Märkische Allgemeine, 09.11.2012

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"Schabowski wirkte überfordert"

Die Ex-Frau von DDR-Superstar Dean Reed war am 9. November 1989 dabei, als die Reisefreiheit verkündet wurde

Als Dolmetscherin für Journalisten erlebte Wiebke Reed die legendäre Veranstaltung. Mit der Chefin einer Schauspieler-Agentur sprach Ildiko Röd.

MAZ: Wie hätte Dean Reed auf den Fall der Mauer reagiert?

Wiebke Reed: Spätestens dann hätte er sich das Leben genommen. Er ist ja wegen des Sozialismus in die DDR gekommen. In seinem Abschiedsbrief vor seinem Tod im Jahr 1986 schrieb er sinngemä&szig;: Der Sozialismus ist die beste Lebensform für die Menschheit, aber er ist noch nicht "erwachsen".

Er war also rundum zufrieden im Sozialismus?

Er hatte ja immer eine Sonderstellung. Wenn er trotzdem wie Otto Normalbürger behandelt wurde, fand er das nicht lustig. Einmal wurde er wegen Geschwindigkeitsübertretung angehalten. Er beschimpfte die Polizisten als Vertreter eines faschistischen Staates. Die Beamten waren sehr erstaunt, welche Töne der Friedenskämpfer Dean Reed anschlug.

Wie erlebten Sie den Mauerfall?

Ich war Englisch-Dozentin mit einer Halbtagsstelle an der Schauspielhochschule Ernst Busch in Berlin. Am 4. November fand die große Demo auf dem Alexanderplatz statt. Danach strömten Journalisten von überall her nach Berlin. Clive Freeman, der einen Artikel über Dean im "People Magazine" gemacht hatte, fragte mich, ob ich für Journalisten dolmetschen könnte. Wir sind zur Villa von Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley gefahren, die eine improvisierte Pressekonferenz abhielt. Wir fuhren auch zu Marianne Birthler, der späteren Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde, die in einer Kirchengemeinde arbeitete. Die Journalisten waren glücklich, weil ich sie mit meinem Wartburg herumfuhr.

War das nicht gefährlich?

Nein, das waren ja keine kriminellen Taten.

Wo waren Sie am 9. November?

Mit Ann Leslie von der englischen "Daily Mail" fuhr ich zum Pressezentrum in der Nähe der Schadowstraße: ein kleiner Raum mit unglaublich vielen Leute. Dann setzte sich dieses Großmaul Günter Schabowski, der immer so berlinerte, die Brille auf und verlas seine Erklärung zu den neuen Reisebedingungen. Ich dachte: "Das kann doch nicht wahr sein!"

Wie wirkte Schabowski?

Wie jemand, der überfordert ist von der Situation.

Wie reagierten die Reporter?

So wie Journalisten eben sind. "Los, wir gehen zum Brandenburger Tor!" Ich begleitete Ann zum Grenzübergang Friedrichstraße. Es war unglaublich. Ein Mann kam in karierten Hauspantoffeln aus seiner Wohnung, ging zu dem Durchgang, wo sonst immer die Pässe kontrolliert wurden, und lief einfach durch. Nach ein paar Metern kehrte er wieder um.

Sind Sie auch rübergegangen?

Ich bin nach Hause. Das habe ich später sehr bereut und mich als Angsthase gefühlt. Aber ich war ja alleinerziehende Mutter ...

Wann sind Sie dann hinüber?

Am nächsten Morgen bin ich mit Ann Leslie am Checkpoint Charlie hinübergefahren. Ich weiß noch, wie mir die Tränen übers Gesicht liefen. Ann erzählte mir, dass ein Westberliner im "Kempinski" 2.000 D-Mark in 50-Mark-Scheine gewechselt und sie an Ostberliner verteilt hatte.


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Letzte Änderung: 2012-11-09