Frankfurter Rundschau 02.08.2007

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Der uramerikanische Tor

"Der Rote Elvis": Ein nicht ganz erschöpfender Dokumentarfilm über den Ostblock-Star Dean Reed

VON DANIEL KOTHENSCHULTE

Der Fotoband zum Jubiläum ist ein Geschenk des Moskauer Filmfestivals. Gäste aus vier Jahrzehnten in schönen Schnappschüssen. Sogar Robert Redford ist darin, der sich einmal, noch vor der Glasnost-Zeit, liberal genug fand, seine Aufwartung zu machen. Die russische Oma bleibt bei einem anderen Foto hängen. Der junge Mann sieht Redford überraschend ähnlich und ist gleichfalls Amerikaner. Der ganze Ostblock kannte ihn, mir sagt sein Name nichts. Ohne das Buch und das Gespräch, das sich daraufhin entsponnen hat, hätte ich lange nichts erfahren von Dean Reed.

Der eiserne Vorhang war, was die Popkultur betrifft, von östlicher Seite ein gläserner Vorhang. Wer hier im Westen groß war, den kannte man auch dort. Umgekehrt kannte man nichts. Das Desinteresse des deutschen Fernsehens an der blühenden sowjetischen Filmindustrie war grenzenlos, nicht einmal die berühmten Trickfilme schafften es ins Kinderprogramm. So war das damals auf dem freien Informationsmarkt: Kaltschnäuzig sagte man "Wolf und Hase" gute Nacht. Immerhin einen falschen Hasen leistete man sich in Gestalt von Ivan Rebroff. Dass auch der Ostblock ein Gegenstück besaß, einen unechten US-Star, davon erzählt jetzt der Dokumentarfilm "Der Rote Elvis".

Gebürtiger Amerikaner war der Mann aus Denver auch, nur eben kein Star. Dean Reed war nicht einmal ein One-Hit-Wonder, und doch will sich die Geschichte nicht ganz so einfach zusammenfügen, wie sie Leopold Grün nach seinem eigenen Buch erzählt. Da ist also dieser gut aussehende Sänger und Gelegenheitsschauspieler, der mit etwas zu viel Schmelz in der Stimme den Ossis the soft side of rock vorspielt. Der für die Defa als singender Old Shatterhand den Genozid an den Indianern geißelt. Der in einer Berliner Villa mit Seeblick residiert und am Widerspruch zwischen DDR-Alltag, marxistischen Idealen, Heimweh und Karriereträumen zerbricht. Der sich, beinahe ermutigt von seiner schwermütigen Geliebten, 1986 in eben diesem See ertränkt. Es ist eine großartige Lebensgeschichte eines Tragisch-Naiven, nicht unähnlich seiner bekanntesten Filmrolle "Aus dem Leben eines Taugenichts" - nur um einiges düsterer.

Doch auch wenn sie beinahe stimmen mag, wie sie sich aus spannenden Interviews erzählt, insbesondere mit den Defa-Regisseuren Celino Bleiweiß und Günter Reisch, muss doch einer draußen bleiben - und das ist ausgerechnet der Musiker Dean Reed. Das wenige, was von ihm im Film zu hören ist, präsentiert ihn als Schlagerbarden, der stets den falschen Ton anschlägt. Der Folksongs in sozialistischem Kirchentagspathos ertränkt. Auch das ist Dean Reed, aber schon eine Recherche bei Youtube offenbart verborgene Talente - und einen erstaunlichen Nebenschauplatz.

1984, der Film erwähnt es nicht einmal, erhält der Sänger in Ostberlin Besuch von Phil Everly. Der Rock'n'Roll kennt nicht viele untadelige Säulenheilige, aber Phil von den Everly Brothers gehört zweifellos dazu. Die Beatles sangen nach ihrem Vorbild. Phil Everly also, ein Mann, der die Republikaner wählte, reiste zu seinem gerade wegen der andersartigen politischen Couleur respektierten Freund in die DDR, ängstigte sich an der Grenze und staunte dann, wie gut man einen behandelte, der Dean Reed kannte. Im staatlichen Fernsehen sang er mit dem sichtlich beglückten Gastgeber "Bye bye love". Es ist eine herzzerreißende Szene auf Youtube - und sie gibt zu denken. War Dean Reed vielleicht doch ein respektabler Musiker? Stöbert man weiter, findet man die Beatles-Cover-Version "Can't buy me love". Was für eine schöne antikapitalistische Botschaft hat er sich ausgesucht für ein Tänzchen mit dem Fernsehballett. Schließlich der Titelsong aus dem Defa-Western "Blutsbrüder", "Love your brother": Hier hört man, wozu Reed fähig war: Er war kein "Roter Elvis", sondern ein veritabler Frankie Laine. Hätte er seine meisten Platten nicht in Moskauer Hitschmieden besingen müssen und wäre stattdessen an gute Songs geraten, es hätte die Popwelt um eine Färbung bereichern können - auf halben Wege zwischen Gene Pitney und Scott Walker.

Aus Armut oder Sparsamkeit wollten die Filmemacher die Musik- und Ausschnittrechte nicht bezahlen. So kann sich auch die ganze Tragik der Existenz Dean Reeds nicht vermitteln. Wenn sich ein Künstler das Leben nimmt, der ein gutwilliger Dilettant ist, ist das eine andere Geschichte als die kreative Sackgasse eines Talentierten.

Im Jahre 2004 stöberte das Prager Filmfestival "Music on Film" Will Roberts' abendfüllende Reed-Doku "American Rebel" auf. Leopold Grün lüsst den Regisseur dieser Pionierarbeit ausführlich zu Wort kommen und zeigt einzelne, spektakuläre Szenen aus diesem vielleicht etwas zu wohlmeinenden Porträt: Reed vor chilenischen Arbeitern oder beim Privatkonzert für Arafat. Einen Verweis auf die Herkunft des Materials oder den Filmtitel bleibt er ebenso schuldig wie bei seinem schönsten Fund - die Privatfilme des großen Defa-Meisters Günter Reisch.

Die politische Seite des Themas vermittelt sich indes famos: Egon Krenz erzählt in aller Offenheit, wie man Reed, der als Exil-US-Bürger die Ideale der DDR zu verkörpern schien, umwarb. Armin Mueller-Stahl, der nichts auf seinen Freund kommen lässt, charakterisiert ihn als idealistischen Brückenbauer. Und auch Isabel Allende weiß nur Gutes über den Unterstützer des Befreiungskampfes zu berichten. Derart hofiert, wagte es der Revolutionär nicht, sich für verfolgte DDR-Bürger einzusetzen oder wenigstens den Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung zu unterschreiben. Ein Jahrzehnt musste vergeben, bis ihm bei einer Verkehrskontrolle der Kragen platzte und er es doch noch zu einem unvorteilhaften Eintrag in der Stasi-Akte brachte.

So ist "Der Rote Elvis" zwar ein höchst anregender, aber doch nicht ganz befriedigender Film über einen der rätselhaftesten Heimatlosen der Popkultur geworden: Dean Reed, den Amerikaner aus dem russischen Bilderbuch. Wer mag sich wundern, dass Hollywood mit der Verfilmung seines Lebens liebäugelt. Tom Hanks, als "Forrest Gump" schon einmal der uramerikanische Tor, hat der Witwe die Rechte an der Geschichte abgekauft. Allerdings kommt das Projekt seit Jahren nicht vom Fleck. Manchmal ist das Leben eben doch größer als das Kino.

Der Rote Elvis, Deutschland 2007, 90 Minuten.

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