ZDF aspekte 15.10.2004 zurück/back

Johnny Cash des Kommunismus

Ein Amerikaner in Ostberlin

Wer im deutschen Osten aufwuchs, weiß sofort, wer gemeint ist: Dean Reed. Er war der Elvis des Ostens. Sänger, Schauspieler, Weltverbesserer.

ZDF aspekte 15.10.2004

Ein Mann, der seine Gitarre selten still und seine Faust selten unten hielt, wann immer er für Weltfrieden und gegen Unterdrückung ansingen konnte.

Verschwörungstheorien

Trotz diverser Biografien schon zu Lebzeiten ist Dean Reed bis heute eine mysteriöse und legendenumwobene Figur. Was trieb ihn zuerst zu den Unterdrückten nach Südamerika und dann in den sozialistischen Osten? Und wie und warum starb er? Bis heute ranken sich Verschwörungstheorien um seinen Tod im Sommer 1986 im Zeuthener See bei Berlin, trotz oder gerade wegen eines 15-seitigen Abschiedsbriefs, den er hinterließ.

Dean Reed hat Konjunktur. Zeitungsserien erscheinen, mehrere Dokumentationen und ein Spielfilm von Tom Hanks und Steven Spielberg sind in Vorbereitung. Und eine neue Biografie von Stefan Ernsting kommt dieser Tage auf den Markt, die mit einigen Ostlegenden und ideologischen Mythen aufräumt.

Ein Rätsel

Dean Reed, Mitglied des Weltfriedensrates, Schauspieler, Sänger, ein Träumer, Arafats Freund und Ehrengast bei der Amtseinführung von Salvador Allende in Chile, kommt 1971 zum Leipziger Dokumentarfilm-Festival in die DDR und bleibt. Er wird von der Staats- und Parteiführung hofiert, tritt im ganzen Land und in den sozialistischen Bruderländern als Sänger auf, dreht Filme und macht Fernseh-Shows. Er wird mit seiner romantischen Stimme und seinem strahlenden Lachen zum Idol der sozialistischen Jugend.

Bis heute bleibt es allerdings ein Rätsel, warum er sich am 12. Juni 1986 das Leben nimmt. Denn eigentlich geht es ihm gut: Er hat mit seiner dritten Ehefrau, der bekannten Schauspielerin Renate Blume, ein Haus am Zeuthener See bei Berlin, fährt einen weißen Lada und darf mit seinem Pass als US-Staatsbürger jederzeit ausreisen, etwa nach Berlin-Kreuzberg, um dort Gitarrensaiten zu kaufen oder ins Kino zu gehen.

Eine Fälschung?

Warum begeht er also Selbstmord? Oder ist etwas dran an der Hypothese, dass er von der Stasi aus dem Weg geräumt wird, weil er die DDR wieder verlassen will? Und vor allem: Warum verschwindet sein Abschiedsbrief 1986? Oder ist der Abschiedsbrief gar eine Fälschung?

Gefunden wird der Brief auf dem Beifahrersitz seines Ladas am 14. Juni 1986 unweit von Reeds Haus am Zeuthener See, seine Leiche wird erst zwei Tage später aus dem See gefischt. Der Brief ist in holprigem Deutsch geschrieben und nicht an seine Frau Renate Blume gerichtet, sondern "An den Freund und Genossen Eberhard Fensch". Fensch ist 1986 stellvertretender Leiter der Abteilung Agitation im ZK der SED, zuständig für Rundfunk und Fernsehen. Dean Reed und Fensch lernen sich in den 70er Jahren bei einer Fernseh-Sendung kennen. Sie werden Freunde.

Künstlerische Krise

Am 9. Juni 1986 fährt Fensch zu Reed. Der Sänger hat einen Selbstmordversuch unternommen und sich die Pulsadern aufgeschnitten. Er überlebt. "Wir redeten die ganze Nacht", erinnert sich Eberhard Fensch jetzt in einem Zeitschriften-Interview. "Dean hatte das Gefühl, in einer tiefen künstlerischen Krise zu stecken. Und in einer Ehetragödie mit seiner Frau Renate. Doch er versprach mir hoch und heilig, sich nie wieder etwas antun zu wollen. Als ich dann drei Tage später hörte, dass er verschwunden war, ahnte ich das Schlimmste."

Nach dem Fund von Reeds Leiche und dem Abschiedsbrief wird Fensch zu SED-Generalsekretär Erich Honecker zitiert. "Er entschied, dass der Tod ein tragischer Unfall war und dass der Abschiedsbrief für immer geheim gehalten werden sollte. Niemand dürfe von seinem Inhalt erfahren, auch seine Frau Renate nicht. Er wollte Renate Blume den Schmerz ersparen", sagt Fensch. Denn auf den 15 Seiten steht am Anfang: "Mein Tod hat nichts mit Politik zu tun."

Abschiedsbrief

Allerdings gibt es Zweifler, die meinen, Dean Reed hätte einen solchen Brief nicht, wenn auch holprig, auf Deutsch geschrieben. Andere Briefe von Reed aus den 80er Jahren sind teilweise in Deutsch und teilweise in Englisch verfasst. Reed war gar nicht in der Lage, nur auf Deutsch zu schreiben, sagen Kritiker. Er fiel immer wieder ins Englische. Seine Mutter etwa ist überzeugt, dass ihr Sohn solche tiefgreifenden Gedanken, wie sie im Brief niedergeschrieben sind, in seiner Muttersprache geschrieben hätte und nicht in Deutsch.

Was ist also dran am Abschiedsbrief, am Selbstmord und an den Plänen des roten Elvis in seine Heimat Colorado zurückzukehren? Nicht nur die Autoren diverser Biografien oder Dokumentarfilmer sind Dean Reed 18 Jahre nach seinem Tod auf der Spur, auch Tom Hanks macht sich auf die Suche nach dem Leben und Sterben des Mannes, den die New York Times wegen seines Engagement gegen den Vietnamkrieg den "Johnny Cash des Kommunismus" nannte.

"American Rebel"

Hollywood-Star Hanks besucht bereits alte Freunde und Bekannte von Dean Reed in Deutschland, seinen Bruder Dale in den USA und sichert sich die Rechte an der von der amerikanischen Autorin Reggie Nadelson verfassten Biografie "Comrade Rockstar". Nicht weil er ihrer Version von Deans Tod glaubt - Nadelson spekuliert in ihrem Buch, ob Reed von der CIA ermordet wurde, vom KGB oder von einem eifersüchtigen Ehemann - sondern weil ihm der Titel gefällt. Man darf gespannt sein, wie sein Film wird.

Am Ende hat Dean Reed sich wohl im Zeuthener See bei Berlin nach der Einnahme von Betäubungsmitteln ertränkt. Auf seinem Grabstein in Boulder, Colorado steht: "Dean Cyril Reed" "Denver 1938 - Berlin 1986. American Rebel."

von Achim Zeilmann und Tong-Jin Smith

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Letzte Änderung: 2006-11-18