Ankunft in Chile

am 15. August 1983

zurück/back
Dean Reed 1983 in Chile Dean Reed 1983 in Chile Dean Reed 1983 in Chile
Dean Reed 1983 in Chile Dean Reed 1983 in Chile

Fünf Tage im kämpfenden Chile

Montag, der 15. August 1983, ist für Chile nicht mehr und nicht weniger als ein Tag im zehnten Jahr der Pinochet-Diktatur über das Land. Für Dean aber ist es ein ganz besonderer Tag. Als die vierstrahlige Maschine der Swissair auf dem Flughafen der chilenischen Hauptstadt Santiago ausrollt, ist er sehr bewegt. Endlich wird er wieder den Fuß auf den Boden des Landes setzen können, in dem er so oft und lange gewesen ist und das er so liebt.

Dean aber ist nicht nur bewegt, sondern auch erregt, ja aufgeregt. Immer wieder hat er sich während des Fluges gefragt, ob ihn die Polizei Pinochets ins Land lassen werde. Zwar braucht er als Bürger der Vereinigten Staaten für einen Besuch in Chile kein Visum, aber er weiß nur zu gut, dass der Diktator jedes Gesetz mit Füßen treten kann, seinen Willen durchzusetzen.

Doch auch Dean will sich durchsetzen. Denn er spürt die Verpflichtung, die ihm die Stunde auferlegt. Als er sich im Mai 1971 mit einem großen Presseartikel von seinen chilenischen Compañeros verabschiedete, war in allen großen Zeitungen des Landes zu lesen: "Diese Worte sollen weniger ein Abschieds- denn ein Willkommensgruß sein... Denn wir werden uns immer nahe sein... Ich bin immer bereit, euch zu helfen."

Noch früher, nach seiner Haft in Argentinien, hat Dean einmal gesagt: "Ich glaube, dass der Fortschritt in aller Welt sowohl mit als auch ohne meine Hilfe siegen wird, aber ich bin der Meinung, dass mein Leben nur dann sinnvoll ist, wenn der Fortschritt mit meiner Hilfe siegt."

Dean hat immer zu seinem Wort gestanden, und in diesem August des Jahres 1983 glaubt er, dass ihn seine Freunde im Andenland brauchen. In diesem Glauben haben ihn auch fern ihrer Heimat lebende chilenische Freunde bestärkt, nicht zuletzt Luis Corvalán, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei.

Dennoch war es ein spontaner Entschluss, der Dean bewog, die lange Flugreise über den Atlantik anzutreten, eine Reise mit durchaus ungewissem Ausgang. Er hatte im Fernsehen gesehen, was in Chile in den letzten Wochen geschehen war. Das hatte ihn bewegt wie seit langem nichts.

Am 11. August, den die demokratischen Kräfte des Landes zum Nationalen Protesttag erklärt hatten, wie schon drei Tage innerhalb der zwei Monate zuvor, war es zu den bisher energischsten Massenaktionen gegen das Terrorregime des Augusto Pinochet gekommen. Kommunisten und Sozialisten, Radikale und Christdemokraten und vor allem immer wieder Gewerkschafter, kurz alle oppositionellen Kräfte waren in langen Demonstrationszügen durch die Straßen Santiagos und anderer Städte und Gemeinden des Landes gezogen. "Brot, Gerechtigkeit, Arbeit und Freiheit" stand auf ihren Transparenten zu lesen. Diese schon in den Wochen zuvor immer wieder lautgewordene Forderung nach Wiederherstellung der elementarsten Menschenrechte hatte den Diktator in Wut versetzt. Schon in der Nacht vor dem nunmehr vierten Nationalen, also landesweiten Protesttag waren allein um die Hauptstadt nicht weniger als 18.000 Soldaten und Polizisten aufmarschiert, und sie hatten scharfe Munition in ihren Waffen.

Am Morgen dann schossen Pinochets Büttel mit Tränengasgranaten auf Studenten, die sich in der Universität versammelt hatten, hetzten Bluthunde auf die Demonstranten, feuerten gezielt auf Männer, Frauen und Kinder, vor allem in den Arbeitervierteln La Hermida, La Victoria und Los Presidentes.

Als Dean in Moskau die Maschine nach Südamerika bestiegen hatte, wusste er, dass 17 Chilenen in den Straßen Santiagos verblutet waren. Als er in Buenos Aires die Maschine wechselte, hörte er, dass sich die Zahl der Opfer auf 27 erhöht hatte und dass Hunderte Patrioten verletzt und Tausende verhaftet worden waren. Sein Zorn ist groß, und er will ihn herausschreien, so gut er kann und koste es, was es wolle.

Erst aber muss es ihm gelingen, ins Land zu kommen.

Die Minuten nach der Landung in Santiago werden für Dean zu einer großen Überraschung. Als der Jet zu seinem Standplatz rollt und die Turbinen noch einmal aufheulen, ehe sie endgültig verstummen, sieht er durchs Fenster viele Menschen. Sie drängen sich hinter der Gangway,die sich langsam an die Maschine schiebt. Noch weiß Dean nicht, dass all diese Menschen gerade auf ihn warten, und er weiß auch noch nicht, dass schon dieser Empfang zu einem kleinen Sieg über die Schergen des Diktators werden wird.

Als Dean die Gangway hinabgeht, strecken sich ihm die ersten Hände entgegen. Manche halten Mikrofone, viele aber fassen nach den seinen, um sie fest zu drücken. Die meisten Leute von der chilenischen Presse, vom Rundfunk und vom Fernsehen sind, obwohl alle Medien des Landes von Pinochet gleichgeschaltet worden sind, keine Parteigänger dieses Faschisten.

Unter dem Surren der Fernsehkameras und dem Geprassel der Fragen der Journalisten überwindet Dean die Hürden der Einreisekontrolle.

Angesichts des Empfangs wagt es keiner der Beamten, ihn abzuweisen. Der Skandal wäre zu groß. Er wäre um so größer, als Dean von seinem Freund Will Roberts begleitet wird, einem amerikanischen Fernsehmann, der seit drei Jahren an einem abendfüllenden Dokumentarfilm über das Leben des Künstlers arbeitet, mit dem er ihn auch in seinem Heimatland bekannt machen will.

Als Dean in dem Auto sitzt, mit dem Freunde aus den Tagen der Volksregierung ihn abzuholen gekommen sind, spricht er sofort über seine Pläne. Er will reden, und er will singen, überall, wo es nur möglich ist. Dean merkt nicht gleich, wie die Compañeros lächeln, sich zuzwinkern und gelegentlich verstohlen anstoßen.

Als er endlich doch nach den Gründen der stillen Heiterkeit fragt, wird das verstohlene Lächeln zu befreiendem Lachen. Es sei alles schon organisiert, sagt einer, und wenn ihnen die Polizei nicht einen Strich durch die Rechnung mache, könne Dean mit so vielen Leuten sprechen, wie er nur wolle. Und natürlich könne und solle er vor allem singen.

"Auch eure Hymne?" fragt Dean und meint das berühmte "Venceremos", das Lied der Unidad Popular, das längst zum Liedschatz der Völker gehört.

Da winken die Freunde ab. "Das wäre das erstemal seit dem Putsch", sagt einer. "Du weißt, dass es streng verboten ist, das Lied in der Öffentlichkeit zu singen." Und ein anderer meint lakonisch: "Wenn du unbedingt ins Gefängnis willst..."

Zur gleichen Zeit, da Dean durch die Straßen von Santiago fährt, liegt der Redaktion der Madrider Tageszeitung "El Pais" ein Manuskript vor, in dem die Situation in Chile nach dem vierten Nationalen Protesttag mit den überlegten Worten des marxistischen Politikers analysiert wird. Keine 48 Stunden später gehen diese Worte, in Madrid gedruckt und von den großen Nachrichtenagenturen zitiert, um die Welt. Es sind die Worte von Luis Corvalán.

"Der Zusammenbruch des faschistischen Regimes in Chile ist unvermeidlich. Nichts und niemand kann den Sturz der Tyrannei verhindern. Sie hat noch einmal mit großem Eifer die Regierung zu retten versucht... Wann Pinochet stürzt, kann man nicht genau voraussagen... Aber es gibt keine Stütze mehr, die tragfähig wäre... Pinochet ist unrettbar verloren."

Aus meinem Leben

Dean erfährt davon erst viel später, aber das, was er in den Tagen seines Chilebesuchs erlebt, was er hört und sieht, lässt ihn zu dem gleichen Schluss kommen. In einem der ersten Interviews, die er nach seiner Rückkehr nach Europa gibt, sagt er einem Vertreter der Wiener "Volksstimme": "Soweit ich gesehen habe, hat das chilenische Volk keine Angst mehr. Und das Volk ist geeint." [Fortsetzung]

Dean Reed, Aus meinem Leben. Aufgeschrieben von Hans-Dieter Bräuer; 2. aktualisierte und erweiterte Auflage; Edition Peters, Leipzig/Dresden 1984; S. 93 ff

Beiträge auf der Dean-Reed-Website:

zurück/back

www.DeanReed.de
Fehler, Hinweise etc. bitte an Webmaster@DeanReed.de
Letzte Änderung: 2012-05-15