Mitteldeutsche Zeitung 18.11.2004 |
||||
Ein guter Cowboy reitet in die sozialistische MorgenröteSurreale Szenen sind das: Der Cowboy mit der Gitarre zwischen vermummten Palästinensern, die beim Country-Klassiker "Ghost Riders in the Sky" rhythmisch mitklatschen. Der Freiheitskämpfer in Minneapolis, wo er bei einer Demonstration gegen den Bau von Hochspannungsmasten mit dem Plakat "Alle Macht dem Volke" voranstürmt und ahnungslose Farmer so zu seinen Mitangeklagten in einem Menschenrechts-Prozess macht. Der Friedensapostel in Moskauer Ministerien und bei chilenischen Bergarbeitern - und schließlich der Tote im Zeuthener See, der trotz sommerlicher Hitze mit zwei dicken Jacken bekleidet war und auf dem Beifahrersitz seines Autos einen eigentümlichen Abschiedsbrief hinterließ. Kronzeuge des OstensAls Dean Reed am 12. Juni 1986 sein Haus im brandenburgischen Schmöckwitz verließ, um seinem Leben ein Ende zu setzen, wurde seine reale Existenz längst vom eigenen Mythos überstrahlt. Seitdem der 1938 in Denver (Colorado) geborene Lehrerssohn 1971 in die DDR übersiedelt war, um seine zweite Frau Wiebke zu heiraten, galt er dem sozialistischen Staat als Kronzeuge für die Attraktivität der eigenen Gesellschaftsordnung. Und da er zudem ein solider Musiker und passabler Schauspieler war, brachte er einen Hauch von Glamour in das Grau des ostdeutschen Alltags. Die Reed-Biografie "Der rote Elvis", die der Journalist Stefan Ernsting jetzt vorgelegt hat, beschreibt diese Symbiose zwischen der Macht-Elite und dem Enfant terrible genau. Zugleich aber legt sie die Konditionen offen, die für das Funktionieren dieses seltsamen Lebensentwurfs unerlässlich waren. Einerseits nämlich konnte sich Dean Reed bei all seinen politischen wie künstlerischen Abenteuern, zu denen Auftritte in Krisengebieten ebenso wie harmlose Indianerfilmchen á la Babelsberg zählten, auf die Rückendeckung der Machthaber und einer großen Fangemeinde verlassen. So reduzierte sich selbst das Risiko jeder Verhaftung, weil zuverlässig eine Kampagne zu seiner Freilassung ausgerufen wurde. Andererseits aber war und blieb er Staatsbürger der USA - was nicht nur beim Kauf von Gitarrensaiten in Westberlin, sondern auch bei waghalsigen Aktionen in Lateinamerika hilfreich war. Ernsting hat akribisch recherchiert und entwirft das Bild eines Mannes, dessen Naivität letztlich nur die Kehrseite seiner unbedingten Ehrlichkeit war. Dass sich der Autor an Spekulationen über Reeds angebliche Geheimdienst-Tätigkeit und am Rätselraten über seinen Tod nicht sensationslüstern beteiligt, sondern lediglich die widerstreitenden Versionen gleichberechtigt aufführt, lässt seinen Text wohltuend sachlich erscheinen. Hollywood in der DDRGleichwohl versteht man nach der Lektüre noch genauer, warum sich Tom Hanks die Rechte an Dean Reeds Biografie gesichert und mit der Witwe Renate Blume einen Exklusiv-Vertrag geschlossen hat. Denn dieses Leben hatte wirklich alles, was man für Hollywood braucht: Dramatik, große Gefühle und ein tragisches Ende. Inklusive des Schluss-Satzes "Lass alle vorschrittliche Menschen ein besseres gerechtiges und friedliches Welt schaffen", der sich in Dean Reeds Abschiedsbrief findet. Stefan Ernsting: "Der rote Elvis", Gustav Kiepenheuer Verlag 2004, 314 S., 22,50 Euro Andreas Hillger |
||||
mz-web.de | ||||
|
||||
www.DeanReed.de
|