ARTE Magazin, 11/2004

zurück/back

15 Jahre Mauerfall

Im Namen des Folks


Er sang vor einem Millionenpublikum in Moskau und in der DDR, seiner Wahlheimat. Das Leben des Musikers Dean Reed begann in Colorado und endete als ungeklärter Todesfall.

Libanon, 1977. Ein gutaussehender, amerikanischer Sänger tanzt mit bewaffneten PLO-Kämpfern. Danach wird er Yasser Arafat auf der Gitarre ein Lied vortragen. Er singt "Riders in the Sky", Yasser Arafat hört gebannt zu - eine noch unbeschriebene Szene in den Annalen der Musikgeschichte. Und nur eine der verwegenen Episoden aus dem Leben des Sängers Dean Reed, das auf einer Farm in Colorado, Ende der 1930er Jahre, begann.

Als Dean Reed noch ein Teenager war, bekam er eine Gitarre geschenkt. Mit 16 schrieb er seinen ersten Song, damals wollte er vor allem den Mädchen imponieren. Doch dabei blieb es nicht: Er wollte mehr, er wollte die Welt verbessern, und dafür sollte die Welt ihn so lassen wie er war: einen von sich selbst und vom Sozialismus überzeugten Mann. Wenn man sich heute Songs von Dean Reed anhört, seine DEFA-Filme wie "Sing, Cowboy, sing" oder "El Cantor" ansieht, kann man über sein Talent streiten. Aber eins hatte der Mann: Ausstrahlung. Er konnte Honecker oder Breschnew genauso für sich begeistern wie "Backfische" oder ältere Damen.

Von Colorado in die weite Welt

Ein Ausflug nach Hollywood, ein absurder Zufall, brachte ihn als Student dieser Karriere als Popstar im Osten, vor allem in der DDR, näher.

Die Legende geht so: Reed setzte sich in seinen Chevrolet, nahm auf der Fahrt einen abgehalfterten Musiker mit, der ihm aus Dank die Telefonnummer eines Mitarbeiters bei Capitol Records gab. Ein paar Tage später hatte er einen Vorstellungstermin und im folgenden Jahr war er mit dem Song "Summer Romance" ganz weit oben in der Hitparade neben Elvis und Frank Sinatra. Eine Geschichte, die nach Hollywood-Drehbuch klingt. Tom Hanks will nun das Leben des "Comrade Rockstar" verfilmen. Ein Widerspruch, wie so vieles in Dean Reeds Leben, der Hollywood gerne als "prostitution-camp" bezeichnete. Dean Reed verließ Kalifornien. Er ging nach Südamerika. Er sei geschockt gewesen von dem Elend, berichtete er später, so dass er Sozialist werden musste. Dean Reed entdeckte eine neue Bühne: die Politik. Filmaufnahmen zeigen Reed, der auf seiner Gitarre in Gefängnissen spielt, in Fabriken, unter Demonstranten. Als er am Weltfriedenskongress 1965 in Helsinki teilnahm, als Mitglied der argentinischen Delegation, sang er die chinesisch-russischen Differenzen mit "We shall overcome" nieder. Daraufhin wurde er zunächst in die Mongolei, später nach Russland zu Konzerten eingeladen. Ein Sexsymbol aus den USA, mit wehender Modefrisur, Cowboystiefeln und Westerngitarre, das man sozialistisch teilen konnte.

Flucht in den Osten

Je weiter Reed sich in diesen Jahren von Hollywood entfernte, desto größer wurde sein Ruhm. Bald sollte er eigene Filme schreiben, produzieren und die Hauptrollen spielen, unter dem Dach der DEFA. Eine neue Liebe in Berlin, der Erfolg und der Sozialismus ließen Dean Reed 1972 in die DDR übersiedeln.

Im Jahr 1971 war Dean Reed zum Dokumentarfilmfestival nach Leipzig eingeladen. Eine attraktive junge Frau, Model und ehemalige Lehrerin, lernte ihn dort kennen. Heute erinnert sie sich an diesen Tag, als wäre es gestern: Dean Reed trug einen weißen Rollkragenpulli, seine Gitarre funkelte wie die Sonne über Colorado. Wiebke war verliebt. Bald darauf kam Reed in die DDR. Er hatte eine Rolle in der Eichendorff-Verfilmung "Aus dem Leben eines Taugenichts". Im folgenden Jahr heirateten Dean und Wiebke. "Als am nächsten Tag die Zeitungen nicht voll waren mit Fotos von der Hochzeit, war er total enttäuscht". Ungenügende Aufmerksamkeit konnte er schlecht ertragen. Wiebke Reed wollte ihn beruhigen, es gäbe doch Wichtigeres für die Werktätigen in der DDR als ihre Hochzeit. "Aber unsere Hochzeit ist doch Sozialismus", entgegnete Dean Reed.

"Stars gibt es nur am Himmel", sagte er einmal, "ich bin ein werktätiger Sänger". Die Wahrheit über Dean Reed liegt wohl irgendwo dazwischen - zwischen seiner Sehnsucht nach Glamour und seiner Gesellschaftskritik. Einen "wandelnden Widerspruch" nennt ihn seine Ex-Frau Wiebke Reed heute noch liebevoll. Dean Reed vermisste zwar Orange-Juice und die Sonne Colorados, aber in der DDR winkte ihm eine große Fangemeinde zu. Auf den Autogrammen notierte er "Much love, peace and happiness".

Ein Amerikaner und die Stasi

Wie alle ausländischen Bürger wurde auch Dean Reed vom Ministerium für Staatssicherheit überwacht. Ging er in die US-Botschaft, um seinen Pass zu verlängern, notierte man fein säuberlich in der Akte, Reed habe sich "marxistisch konsequent" verhalten. Und er war auch bereit, unter seinem selbstgewählten Decknamen "Victor" der Stasi Auskunft zu geben. Es kam zu Treffen in Reeds Haus in Rauchfangswerder am See. Er gab der Stasi zwar Auskunft über seine Kontakte zur US-Botschaft, aber ohne viel zu sagen oder jemandem zu schaden. Ausführlich berichtet er beispielsweise wie bei seinen Auftritten "US-Diplomaten sehr eifrig mitsangen". Von einer Party eines US-Diplomaten notiert er, dass bei seinem Eintreten "ein Raunen durch die anwesenden Personen" ging.

Dean Reed kannte sich aus im Showgeschäft. Und so hatten auch seine eigenen, politischen Aktionen immer etwas Glamouröses. Als er 1978 in die USA fuhr, um seine Familie zu besuchen (in der Stasi-Akte ist vermerkt: "Reed ist völlig klar, dass die USA-Behörden nach ihm fahnden und befürchtet, inhaftiert zu werden...") sang er vor Landarbeitern, die gegen einen Energiekonzern demonstrierten. Wegen "trespassing" wurde Dean Reed eingesperrt und trat sogleich in Hungerstreik. Ein paar Tage später schon wurde er wieder freigelassen. Als sich einmal Manfred Krug über Dean Reed lustig machte und ihn als "Friedenskämpfer" bezeichnete, sie spielten zusammen im Film "Kit & Co", war Reed nicht nur wütend, sondern tief verletzt. Wenn Dean Reed etwas nicht verkraftete, dann war es Kritik. So mitreißend er auf der Bühne war, so sehr trieb ihn Misserfolg in ein Stimmungstief. Und trotz seines Erfolges war Reed oft alleine, fühlte sich fremd in der DDR und sehnte sich, wie er einmal sagte, nach dem Humor und der Geselligkeit der US-Bürger. Lange Jahre konnte ihn sein Erfolg aus diesen Tiefen wieder retten. Und wenn er im karierten Hemd, in engen Jeans und Cowboystiefeln vor 100.000 Fans auf dem Alexanderplatz spielte, wenn ihm dann der Refrain wie eine Welle der Begeisterung entgegenschlug, dann war er nicht mehr allein. Er wurde wie ein Echo über Ecken und Kanten des Systems, die auch er langsam zu spüren bekam, getragen. Er war unter Genossen. Dean Reed hüpfte über die Bühne, lachte wie ein kleiner Junge, strahlte wie ein großer Entertainer. Vielleicht vergaß er während seiner Performance, die Sozialismus extrem sexy werden ließ, manchmal die große Weltpolitik.

Der Zenit ist überschritten

Spätestens Mitte der 1980er sei es schwerer geworden für den Sänger, erzählt Victor Grossman, sein anfänglicher Übersetzer und langjähriger Freund. Für eine intellektuelle Schicht in der DDR, die sich mit der Linken im Westen zu identifizieren begann, war Dean Reed zu populär, zu poppig, zu angepasst. Andererseits ging für die herrschende Ideologie in der DDR seine politische Haltung, die auch immer etwas von einer bühnenreifen Geste hatte, egal ob er ein Palästinensertuch trug oder eine erhobene Faust vor die laufende Fernsehkamera hielt, fast schon zu weit. Der Spielraum für Dean Reed wurde kleiner und die riesige Woge des Erfolgs flaute ab.

Dean Reeds wachsender innerer Abstand zur DDR begann, sich auf sein sozialistisches Herz zu legen. Bezeichnend ist ein "Vorkommnis" aus dem Jahr 1982, das der Staatssicherheit berichtet wurde. Auf der Autobahn beschwerte er sich bei einer Polizeikontrolle "ob die Fahrer der soeben am Kontrollpunkt vorbeikommenden Regierungsfahrzeuge, die ihn angeblich mit 160/km überholt hätten, ebenfalls wegen Geschwindigkeitsüberschreitung abgestraft worden seien." Der entsetzte Volkspolizist schwieg und notierte später, dass Reed daraufhin "begann, beleidigende und verleumderische Äußerungen zu tätigen, indem er die Angehörigen der VP als Heuchler bezeichnete, die DDR mit einem faschistischen Staat verglich und zum Ausdruck brachte, dass er, ebenso wie die 17 Millionen DDR-Bürger, es bis oben hin satt hätte." Dann forderte er die Polizisten auf, ihn festzunehmen, was "hier ja gang und gäbe" wäre. Als auch dies nicht geschah, fuhr er weiter.

Manchmal schrieb Dean Reed in seinem Arbeitszimmer in Rauchfangswerder, wo Cowboyhüte den Blick auf den See verstellten, dem in den USA lebenden Dokumentarfilmer Will Roberts einen Brief. Er deutete an, dass der Sozialismus der Realität nicht standhalte. In einem Telefonat sagte er, er befürchte, aus der DDR ausgewiesen zu werden, obwohl er gerade einen hohen Preis erhalten hätte. Das sei wie die US-Military-Taktik, soll Will ihm, wie er heute erzählt, geantwortet haben: "Mach den Querkopf zum Anführer der Truppe und du bist ihn los."

Mord oder Selbstmord?

Reed gab Anfang 1986 Mike Wallace, dem für seine Kreuzverhöre bekannten Moderator der CBS-Sendung "60 minutes", ein Interview. Davon erhoffte sich Reed seinen Bekanntheitsgrad in den USA zu erhöhen und seine Rückkehr vorzubereiten. Aber das Gegenteil geschah, denn die Fernsehsendung porträtierte Reed als sozialistisch verbohrten Kämpfer.

Dean Reed war zermürbt in den Sommertagen des Juni 1986. Der Drehbeginn für seinen Film "Wounded Knee", die Geschichte eines Indianeraufstandes in South Dakota, verschob sich ständig. Einige Schauspieler hatten wegen Tschernobyl abgesagt und die notwendigen Verträge mit der Sowjetunion liefen schleppend. Es schien so: Je verbissener Dean Reed der Zukunft entgegensteuern wollte, umso mehr trieb er der Vergangenheit zu. In der hatte Reed schon immer auch Phasen der Depression erlebt. Mehrfach hatte er damit gedroht oder gar versucht, sich umzubringen.

Am Abend des 12. Juni telefonierte Dean Reed mit dem Filmproduzenten Gerrit List. Die mühsamen Verträge waren abgeschlossen und obwohl Reed, wie meist vor der Nacht, eine Schlaftablette genommen hatte, wollte er noch nach Babelsberg fahren. Dort kam er nie an. Man fand seinen Lada drei Tage später in der Nähe der Rettungsstation am Zeuthener See, an dem er über zehn Jahre gelebt hatte, leicht beschädigt, wohl durch eine Fahrt im Unterholz. Erst am Morgen des 17. Juni entdeckte man seine Leiche im Wasser.

Im Wagen hatte man einen 15-seitigen Abschiedsbrief sichergestellt. Er war in kritzeliger Schrift und in etwas gebrochenem Schriftdeutsch auf der Rückseite des Drehbuchs zu "Wounded Knee" geschrieben und an Eberhard Fensch im ZK adressiert. Darin heißt es, "meine Grüße an Erich" und "Ich bin nicht mit alles einverstanden, aber Socialismus ist noch nicht erwachsen". Die Existenz des Briefes sollte erst sechs Jahre später bekannt werden.

Da an der Leiche Reeds keine Fremdeinwirkung feststellbar war, wurde Mord ausgeschlossen. In der Gerichtsmedizin wurde konstatiert, dass ein unter toxischer Beeinträchtigung gefördertes Ertrinken am wahrscheinlichsten sei. In den polizeilichen Tagebucheintragungen ist heute nachzulesen, wie zügig sich die Staatssicherheit eingeschaltet hatte und dann "in Absprache mit der Kriminalpolizei" sehr schnell der Tod als "Unfall" bezeichnet wurde.

Manche Freunde von Dean Reed, wie beispielsweise Will Roberts, glauben aber noch heute, dass der Abschiedsbrief eine Fälschung ist und Reed keinen Selbstmord begangen hat. Und noch immer fragen sich Nachbarn in Rauchfangswerder, wie es sein kann, dass "so ein lebenslustiger, so ein beliebter Musiker", freiwillig ins Wasser ging. Hartnäckig halten sich die Gerüchte, Reed sei ein Mordopfer, getötet durch die CIA oder den KGB. Aber nichts spricht für diese Variante. Es fehlen die Beweise, die Zeugen, vor allem aber ein Motiv für ein solches Verbrechen. Nur eines ist gewiss: Der Tod Dean Reeds wirkte wie der Vorbote eines anderen Untergangs. Der Untergang eines Systems, der drei Jahre später folgen sollte.

Sabine Magerl für das ARTE Magazin

arte-tv.com

We would formally like to point out that the articles, reports and contributions are presented independently of their truth content. They do not reflect the opinions of the Dean Reed Website team (see detailed declaration).

Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass wir alle Artikel unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt präsentieren. Sie spiegeln nicht in jedem Fall die Meinung des Dean-Reed-Websiteteams wider (siehe auch die einleitende Erklärung).

Recalcamos expresamente que presentamos los artículos independientemente de su veracidad. No en todos los casos reflejan la opinión del equipo de esta página WEB (léanse las líneas aclaratorias principales).

zurück/back

www.DeanReed.de
Fehler, Hinweise etc. bitte an Webmaster@DeanReed.de
Letzte Änderung: 2007-01-28