Treffpunkt Kino 4/1973 |
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KünstlerporträtDean ReedNatürlich wusste ich eine ganze Menge über Dean Reed, bevor ich ihn kennen lernte. Und da gewiss auch Sie in Zeitungen und Zeitschriften vieles über ihn erfahren haben, möchte ich mir ersparen zu wiederholen, was es an Tatsachen von seiner Jugend auf einer kleinen Ranch in Colorado an über sportliche Erfolge als Marathonläufer bis zur Filmarbeit in Italien zu berichten gibt. Ich will vielmehr versuchen, dieses Bild ein wenig zu ergänzen und vielleicht zu vervollständigen. Ich muss gestehen, ich war selbst neugierig, wie weit sich jene durch Rollen, Auftreten in der Öffentlichkeit, Interviews usw. vermittelten Eindrücke decken mit der Persönlichkeit. Ihre wie meine Sympathie - auch das darf ich voraussetzten - gilt einem Künstler, der sein Talent und seine Popularität weit über den Rahmen rein künstlerischer Erfolge hinaus nutzt, ganz bewusst politisch nutzt. Dean Reed ist beheimatet in Amerika, jenem Land, welches nach dem Willen seines Präsidenten, dem ein großer Teil einer manipulierten Bevölkerung hörig ist, eine aggressive, den Weltfrieden gefährdende Politik betreibt. Deshalb sind die Bemühungen aller progressiven Menschen eines anderen Amerika - und mit ihnen weiß sich Dean Reed eins - unserer Achtung wert. "Ich fühle eine besondere Art von Verantwortlichkeit, alles in meinen Kräften stehende für den Frieden zu tun", sagt Dean Reed. Und so ist für ihn ganz selbstverständlich, was manchen verwundern mag: Als ich ihn nach Beendigung der Arbeit am "Taugenichts"-Film nach seinen Plänen fragte, erzählte er mir, er wolle versuchen, in Italien seine kleine Tochter zu besuchen. "Versuchen" deshalb, weil er von der dortigen Regierung zur "persona non grata" erklärt wurde, das heißt zur "unerwünschten Person", was einer Ausweisung gleichkommt. Anschließend sei eine vierwöchentliche Konzertreise durch die Sowjetunion geplant, dann wolle er für einige Zeit in die USA gehen, um dort politisch zu arbeiten. Zu den Weltfestspielen wolle er dann wieder in Berlin sein. Seine oft und vielerorts geäußerte Meinung, dass sich Kunst und Politik nicht voneinander trennen lassen, ist also nicht platonischer Art. Er handelt nach dieser Maxime. Doch ich habe das Ende unseres Gesprächs vorweggenommen, welches - fast möchte ich sagen zwangsläufig - zu politischen Fragen führte. Ausgangspunkt und Anlass war seine Filmarbeit bei der DEFA, jene Rolle des Taugenichts in dem Film, den Celino Bleiweiß frei nach der Novelle "Aus dem Leben eines Taugenichts" von Josef Eichendorff drehte. Es war das erste Mal, dass Dean Reed in einem sozialistischen Land filmte. Was er mitbrachte, waren Erfahrungen aus dem kapitalistischen Filmbetrieb, zuletzt in Italien gemacht: "Man arbeitet 14 Stunden täglich. Niemand fragt danach, ob das künstlerisch zu verantworten ist, niemand wird gefragt, ob er einverstanden ist. Man muss, sonst wird man gefeuert, und 40 Prozent der Filmschaffenden sind arbeitslos". Was er mitnimmt: "Hier wird mit großem künstlerischen Ernst und Verantwortungsbewusstsein gearbeitet und mit der Wahrheit. Mir fiel auf und mir gefiel, dass man sich zusammensetzt, um alle Probleme miteinander zu beraten. Auch wir kamen manchmal mit dem normalen Drehtag nicht aus. Doch Mehrarbeit wurde nicht, 'von oben' diktiert, sondern mit denen 'unten' besprochen und - was für Sie sicher selbstverständlich ist, für mich war es neu - bezahlt. Ich habe in Ländern gelebt, die sich auf ihre Demokratie so viel einbilden. Was wirkliche Demokratie heißt, habe ich hier erfahren: nicht einen Willen gegen den anderen durchsetzen, sondern sich gemeinsam bemühen, eines Willens zu werden". Sich dem Willen der Mehrheit zu fügen, ist für Dean Reed dabei selbstverständlich. Auf Privilegien als "Star" zu pochen, kommt ihm gar nicht in den Sinn. "Sterne gibt es nur am Himmel", sagt er. "Ich arbeite wie andere Menschen auch". Und - dies sei hinzugefügt - er arbeitet besessen, mit kritischem Gespür für die eigene Leistung, und mit offenen Sinnen für die Leistungen anderer. "Ich habe mir einige DEFA-Filme angesehen", erzählt er. "'Der Dritte' und 'Reife Kirschen'. Diese Filme waren für mich sehr interessant, weil hier mit Mut schwierige Probleme behandelt werden. Außerdem war ich beeindruckt von den sehr guten schauspielerischen Leistungen. Das sind doch hohe Maßstäbe, na, und wer will unter Wert bleiben!" Ich hatte mir selbstverständlich vorgenommen, Dean Reed zu fragen, ob es eine Brücke gibt, die von ihm, einem modernen Menschen unserer Zeit, zum Taugenichts, dieser Gestalt aus einem romantischen Werk, welches 150 Jahre alt ist, führt. Diese Frage war zu einem gewissen Teil bereits beantwortet, nachdem ich Szenen aus dem Film gesehen und den Künstler während der Arbeit beobachtet hatte. Mir scheint, Dean Reed hat sich - dabei natürlich zugleich der Bearbeitung der literarischen Vorgabe Eichendorffs durch Wera und Claus Küchenmeister und der Regiekonzeption Celino Bleiweiß' folgend - diesen Taugenichts zu eigen gemacht. Diese Aneignung hat natürlich ihre Konsequenzen. Sie besteht keineswegs in einem willfährigen Aufgehen in der Figur. Es ist Dean Reeds Taugenichts geworden, will heißen, dieser junge Mann, der den Sinn des Daseins nicht im blanken Geld sieht, der das Stück Brot zum Leben allemal findet, und der auf der Suche ist nach einem Land, in dem Menschen leben, die seinen Liedern freundlich sind, dieser Taugenichts ist dem Manne aus Colorado, der von der Liebe singt und der mit seinen Liedern gegen das Unrecht und gegen die Erniedrigung von Menschen protestiert, sehr wesensgleich geworden. Und wie sieht er es selbst? "Es gibt in Amerika zwei Schauspielschulen, zwei Systeme", antwortet er auf meine Frage. "Die eine besagt, man muss spielen w i e man glücklich oder traurig oder zornig ist. Ich halte das für falsch. Die andere, der ich folge, sagt, man muss glücklich oder traurig oder zornig s e i n. Ich muss empfinden, was ich darstelle. Das aber setzt voraus, dass ich die Figur völlig verstehe, und nicht nur die Figur, die ich darstelle, sondern auch die Partner. Ich beschäftige mich niemals nur mit meiner eigenen Rolle, sondern stets mit dem ganzen Film." Hier erwies sich die Unkenntnis der deutschen Sprache für Dean Reed als eine "wirkliche Barriere". Er konnte und wollte sich nicht aufs Stichwort verlassen, deshalb mussten ihm alle Rollen, nicht nur die eigene, übersetzt werden. "Was nun den romantischen jungen Mann aus dem vorigen Jahrhundert angeht", fuhr er lächelnd fort, "so meine ich, ein bisschen Romantik schadet auch einem Marxisten nichts. Auch Revolutionäre kennen die Schönheiten des Lebens, lieben Frau und Kind, ja es soll sogar vorkommen, dass sie träumen. Nein, verbessert er sich, "wir müssen sogar träumen können. Und dann müssen wir alles tun, damit unsere Träume Wirklichkeit werden." Ilse Jung |
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www.DeanReed.de
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