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Lexikon der prominenten Selbstmörder

Lexikon der prominenten Selbstmörder

LEXIKON Imprint Verlag, 2000. ISBN: 3-89602-265-2


DEAN REED
*22.9.1938 Wheat Ridge, †13.6.1986 Berlin/DDR
Die Schlagersängerin Helena Vondrácková erinnert sich an Dean Reed als "Legende im ganzen Ostblock". Allerdings auch als glühenden Verehrer des Kommunismus: "Er glaubte wirklich an eine Zukunft im kommunistischen System. Jedes Gespräch mit ihm endete meist mit einer von Phrasen überfrachteten Debatte." Dean Cyril Reed besuchte zwei Jahre die Schauspielschule der Warner Bros., bevor er in Mexiko, dann in Europa filmte. Sein Vater war ein erzkonservativer Mann und als Kommunistenhasser bekannt. Als Reed 1972 in die DDR kam, wurde er schnell als "Stimme aus dem anderen Amerika" populär. Mit "Summer Romance" hatte er einen Nummer-Eins-Hit in Lateinamerika. Der "Kämpfer gegen Imperialismus und Ausbeutung" legte sich ein Image als Cowboy und Sexsymbol zu. Seine zahlreichen Solidaritätskonzerte führten ihn bis in die UdSSR. Böse Zungen nannten ihn den "Genossen Cowboy". Als Vorzeigeamerikaner der DDR genoss er viele Privilegien. So konnte sich Reed zum Beispiel seine Filmrollen aussuchen. Oft schrieb er eigene Drehbücher, die er selbst inszenierte. Filme wie die 1981 gedrehte Westernklamotte "Sing, Cowboy, sing" waren sicher keine Ruhmesblätter der DEFA. In der Nacht auf Freitag, den 13. Juni 1986, kam er in einem See bei Berlin ums Leben. Zu dieser Zeit zog er ernsthaft eine Rückkehr in die USA in Erwägung. Sein Tod wurde nie vollständig aufgeklärt. Bis heute kursieren die merkwürdigsten Gerüchte. In einigen heißt es, Reed sei ein Opfer der Stasi geworden. Erst 1998 wurde ein Kriminalroman verfasst, der den mysteriösen Tod des Schauspielers zum Thema hat. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass er sich wegen seiner anhaltenden Karriereflaute selbst das Leben nahm. Reed war mit der Schauspielerin Renate Blume verheiratet. Sein Adoptivsohn Alexander Reed ist heute ebenfalls Schauspieler.

Der ständige Notausgang

Über den Selbstmord

Was trieb Jürgen W. Möllemann an, am Ende seiner Tage? Der mutmaßliche Freitod des Politikers verweist darauf, dass der Lebenstrieb der Menschen, dieses seltsame Räderwerk, viel komplizierter ist als angenommen. Wenn Prominente Hand an sich legen, rückt der "stets vorhandene Notausgang" (Tucholsky) ins Licht - meist, um das Leben der betreffenden Persönlichkeit zu der traurigen Erzählung werden zu lassen, zu der sie erst im Rückblick gerinnt. "Das Lexikon der prominenten Selbstmörder" (Schwarzkopf & Schwarzkopf) zeichnet über 300 Lebensläufe, die mit Selbstmord endeten unter anderen von Kleopatra, Adalbert Stifter, Riunosuke Akutagawa, Isokrates, die deutsche Sängerin Renate Kern, Dean Reed, Rudolf Diesel und Vincent van Gogh. So heterogen die Schar auch sein mag: Ruhm ist ihr Amalgam. Zwar enthebt die alphabetische Ordnung die Autoren des Selbstmord-Lexikons von der Pflicht, Verbindungslinien zu ziehen, was den Stimulus der Selbstmörder angeht. Jedoch, die hier vertretenen Kurzbiografien lassen Folgerungen zu. Zum einen beängstigt die Geschwindigkeit, mit der sich Weggefährten und Freunde von Prominenten trennen, tritt erst einmal ein Unglück ein - der verwirrende Fall Barschel etwa zeigt das genau. Gerade Prominente halten oft heruntergekühlten Atmosphären, dem bitteren Druck des Lebens nicht stand. Einige empfinden auch große Scham. Ein Geheimnis, von außen betrachtet eine Winzigkeit oder gar ein Abenteuer, macht es vielen unmöglich, ihr Leben weiter zu ertragen. Chet Baker schämte sich für seine Drogensucht, die ihn posthum zur Legende werden ließ. Der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim, im Alter ein hellwacher Geist, hasste es, auf Hilfe von Pflegepersonal angewiesen zu sein.

Vor allem beim politischen Personal, bei Petra Kelly und Gert Bastian, etwa, drängt sich der Eindruck auf, es fehle ein wichtiges Detail: Oft will sich kein rechtes Bild ergeben, selten ist der Grund für die Selbsttötung offenkundig wie bei Admiral Jeremy Michael Boorda, der sich 1996 vor einem Pressetermin mit der Pistole seines Schwieersohnes in die Brust schoss. Der ranghöchste amerikanische Marineoffizier hatte sich unrechtmäßig zwei Tapferkeitsmedaillen ans Revers geheftet und war daraufhin zum Gespött der Öffentlichkeit geworden.

Über den Protagonisten des Films "Ist das Leben nicht schön" von Frank Capra steht nichts im Lexikon. In dem mit James Steward besetzten Film wird ein verzweifelter Mann von seinem Schutzengel gerettet. Der führt ihn durch sein Leben, zeigt, wie arm die Welt ohne ihn gewesen wäre. Man kann nur wünschen, dieser Engel hätte sich Jürgen W. Möllemann angenommen wie den 300 berühmten und den ungezählten nicht prominenten Selbstmördern dieser Welt.

Ingo Romeo Mocek

welt.de, 15. Juni 2003

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Letzte Änderung: 2017-07-27