Mlady Svet, Prag 1975 | ||||
We shall overcomeDer amerikanische Sänger, der in der DDR lebt, wo er zum zweiten Mal heiratete, der Schauspieler italienischer Western, der jüngste Delegierte des Weltfriedensrates, der mehrfach für seine politischen Ansichten verhaftet wurde - der siebenunddreißigjährige Dean Reed war in Prag und kam zu einem kurzen Gespräch in die Redaktion der MS. MS: Wann sind Sie zum ersten Mal öffentlich aufgetreten? Ich stamme aus Denver im Staat Colorado. In Colorado kursiert eine Geschichte von einem entflohenen Gefangenen, den der Sheriff zu Pferde vergeblich verfolgte. Wir unterhielten uns über diese Legende in einer Gaststätte. Dabei kam es zu einem Streit, ob etwas Wahres an dieser Sache sei. Ich äußerte, dass ich mir eine solche Flucht auch zutrauen würde. Im Unterschied zum Pferd, das anhält wenn seine Kräfte erschöpft sind, ist der Mensch in der Lage, die Grenzen seiner Möglichkeiten zu überwinden wenn er muss. Ich wettete um 25 Cent, dass ich in einem Wettlauf über 110 Meilen schneller sein werde als ein Maultier, welches ausdauernder ist als ein Pferd. Die Wette spielte sich auf einer Ranch beim Rodeo ab. Wie liefen 55 Meilen hin und 55 Meilen zurück. Dabei legten wir selbstverständlich Ruhepausen ein. Nach den Pausen startete jeder von uns mit dem Vorsprung, mit dem er angekommen ist. Auf dem letzten Abschnitt von 12 Meilen lief ich gegen das Maultier einen Vorsprung von 3 Minuten heraus und gewann die Wette. Den Verlauf des Wettkampfes verfolgten das Fernsehen und der Rundfunk, und in den Zeitungen wurde von mir als "schnellsten Maultier Amerikas" geschrieben. MS: Hat das in irgendeiner Weise Ihr Leben verändert? Nein, ich hatte ein bisschen mehr ausgelatschte Füße. Ich studierte weiter an der Universität Meteorologie, trainierte Athletik... Über die Ferien nach dem vierten Semester fuhr ich aber zu Besuch zum Vater nach Arizona. Unterwegs nahm ich im Auto einen Tramper mit. Es war mitten in der Wüste von Arizona. Der Mann sah aus wie ein Landstreicher. Als er meine Gitarre erblickte fragte er mich, ob ich auf ihr spielen könne. Ich bestätigte es. Da begann er mir zu erzählen, dass er einstmals in Hollywood ein bekannter Musiker gewesen ist, dass er viel Geld verdiente, dann jedoch schlecht geheiratet hatte und dass es seit dieser Zeit mit ihm bergab ging. Er wollte, dass ich ihm etwas vorspiele. Ich sang ihm ein Lied, das ich mit 16 Jahren gemacht hatte und welches hieß "Don't let her go" - Lass sie nicht weggehen. Er sagte anschließend: "Ich kenne in Hollywood den Chef eines Musikverlages. Wenn Sie mir ein Nachtlager im Hotel bezahlen, stelle ich Sie vor." Am Sonntag kamen wir in Hollywood an. Ich bezahlte ihm das Hotel, und er führte mich am Montag zur Gesellschaft Capitol, wo ich seinem Bekannten vorspielte. Dieser führte mich am Dienstag einem noch größeren Chef vor, und am Freitag hatte ich einen Vertrag für sieben Jahre. MS: Haben Sie das Studium beendet? Nein im Gegenteil, ich war froh darüber, dass aus mir kein Meteorologe wird. Ich studierte hauptsächlich deshalb, weil sie es sich zu Hause so wünschten. Der Vater war Professor, der Bruder Ingenieur... MS: Wo haben Sie Gitarre spielen und singen gelernt? Ich verdiente mir etwas Geld mit dem Singen von Cowboyliedern in Gaststätten. Nicht im Traum wäre es mir aber eingefallen, dass ich eine Karriere als Sänger machen würde. Die ersten beiden Platten bei Capitol fielen durch, erst die dritte hatte Erfolg. Sie nannte sich Sommerromanze und wurde 1961 zum großen Schlager in Südamerika. Die Firma schickte mich sofort dorthin auf Tournee. Innerhalb von drei Wochen reiste ich durch Venezuela, Brasilien und Argentinien. MS: Welche Ereignisse hatten Einfluss auf die Herausbildung Ihrer politischen Ansichten und führten Sie in die Reihen der Friedensbewegung? In der Zeit als ich Aufnahmen bei Capitol machte, spielte ich auch in einigen Filmen der Gesellschaft Warner Brothers und besuchte ihr Schauspielstudio. Das war sehr wichtig, weil das Studio von Paton Price geleitet wurde, der den Hauptverdienst daran trägt, dass ich über die Politik nachzudenken begann. Er war Pazifist, saß deshalb sogar zwei Jahre im Gefängnis. In Hollywood nahm er sich meiner an, ja man kann sagen, dass er mich eigentlich adoptierte, denn ich lebte zwei Jahre als Mitglied seiner Familie. Vielleicht wird das verständlicher wenn ich Ihnen sage, dass meine Eltern geschieden sind und mein Vater ein großer Reaktionär ist. Als ich auf der ersten Tournee in Südamerika war, haben mich zwei Dinge schockiert. Erstens die Macht, die dem Menschen durch Popularität verliehen wird. In jeder Stadt fand eine Pressekonferenz statt, und die Zeitungen druckten alles was ich sagte. Ohne Rücksicht darauf, ob es dumm oder klug war. Hauptsache, dass sich die Zeitungen verkaufen ließen. Die zweite Sache war der krasse Unterschied zwischen der privilegierten Klasse und der Mehrheit der Bevölkerung. Man müsste blind sein, das nicht zu sehen. Wenn Sie nach Südamerika kommen, haben Sie nur zwischen drei Möglichkeiten zu wählen: Kapitalist, Revolutionär oder Blinder zu sein. Dieser Kontinent hat mich so fasziniert, dass ich gleich nach meiner Rückkehr begann, Spanisch zu lernen und nach sechs Monaten fuhr ich erneut nach Südamerika, wo ich drei Jahre blieb. Als ich zum ersten Mal nach Chile kam, das war noch in der Amtszeit des Präsidenten Frey, fand gerade die Fußballweltmeisterschaft statt. Ich hatte einen Vertrag für 14 Tage nach Santiago, und durch Zufall wohnte ich im gleichen Hotel wie die Fußballmannschaft der Sowjetunion. Dort lernte ich Lev Jaschin kennen, der einer meiner besten Freunde wurde. Es gab deshalb einen schönen Aufruhr. Irgendwo wurden wir gemeinsam fotografiert, und die Fotos erschienen in den Zeitungen mit dem Kommentar: Dean Reed als Kommunistenfreund. Als Beweis führten sie an, was sie von irgendeinem eifrigen Telefonisten in der Hotelvermittlung erfahren hatten: dass Jaschin mich zu ihrem Spiel eingeladen hatte, mir anbot, dass ich mit ihnen im Autobus fahren und auf der Bank gemeinsam mit den Ersatzspielern sitzen konnte, worauf ich alle zu meinem Konzert einlud. Am nächsten Tag rief mich der amerikanische Botschafter an und sagte, dass er augenblicklich mit mir sprechen müsse. Er kam zu mir in das Hotel, und ich nahm unsere gesamte Konversation mit einem Tonbandgerät auf, das ich unter dem Tisch versteckt hatte. Es war ein unglaubliches Gespräch. Er verbot mir zur Begegnung der sowjetischen Mannschaft zu gehen und beschuldigte mich des Kommunismus. Ich antwortete ihm, dass ich Pazifist sei, dass ich an den Frieden und an die Koexistenz der Völker glaube und dass ich den Sport als eine der Möglichkeiten verstehe, wie diese Koexistenz verwirklicht werden kann. Wir gingen auseinander und einige Stunden später wurde ich aus der Polizeipräfektur angerufen, welche den Ausländern das Visum erteilt. Man sagte mir, dass der amerikanischer Botschafter bei ihnen angerufen hätte. Sie forderten mich auf, keine Schwierigkeiten zu machen und empfahlen, dass ich nicht zu diesem Spiel gehen solle. Ich lehnte ab und nach weiteren zwei Stunden läutete wieder das Telefon. Es war der Direktor vom Rundfunk, mit dem ich einen Vertrag hatte. Auch bei ihm hatte der amerikanische Botschafter bereits angerufen. Er fragte mich, weshalb ich ihnen solche Schwierigkeiten mache und bot mir einen Kompromiss an. Die sowjetischen Fußballer lädt er offiziell zu einem Konzert des chilenischen Rundfunks ein und keinesfalls ich selbst. So ist es dann auch gekommen. Ich ging zum Fußball und sie luden sie zum Konzert ein. 1964 war ich in Brasilien und sang 14 Tage in Sao Paulo, dann hatte ich frei und fuhr auf dem Rio Negro in den Dschungel zu den brasilianischen Indianern. Unterwegs stieß ich auf drei amerikanischer Forscher, die einen Priester als Begleiter bei sich hatten. Sie verstanden nicht portugiesisch, er nicht englisch. Er verstand jedoch zum Teil mein Spanisch, so dass ich für sie den Dolmetscher machte. Wir drangen tief in den Urwald vor, fanden Indianer, die noch niemals einen Weißen gesehen hatten. Wir blieben bei ihnen fünf Wochen. Es war der interessanteste und aufrichtigste Teil meines Lebens. Nach Argentinien, wo ich einen weiteren Vertrag hatte, flog ich mit zweiwöchiger Verspätung. Sie hatten dort schon die Meldung, dass ich im Dschungel verloren gegangen wäre. Sie fragten mich, wie es mir bei den Indianern gefallen habe. Ich antwortete, dass es mir sehr gefiel, weil es der erste Ort in Südamerika war, wo ich keine Aufschriften "Yankee, go home" fand. Ich fürchte, dass sie nach unserer Abreise dort auftauchen werden, weil meine drei mitreisenden Landsleute ein klassisches Beispiel an Arroganz und amerikanischem Überlegenheitsgefühl waren. MS: Wann begannen Sie in der Friedensbewegung zu arbeiten? In Argentinien 1965. Ich war befreundet mit Alfred Varela (er wurde vor zwei Jahren mit dem Leninfriedenspreis ausgezeichnet). Durch sein Verdienst wurde ich zum Weltfriedenskongress nach Helsinki eingeladen. Der letzte Abend hatte einen kuriosen Verlauf. Auf dem Programm standen sieben Redner. Zu dieser Zeit war China noch Teilnehmer am Friedenskongress, aber die Beziehungen zwischen ihm und der Sowjetunion waren bereits gespannt. Als einer der Redner den chinesischen Standpunkt zu verteidigen begann, brach im Saal ein Lärmen, Pfeifen und Schreien los. Der Alterspräsident löste das Problem auf die Weise, dass er mitten im Wort des Redners über Mikrofon ansagte: "Und nun singt für Sie Dean Reed". Noch niemals zuvor und niemals danach war ich derartig aufgeregt. Ich sang "We shall overcome." Vorher forderte ich jedoch alle auf, sich an den Händen zu fassen. Das rettete den ganzen Abend. Ich gab noch einige Lieder zu, und die Sowjets luden mich nach Moskau ein. Das war der dritte wichtige Meilenstein in meinem Leben. Der erste war das Zusammentreffen mit Paton Price, die Bücher, die er mir geliehen hatte, die Debatten, die er mit mir führte. Der zweite waren die drei in Südamerika verbrachten Jahre und die dort gesammelten Erfahrungen, von denen ich Ihnen ein paar erzählte. Der dritte war der Aufenthalt in Moskau. Bis zu dieser Zeit beantwortete ich die Frage, ob ich Kommunist sei, dass ich Pazifist bin. Ich sah darin keinen Unterschied, war aber auch nicht in der Lage, meinen Standpunkt zu verteidigen. Erst in Moskau begann ich, die Bücher von Marx und Lenin zu studieren. Als ich anschließend nach Argentinien zurückkehrte, beschmierte man mir die Hauswände mit roter Farbe, vergifteten den Hund, schoss in die Fenster. Ich brachte nämlich aus Moskau einen Film über Valentina Tereshkowa mit und baute ihn ohne Genehmigung durch die Studioleitung in mein reguläres Fernsehprogramm ein. Jedes Mal, wenn sie mir in die Fenster schossen rief ich die Polizei an, wo man mir sagte, dass sie sofort kommen. Aber es war jedes Mal das gleiche Spiel: Am nächsten Morgen kam ein Polizist mit dem Fahrrad. MS: Können Sie in die Vereinigten Staaten zurückkehren? Weshalb nicht? Mein amerikanischer Pass ist in Ordnung. Ich beabsichtige dieses Jahr im Herbst anlässlich des Solidaritätskongresses mit Chile dorthin zu fahren. Ich will dort einen Film vorführen, den ich in Chile gedreht habe, will über Allende sprechen und selbstverständlich auch singen. MS: Jane Fonda engagiert sich ebenso wie Sie außerordentlich in der Weltfriedensbewegung. Sie lebt in Amerika. Sie leben außerhalb Amerikas. Weshalb? Jane Fonda befindet sich in einer anderen Situation. Sie kommt aus einer sehr berühmten und reichen Familie, ist finanziell sichergestellt und demzufolge unabhängig. Ich muss verdienen, weil ich meine erste Frau unterstütze, die sich um die Erziehung unserer Tochter kümmert. Der zweite Unterschied besteht darin, dass Jane zunächst in Amerika ein großer Filmstar wurde und sich erst dann politisch zu engagieren begann. Es ist ein schönes Beispiel für die Paradoxität der kapitalistischen Gesellschaft: in dem Augenblick, wenn ein Unternehmer an jemandem Geld verdienen kann, mietet er ihn für sich, selbst wenn es der Teufel wäre. Es versteht sich von selbst, dass keiner der Produzenten dem zustimmt, was sie verkündet. Aber jeder unterschreibt gern einen Vertrag mit ihr, weil ihr Name nach wie vor Gewinn bedeutet. Bei mir war das anders. Ich habe meine internationale Reputation durch die politische Arbeit in der Friedensbewegung erworben, und der Gesang wurde mir zum Mittel. Ich habe in Amerika keinen solchen Namen, dass ich damit rechnen könnte, dass sich die Angebote von Fernsehen, Rundfunk und Plattengesellschaften für mich häufen. In dem Augenblick, wo mich die Massenkommunikationsmittel ignorieren, bin ich lediglich ein Mann von der Straße. MS: Wie groß ist Ihre Popularität außerhalb Amerikas? Ich denke mir, dass dort, wo ich auftreten kann oder konnte, die Leute von mir wissen. In den sozialistischen Ländern, in Südamerika, in den Entwicklungsländern. Mich überraschte das Zusammentreffen mit dem Führer des palästinensischen Widerstandes Yasser Arafat bei den Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Berlin. Ich wollte mich vorstellen aber er sagte mir, dass er mich aus italienischen Filmen kenne, die in den arabischen Ländern sehr populär sind. MS: Sie singen politische Lieder, treten für die Verteidigung des Friedens ein und gleichzeitig drehen Sie Western. Kommt Ihnen diese Kombination nicht etwas seltsam vor? Diese Frage habe ich erwartet. Was die italienischen Filme betrifft, so ist das sehr einfach. Ich mache sie wegen der finanziellen Sicherstellung und auch wegen der Popularität, die sich dann für nutzbringendere Zwecke nutzen lassen. Es gibt allerdings auch Leute, die mir selbst den Fakt vorhalten, dass ich Schlager oder Liebeslieder singe und sie sagen, dass ich mich damit wegwerfe und dass ich nur politisch engagierte Lieder singen sollte. Ich denke, dass sie nicht das Recht haben. Wenn ich nur über Politik singen werde, wer wird dann in meine Konzerte gehen? Angesichts dessen, wie ich aussehe und wie ich singe, habe ich die Möglichkeit, den Weg zu einem breiten Publikum, zu einer großen Anzahl Menschen zu finden, von denen viele nicht an das Gleiche glauben, an das ich glaube. Und diese Menschen interessieren mich. Darüber hinaus denke ich, dass sich in den Liedern all das widerspiegeln soll, was uns im Leben begegnet. Der Mensch kann nicht 24 Stunden täglich Revolutionär sein. Genauso wie er nicht 24 Stunden am Tag lieben kann. Sie werden sogar ein besserer Revolutionär, wenn sie auch Zeit für die Liebe, für die Familie, für ein Spiel mit dem Kind, für Freunde und für einen Spaziergang im Park finden. All das lässt sich besingen. Auch wenn die Wahrheit auf unserer Seite ist, dürfen wir diese Wahrheit den Menschen nicht in einem fort an den Kopf werfen. Ich habe wegen meiner Ansichten bereits viermal im Gefängnis gesessen und so manches erdulden müssen; ich denke, dass ich in der Lage bin, darüber etwas Überzeugendes zu sagen, aber ich bin mir dessen sicher, dass, wenn ich den ganzen Abend darüber singen würde, die Hörer weglaufen. Und das ist vielleicht nicht der Zweck. |
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www.DeanReed.de
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