Leipziger Ausgabe 25.03.1972

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STIMME DES ANDEREN AMERIKA

DEAN REED

Vom Rock'n-Roll-Sänger zum Vertreter der kämpfenden Kunst

Sengende Mittagshitze brütete über dem Flughafen der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires an einem Sommertag im Juli 1961. Einige hundert Soldaten bemühten sich verzweifelt, eine vieltausendköpfige brodelnde Menschenmenge in Schach zu halten, aber immer wieder durchbrach sie die Absprerrkette, als langsam die Maschine ausrollte, die den populären Rock'n-Roll-Star Dean Reed aus den USA zum ersten Mal in dieses Land brachte.

Als genau zehn Jahre später wieder einige hundert Soldaten den gleichen Flugplatz hermetisch abriegelten, galt der Aufwand erneut dem Amerikaner Dean Reed. Aber es war nicht mehr derselbe Mann, nicht mehr der gefeierte Star, diesmal schob das diktatorische Regime einen unbequemen Staatsfeind, den nur noch populärer gewordenen Friedenskämpfer und Volkssänger Dean Reed, direkt aus der Gefängniszelle über die Landesgrenze Richtung Europa ab.

Was war geschehen?

Vom Plattenzar entdeckt

In Denver im USA-Staat Colorado am 22. September 1938 geboren, wuchs Dean Reed auf einer kleinen Ranch auf und lernte laufen und reiten fast zur gleichen Zeit. Schon bald wurde er ein tüchtiger Cowboy, und knapp 16jährig, gewann er sein erstes Rodeo (Cowboy-Wettspiel). Als er 18 wurde, und der Schrank voll war von Rodeotrophäen, beschloss der junge Hitzkopf, an der "Colorado-Universität" Meteorologie zu studieren. Da aber das Studium Geld kostete, sang er abends in Bars für die Touristen Cowboysongs und melancholische Hillbillies.

Knapp zwei Jahre später trat ein völlig unerwartete Wendung ein. Eines Abends entdeckte ihn ein Agent und überredete ihn, bei einer Plattenfirma vorzusingen. Dean fuhr mit und stand mit seiner Gitarre zwei Tage später vor dem mächtigen Präsidenten der "Capitol-Schallplattengesellschaft". Der hörte sich den Naturburschen an, der nie eine Ausbildung gehabt hatte, erkannte das große Talent, und nach wenigen Stunden gab es den Meteorologiestudenten Reed nicht mehr, aber am Showhimmel ging ein neuer Stern auf.

Woyle Gilmore, der Plattenzar, hatte auf Anhieb erkannt, dass dieser talentierte Bursche in der Lage sein könnte, das Loch auf dem Markt zu stopfen, das der Rock'n-Roll-Star Elvis Presley hinterließ, als ihn der Staat zu den Soldaten holte. Bereits die dritte Platte, die den Namen Dean Reed auf dem Etikett trug, wurde ein Riesenerfolg. Der Titel "Our Summer Romance" (Unsere Sommerromanze) hielt sich fast ein halbes Jahr an der ersten Stelle aller Hitlisten, und die Verkaufsziffer erreichte die Millionengrenze. Nach diesem Erfolg begann man Reed erbarmungslos zu verheizen und hetzte ihn von einer Tournee auf die andere. Er erreichte eine ungeheure Popularität, und die Monopol-Gesellschaft profitierte davon wie kaum zuvor. Dieser junge Mann wurde zum Idol der amerikanischen Jugend, die damit von der Beschäftigung mit Problemen im Lande und von politischem Engagement abgehalten wurde.

Publicity ging der Firma über alles, und da sich die Reed-Platten auch in Südamerika gut verkauften, schickte ihn der Boss auf seinen Siegeszug durch diesen Kontinent. Sein Triumph begann in Buenos Aires, an jenem Junitag im Jahre 1961.

Rock'n Roll und Zweifel am System

"Peaton Price war es, der mich lehrte, dass ich meinen Kopf nicht nur zum Haareschneiden habe", sagt Dean Reed heute. Price, ein bekannter Schauspiellehrer bei der "Columbia-Filmgesellschaft" und später bei "Warner Brothers", hatte den jungen Mann ins Herz geschlossen. Er holte ihn zu sich ins Haus und gab ihm Unterricht, in der Schauspielkunst und in der Kunst zu leben. Peaton Price hatte den Kriegsdienst verweigert und musste dafür zwei Jahre ins Gefängnis. Dean Reed sagt von ihm, dass er es gewesen sei, der ihn gelehrt habe, über Krieg und Frieden nachzudenken.

Da eine erneute Tournee nach Südamerika bevorstand, lernte Dean Reed fleißig spanisch, umdie Menschen besser verstehen zu können. Die Plattenfirma wollte den ganz großen Coup starten und beschloss, Reed und Presley gemeinsam auf Tournee zu schicken. Aber diese Reise verlief für den jungen Sänger anders als die erste Tournee. Dean Reed sprach mit den Menschen, lernte ihre Sorgen und Nöte kennen und begann zu begreifen, dass einige hundert Reiche ihn benutzten, um Millionen von Ausgebeuteten davon abzulenken, über ihr eigenes ungerechtes Schicksal nachzudenken. Er sah die klaffenden sozialen Unterschiede zwischen arm und reich, sah die Ausbeutung und konnte nicht begreifen, wieso das alles eine gerechte und gottgewollte Ordnung sein sollte. Er lernte zu verstehen, dass man sich nicht nur mit der Frage Krieg oder Frieden auseinanderzusetzen hat, sondern dass es im Leben der Menschen miteinander noch viel, viel mehr Probleme gibt. Und so reifte in ganz kurzer Zeit aus dem Pazifisten ein kämpferischer Humanist heran.

Zurück in die USA kam ein erwachender Dean Reed. Und er sah so klar, wie er es nie empfunden hatte, dass in seinem Lande auch Millionen Menschen lebten, die bestenfalls als Menschen zweiter Klasse gelten, die Farbigen. Je mehr er sich mit diesen Problemen konfrontiert sah, desto stärker wurde der Drang, gegen Unterdrückung, soziale Diskriminierung, Ausbeutung, Hunger und Armut zu protestieren. Er hörte auf, Popmusik zu produzieren und erschien vor der aufhorchenden Öffentlichkeit mit Protestsongs. Er organisierte Pressekampagnen gegen die inkonsequente Politik der USA-Regierung nach innen und gegen die friedensfeindliche Außenpolitik der USA in der Rolle des Weltgendarms. Er protestierte in öffentlichen Veranstaltungen gegen die verbrecherischen Atomwaffentests der USA und die atomare Aufrüstung der Armee. Und er prangerte die Regierung an, die von sich behauptete, das freieste Land der freien Welt zu regieren, während sie nicht nur im eigenen Land Millionen unterdrückt, sondern auch in anderen Ländern durch ihre Unterstützung der Diktatoren jedwede Demokratie erstickt.

Bestärkt in seinen Bemühungen wurde er von Patricia Hobbs, die er 1964 heiratete. Aber immer und immer wieder zog es ihn zurück nach Südamerika, und seine Aufenthalte dort wurden immer länger. Auch dort, vor allem in Argentinien, trat er offen gegen die Diktatur und die sozialen Ungerechtigkeiten auf. Seine Popularität beim Volk wuchs weiter; denn die Menschen erkannten in ihm einen der ihren. Dennoch sagt er heute: "Ich hätte schon damals viel mehr tun müssen. Ich wusste nur nicht, wie. Gegen dieses Grundübel in der Welt ist es einfach zu wenig, nur zu protestieren, und täte man es 24 Stunden am Tag. Man muss den Menschen den Weg zeigen, der in eine bessere Zukunft führt."

Sowjetunion - ein tiefer Eindruck

Das Jahr 1965 wird für den Künstler das Jahr der Begegnungen und das Jahr der Entscheidung. Der Jugendverband der fortschrittlichen Arbeiter Argentiniens und der Künstlerbund des Landes delegieren ihn zu einer Tagung des Weltfriedensrates in die finnische Hauptstadt Helsinki. Dort begegnet er einer Delegation aus dem Mutterland des Sozialismus, aus dem Lande Lenins. Und als die sowjetische Delegation den Amerikaner zu einem Besuch einlädt, nimmt er sofort an. Direkt von Helsinki aus reist er nach Moskau und Leningrad.

Später sagt er in einem Interview: "Diese Reise hat mich zutiefst beeindruckt. Ich war nie zuvor in einem sozialistischen Land gewesen, und die in den kapitalistischen Ländern verbreitete antikommunistische und antisowjetische Propaganda hatte auch bei mir die Vorstellung hinterlassen, dass man in Russland auf unterentwickelte Menschen treffen würde, die in Lehmhütten hausten und in Hunger und Armut ihr Leben fristeten. Ich sah aber eine blühende Nation voller Liebe zum Frieden. Gutes und ausreichendes Essen, moderne Häuser, und das Recht auf Arbeit und Bildung sind für die Menschen dort Selbstverständlichkeiten, und jedes Kind erhält eine ordentliche Schulbildung. Ich traf auf eine hohe Kultur und auf politisch selbstbewusste Staatsbürger. Und das alles hatte der Sozialismus aus dem traurigen Ende der Feudalherrschaft in nur einem halben Jahrhundert geschaffen. Ich war fasziniert, und ich begann, die Werke Lenins und die sozialistische Literatur zu lesen. Ich erkannte: Das ist der Weg, den die Menschheit gehen muss, um in Frieden und Glück leben zu können."

Mordanschläge - Ausweisung

Nach Argentinien zurückgekehrt, berichtet er in der Öffentlichkeit über seine Eindrücke. In einer Pressekonferenz zerreißt er das Lügengewebe der antikommunistischen Propaganda. Das aber ist der faschistischen Reaktion im Lande denn doch zuviel. Auf sein Haus werden einige Brandanschläge verübt. Auf der Straße wird mehrfach auf ihn geschossen, und nur wie durch ein Wunder wird er nicht das Opfer eines der Mordanschläge. Als er sich nicht abschrecken lässt und nicht mehr nur protestiert, sondern die Menschen auffordert, die Diktatoren zu verjagen, wird er 1966 des Landes verwiesen.

Dean Reed lebt seit 1966 in Italien. Er produzierte zunächst einmal eine ganze Reihe von Filmen, überwiegend von sogenannten Western. Dieses Genre liegt ihm, ist er doch ein "gelernter" Cowboy. So drehte er unter anderem die Filme: "Zorro", "Der Tod schlägt zweimal zu" mit Anita Ekberg und Nadja Tiller, "Buckaroo" und zuletzt, gemeinsam mit Yul Brynner, den Film "Addios Sabata".

"Es scheint unverstädlich, dass der Säger von politischen Liedern ausgerechnet Westernfilme macht", sagt er manchmal, "aber nur wer Einfluss hat, hat auch Macht, und ich brauche diesen Einfluss, um die Macht zu haben, zu verändern. Westernfilme werden immer zu Kassenschlagern, und so bin ich für viele Leute ein Begriff. Und ich muss Geld verdienen, um meine Reisen in die im Aufbruch befindlichen Länder in Südamerika zu finanzieren, denn dort singe ich unentgeltlich, auch in Krankenhäusern und Anstalten, in Gefängnissen und überall dort, wo sich Gelegenheit bietet, den Menschen etwas zu sagen. Außerdem sitzen gerade in Südamerika viele meiner Freunde hinter Kerkermauern, und ich helfe ihren Familien, so gut ich kann. Und ich brauche Geld, um das so heldenhaft um seine Freiheit kämpfende vietnamesische Volk zu unterstützen." Seit 1967 ist Dean Reed ordentliches Mitglied des Weltfriedensrates, und vor drei Wochen wurde er in die 17köpfige Kulturkommission des Weltfriedensrates berufen, deren jügstes Mitglied er ist. Sein Kommentar: "Das ist die größte Ehre, die mir je zuteil geworden ist, und ich werde alles tun, um mich dieser Berufung würdig zu erweisen."

Seit seiner Ausweisung aus Argentinien 1966 haben sich die Behörden des Landes beharrlich geweigert, ihm eine Einreise nach Argentinien zu gestatten. Er versucht es dreimal illegal. Aber immer wird er auf dem Flugplatz festgenommen und wenige Stunden später wieder nach Europa zurückgeschickt.

"Meine Waffe ist die Kunst"

Als er Anfang 1971 für 4 Monate auf Einladung von Präsident Allende in Chile weilt, unternimmt er ausgedehnte Konzertreisen durch das Land, um die fortschrittliche Politik der Unidad Popular zu unterstützen. Danach geht er einen Monat lang nach Uruguay, um dort dem fortschrittlichen Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf zu helfen. Und dann unternimmt er das Wagnis, allein und ohne Hilfe durch den Dschungel das benachbarte Argentinien zu erreichen. Und diesmal überlistet er die Grenzwächter. Er schafft den Weg bis nach Buenos Aires, wo er in einer von seinen Freunden organisierten Pressekonferenz mutig gegen das Regime auftritt. Dort wird er verhaftet und in Einzelhaft gesperrt. Aber im Lande gibt es mächtige Demonstrationen der Jugend und Studenten, und die Arbeiter beantworten seine Verhaftung mit spontanen Arbeitsniederlegungen. Das Regime wagt es nicht, ihn vor ein Gericht zu stellen, und unter strengster Bewachung wird er nach einigen Wochen auf dem hermetisch von Soldaten abgeriegelten Flugplatz von Buenos Aires gebracht und zum fünften Male nach Europa abgeschoben. Fast genau auf den Tag 10 Jahre nach seinem ersten spektakulären Eintreffen in diesem Land, an jenem heißen Tag im Juli 1961.

"Meine Waffe ist die Kunst, und ich werde sie einsetzen ohne Angst vor Verfolgung und Gefängnis", sagt Dean Reed, "denn ich liebe die Menschen, und ich liebe das Leben. Ich liebe die Freiheit und das Glück. We shall overcome - Wir werden siegen!!"

Dieter Geske

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Letzte Änderung: 2007-03-14