Tragödie, aber ich glaube, dass die US-Regierung die Verantwortung für diese Tragödie trägt, weil sie nicht anerkennt, dass jeder Mensch auf diesem Planeten das Recht haben sollte über sein eigenes Schicksal zu entscheiden, zu entscheiden, ob man lieber im Sozialismus oder im Kapitalismus leben will."

Dean Reed lebt in Ostberlin hinter der Mauer. Aber dort ist er ein sehr privilegierter Künstler, der mit dem Regime sympathisiert. Zunächst hat er ein Auto, worauf der Durchschnittsdeutsche sechs Jahre warten muss, das ist immer noch ein teurer und begehrter Luxus. Er ist mit einem Star verheiratet, Renate Blume, einer beliebten ostdeutschen Schauspielerin, die den Leninpreis für ihre Rolle als Jenny Marx in einem Spielfilm erhielt. Wie in den meisten Ostblockländern gehören sie zur 'Neuen Klasse' und leben in kapitalistischem Komfort.

Sie haben dieses Haus gemietet?

"Ja, wir mieten das Haus. Und dieses Haus kostet mich umgerechnet ca. 40 Dollar im Monat."

Nein.

"Ich gebe Ihnen mein Wort."

Dieses schöne Haus für 40 Dollar im Monat?

"Das ist ganz normal. Alle Leute hier am See zahlen ähnliche Preise, weil im Sozialismus..."

Haben Sie Geld auf der Bank in Amerika?

"Nein."

Schweizer Konten?

"Nein, wirklich nicht."

Reicher Mann oder armer Mann? Ganz ehrlich.

"Ich weiß, dass ich ein reicher Mann bin, das habe ich Ihnen schon gesagt, weil es Millionen Leute gibt, die mich lieben und respektieren. Ich glaube, ich bin reich. Auf Geld bezogen bin ich nicht reich. Aber hier muss ich es nicht haben. Die Schule für meine Kinder... ich habe zwei Kinder hier, eine Tochter und einen Sohn. Wenn er auf die Universität geht, ist das nicht nur kostenlos, sondern er wird sogar noch dafür bezahlt. Wenn ich hier zum Arzt gehe, muss ich nichts bezahlen. Wenn ich zum Zahnarzt gehe, muss ich nichts dafür bezahlen. Warum sollte ich also hier eine Million Dollar haben sollen? Brauch ich nicht."

Dabei wäre Reed professionell genug, um eine Million Dollar zu machen. Zwischen seinen Fernsehauftritten und Popkonzerten hat er 18 Spielfilme gedreht und 14 LPs gemacht. Er führt bei seinem eigenen Film Regie und im Moment bereitet er eine sowjetisch-deutsche Koproduktion über die Schießerei zwischen FBI und Indianern bei Wounded Knee in South Dakota vor. Er schreibt das Drehbuch und spielt gleichzeitig die Hauptrolle. Gedreht wird dieses Jahr in Südrussland. Außerdem schaut er ab und zu bei Politikern aus der dritten Welt vorbei.

"Ich habe für Yasser Arafat gesungen. Das erste mal, als ich ihn traf, habe ich gesagt: Yasser, du musst wissen, dass ich bei allen meinen Konzerten Jiddische Mamma singe, und ich werde es weiterhin singen, und Yasser sagte: 'Dean, ich habe nichts gegen Juden, ich habe nur etwas gegen Zionismus.' Und wir haben darüber gelacht. Ich glaube daran, dass die Palästinenser ein Recht auf ihr eigenes nationales Heimatland haben und darauf, in Frieden mit ihren jüdischen Nachbarn zu leben."

Ich habe ein Bild von Ihnen gesehen, mit einem Gewehr und einer Gitarre im Südlibanon, richtig?

"Ja, ich sehe das nicht als Widerspruch. Ich habe um eine Waffe gebeten. Ich glaube, Amerikaner können das besser verstehen als sonst jemand. Ich denke, alle Amerikaner glauben an das Recht auf Selbstverteidigung. Ich erinnere mich, dass mein Vater zwei Flinten hatte, eine im Auto und eine im Haus.

Damals musste ich mich nicht verteidigen, ich habe keine Waffe benutzt. Aber ich wollte das Recht haben, mich selbst verteidigen zu können, falls eine Invasion gegen den Libanon gestartet worden wäre."

Reed weigert sich die Gewalttaten der PLO Terrorismus zu nennen. Er bezieht sich stattdessen auf Terror durch das Weiße Haus.

"Ich glaube es ist Terrorismus, wenn z.B. Reagan sagt, er macht einen Krieg der Sterne, und er wird dem Militär noch mehr Milliarden Dollar geben, um mehr Waffen zu produzieren. Er bedroht mich, er bedroht Millionen Menschen mit einem dritten Weltkrieg. Das nennt man auch Staatsterrorismus."

Sie setzen Ronald Reagan mit Josef Stalin gleich?

"Ich setze die Möglichkeiten von Ronald Reagan und Josef Stalin gleich. Ich sage, er hat die Möglichkeit, die gleichen Ungerechtigkeiten zu begehen und noch viel mehr, indem er durch einen Atomkrieg diesen Planet einäschert."

Sie glauben, Herr Gorbatschow ist ein moralischerer, gerechterer Mann, ein friedliebenderer Mann als Ronald Reagan?

"Absolut. Ohne jeden Zweifel."

Ich habe etwas über Sie gelesen. Sie sagen, es gibt heute in der Sowjetunion keine Gulags, das war ein stalinistischer Fehltritt. Sie unterhalten keine Gefangenenlager, keine Konzentrationslager, haben keine politischen Gefangenen?

"Ich glaube, dass es wahrscheinlich in allen Ländern der Welt gewisse Leute mit einem reinen Gewissen gibt, die im Gefängnis sitzen. Der Westen z.B. scheint immer so eine große Sache aus Herrn Sacharow zu machen. Und ich glaube, manchmal kommen die Prioritäten durcheinander, Mike."

Warum?

"Er ist ein Mann, der sehr angenehm lebt..."

Andrej Sacharow?

"Ja. Er lebt in einem Haus wie jeder andere normale Bürger. Er kann auf den Markt gehen, er kann einen Film sehen, er kann die Oper besuchen, er kann seine Bücher lesen, er kann schreiben..."

Er kann das Land nicht verlassen.

"Stimmt, er kann das Land nicht verlassen."

Warum?

"Ich glaube Sie können nicht plötzlich ein Riesending daraus machen, dass da ein Mann ist, der das Land nicht verlassen kann. Und so plötzlich alles andere vergessen. Wissen Sie, ich glaube, es gibt sehr verschiedene Arten von Menschenrechten, Mike. Ich glaube, dass alle Menschenrechte wichtig sind. Aber lassen Sie uns die Prioritäten klar zeigen. Ich glaube nicht, dass das Recht zu reisen das wichtigste Menschenrecht ist."

Sie nehmen denen also wirklich das ganze kommunistische Konzept ab?

"Ich nehme denen überhaupt nicht das ganze kommunistische Konzept ab. Wenn Sie wüssten, mit wie vielen Dingen ich nicht einverstanden bin."

Dean!

"Und wie oft ich eins auf den Deckel kriege, weil ich nicht einverstanden bin."

Nennen Sie drei Dinge, mit denen Sie nicht einverstanden sind!

"Ich bin mit der Bürokratie hier nicht einverstanden. Ich bin mit der Tatsache nicht einverstanden, dass wir hier nicht offen genug mit Kritik an die Probleme in der Gesellschaft gehen. Ich glaube, es sollte mehr individuelle Freiheiten in diesem Land geben, und nicht nur sozialistische Freiheit und kollektive Freiheit."

Wissen Sie, ein Schauspieler und Entertainer, der über Politik sprach und es genauso genoss wie Sie, war Ronald Reagan.

"Da haben wir etwas gemeinsam. Das ist wahrscheinlich das einzigste, das wir gemeinsam haben."

Denken Sie manchmal darüber nach, selbst in die Politik zu gehen?

"Ich weiß nicht, Mike. Ich glaube an eine Art Sozialismus. Vielleicht ist es Zeit in den Staaten für eine Art sozialistische Partei, vielleicht eine sozialdemokratische Partei. Ich weiß es nicht. Ich würde liebend gern wieder nach Colorado zurückgehen und Senator von Colorado werden... Warum nicht..."

Sie wollen Gary Hart ersetzen?

"Warum nicht, wenn er Präsident werden will... Warum sollte ich dann nicht Senator von Colorado werden?"

von Thomas Grossman und Andrea Witte überarbeitete Fassung einer Rohübersetzung

Reggie Nadelson about "60 Minutes"

More than anything, this is a tale from the Cold War. It began for me on a Sunday night at home in New York in April, 1986. I was only half-watching as 60 Minutes began and the little clock on the logo went tick-tick-tick and the title of the piece came up on the TV screen. "The Defector," it was called, and then there was Mike Wallace in shot, describing the piece, his voice familiar, resonant; no one in America has a more hypnotic voice than Mike Wallace, and he was talking about a rock star named Dean Reed. I'd never heard of Dean Reed.

The man in the frame now was tall, slim, and improbably handsome, all that thick good hair, the blue eyes, the juicy lips and promiscuous smile, and he was strumming a guitar and singing "Heartbreak Hotel" fit to bust.

I couldn't take my eyes off him. What made it so intriguing was that Reed appeared to be an all-American boy, yet he was in Red Square, being mobbed by Soviet fans, people plucking at his clothes, throwing flowers, begging for autographs - and this during the Cold War. People gazed at him adoringly and behind this big American, a man whose presence was obviously so addictive, so adhesive that everyone wanted a piece, was the Kremlin, heart of the Evil Empire, as Ronald Reagan who was President at the time called it. By now I was crouched near the TV set, transfixed.

Reggie Nadelson, Comrade Rockstar, Introduction

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Letzte Änderung: 2012-04-23