neues leben 12/1972 (Jugendmagazin)

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Aus dem Leben keines Taugenichts

Alle Welt kennt Dean Reed. Und auch er kennt alle Welt. Wobei beides nicht gleich zu werten ist. Was geeignet scheint, ihn zum Allerweltskerl zu stempeln, geht auf oberflächliche Erinnerung zurück. Erinnerung an den, der einst Karriere machte als Rock-'n'-Roll-Star, an den, der später perfekte Cowboys in harten Western spielte, oder aber - was ihm die Abneigung der einen und die Liebe der anderen einbrachte - an den, der eines Tages begann, mit eindeutigen Liedern Partei zu ergreifen in der Auseinandersetzung zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten.

Diesen letzten, eigentlichen Dean Reed möchte ich den nennen, der alle Welt kennt. Die, die er zu ändern sucht und die, die seine Ideale verwirklicht. Diese Aufzählung der verschiedenen Etappen seines Ruhmes ist nicht zufällig. Sie entspricht der chronologischen Entwicklung eines jungen Mannes aus im amerikanischen Sinn geordneten Verhältnissen, die ziemlich rasch und kontinuierlich von rechts (sprich reaktionär) nach links (sprich progressiv) führte.

Der Anfang dieser Geschichte ist durchaus romantisch. Es paßt zu ihr, dass sie unter romantischen Umständen erzählt wird. Nämlich bei den Dreharbeiten zu dem DEFA-Film "Aus dem Leben eines Taugenichts", nach der berühmten Eichendorffschen Novelle von Wera und Klaus Küchenmeister geschrieben, von Celino Bleiweiß in Szene gesetzt. Da liegt ein junger Mann im malerischen Kostüm der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Gras, streichelt den Filmhund Bam, seinen unberechenbaren Kollegen, ist erst ein wenig reserviert, schließt sich dann auf und kommt ins Plaudern.

Zum Beispiel darüber, wie er die erste Hürde zum Erfolg nahm. Mehr zufällig eigentlich, wenn auch das sprachliche Bild zum passionierten Reiter Reed durchaus passt. Geboren wurde er auf einer Ranch in Colorado, auf der er auch in engster Freundschaft mit allen vierbeinigen Bewohnern seine Jugendjahre verlebte. "Ich bin eigentlich ein Naturbursche", sagt er mit ernstem Gesicht, ohne recht erkennen zu lassen, wie ernst er es mit sich und mir meint. Mit 18 bezog er die Universität, auch in Colorado, wo er in den zwei Jahren, die er dort verblieb, Gitarre spielen lernte und, als Fertigkeiten und Selbstsicherheit es erlaubten, sich auf den Dude-Ranchen (einer Art exklusiver Gastfarmen) seine Unterhalts- und Unterrichtskosten erspielte.

Dann zog es ihn nach Hollywood. Nicht um ein Star zu werden, sondern aus Neugier. Sozusagen der einzige Zufall der Wahl seines Reiseziels. Doch dazu später einige Bemerkungen. Autostop ist auch in Amerika die billigste Weise zu reisen. Und nun wird alles märchenhaft. Der Anhalter, den Dean aus Freundlichkeit mitnimmt, fragt nach der Gitarre auf dem Rücksitz des Wagens, lässt sich ein Lied eigener Machart vorspielen und macht einen realen geschäftlichen Vorschlag: gegen Bezahlung eines Hotelzimmers will er Dean einem Publisher, einem Produzenten vorstellen. Sonntag kommt Dean Reed in Hoolywood an, Montag spielt er vor, Freitag hat er einen Vertrag mit der "Capitol-Schallplatten-Gesellschaft" in der Tasche. Das ist 1959.

Die folgenden Jahre verlaufen so la la, aber 1961 wird seine Platte mit dem Titel "Our summer romance" ein Hit, dessen Plattenauflage fast die Millionengrenze erreicht. In den USA und in Lateinamerika. Und um solche Popularität nicht ungenutzt zu lassen, schickt "Capitol" ihn auf Tournee nach Südamerika. Bis hierher also eine amerikanische Erfolgslegende, die in allen States-Sonntagsmagazinen stehen könnte. Nicht so ihre Fortsetzung. Der Siegeszug des frischgebackenen Stars zeitigte unerwünschte Nebenwirkungen.

Dean ist ein Tüftler. Nicht im Sinne von Pedanterie, aber er will alles genau wissen. Auch warum es sich in seiner Welt so und nicht anders verhält. Um das zu ergründen, beschäftigt er sich bereits in Hollywood mit den Problemen Krieg und Frieden, Arm und Reich, Sozialismus und Kapitalismus. Anregungen und Antworten erhielt er von Paton Price, Schauspiellehrer bei "Warner Brothers". Price, der als Kriegsdienstverweigerer zwei Jahre im Gefängnis saß, lehrte Dean viel. Neben dem Handwerklichen auch kritisches Denken. In den beiden Jahren, die Dean wie ein Sohn in Paton Price Haus verbrachte, begriff er mehr vom Leben als je zuvor. Vor allem, dass es keine Kunst ohne Beziehung zur Realität gibt.

So vorbereitet traf ihn das Erlebnis Südamerika dennoch wie ein Schock. Wenn Dean auch jung war und geschmeichelt ob der Anbetung seiner Fans - er begnügte sich nicht mit stupidem Autogrammgeben, er suchte das Gespräch. Was er jedoch über die Köpfe seiner Verehrer hinweg sah, verband sich mit dem, was er hörte, zu einem bleibendem Eindruck des Entsetzens über die Armut, die tiefe Kluft zwischen "oben" und "unten", die sich ungeschminkt offenbarte. Aus dem spontanen Wunsch nach Veränderung dieser Zustände und der Ahnung von ihrer Veränderbarkeit, wuchs der Wille, selbst dazu beizutragen. So wurde denn dank "Capitol" zugleich mit dem Kassenmagneten Dean Reed der "Revolutionär im Embryonalzustand" Dean Reed geboren.

Dean fuhr in die Staaten mit der festen Absicht, nach Südamerika zurückzukehren. Das tat er denn auch. Nach einem intensiven halbjährigen Spanischstudium. Für vier Jahre wurde Lateinamerika seine zweite Heimat, der er bis heute eine tiefe und dauernde Liebe bewahrt hat. Die Freundschaft mit Paton Price, sein Aufenthalt in Argentinien und Chile sind zwei der drei bedeutsamsten Ereignisse in seinem Leben. Das dritte, betont er, ist seine erste Reise in die Sowjetunion; 1965, im Anschluss an die Tagung des Weltfriedensrates in Helsinki, zu der ihn der argentinische Friedenrat delegierte und dessen Mitglied er inzwischen wurde. Jüngst sogar als Vertreter der USA in der Kulturkommission berufen.

Aber zurück zum Ausgangspunkt der Szenerie, zum "Taugenichts". Dieser malerisch gewandte junge Mann, der lachend und streitbar die Daseinsberechtigung romantischer Gefühle gegen grämliche Einwände verteidigt, ist - gemessen am Maßstab der Welt, aus der er kommt, ein Phänomen. Für ihn wurde Arbeit und Kampf zu einer Einheit ("meine Waffe ist die Kunst"), ohne dass ihn diese Synthese hart gemacht hat. Unduldsam gegen alles Reaktionäre, lässt er jederzeit seine Liebe zum Leben spürbar werden. Und dieser Begriff umfasst für ihn, was immer nötig ist, Leben lebenswert zu machen: Zärtlichkeit, Spiel, Arbeit, Gefecht und, wenn's für die Sache ist, die er als gut erkannt hat, auch einen Aufenthalt im Gefängnis.

Er selbst sagt, dass er sich als Teil der Menschheit erkannt hat, dem zu helfen der einzige Sinn seines Lebens sein kann. Dieser selbstgewählten Aufgabe ordnet er alles unter, oder besser gesagt, ihr ordnet er alles zu. Niemals sagt er: ich als Künstler, ich als Mensch, ich als Familienvater. Dean Reed ist ganz heil, komplex, eine runde Persönlichkeit. Nicht ohne Probleme, aber den Problemen nicht hilflos ausgeliefert.

Da ist zum Beispiel die Liebe. In einem Leben wie Dean es führt, ist kein Raum für ein gemütliches Heim, in dem die Geranientöpfe regelmäßig gegossen werden. Da muss die Liebste auch, und in erster Linie, Gefährtin und Genossin sein.

Da sind die 12 Western, die er in den letzten fünf Jahren in Italien gedreht hat. "Ein Kompromiss", sagt er, "der mich nicht glücklich macht. Aber ich muss leben. Ich habe eine Tochter und ich unterstütze die Freiheitsbewegung in Lateinamerika, wo ich übrigens für meine Konzerte kein Geld nehme".

Deans Unterstützung erschöpft sich nicht im Materiellen. Er stellt seine ungeheure Popularität in den Dienst seiner Gesinnung. Seine Reisen - sämtlich selbstfinanziert - führen ihn nun (nicht mehr dem Zufall unterworfen, sondern von einem Ziel gelenkt) immer dorthin, wo die Linken ihn brauchen. So sang er auf Meetings in Uruguay während des Wahlkampfes für den fortschrittlichen Präsidentschaftskandidaten, demonstrierte seine Haltung zum schmutzigen Krieg in Vietnam durch die bekannte Waschung des Sternenbanners vor dem amerikanischen Konsulat in Santiago de Chile und feierte und festigte den Sieg der Unidad Popular und ihres Kandidaten Allende durch Konzerte vor Arbeitern, Bauern und Studenten im ganzen Lande. Im Auftrag der chilenischen Gewerkschaften schrieb er übrigens das Manuskript zu einem Film über diese Tourneen, mit dem er 1971 auf der Dokumentarfilmwoche in Leipzig vertreten war.

Rechnet man hinzu, dass Dean auch seine Lieder selbst textet und komponiert, wird klar, welches Maß an Disziplin und täglicher Arbeit er braucht, um dieses Pensum zu bewältigen. Die Linken brauchen ihn sicher, aber auch den Rechten tut seine Anwesenheit manchmal ganz gut. Augenzwinkernd reicht Dean ein Dankeszertifikat herüber, das quasi ein Hintertreppenwitz seiner kleinen Weltgeschichte ist. Von den "Boy Scouts", sagt er lächelnd und erzählt von seinem Auftritt auf dem Jahresbankett der Mäzene dieser Jugendorganisation, einem gesellschaftlichen Ereignis der amerikanischen High Society. "Ich stehe auf den schwarzen Listen der Fernsehgesellschaft NBC", erzählt Dean vergnügt, "und da saß ich nun an der Ehrentafel unter all den Ehrengästen, deren einer ich plötzlich auch war. Als ich dann dran war, sagte ich vor versammelter Presse, was zu meiner Person zu sagen ist und sang ein paar meiner schärfsten Lieder. Der Beifall war schwach", versichert er und schwört schmunzelnd, sich den gedruckten Dank stets über sein jeweiliges Hotelbett zu hängen.

Doch Dean hat nicht nur Spaß an zugespitzten Situationen. Von Freunden, Bekannten und Kollegen wird seine Freundlichkeit, Bescheidenheit, die Aufmerksamkeit und Achtung gerühmt, die er jedem zuwendet, der an ihn herantritt. Gleich ob es sich um einen Autogrammwunsch, ein Gespräch oder um Arbeit handelt. Ich möchte ergänzen: beeindruckend sind auch seine Offenheit und sein Selbstbewusstsein. Das ist kein Widerspruch zum Vorhergesagten. Dean Reeds Bescheidenheit ist nicht von der verlogenen Art, die tut, als blühe der eigene Ruhm ganz im Verborgenen. Er kennt seine Möglichkeiten und macht seinen Einfluss - als ein Mittel von vielen im Kampf - klug geltend. Das ist einfacher gesagt als getan. Denn Dean hat ein sehr unterschiedliches Repertoire, das von Liebesliedern über die Folklore bis zu Protestsongs reicht. Und nun gibt es geteilte Meinungen über das, was er eigentlich tun sollte. Die "reinen" Romantiker und Produzenten, die an der romantischen Welle verdienen, wollen ihn ausschließlich auf dieses Genre festlegen. Einige seiner revolutionären Freunde dagegen verlangen Abkehr vom Sentimentalen und Beschränkung auf aktuelle politische Themen. "Beides", sagt Dean Reed, "ist mir unmöglich. Ich bin wie alle Menschen. Zu meinem Leben gehört natürlich auch die Liebe und die Romantik. Und ich bin sicher, dass unter den Bedingungen der heutigen Zeit auch die Politik ein Teil des Daseins ist. Wer jedoch aus dem Leben unerlässliche Dinge, wie zum Beispiel die Liebe ausklammert, wird auch in seiner politischen Aussage unglaubwürdig. Mein Publikum, denke ich, wird an die Aufrichtigkeit meiner politischen Überzeugung glauben, wenn es spürt, dass ich mich keinem menschlichen Gefühl entfremdet habe."

Der Regieassistent ruft zur Probe... Dienst ist Dienst und gerade Dean nimmt's da sehr genau. Über den stillen See erklingt sein Lied: Die Gedanken sind frei... dann fällt endlich die Klappe zur letzten Einstellung, und Dean, ans Ufer zurückgekehrt, erzählt, warum er ausgerechnet den Taugenichts spielt. "Ich bin romantisch, hab ich doch gesagt. Und außerdem liegt mir die Rolle. Als ich Colorado verließ, war ich eigentlich ein Bauernbursche, naiv, nicht sehr kultiviert und ausziehend auf Abenteuer. Ein bisschen ein 'Taugenichts'. Darüber hinaus reizt mich die Schwierigkeit der Rolle. Ich muss härter arbeiten als je zuvor und kann daran wachsen. Ich liebe Kampf und die Chancen, die sich aus ihm ergeben. Hinzu kommt, dass ich schon immer gern in einem sozialistischen Land filmen wollte und die Zusammenarbeit mit Celino Bleiweiß schätze."

Erika Gromnica

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Letzte Änderung: 2009-11-05