Freiheit, Sept. oder Okt. 1973

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An unserer Seite: Dean Reed

Wir versprachen unseren Lesern ein ausführliches Gespräch mit Dean Reed. Dazu erhielten wir viele Leserzuschriften mit Fragen. Aber im Gewühl der großen Festivaltage kam das Treffen nicht zustande. Jetzt ist Dean Reed aus dem Urlaub zurück, und vorige Woche sprach unser Leipziger Korrespondent Peter Seidel mit ihm.
Eine der üblichen Zweieinhalb-Zimmer-Altbauwohnungen im Nordwesten Leipzigs. Ein kalkweiß gestrichenes Zimmer, mit vietnamesischen Maisstrohteppichen ausgelegt. An der Stirnseite eine naturholzfarbene Anbauwand, vollgestopft mit Büchern und Zeitungen. Auf der Schreibklappe eine kleine Reiseschreibmaschine, daneben ein Berg Manuskripte. Dean Reed blinzelt liebenswürdig, aufmunternd.


"Taugenichts" - war das Ihr erster Film?

Das war mein erster Film in einem sozialistischen Land. Den ersten Film meines Lebens drehte ich 1964 in Mexiko. Er hieß "Guadelayara", erhielt 1964 auf einem Filmfestival in Mexiko zwei erste Preise.

Werden Sie auch weiterhin filmen, auch bei der DEFA?

Ja, ich habe bereits einen Vertrag mit der DEFA unterschrieben. Im November gehe ich für drei Monate nach Amerika und schreibe das Drehbuch für einen Indianerfilm. Die Aufnahmen beginnen im Juli nächsten Jahres.

Wann erscheint die nächste Schallplatte von Ihnen?

Wann, das weiß ich nicht. Wir haben bisher eine Langspielplatte und eine einfache aufgenommen. Ich werde noch vier neue Lieder in der DDR aufnehmen, bevor ich wegfahre, davon drei Songs in Deutsch und eins in Englisch.

Während der Weltfestspiele haben Sie sicherlich viele Singegruppen gehört. Was halten Sie von ihrer Qualität?

Hier muss man von zwei Qualitäten sprechen, einmal über die politische und ein andermal über die künstlerische. Diese Lieder der Singebewegung sind dazu angetan, die Jugend zu vereinen, ihre Begeisterung zu wecken, sie aber auch zu erfreuen. Und man kann wohl sagen, dass die Jugend der DDR dabei sehr unterstützt wird. Nirgendwo auf der Welt kann man Singegruppen der Jugend mit einem so hohen politischen und künstlerischen Niveau finden. Sie erzeugen eine Begeisterungsfähigkeit durch den aufrichtigen und lebendigen Inhalt der Lieder, die das Bewusstsein der Menschen stärken und ihnen gleichzeitig Fröhlichkeit vermitteln.

Welche Länder haben Sie schon bereist?

In diesem Jahr war ich in Uruguay, Chile; in Italien und Spanien drehte ich einen Western, in dem ich einen netten, sympathischen Cowboy spielte. Dann fuhr ich nach Polen, nahm anschließend am Treffen des Weltfriedensrates teil. Danach war ich als Vertreter des Weltfriedensrates in Bangladesh, Kuba und Mexiko. Diese Reisen dienten der Vorbereitung des großen Welttreffens der Friedenskräfte, das am 25.Oktober 1973 in Moskau beginnen wird.

Welche Eindrücke haben Sie von unserem Land?

Ich war eigentlich nur 4 Monate hier in der DDR, als ich den "Taugenichts" machte. Ich will mich auf das Wichtigste beschränken, auf das, was ich während des Filmens erlebte und über meine Eindrücke während des Festivals: Die Filmarbeiten am "Taugenichts" waren für mich der 14. Film, und ich muss sagen, dass es für mich das bisher schönste Erlebnis während der Filmarbeiten war. Während wir bei den Dreharbeiten in Spanien 12 bis 14 Stunden täglich bis zum äußersten ausgebeutet wurden, beendeten wir hier nach acht Stunden den Arbeitstag. Jeder der Beteiligten hatte ein Ansehen, und er verlor es während der Arbeiten niemals. Sehr beeindruckt war ich vom Festival. Viele Menschen sagen, es war ein großer Erfolg. Ich habe beispielsweise viele Freunde in Argentinien, Uruguay und Chile, die auch hier waren und zum erstenmal ein sozialistisches Land gesehen haben. Sie waren stark beeindruckt.

Wie kam es, dass Sie in die DDR kamen?

Das erstemal war ich 1970 zum Dokumentar- und Kurzfilm-Festival hier. Dort wurde ich eingeladen zu Feierlichkeiten nach Chile. 1971 wurde ich wieder nach Leipzig eingeladen. Dazu brachte ich einen Film mit, den ich in Chile für die Gewerkschaft gemacht hatte. Dieser wurde auf dem Festival gezeigt. Damals lernte ich meine Frau kennen.

Sie sind also verheiratet?

Ja, ich habe Wieke geheiratet, die hier in Leipzig wohnt.

Haben Sie Kinder?

Ja, ich habe ein Kind aus meiner ersten Ehe, es lebt in Italien bei seiner Mutter.

Welche Sprachen sprechen Sie?

Spanisch, Italienisch und Englisch, nur etwas Deutsch.

Welche Staatsbürgerschaft haben Sie, wo ist Ihr fester Wohnsitz?

Ich bin Bürger der Vereinigten Staaten. Solange die amerikanische Regierung es mir gestattet, werde ich es bleiben. Ich bin sehr stolz, ein Nordamerikaner zu sein, der das fortschrittliche Amerika vertritt. Zwischen meinen Reisen werde ich künftig in Berlin wohnen.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

In den letzten drei Jahren hatte ich wegen meiner vielen Reisen, die ich aber gern mache, gar keine Freizeit. Wenn ich einmal Freizeit hätte, würde ich lesen, viel lesen. Eines meiner Lieblingsbücher ist "Jean-Christoph" von Romain Rolland. Ansonsten Bücher politisch-historischer Art. Ich bemühe mich, immer auf dem laufenden zu sein, was die aktuelle Weltpolitik betrifft.

Welche Eigenschaften eines Menschen schätzen Sie am meisten?

Die Ehrlichkeit. Ich schätze Menschen, die offen und ehrlich ihre Meinung vertreten. Ich denke dabei besonders an meine Mutter.

Warum?

Natürlich sollte jeder seine Mutter respektieren. Aber ich würde meine Mutter auch lieben, wenn sie nicht meine Mutter wäre. Sie begann, noch mit 42 Jahren, an der Universität zu studieren. Daneben arbeitete sie noch acht Stunden als Sekretärin. Abends ging sie vier Stunden zur Schule. Jetzt ist sie fast 59 Jahre alt und wird in diesem Jahr ihr Diplom erhalten. Meine Mutter nahm auch an vielen Demonstrationen gegen den Aggressionskrieg in Vietnam teil. Sie ist sehr fortschrittlich.

Sie sind in den USA aufgewachsen. Sie kennen aber auch die Jugend der DDR. Worin unterscheidet sich das Leben eines jungen Mannes oder eines Mädchens in Ihrer Heimat und bei uns?

Der hauptsächliche Unterschied liegt darin, dass wir darum kämpfen, die gegenwärtige Regierung zu beseitigen, die Verbrechen gegen die Menschheit begeht in einem Ausmaß, wie sie Hitler begangen hat. Die Jugend in den USA befindet sich in einer Schlacht, in einem Kampf um das Leben, gegen eine Regierung, die uns unterdrückt. Die Jugendlichen in der DDR haben bereits eine sozialistische Regierung. Ihre Anstrengungen müssen daher anders verlaufen. Manchmal ist das sogar schwieriger. Die Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft erfordert Geduld und harte Arbeit. Das ist es, was in Ihrem Land geschieht und womit sich die Jugend in der DDR beschäftigt. Ich glaube, dass das Festival dazu beigetragen hat, die Jugend dafür zu begeistern.

Vielen Dank, Dean Reed, dass Sie für uns und unsere Leser Zeit hatten. Ich würde mich freuen, Sie mal wiederzusehen.

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Letzte Änderung: 2008-09-17