Vom Plattenzar entdeckt + Ein neuer Stern am Showhimmel + Rock'n-Roll und Zweifel am
System + Sowjetunion - ein tiefer Eindruck + Mordanschläge auf den Volkssänger + Ausweisung,
Gefängnis und wieder freigekämpft
DEAN REED der ungewöhnliche Weg eines Rock'n-Roll-Sängers
1970 wird er in Chile
als Gast von Präsident Salvadore Allende
empfangen. Am 18. März 1972 singt er in der Sendung "Die goldene Note" für die
Fernsehzuschauer der DDR - Dean Reed. Wie war der Weg des gefeierten Rock-and-Roll-Sängers
zum populären Friedenskämpfer und Volkssänger?
In Denver
im USA-Staat Colorado am 22. September 1938 geboren, wuchs Dean Reed auf einer kleinen Ranch
auf und lernte laufen und reiten fast zur gleichen Zeit. Schon bald wurde er ein tüchtiger
Cowboy, und knapp 16jährig, gewann er sein erstes Rodeo (Cowboy-Wettspiel). Als er 18 wurde,
und der Schrank voll war von Rodeotrophäen, beschloss der junge Hitzkopf, an der
"Colorado-Universität"
Meteorologie zu studieren. Da aber das Studium Geld kostete, sang er abends in Bars für die
Touristen Cowboysongs und melancholische Hillbillies.
Knapp zwei Jahre später trat ein völlig unerwartete Wendung ein. Eines Abends entdeckte
ihn ein Agent und überredete ihn, bei einer Plattenfirma vorzusingen. Dean fuhr mit und
stand mit seiner Gitarre zwei Tage später vor dem mächtigen Präsidenten der
"Capitol-Schallplattengesellschaft". Der hörte sich den Naturburschen an, der nie eine
Ausbildung gehabt hatte, erkannte das große Talent, und nach wenigen Stunden gab es den
Meteorologiestudenten Reed nicht mehr, aber am Showhimmel ging ein neuer Stern auf.
Woyle Gilmore,
der Plattenzar, hatte auf Anhieb erkannt, dass dieser talentierte Bursche in der Lage sein könnte,
das Loch auf dem Markt zu stopfen, das der Rock-and-Roll-Star Elvis Presley hinterließ, als ihn der
Staat zu den Soldaten holte. Bereits die dritte Platte, die den Namen Dean Reed auf dem Etikett trug,
wurde ein Riesenerfolg. Der Titel
"Our Summer Romance"
(Unsere Sommerromanze) hielt sich fast ein halbes Jahr an der ersten Stelle aller Hitlisten,
und die Verkaufsziffer erreichte die Millionengrenze. Nach diesem Erfolg begann man Reed erbarmungslos
zu verheizen und hetzte ihn von einer Tournee auf die andere. Er erreichte eine ungeheure Popularität,
und die Monopol-Gesellschaft profitierte davon wie kaum zuvor. Dieser junge Mann wurde zum Idol der
amerikanischen Jugend, die damit von der Beschäftigung mit Problemen im Lande und von politischem
Engagement abgehalten wurde.
"Peaton Price
war es, der mich lehrte, dass ich meinen Kopf nicht nur zum Haareschneiden habe", sagt Dean Reed heute.
Price, ein bekannter Schauspiellehrer bei der "Columbia-Filmgesellschaft" und später bei "Warner
Brothers", hatte den jungen Mann ins Herz geschlossen. Er holte ihn zu sich ins Haus und gab ihm
Unterricht, in der Schauspielkunst und in der Kunst, zu leben. Peaton Price hatte den Kriegsdienst
verweigert und musste dafür zwei Jahre ins Gefängnis. Dean Reed sagt von ihm, dass er es
gewesen ist, der ihn gelehrt habe, über Krieg und Frieden nachzudenken.
Da eine erneute Tournee nach Südamerika bevorstand, lernte Dean Reed fleißig spanisch, um
die Menschen besser verstehen zu können. Die Plattenfirma wollte den ganz großen Coup starten
und beschloss, Reed und Presley gemeinsam auf Tournee zu schicken. Aber diese Reise verlief für
den jungen Sänger anders als die erste Tournee. Dean Reed sprach mit vielen Menschen, lernte ihre
Sorgen und Nöte kennen und begann zu begreifen, dass einige hundert Reiche ihn benutzten, um
Millionen von Ausgebeuteten davon abzulenken, über ihr eigenes ungerechtes Schicksal nachzudenken.
Er sah die klaffenden sozialen Unterschiede zwischen arm und reich, sah die Ausbeutung und konnte nicht
begreifen, wieso das alles eine gerechte und gottgewollte Ordnung sein sollte. Er lernte zu verstehen,
dass man sich nicht nur mit der Frage Krieg oder Frieden auseinanderzusetzen hat, sondern dass es im
Leben der Menschen miteinander noch viel, viel mehr Probleme gibt. Und so reifte in ganz kurzer Zeit
aus dem Pazifisten ein kämpferischer Humanist heran.
Zurück in die USA kam ein erwachender Dean Reed. Und er sah so klar, wie er es nie empfunden hatte,
dass in seinem Lande auch Milllionen Menschen lebten, die bestenfalls als Menschen zweiter Klasse
gelten, die Farbigen. Je mehr er sich mit diesen Problemen konfrontiert sah, desto stärker wurde
der Drang, gegen Unterdrückung, soziale Diskriminierung, Ausbeutung, Hunger und Armut zu
protestieren. Er hörte auf, Popmusik zu produzieren und erschien vor der aufhorchenden Öffentlichkeit
mit Protestsongs. Er organisierte Pressekampagnen gegen die inkonsequente Politik der USA-Regierung nach
innen und gegen die friedensfeindliche Außenpolitik der USA in der Rolle des Weltgendarms.
Das Jahr 1965 wird für den Künstler das Jahr der Begegnungen und das Jahr der Entscheidungen.
Der Jugendverband der fortschrittlichen Arbeiter Argentiniens und der Künstlerbund des Landes
delegieren ihn zu einer
Tagung des Weltfriedensrates
in die finnische Hauptstadt Helsinki. Dort begegnet er einer Delegation aus dem Mutterland des
Sozialismus, aus dem Lande Lenins. Und als die sowjetische Delegation den Amerikaner zu einem Besuch
einlädt, nimmt er sofort an. Direkt von Helsinki aus reist er nach Moskau und Leningrad.
Später sagt er in einem Interview: "Diese Reise hat mich zutiefst beeindruckt. Ich war nie zuvor
in einem sozialistischen Land gewesen, und die in den kapitalistischen Ländern verbreitete
antikommunistische und antisowjetische Propaganda hatte auch bei mir die Vorstellung hinterlassen,
dass man in Russland auf unterentwickelte Menschen treffen würde, die in Lehmhütten hausten
und in Hunger und Armut ihr Leben fristeten. Ich sah aber eine blühende Nation voller Liebe zum
Frieden. Gutes und ausreichendes Essen, moderne Häuser und das Recht auf Arbeit und Bildung
sind für die Menschen dort Selbstverständlichkeiten, und jedes Kind erhält eine
ordentliche Schulausbildung. Ich traf auf eine hohe Kultur und auf politisch selbstbewusste
Staatsbürger. Und das alles hatte der Sozialismus aus dem traurigen Erbe der Feudalherrschaft
in nur einem halben Jahrhundert geschaffen. Ich war fasziniert, und ich begann, die Werke Lenins und
die sozialistische Literatur zu lesen. Ich erkannte: Das ist der Weg, den die Menschheit gehen muss,
um in Frieden und Glück leben zu können."
Nach Argentinien
zurückgekehrt, berichtet er in der Öffentlichkeit über seine Eindrücke.
In einer Pressekonferenz zerreißt er das Lügengewebe der antikommunistischen
Propaganda. Das aber ist der faschistischen Reaktion im Lande denn doch zuviel. Auf sein Haus
werden einige Brandanschläge verübt. Auf der Straße wird mehrfach auf ihn
geschossen, und nur wir durch ein Wunder wird er nicht das Opfer eines der Mordanschläge.
Als er sich nicht abschrecken lässt und nicht mehr nur protestiert, sondern die Menschen
auffordert, die Diktatoren zu verjagen, wird er 1966 des Landes verwiesen.
Dean Reed lebt seit 1966 in Italien. Er produzierte zunächst einmal eine ganze Reihe von
Filmen, überwiegend von sogenannten
Western.
Dieses Genre liegt ihm, ist er doch ein "gelernter" Cowboy. So drehte er unter anderem die Filme:
"Zoro",
"Der Tod schlägt zweimal zu"
mit Anita Ekberg und Nadja Tiller,
"Buckaroo"
und zuletzt, gemeinsam mit Yul Brunner, den Film
"Addios Sabata".
"Es scheint unverstädlich, dass der Säger von politischen Liedern ausgerechnet Westernfilme
macht", sagt er manchmal, "aber nur wer Einfluss hat, hat auch Macht, und ich brauche diesen Einfluss,
um die Macht zu haben, zu verändern. Westernfilme werden immer zu Kassenschlagern, und so bin ich
für viele Leute ein Begriff. Und ich muss Geld verdienen, um meine Reisen in die im Aufbruch
befindlichen Länder in Südamerika zu finanzieren, denn dort singe ich unentgeltlich, auch
in Krankenhäusern und Anstalten, in Gefängnissen und überall dort, wo sich Gelegenheit
bietet, den Menschen etwas zu sagen. Außerdem sitzen gerade in Südamerika viele meiner
Freunde hinter Kerkermauern, und ich helfe ihren Familien, so gut ich kann. Und ich brauche Geld,
um das so heldenhaft um seine Freiheit kämpfende vietnamesische Volk zu unterstützen."
Seit 1967 ist Dean Reed ordentliches Mitglied des Weltfriedensrates, und vor drei Wochen wurde er in die
17köpfige Kulturkommission des Weltfriedensrates berufen, deren jügstes Mitglied er ist.
Sein Kommentar: "Das ist die größte Ehre, die mir je zuteil geworden ist, und ich werde
alles tun, um mich dieser Berufung würdig zu erweisen."
Seit seiner Ausweisung aus Argentinien 1966 haben sich die Behörden des Landes beharrlich geweigert,
ihm eine Einreise nach Argentinien zu gestatten. Er versucht es dreimal illegal. Aber immer wird er auf
dem Flugplatz festgenommen und wenige Stunden später wieder nach Europa zurückgeschickt.
Als er Anfang 1971 für vier Monate auf Einladung von Präsident Allende in Chile weilt,
unternimmt er das Wagnis, allein und ohne Hilfe durch den Dschungel das benachbarte Argentinien zu
erreichen. Und diesmal überlistet er die Grenzwächter. Er schafft den Weg bis nach Buenos
Aires, wo er in einer von seinen Freunden organisierten Pressekonferenz mutig gegen das Regime
auftritt. Dort wird er verhaftet und in Einzelhaft gesperrt. Aber im Lande gibt es mächtige
Demonstrationen der Jugend und der Studenten, und die Arbeiter beantworten seine Verhaftung mit
spontanen Arbeitsniederlegungen. Das Regime wagt es nicht, ihn vor ein Gericht zu stellen, und unter
strengster Bewachung wird er nach einigen Wochen auf den hermetisch von Soldaten abgeriegelten
Flugplatz von Buenos Aires gebracht und zum fünften Male nach Europa abgeschoben.
"Meine Waffe ist die Kunst, und ich werde sie einsetzen ohne Angst vor Verfolgung und Gefängnis",
sagt Dean Reed, "denn ich liebe die Menschen, und ich liebe das Leben. Ich liebe die Freiheit
und das Glück. We shall overcome - Wir werden siegen!!"
Dieter Geske
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