Sein Herzensprojekt finanziert er mittlerweile durch seine Rente
Siegfried Fiedler und die "Olgas"
Frankfurt/Oder (kel). "Für unseren Filmclub "Olga Benario" gibt es keinen
Pfennig mehr", bedauert sichtlich berührt Vorsitzender Siegfried Fiedler.
Der 81-Jährige berichtete im gut gefüllten Lesesaal der Stadtbibliothek
im Rahmen der Reihe "My Life - erzählte Zeitgeschichte" über sein Leben.
Bis zum vorigen Jahr erhielt er regelmäßig Fördermittel vom Kulturministerium
des Landes. Eine "gefühlskalte linke Regierung" hätte nun den Geldhahn
zugedreht. Zurzeit finanziere er den Club mit seiner monatlichen Altersrente. Das
wäre keine Dauerlösung. Eine fast 40-jährige Ära, sie begann
1977, neigt sich dem Ende zu.
Siegfried Fiedler wurde 1935 in Freiberg geboren. Nach Abschluss der Grundschule
begann er eine Lehre als Werkzeugmacher. Unter dem Pseudonym "Holzauge" schrieb
er während der Ausbildung kritische Texte für eine Wandzeitung. Nach
zweieinhalb Lehrjahren merkte Fiedler, Werkzeuge herstellen sei nicht seine Welt.
Er schmiss die Lehre hin und wollte zur Kasernierten Volkspolizei (KVP). Es klappte,
obwohl er noch nicht 18 Jahre alt war. Als er jedoch zum Russisch-Dolmetscher
ausgebildet werden sollte, beendete er auch diese Ausbildung vorzeitig. "Es gab
einfach zu viel Russischunterricht", gesteht er lachend. Sein neues Ziel war: in
Brandenburg arbeiten. Er erhielt in dem gewünschten Land einen Job, wurde
in Seelow und Sachsendorf hauptamtlicher FDJ-Sekretär. Anschließend
besuchte er die Jugendhochschule "Wilhelm Pieck" am Bogensee und durfte 1959 zu
den Weltfestspielen nach Wien fahren. "Ein unvergessliches Erlebnis", schwärmt
Fiedler noch heute. Schon bei der Ankunft wurden die Delegierten aus der DDR bestaunt.
Sie kamen mit einem Doppelstockzug. "Viele glaubten nicht, dass der Zwei-etagige
Personenzug eine Erfindung der DDR war".
Auf Veranstaltungen begegneten ihm viele faszinierende Menschen. Der Sänger
und Bürgerrechtler Paul Robeson sang auf einem Afrika-Seminar, die Kabarettisten
"Vier Brummers" traten auf und verteidigten vehement die um Anerkennung bemühte DDR.
Im Jahr 1956 kam Fiedler dann nach Frankfurt (Oder). Hier arbeitete er als Lehrer
an der HO-Berufsschule "Olga Benario". Am 7. November 1977 begann sein Lebenswerk.
Der Jugendfilmclub "Olga Benario" wurde gegründet. Olga Benario stammte aus
einem jüdischen Elternhaus. Sie war Kommunistin und Widerstandskämpferin.
Im Februar 1942 wurde sie im Konzentrationslager Ravensbrück vergast.
Im neuen Filmclub sollten sich vor allem Kinder und Jugendliche Filme anschauen
und darüber diskutieren. Im Mittelpunkt standen Defa-Filme. Über verbotene
DDR-Filme wurde nicht debattiert. "Uns war davon nichts bekannt", sagt Fiedler.
Die Veranstaltungen fanden zuerst im Lichtspieltheater der Jugend, "eine Schande,
dass es zerfällt", später im Haus der DSF Halbe Stadt und zurzeit im
City-Parkhotel statt. Es wurden bekannte Schauspieler und Regisseure eingeladen.
Unter anderem kamen der Regisseur Rolf Losansky, die Schauspieler Winfried Glatzeder
und Ernst-Georg Schwill.
Ein ganz besonderes Erlebnis war der Besuch des amerikanischen Sängers und
Schauspielers Dean Reed. "Er sprach fast 90 Minuten". Die Mädchen waren von
der sympathischen Art des "roten Rocksängers" begeistert. Ins Gästebuch
schrieb er, "seid ehrlich, mutig und glücklich". Dieses Glück fand er
selbst nicht.
Dean Reed nahm sich vor 30 Jahren im Zeuthener See das Leben. Sein Abschiedsbrief
offenbart eine Ehetragödie. "Er ist viel zu früh gestorben", bedauert
Fiedler, "wir werden ihn immer ehren". Zurzeit hat der Filmclub noch cirka 100
aktive "Olgas" und über 200 Ehrenmitglieder. Fiedler erhielt 2009 für
sein Engagement den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.
Der Oderlandspiegel 08.04.2016
|