Tagesspiegel 19.08.1984

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Ein Cowboy in Ost-Berlin

US-Sänger Dean Reed wohnt seit 1972 in der DDR - An die politische Umgebung angepasst

Was macht ein US-Cowboy in der DDR? Er singt Country, dreht Western-Filme und applaudiert Honecker. Der Cowboy heißt Dean Reed, wohnt am Stadtrand von Ost-Berlin - in Rauchfangswerder - an einem ausgewählt schönen Seegrundstück und sitzt ständig auf gepackten Koffern, um zwischen der Berliner Mauer und Wladiwostok als der "Golden East Block superstar, the Johnny Cash of Communism" (New York Times, 10. Januar 1984) in Aktion zu treten.

Dean Reed kam am 22. September 1938 in Denver, Colorado zur Welt. Nach dem Willen seines Vaters sollte er Offizier der US-Army werden. Schon als Zehnjähriger bekam er die Uniform einer Kadettenanstalt übergezogen, der Drill war hart. Erst der Einspruch der Mutter sorgte dafür, dass Dean das Internat wieder verlassen durfte. Der Junge entdeckte seine Liebe zu Rodeos und Pferdemähnen und begann mit zwölf Jahren an der Gitarre zu zupfen. Mit breitkrempigem Stetson trat Dean in den Ferien auf "Dude ranchs" auf, um sich als Reiter und Sänger ein Taschengeld zu verdienen.

Dean Reed zog es nach Hollywood. Er stellte sich bei der Plattenschmiede "Capitol" vor, machte Probeaufnahmen - und bekam 1958 einen Vertrag für sieben Jahre. Neben "Capitol" stand er bald auch bei dem Filmriesen Warner Bros. unter Vertrag und lernte, was zum Handwerk des Filmschauspielers gehört.

Erfolg in Südamerika

Seinen ersten Großerfolg landete Reed mit seiner Schallplatte "Our Summer Romance", die sich vor allem in Lateinamerika als Hit erwies. 1961 ging Reed auf Tournee durch Chile, Brasilien, Argentinien und Peru. Der junge Gringo eroberte die Hitlisten, sein Name stand neben Showgrößen wie Elvis Presley, Paul Anka, Ray Charles, Frank Sinatra und Cliff Richard. In Lateinamerika war Dean Reed zwischen 1962 und 1965 einer der populärsten Sänger in den Charts.

Noch sang der junge Star keine Lieder wie "We are the Revolutionaries", aber zum Leidwesen seiner Manager nahm er immer häufiger zu politischen Problemen Stellung, entwickelte Kontakte zur Gewerkschaftsbewegung und oppositionellen Kräften.

1966 gab Dean Reed sein erstes Konzert in der UdSSR. Für die Russen, die aus heimischen Radiolautsprechern allenfalls Estradenmusik zu hören bekamen, war der Rock-'n'-Roll-Sound des US-Sängers eine Offenbarung.

Die Auftritte hinter dem "eisernen Vorhang" blieben nicht ohne Folgen. Die Militärjunta in Argentinien wies Dean Reed kurzerhand aus. Er verlegte seinen festen Wohnsitz nach Italien und drehte von 1967 bis 1970 acht Filme, darunter Streifen mit Anita Ekberg, Nadja Tiller und Yul Brynner. Diese Filme gingen aus gutem Grund nicht in die Geschichte der Filmkunst ein; es waren leichtkonfektionierte Spaghetti-Western und Mantel-und-Degen-Filme, die Geld einspielen sollten.

Politisches Engagement

Für den Reißer "Der Tod klopft zweimal an" mit Adolfo Celi als Partner schrieb Dean Reed auch den Titelsong; zuvor aber schrieb er an Staatsmänner in West und Ost und verlangte einen Stop der Atomtests. Er verdammte den Krieg in Vietnam und das Wettrüsten, den Einmarsch der Roten Armee in die CSSR und die lateinamerikanischen Diktaturen. Noch hatte sich Dean Reed nicht vollkommen einseitig auf Positionen von Warschauer Pakt und SED-Politbüro festgelegt, noch bezeichnete ihn selbst Springers "Morgenpost" als den "Kennedy von Südamerika".

Doch mit der Zeit sang Dean Reed nicht mehr nur antiautoritäre Protestlieder, sondern auch Loblieder auf das sozialistische Lager. Das US-"People's Magazine" meinte 1976: "Reed wird von Russen und Osteuropäern als bekanntester Amerikaner nach Präsident Ford und Henry Kissinger bezeichnet."

1977 hatte der Film "El Cantor" Premiere, die Geschichte des Sängers Victor Jara, der von der chilenischen Junta ermordet worden war. Während der Film in der DDR für volle Kinos sorgte, hielt der Zoll in den USA den Streifen wochenlang fest. Westliche Kritiker würdigten die Qualität von "El Cantor". Dean Reed kannte Chile, für ihn das "Land der Unidad Popular", von zahlreichen Tourneen und Privataufenthalten. Bei der Amtseinführung von Präsident Allende zählte er zu den Ehrengästen.

Im August 1983 gelang es Reed, wieder chilenischen Boden zu betreten und ohne Genehmigung vor Studenten in Santiago und Bergarbeitern in Rancagua aufzutreten. Danach wurde er verhaftet und schließlich des Landes verwiesen. "Die Junta-Geheimpolizei fragte mich nur, wieviel mir der KGB bezahlt hätte, um nach Chile zu kommen", berichtet Reed empört. "Ich bin doch kein Lakai oder Agent. Ich bin ein revolutionärer Künstler!"

Seit 1972 hält sich Dean in der DDR auf; seine dritte Frau Renate Blume ist Schauspielerin. Als Jenny Marx spielte sie die weibliche Hauptrolle in dem Acht-Stunden-Film: "Marx - Die frühen Jahre". Beide Ehepartner sind Träger des "Leninpreises des Leninschen Komsomol für Literatur und Kunst". Besonders stolz ist Reed jedoch auf eine PLO-Auszeichnung, die ihm Arafat persönlich überreichte. Die Artur-Becker-Medaille der FDJ in Gold findet in unserem Gespräch keine Erwähnung.

Achtzehn Filme und 13 Langspielplatten lautet die bisherige Bilanz von Reeds Schaffen. Schlechte Kritiken aber großen Zuschauerandrang brachte ihm sein Unterhaltungs-Western "Sing Cowboy Sing" ein.

Schwacher Erklärungsversuch

Bei all der Sensibilität des US-Künstlers Dean Reed, was Ungerechtigkeit und Unterdrückung fremder Menschen und Völker betrifft, verwundert es den Beobachter immer wieder, warum sich der "Protestsänger" aus Colorado gerade die DDR als Wahlheimat ausgesucht hat; ein Land, dem progressive Künstler den Rücken kehren - von Wolf Biermann bis "Manne" Krug.

"Ich lebe in der DDR, weil meine Frau von hier ist", wagt Dean einen schwachen Erklärungsversuch. Jahr für Jahr meldet er sich jedoch bei der Ost-Berliner US-Botschaft, lässt seinen Pass verlängern und füllt seine Steuererklärung aus.

In sieben Ländern hat Dean Reed gelebt. "Überall hat man mich rausgeschmissen. Natürlich habe ich auch in der DDR meine Probleme, und ich will hier nicht alles verteidigen. Aber es gibt in diesem Staat Prioritäten, mit denen ich mich als Marxist identifiziere. Was ist da immer im Westen die Rede von der 'Freiheit des Reisens' - mein Vater aus Colorado war auch zeitlebens nie ins Nachbarland Mexiko gereist! Wichtiger ist doch in der DDR, dass keine Arbeitslosigkeit herrscht!" sagt er.

Er darf reisen

Der "antifaschistische Schutzwall" und Westreisen sind für Dean Reed kein Thema - er kann nach Stockholm oder Havanna, wann immer er will. Ist Dean Reed ein Opportunist, dreimal so hoch bezahlt wie einheimische volksdemokratische Künstler, der mit seiner "dünnen Stimme" (New York Times) nur deshalb am Zeuthener See residiert, weil er anderswo - im harten internationalen Wettbewerb der Showbranche - keine Chance mehr hätte?

Ohne Zweifel kann Reed auf große Topstar-Erfolge in der Vergangenheit hinweisen. Er kam nicht mit leeren Händen in den "real existierenden Sozialismus", wo er zur Attraktion wurde. "Mit meiner Filmerei hätte ich in Italien bestimmt mehr verdienen können", flicht er bei.

Andererseits aber hat sich Dean Reed wie kein anderer total an seine politische Umgebung angepasst. Nicht einmal die Biermann-Resolution unterschrieb er.

Ulrich Kubisch

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