Sonntagsnachrichten 22.01.2010

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Film-ABC

Der Rote Elvis

Als man am 17. Juni 1986 einen Mann tot aus dem Zeuthener See am Rande Ost-Berlins zieht, ist es der amerikanische Sänger und Schauspieler Dean Reed. Die Nachrichten des DDR-Fernsehens sprechen von einem "tragischen Unglücksfall" und den trauernden Hinterbliebenen Renate Blume-Reed sowie Sohn Alexander. "Dean Cyril Reed" steht auf dem schlichten Grabstein.

Wer war dieser "gut aussehende Typ" (Armin Mueller-Stahl), der zunächst als Artist, Sänger und Schauspieler, später vor allem aufgrund seiner tadellosen sozialistischen Gesinnung zum DDR-Star mutierte? Dem als "politisch korrektem" Elvis Presley mit Charme und ungewöhnlicher Bühnenpräsenz achttausend Frauen jeglichen Alters in Santiago de Chile zu Füßen lagen, sodass die Polizei einschreiten musste? Der sogar auf dem Roten Platz in Moskau als Pop-Star gefeiert wurde? Und der – posthum - eine junge Russin dazu veranlasste, die englische Sprache zu lernen und ihr Land zu verlassen, um Reed, den sie als Lebenden nicht gekannt hat, wenigstens im Tod nahe zu sein?

Zunächst ein Junge aus White Ridge, einer Kleinstadt Colorados, dem die sozialen Ungerechtigkeiten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht verborgen geblieben waren und der als Country-Sänger nach Hollywood ging. Wo er nur eine Handvoll Single-Platten produzierte, ohne nachhaltig Spuren hinterlassen zu haben. Wo er aber auch eine renommierte Schauspielschule absolvierte.

Sein erstes Chile-Konzert 1961, erinnert sich Isabel Allende-Bussi, war für beide Seiten prägend: Ein charismatischer junger US-Amerikaner, der auch des Spanischen mächtig ist, der sich mit Arbeitern und Bauern unterhält wie mit seinesgleichen, der die US-Politik in Südamerika als imperialistisch geißelt und der auch noch blendend aussieht – das war eine große Sensation in der Anden-Republik und ein politischer Impuls weit über sie hinaus.

Zum Cowboy (in zahlreichen Defa-Filmen) und Entertainer (auf FDJ-Festivals und "Kessel Buntes"-Tourneen), Teenie-Star und Frauenschwarm, Friedenskämpfer und Rebell, der mit seiner Gitarre unermüdlich durch die sozialistische Welt reist um das imperialistische System der USA und den Vietnamkrieg zu geißeln, wird Dean Reed erst, nachdem er 1972 in die DDR zieht und Wiebke, seine erste Gattin, heiratet, die er im Jahr zuvor beim Leipziger Dokumentarfilmfestival kennengelernt hat.

Dass der gefeierte Star des Sozialismus privat alles andere als menschenfreundlich war, offenbart Leopold Grün in seinem so einfühlsamen wie kritischen Dokumentarfilm "Der Rote Elvis" auf nachhaltig beeindruckende, weil ganz unprätentiöse Weise.

So erzählt der DDR-Regisseur Celino Bleiweiß von einem sensiblen Künstler, der große Angst hatte vor dem Leben – und der Leere – nach seiner Rock'n'Roll-Karriere, welche sich in den 80er Jahren stark dem Ende näherte, der stets vom selbstgewählten Tod gesprochen hatte und davon, am liebsten als Märtyrer oder Held sterben zu wollen. Etwa mit Gitarre und Kalaschnikoff an der Seite der palästinensischen Brüder. Dean Reed mag als Anti-Vietnamkriegs-Demonstrant noch Pazifist gewesen sein, als er in Arabien mit Arafats Leuten posierte, war ein Kämpfer für die sozialistische Weltrevolution aus ihm geworden.

Der "daheim" in der DDR blind war für die mit dem amerikanischen Freiheitsideal nun wirklich nicht zu vereinbarende Gewaltausübung der SED-Machthaber. Was der Arbeiter- und Bauernstaat sogleich nutzte und Reed mit großem Erfolg instrumentalisierte, wie Egon Krenz, der damalige 1. Sekretär der Freien Deutschen Jugend (FDJ), dem Leopold Grün Gelegenheit gegeben hat zum selbstentlarvenden Plädoyer für die "legitime Agitation und Propaganda" des DDR-Regimes, freimütig bekennt. Wie Armin Mueller-Stahl berichtet, haben Jurek Becker und er vergeblich versucht, Reed für den Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung zu gewinnen.

Aber auch als Privatmann lässt sich Dean Reeds übles Macho-Gehabe nicht in Übereinstimmung bringen mit seinem stets mit großer Geste geforderten Humanismus, was seine erste Gattin Wiebke Reed, die er vor der Ehe zur Abtreibung gezwungen hat und später samt der gemeinsamen Tochter Natascha über Nacht aus dem Haus warf, und seine Geliebte Maren Zeidler ganz offen bekunden – bei aller andauernden und stets auch spürbaren großen emotionalen Verbundenheit. Am Ende hat Dean Reed vorsichtig Kontakte geknüpft, um wieder in die USA zurückkehren zu können. Doch seine zweite Gattin, Renate Blume, wollte in der DDR bleiben. Noch am 11. Juni 1986 hat Dean Reed vergeblich versucht, seinem Leben durch Aufschneiden der Pulsadern ein Ende zu setzen...

Leopold Grüns 90minütige Dokumentation über den US-Schlagersänger Dean Reed, der in den Sechziger Jahren zum gefeierten Star in der DDR und in anderen sozialistischen Staaten Europas und Südamerikas wurde aufgrund seiner kritischen Haltung der US-Regierung gegenüber, kollagiert Mitschnitte aus TV-Shows ("Ein Kessel Buntes"), Konzerten, Spielfilmen (von "Blutsbrüder" über "Aus dem Leben eines Taugenichts" bis hin zu "Sing, Cowboy, Sing"), Propagandastreifen und Interviews u.a. mit Lothar Bisky, Peter Boyles und Günter Reisch, dessen letztes Filmprojekt mit Reed scheiterte, zu einem durchaus kritischen Porträt einer überaus widersprüchlichen Persönlichkeit (Kamera: Thomas Janze, Montage: Dirk Uhlig) und letztlich tragischen Gestalt der vom Kalten Krieg zwischen Ost und West geprägten Zeitgeschichte. Wer leider nicht zu Wort kommt aus welchen Gründen auch immer ist Renate Blume-Reed, seine letzte Gattin.

Pitt Herrmann

Leopold Grün (Buch und Regie)
Der Rote Elvis
Totho Film Thomas Janze Prod. - Deutschland 2007


www.sn-herne.de

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Letzte Änderung: 2011-02-01