Märkische Allgemeine Zeitung 21.07.2004 |
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Der lange Abschied des Dean ReedDer letzte Brief des 1986 verstorbenen Sängers ist wieder an die Öffentlichkeit gelangtPOTSDAM Manche Tote dürfen nicht ruhen. Wieder und wieder ist die Geschichte erzählt worden von dem verzweifelten Folk-Barden, der sich am Abend des 12. Juni 1986 in Rauchfangswerder in seinen Lada setzte. Es ist die letzte Fahrt des Dean Cyril Reed, ein hoffnungsloser Aufbruch nach einem heftigen Streit mit der Ehefrau, eine Flucht vor übermächtigen Selbstzweifeln, weil das jüngste Filmprojekt nicht vorankommt und weil die ferne Heimat Amerika nach einem verpatzten Show-Auftritt verloren scheint. Tage zuvor hat der 48-Jährige bereits einen demonstrativen Selbstmordversuch mit einer Machete unternommen, wohl eher, um Ehefrau Renate Blume ein Warnsignal zu geben. Selbstmörder tun das meistens, und oft werden die Signale übersehen oder missdeutet. Eberhard Fensch, enger Freund und stellvertretender Leiter der Abteilung Agitation und Propaganda beim ZK der SED, ist alarmiert, fährt hin, spricht lange mit Reed und lässt sich in die Hand versprechen, dass solches sich nicht wiederholt. Man will sich treffen, alles noch einmal durchdiskutieren, klären. Doch dazu kommt es nicht mehr. Als die Polizei am 13. Juni das Auto des Wahl-DDRlers unweit seines Hauses am Zeuthner See findet, wird schnell klar, dass der "singende Cowboy" und Klassenkämpfer den Kampf gegen sich selbst verloren hat. Im Kofferraum des Wagens finden die Ermittler einen Brief an Fensch, den Freund und Vertrauten, in dem Reed Abschied nimmt. Schroffe, nach rechts fallende Zeilen in wilder, aufgewühlter Handschrift, mit ausholenden Abschwüngen und hektisch verhuschten Bindestrichen. Es ist die Odyssee dieses Briefes, der den "Fall Reed" nicht zur Ruhe kommen lässt. Der angegebene Empfänger wird die 16 Seiten nur kurz zur Ansicht erhalten. Eberhard Fensch eilt, um die Brisanz der Sache ahnend, zum Ersten Sekretär und zeigt Erich Honecker den Abschiedsbrief. "Honecker las ihn aufmerksam und sagte dann so etwas wie: Das können wir der armen Witwe doch nicht zeigen", erzählt Fensch heute. Das Konvolut verschwand im Tresor des DDR-Innenministeriums und ward nicht mehr gesehen. Reeds Suizid, vom Gerichtsmediziner Otto Prokop eindeutig als Ertrinken unter Einfluss von Beruhigungsmitteln nachgewiesen (MAZ vom 20. September 2003), wurde höchstoffiziell zum tragischen Badeunfall erklärt. In wirren Wende-Zeiten taucht das Papier allerdings wieder auf, vom obskuren Zeitungsmacher Hellfried Schreiter im "Blatt" auszugsweise veröffentlicht. Reeds Witwe ist fassungslos, tobt und kündigt dem langjährigen Freund Fensch die Freundschaft, weil sie meint, er habe des Sängers (letzten) Fluch gewinnbringend vermarktet. In dem Brief wird Renate Blume-Reed ein Teil der Schuld am Freitod des Mannes aus Denver (Colorado) gegeben. "Ich würde das alles nicht auf die Goldwaage legen", meint Fensch, der mit einem Beamten der Witwe die Todesnachricht überbrachte und heute unweit von Usedom lebt. Seit der Ex-Funktionär die ganze Geschichte mit der gebotenen Zurückhaltung in einem Buch ("So und nur noch besser. Wie Honecker das Fernsehen wollte", Edition Ost) geschildert hat, hätte die Akte Reed im Grunde endlich geschlossen und den an ihr interessierten Filmemachern überlassen werden können. Hätte. Wenn die Bild-Zeitung gestern nicht den Wortlaut jener bitteren Zeilen veröffentlicht hätte. Darin schreibt sich ein dünnhäutiger Künstler seine Verzweiflung und wohl auch seine Depression vom Leibe: "Renate fing an mich aufzuziehen, dass ich nur ein Showmann bin", steht da, und hat wohl mitten hinein getroffen in die wunde Seele des von sich und seinen Talenten nicht wirklich überzeugten Sängers und Schauspielers. Immer härter drischt der Rasende in holpernder Fremdsprachen-Diktion auf seine Frau ein, die seine Kontakte zu Ex-Frauen und den Kindern aus früheren Ehen nicht ertragen könne, immer nur die "bevorzugtesten Waren" wolle. Unvermittelt dann der Schwenk ins Weltpolitische: "Ich hätte viel lieber auch in Libanon oder Chile gestorbern - im Kampf gegen unsere Feinde". Oder: "Es tut mir so leid, dass ich nicht mit meinem Freund Victor (Jara - d.Red.) gefallen bin". Irrlichternde Gedanken, Sinnsuche und Größenwahn eines verhinderten Helden, dessen Tal keine Auswege mehr hat. "Meine Grüße auch an Erich - Ich bin nicht mit alles einverstanden, aber Sozialismus ist noch nicht erwachsen. Es ist die einzigste Lösung für die Hauptprobleme für die Menschheit der Welt." Da hat er wohl schon abgeschlossen mit sich und der Welt. Irdisches Paradies statt himmlischer Heerscharen als letzte Hoffnung. Oder taten bereits die überdosierten Barbiturate ihren Dienst? Ein Mann - verloren zwischen Klassenkampf und Klampfe, Heimat, Liebesglück und Weltenschmerz. Spät abends, wenn spiegelglatte Ruhe sich sanft und heilend über den See legt. Ralf Schuler Dokumentiert: Es wird die einzige Lösung sein...
ZK
Es tut mir Leid mein Freund. Du warst ein Vorbild für mich - wie so viele ehrliche Sozialisten von Chile bis Libanon. Mein Tod hat nichts mit Politik zu tun. Laß unsere Feinde, die Faschisten und Reaktionäre, es nicht so auslegen! Ich wollte zu Dir in Frieden mit Renate Sonntag kommen, aber als ich heute abend zurück von Defa kam und saß bei T.V. - Renate fing an mich aufzuziehen, dass ich nur ein Showmann bin (...) Es wird die einzige Lösung für Defa - wenn ich sterbe - weil ich kann nicht das Geld von das Volk nehmen für einen Film, der möglicherweise nie zu Ende kommt, weil jeden Tag meine Frau wird mich weiter foltern und quälen - und es gibt nicht genug Zeit einen anderen Schauspieler zu finden. (...) Lebt wohl - Meine Liebe bitte an meine Mutti die ich so liebe und war so ein Vorbild für mich. An R. meine Tocher an N. meine Tochter und S. meinen Sohn - Ich umarme Dich Dein Dean Reed |
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