Neues Deutschland 12.06.1991

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Das seltsame Leben und mysteriöse Sterben eines Freundes - Dean Reed

Hier bei uns ist ein amerikanischer Sänger. Möchten Sie ihm die Stadt zeigen? - So der ungewöhnliche Anruf vom "Friedensrat". Aus Neugierde sagte ich ja - und kam nicht aus dem Staunen heraus. Er war so hübsch: schlank, stark, mit vollem blonden Haar, blauen Augen - Frauen wurden reihenweise schwach. Er stammte aus Colorado, ein richtiger Cowboy, hatte eine Art wie Elvis. Und der sollte politisch links sein?!

Und doch. Er sang "Blue Suede Shoes" und ähnliche Schlager - und redete dann von Kämpfen und Revolutionen in Südamerika. Er liebte Beifall und Autogrammjägerinnen, doch auch Argentinier, Chilenen und die ärmsten Lateinamerikaner. Für sie setzte er sich ein. Zur Leipziger Dokumentarfilmwoche brachte er einen Film mit; während des blutigen Vietnamkriegs, als junge Menschen überall auf der Welt USA-Fahnen verbrannten, sahen wir Dean vor der USA-Botschaft in Chile die Fahne in einem Waschkübel schrubben - um "Dreck und Blut herauszuwaschen". Wie erwartet (und erhofft?) wurde er verhaftet. Ja, er konnte übertreiben, war jedoch selbst immer überzeugt. Wie kam so ein fröhlicher Ritter zu einem so frühen Tod?

Ich war sein Dolmetscher bei den zwei DEFA-Filmen, die ihm die ersten Kratzer ins schillernde Image gruben, wenn auch ohne seine Schuld. "Taugenichts" verstand keiner, "Kit & Co." langweilte alle. Nur bei der Arbeit liebte ihn jeder. Er balgte sich mit den Bühnenarbeitern in Kraftwettkämpfen, schaute kritisch nach deren Arbeits- und Essensbedingungen, wie in Italien. Als dort eine Firma die Löhne nicht zahlte, "kidnappten" die Arbeiter den Star. Dean blieb still und froh versteckt, bis bezahlt wurde.

In Rumänien (das "Italien" im "Taugenichts"-Film) schloss er schnell Freundschaft mit den rumänischen Mitarbeitern. Oder den meisten. Als er erfuhr, dass der rumänische Chauffeur des Sonder-Mercedes es ablehnte, eine Sekretärin mitzunehmen ("Ich fahre nur Amerikaner"!), nahm Dean am nächsten Tag danach einen abscheulich kostümierten rumänischen Kleindarsteller mit - unrasiert, verlumpt, grässlich vernarbt - und freute sich über den hilflosen Schreck des Lenkradsnobs.

Er war kein Heuchler. In Fantasiebildern kommender Revolutionen griff er, ein edler Ritter, wohl immer als erster von den Barrikaden aus an. Doch glaubte er das, was er sagte, und gerade der feste Glaube (den wir teilten) machte ihm Probleme. Wenn er beim Fernsehauftritt die Faust hochhielt, ein Kampfsymbol überall im Westen, erschreckte Adlershof und schnitt die Faust sorgfältig weg. Ein linker USA-Sänger, der für die DDR sprach, war gewiss für "die da oben" willkommen, doch in Grenzen, die er nie richtig erkannte. Genauso schwierig war es mit einem Publikum, das zunehmend "Blue Suede Shoes" und modernere Lieder aus dem verlockenden Westen vorzog - und keine erhobenen Symbole, die es weder begriff noch denen es traute. Die breite Masse, an die er sich richtete, suchte Idole, die ihnen weder ins Gewissen redeten, über ferne Revolutionen sprachen, noch über "Osten und "Westen" diskutierten; sie sollten für den letzteren sein oder den Mund halten.

Viele Intellektuelle krümmten spöttisch die Lippe beim Gedanken an Dean. Sie liebten nicht die versuchte Massenunterhaltung, die tadelten seine fehlenden Schauspiel- und Singtalente (die gewiss nicht unsterblich waren - doch wessen sind das?), sie liebten ganz andere Trends. Er kam also bei vielen Gruppen immer weniger an, was die Medien (und deren "Mentoren") nur langsam begriffen. Dean, in manchem klug, war zuweilen sehr naiv, und erkannte noch schwerer, dass er nicht alle Menschen beglückte. Trotzdem wollte er weder heucheln noch den Mund halten. Das hätte er ja in den USA haben können, und dazu eine passable mittlere Laufbahn! Wegen seiner Ehrlichkeit hatte ihn fast jeder gern, der ihn kannte oder persönlich erlebte.

Zwei seiner Filme fand ich gut. "Blutsbrüder", mit Gojko Mitic, hatte Spannung und eine humane Aussage und brauchte den Vergleich mit anderen DEFA-Indianerfilmen und mit den westlichen Karl-May-Filmen nicht zu scheuen. Was "Sing, Cowboy, sing" betrifft: Warum sollte die DEFA nicht mit der Olsenbande und Louis de Funès konkurrieren, manche kleine Wahrheit oder Lokalironie auf die Leinwand bringen und die Kinos mit jungem Publikum füllen? Nicht jeder Film muss unvergessliche Kunst sein. Dean plante einen Film über den Indianeraufstand von 1973 in Wounded Knee, wohl seine letzte Hoffnung, denn in die Säle kamen die Fans immer spärlicher. Es gäbe "echte" West-Sänger im Fernsehen und nun auch in Live-Tourneen. Warum kehrte er nicht in die USA zurück? Wenige wussten, dass viele Künstler, von Jazzpianisten bis zu Opernsängern, von Josephine Baker bis Carlo Blanco, vorm harten Konkurrenzkampf in Amerika nach Europa auswichen. Meistens, gewiss, nach Westeuropa.

Seit dem letzten längeren Besuch 1985 träumte Dean von einem neuen Start in der Heimat, wo er einst vielversprechend begonnen hatte. Das war keine Absage an die DDR, die er trotz wachsender Probleme und Zweifel als zweite Heimat ansah. Es fand sich ein US-Manager mit ehrgeizigen Comeback-Plänen. Eine Illusion? Sicher, Dean hing oft an Illusionen. Dann kam die große Chance: Eines der populärsten Fernsehprogramme der USA ("60 Minutes") wollte ein Interview; der Startschuss, der ihn bekannt machen sollte!

Der Startschuss wurde zum Eigentor! Der Interviewer, bekannt für seine Härte, stellte bohrende Fragen über die DDR, den Nahen Osten, Arafat, worüber fast alle in den USA fertige Schlagworte kannten, die kein Überlegen oder Nachdenken zuließen. Dean war zu naiv und zu ehrlich, anders zu antworten, als es sein Glaube zuließ. An just dem Abend, als so viele Amerikaner tödlichen Bombern über Libyen zujubelten, kam seine naive Aufrichtigkeit kaum an. "Die Kommunisten gaben diesem Verräter ein schönes Haus am See. Aber wie ist es mit dem Lebensstandard der übrigen Millionen Russen?" war in Briefen zu lesen. Und: "...ein verdammter Verräter und Terrorist. Des Todes würdig! Elektrischer Stuhl - Gaskammer!" Und noch härter: "In Texas würde man ihn von der Bühne weglachen!" Dean, der von einer Welt des Friedens, der Liebe und Gerechtigkeit träumte, verzagte. Der Weg nach Hause, beteuerte sein Manager, war nun völlig versperrt.

Mit Frauen ging es auch nie glatt. Lag es an Dean? An seinen Frauen? Vielleicht war er eben zu hübsch, vielleicht zu sensibel, zuweilen wie eine überspannte Saite. Als ich einmal versuchte, Streit mit der zweiten Frau Wiebke zu schlichten, merkte ich wieder: Wer beim Ehestreit die Schuld trägt, ist schwer festzustellen, oft liegt's an beiden. Es lag auch an seiner Verzweiflung, am Schicksal der hinabrutschenden Republik, an der missratenen Weltlage, die unsere Utopien immer ferner und schwerer erreichbar machten. Die schwindende Popularität, die fehlende Zukunft, der Streit: Es wurde ihm einfach zu viel. Ein wenig benommen, vielleicht von dem Schlafmittel, ohne das Dean nie Bettruhe fand, ging er vor fünf Jahren, am 12. Juni, in den letzten Schlaf. In dem verlassenen Wagen am Rande des Sees, in dem er Tage später gefunden wurde, ließ er hastig gekritzelte Worte zurück: "Die Menschen von guten Willen werden eine bessere Welt bauen - eine sozialistische Welt... Ich bin nicht mit alles einverstanden, aber Sozialismus ist noch nicht erwachsen. Es ist die einzige Lösung für die Hauptprobleme für die Mehrheit der Welt... Ich habe viel gehabt und habe versucht, meine Kraft und Talent zu widmen an alle Menschen, die meine Hilfe brauchten..."

Man verheimlichte ängstlich den Freitod, es entstanden vielerlei Gerüchte, alle falsch, bis auf eins. Dean konnte die Probleme nicht mehr verkraften; das stolze Kampfross war eine erdgebundene Rosinante, der frohe blonde Ritter, mit der Gitarre als Speer und Schild, war am Ende, war, wie so viele von uns, ebenfalls ein Don Quichote, ein Ritter von trauriger Gestalt. Vor fünf Jahren hat er uns verlassen, weitere Enttäuschungen blieben ihm erspart. Nur, die Windmühlen drohen immer, die bösen Zauberer und Riesen ebenfalls.

Victor Grossman

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Letzte Änderung: 2007-12-07