Junge Welt 10.04.2012 |
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"Sie setzen Reagan mit Stalin gleich?""60 Minutes", die Dean Reed fertigmachten: Am Samstag starb der US-Fernsehjournalist Mike WallaceVon F.-B. Habel Nur als "harter Hund" könne man 20 Emmys für seine TV-Sendungen bekommen, meinte Mike Wallace einmal über sich selbst. Der US-Journalist, bekannt durch seine jahrzehntelange Arbeit für die CBS-Reihe "60 Minutes", ist am Sonnabend mit 93 Jahren in Connecticut gestorben. Er zeigte gelegentlich auch seine weiche Seite, brachte ansonsten aber manch Prominenten mit knallharten Fragen, die oft genug tendenziös waren, in Bedrängnis. Zu seinen Gesprächspartnern zählten Staatsführer wie Ahmadinedschad oder Putin, die er im Iran und in Russland besuchte. Nicht zu vergessen: Auch die DDR hat er einmal heimgesucht. Im Jahre 1986 – Glasnost und Perestroika waren gerade auf den Weg gebracht worden – interessierte CBS, wie US-Bürger hinter dem "eisernen Vorhang" lebten. Erst wollte Wallace Stefan Heym interviewen. Als das nicht klappte, wandte er sich an den Journalisten Victor Grossman, der als US-Besatzer in den fünfziger Jahren in die DDR desertiert war, und an das Allround-Talent Dean Reed – friedensbewegter Sänger, Schauspieler, Autor, Regisseur – an dem er sich schließlich festbiss. F¨r Reed, der seit 1973 in der DDR lebte, war es der Anfang vom Ende. Reed hatte seine Bedenken. Schließlich stand Mike Wallace in dem zweifelhaften Ruhm, Leute vor laufender Kamera fertigzumachen. Auf der anderen Seite hatte "60 Minutes" imposante Einschaltquoten, was Victor Grossman zur rhetorischen Frage veranlasste: "Wer will da nicht gesehen werden?" Mike Wallace traf Dean Reed im Ostberliner "Palasthotel". Auf dem Weg dahin war Reed nervös. Im Auto bat er Renate Blume, seine Frau: "Hilf mir, dass ich nein sage". Zur näheren Besprechung im Hotel wurde sie jedoch nicht zugelassen. Nach einer halben Stunde kam Reed lächelnd zu der Wartenden: "Ich habe ja gesagt!" Im Februar 1986 kam Wallace für zwei Tage zum Interview nach Rauchfangswerder. "Als Mike Wallace dann in unserem Haus wohnte, bekamen er und Dean Achtung voreinander", sollte Renate Blume sich später erinnern. "Auch mir war Wallace sympathisch." Als Reed für den jüdischen Moderator "My Yiddishe Mamme" sang, hatte dieser Tränen in den Augen. Doch seine Interview-Fragen waren messerscharf. Victor Grossman, bei dem als nächstes gedreht werden sollte, erfuhr von einer DDR-Technikerin, die bei den Aufnahmen dabei gewesen war, dass Wallace knallharte Fragen zur Mauer und dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan gestellt hatte. Grossman fragte sich, wie man auf solche Fragen antworte, ohne zu grimmig zu erscheinen. Wie kann man das amerikanische Publikum, das zu solchen Fragen eine sehr feste Meinung bzw. Vorurteile hat, erreichen und dabei noch locker bleiben? Doch in seinem Interview mit Wallace ging es dann nicht um Afghanistan oder die Mauer – sondern um Dean Reed. "Hat sich Dean Reed missbrauchen lassen?" fragte Wallace. "Wie wurde dieser blonde amerikanische Sänger hier benutzt, um die DDR-Bevölkerung zu beeinflussen?" Grossman: "Ich antwortete so ehrlich ich konnte, und als ich sagte, dass er nicht bei allen beliebt war, hakte Wallace gleich nach: 'Nein, warum nicht?' Als ich merkte, dass seine Fragen in die Richtung gehen, Dean schlecht zu machen, wurde ich weniger freundlich. Das hat er gemerkt und bald mit dem Interview aufgehört. Diesen Part mit mir, der ursprünglich ein Teil der Sendung sein sollte, hat er nie benutzt." Das Interview mit Reed wurde von Wallace und der CBS zurechtgeschnitten und am 20. April, einem Sonntag, in den USA gezeigt. 16 Millionen Zuschauer sollen den Beitrag gesehen haben. Am gleichen Tag bombardierten die USA Libyen, es herrschte eine entsprechend aufgeheizte patriotische Stimmung im Land. Zunächst werden in dem Beitrag Reeds Erfolge hinter dem "Eisernen Vorhang" aufgezählt; Triumphe, die er nun auch in den USA feiern wolle. Er sei überall in der Welt ein guter Botschafter seines Landes gewesen, betont Reed, und dass es phantastisch wäre, wenn die Welt die USA für Kultur und Wissenschaft anerkennen könnten: "Die Menschen in der dritten Welt wollen keine Kolonie oder Halbkolonie der USA mehr sein." Nach dem Anwurf, dass 380.000 Mann der Roten Armee um Berlin herum stationiert seien, spielt Wallace die Mauer-Karte aus – und sticht, denn Reeds Begründung dafür gerät etwas schwach. In einem Filmbeitrag erläutert Wallace nun, wie privilegiert Reed sei. Er habe ein Auto, eine beliebte Schauspielerin zur Frau, ein Haus. Der Sänger erwidert, dass er für dieses im Monat nur umgerechnet 40 Dollar zahle, was ihm Wallace nicht glaubt. Darauf versucht Reed zu erklären, wie billig in der DDR ein Studium oder ein Arztbesuch seien. Es folgt der nächste Schlag gegen den Friedenssänger. "60 Minutes" zeigt, wie Reed vor PLO-Chef Yassir Arafat singt, wie er mit Gitarre und Gewehr im Libanon weilt. Er habe damals um eine Waffe gebeten, sagt Reed, und weist auf das amerikanische Recht auf Selbstverteidigung hin. Sofort blafft Wallace: "Reed weigert sich, die Gewalttaten der PLO Terrorismus zu nennen." Reed ist an dieser Stelle des Schlagabtauschs nicht verlegen: Reagan betreibe mit seinem "Krieg der Sterne" Terrorismus, gefährde damit Millionen. Wallace: "Sie setzen Ronald Reagan mit Stalin gleich?" Dean: "Ich setze die Möglichkeiten von Reagan und Stalin gleich." Er meine "die Möglichkeiten, Ungerechtigkeiten zu begehen". Reagan könne "durch einen Atomkrieg diesen Planeten einäschern." Dann geht es um die Reisefreiheit. Reed erklärt, das Recht zu reisen sei nicht das hauptsächliche Menschenrecht. Wallace fragt, ob Reed "denen" das ganze kommunistische Konzept abnähme. Er sei mit vielem nicht einverstanden, meint Reed, und zählt die Bürokratie auf, den Mangel an Kritik und individueller Freiheit. Die abschließende Frage, ob er nicht in die Politik gehen wolle, beantwortet er etwas zu selbstbewusst: Er denke daran, in den USA eine sozialdemokratische Partei zu gründen oder Senator von Colorado zu werden. Reeds naive Aufrichtigkeit kommt in den USA nicht an. Warum, hat Grossman so erklärt: "Wenn man zu einer amerikanischen Zuhörerschaft spricht, kann man solche komplizierten Sachverhalte nicht in einem Satz beantworten, darüber könnte man Wochen debattieren, aber in einer Sendung wie dieser ist es unmöglich, irgend etwas rüberzubringen. Dean hat es versucht." Als Reed von der Wirkung der Sendung erfährt, ist er verzweifelt. Ihn erreichen Briefe mit Reaktionen wie: "Die Kommunisten geben diesem Verräter ein schönes Haus am See. Aber wie ist es mit dem Lebensstandard der übrigen Millionen Russen?" "Wenn das kein Verräter ist, ist er ein Narr!" "Wenn Reed ein Amerikaner ist, bin ich vom Mars." "Reed ist gegenwärtig auf der richtigen Seite der Mauer und sollte für immer dort bleiben. Er ist ein mittelmäßiges Talent, ein geistiger Terrorist, ein schmutziger Lügner." "Er ist des Todes würdig, elektrischer Stuhl oder Gaskammer." "Er ist kein menschliches Wesen, er ist ein schmutziger Spion und er ist Terrorist." Reeds Traum von einem Comeback in den USA schien geplatzt. Zwei Monate später nahm er sich das Leben. Freunde meinen, das CBS-Interview habe ihm das Kreuz gebrochen. Und auch Renate Blume vertrat die Ansicht, das Ende ihres Mannes hänge letztlich mit diesen "60 Minutes" zusammen. Der Autor hat zusammen mit Thomas Grossman im Verlag Neues Leben das Buch "Dean Reed – die wahre Geschichte" (2007) veröffentlicht |
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www.DeanReed.de
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