Wochenpost 23/1991 (Wochenzeitung) |
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Hintergründe eines Selbstmords - die letzten Tage von Dean ReedTod im Zeuthener SeeVor fünf Jahren, am 12. Juni 1986, starb Dean Reed, Opfer eines "tragischen Unglücksfalls", wie ADN am 18. Juni meldete. Ein Unfall? Gegen diese Behauptung regte sich von Anfang an heftiger Widerspruch. Zahlreiche Gerüchte über Reeds mysteriösen Tod liefen um. Nicht nur Will Roberts, der 1985 den Porträt-Film "American Rebel" gedreht hatte, zweifelte den offiziellen Abschlussbericht der Ostberliner Kriminalpolizei an. Doch bald geriet Dean Reed in Vergessenheit und mit ihm alle Spekulationen über Drogenmissbrauch, Selbstmord, Tod durch dritte Hand. Niemand fragte mehr nach den Platten, den Filmen des einst so populären Stars, dessen Stern längst verblasst war. Auch nach der Wende bestand kaum noch Interesse an dem Künstler und Friedenskämpfer Dean Reed - wohl aber an den geheimnisvollen Umständen seines Todes. Westdeutsche Fernsehjournalisten stießen bei ihren Recherchen auf einen Abschiedsbrief, von dem bis dahin weder Reeds Frau Renate Blume noch seine Mutter etwas erfahren hatten. Nicht einmal der Adressat hat je das Original gesehen, das im Panzerschrank des einstigen Kripo-Chefs lag. Nach Prüfung der Fakten verzichtete das TV-Team auf weitere Ermittlungen. Der Brief samt Schriftgutachten und Obduktionsprotokoll jedoch kursierte und sorgte sporadisch für ein Aufrauschen im bunt gewordenen Blätterwald. Am 7. September 1990 erfuhr die Öffentlichkeit, dass Dean Reed nicht "einem tragischen Unfall zum Opfer fiel, sondern aufgrund persönlicher Motive Selbstmord beging". Die anderslautende Version aber sei "der Sicherheitsdoktrin der Partei- und Staatsführung geschuldet" gewesen. Vierzehn Tage später veröffentlichte Helfried Schreiter in seinem inzwischen untergegangenen "blatt" pikante Auszüge aus dem Brief; und im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" erschien ein Bericht, in dem nicht einmal Reeds Todesdatum stimmte. "Wie es hieß, trug er einen Strick um den Hals, als man ihn hinter dem Steuer seines Autos vom Grund des Sees holte..." Der Abschiedsbrief wurde nicht erwähnt. Überraschenderweise spielen der Brief und der Mann, an den er gerichtet war, auch in der vor wenigen Wochen in London erschienenen Biographie "Comrade Rockstar. The Search for Dean Reed" von Reggie Nadelson keine Rolle, obwohl die amerikanische Journalistin in ihrem von Flüchtigkeit und Vorurteilen geprägten Buch keine Spekulation über Reeds Tod auslässt. "Er wusste etwas über Tschernobyl", mutmaßt sie und weiß selber nicht einmal das Datum der Katastrophe! Dean Reed befand sich in den letzten Wochen seines Lebens zweifellos in einer physisch und psychisch kritischen Situation. Mit dem DDR-Fernsehen gab es Querelen; vergeblich hoffte er auf einen neuen Plattenvertrag. Im Mai, mitten in den Vorarbeiten für den DEFA-Film "Bloody Heart", der seine künstlerisch wenig ergiebige Babelsberger Karriere als Western-Star, Drehbuchautor und Regisseur krönen sollte, erlitt er eine erste Herzattacke, die ihn daran erinnerte, dass er auf die Fünfzig zusteuerte. Der Kampf um diesen Film, in dem Renate Blume die weibliche Hauptrolle zugedacht war, hatte an seinen Kräften gezehrt. Erst am 10. Juni unterschrieb Gerrit List, Produktionsleiter der DEFA, nach zähen Verhandlungen in Moskau die endgültigen Verträge für die Koproduktion. Es gab noch weitere Gründe für Reeds zunehmende Depressionen. Im Herbst 1985 war er zum ersten Mal nach sieben Jahren wieder in den USA gewesen und hatte erkennen müssen, wie schwierig eine Heimkehr für ihn sein würde. Dennoch sollte seine Freundin und Managerin Dixie Lloyd Schnebly sein Comeback vorbereiten. Er telefonierte mehrmals wöchentlich mit ihr, angeblich oft von einer Westberliner Telefonzelle aus. Im April 1986 schockte Dean Reed Dixie und seine wenigen Freunde in Colorado durch ein Interview in der populären CBS-Fernsehshow "60 Minutes", in dem er Reagan mit Stalin verglich und die Berliner Mauer verteidigte. Die Briefe, die er daraufhin in großer Zahl erhielt, mussten ihm endgültig klarmachen, dass es eine Rückkehr für ihn kaum geben konnte. Er, der sich in der Welt des realen Sozialismus allzu naiv noch immer als gefeierter Held und Künstler fühlte, war in seiner Heimat nur ein Abtrünniger, weniger als ein Niemand: ein Kommunist. Die ständige Anspannung entlud sich in häuslichen Auseinandersetzungen. Am Montag, drei Tage vor seinem Tod, nahm Dean Reed nach einem Streit wegen einer Nichtigkeit eine Machete von der Wand und bearbeitete damit seinen Unterarm. Etwa fünfzig oberflächliche Hautdurchtrennungen, sogenannte "CANUTOsche Probierschnitte, wie sie im Rahmen von Selbsttötungen sehr oft zu sehen sind", verzeichnet das Sektions-Protokoll. Es war nicht Reed erster Versuch, sich umzubringen. Schon einmal, nach dem Tod seines Schauspiellehrers und Freundes Paton Price, hatte er eine Überdosis Schlaftabletten geschluckt. Auch sein Vater Cyril Reed war 1984 durch Suizid gestorben. Reed hatte in der DDR viele persönliche Freunde, darunter den für Fernsehen und Rundfunk zuständigen Mitarbeiter der Agitationsabteilung im ZK der SED, Eberhard Fensch, der ihm mancherlei Schwierigkeiten aus dem Wege räumte. Fensch, als Rundfunkjournalist noch von Werner Lamberz ins ZK berufen, erfuhr an diesem 9. Juni - dem Tag nach der Volkskammerwahl, die mit 99,94 Prozent Ja-Stimmen das erwartete triumphale Ergebnis geliefert hatte - durch das Büro Herrmann von Reeds Selbstmordversuch. Er fuhr sofort nach Rauchfangswerder und hatte mit ihm ein langes Gespräch. Reed versprach ihm in die Hand: Ich tue es nicht wieder. Am Donnerstagabend, nach einem neuen unerquicklichen Ehestreit, telefonierte Reed mit Gerrit List in Babelsberg und kündigte an, bei ihm zu übernachten. Er kam nie dort an. Am darauffolgenden Tag, am Freitag, dem 13. Juni, erfährt man im Haus des ZK, dass "etwas mit Dean Reed sei". Man forscht nach seinem Verbleib, sucht ihn mit Hilfe der SED-Kreisleitung Stralsund auf Hiddensee. Generalleutnant Paul Kienberg, Chef der Hauptabteilung XX im Ministerium für Staatssicherheit, veranlasst den Einsatz der Untersuchungs-Spezialisten aus der Abteilung IX/7. Am Sonnabend melden Rettungsschwimmer am Zeltplatz Zeuthener See, dass seit Freitag früh ein Lada im Dickicht hinter ihrem Turm steht. Die Polizei ermittelt den Besitzer: Dean Reed. Der Wagen ist an der Stoßstange beschädigt, wahrscheinlich gegen einen Baum gefahren. Die Kripo ist bereits fertig mit der Spurensuche, als der Einsatzverantwortliche der Ministeriums für Staatssicherheit mit drei Mitarbeitern eintrifft. Im Wagen fällt dem Untersuchungsführer eine Papierrolle auf der Ablage über dem Lenkrad auf: ein Filmdrehbuch. Der Oberstleutnant dreht die Blätter um und entziffert auf den Rückseiten die großen Schriftzüge des Abschiedsbriefes: "ZK. Mein Freund und Gen. Eberhard Fensch... Mein Tot hat nichts mit politik zu tun..." Auf fünfzehn Seiten begründet Reed seinen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, und bedenkt seine Freunde, seine Mutter, seine Kinder mit letzten Grüßen. "Meine Grüße auch an Erich - Ich bin nicht mit ales einverstanden, aber Socialismus ist noch nicht erwachsen..." Die Grüße an Honecker sind die einzigen, die ihren Empfänger erreichen, ausgerichtet von Erich Mielke. Und bevor noch die Leiche gefunden ist, steht Honeckers Entschluss fest: Es war ein Unfall. Ein amerikanischer Friedenskämpfer begeht nicht in der DDR Selbstmord. Bei strahlendem Sommerwetter beginnt eine intensive Suche, zu der Sondereinheiten der Staatssicherheit aufgeboten sind. Fährtenhunde verfolgen vergeblich die Spur vom Auto zur nahen Badestelle. Drei Tage vergehen. Erst am Morgen des 17. Juni entdeckt ein Wasserschutzpolizist, nur wenige hundert Meter von dieser Badestelle entfernt, eine Leiche im Wasser. Mit einer Bootsleine wird der Körper zum Ufer gezogen und auf einer Plastplane abgelegt. Diesmal ist die Stasi zuerst am Fundort. Kein Zweifel, der Mann in Jeans, lammfellgefütterter Jeansjacke und grauen Sportschuhen ist der Gesuchte. Die Sektion wird noch am gleichen Tag in Anwesenheit einer Staatsanwältin von den Professoren Prokop und Radam vorgenommen. "Anhaltspunkte für eine Gewaltanwendung von fremder Hand" finden sich nicht. "Todesursache: Soweit bei fortgeschrittenen postmortalen Veränderungen feststellbar, am ehesten Ertrinken unter toxischer medikamentöser Beeinflussung." Reed nahm regelmäßig Radedorm ein. Viele seiner Freunde wussten das. Bei der Trauerfeier in Baumschulenweg fehlt zwischen all den Freunden und Verwandten auch die Stasi nicht. Noch einmal schallt Deans Stimme mit einem seiner Lieder durch die Feierhalle. Will Roberts versucht die traurige Stimmung zu brechen und klatscht. "Dean liebte den Beifall..." Am nächsten Morgen sitzen im Palasthotel Deans Mutter und seine erste Frau dem Stasi-Oberstleutnant gegenüber. Morgens um sieben hat dessen Vorgesetzter noch einmal im ZK nachgefragt und zur Antwort erhalten: Es bleibt bei der Unglücks-Version. Der Brief und die Abschiedsgrüße dürfen niemandem gegenüber erwähnt werden. Nichts soll den Glanz des Staatsratsvorsitzenden, der sich soeben sein hohes Amt bestätigt hat, trüben. Erich Honecker ist unterwegs zum ersten Staatsbesuch in Schweden. Jan Eik |
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www.DeanReed.de
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