Freie Welt 17/1974, 4. Aprilheft

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25. Bild/Vorgebirgslandschaft/Außen - Original - Tag
299. Total - Halbtotal/Schwenk/Zoom/Fahrt

Vor der Kamera breitet sich eine großartige reizvolle Winterlandschaft aus. - Die Kamera schwenkt langsam über das Panorama. - Der Rundblick erfasst zum Schluss Kit und Shorty, die auf einer Höhe stehen und den Anblick genießen. Kit atmet tief durch. Er sagt: "Bei Gott, das ist eine bessere Luft als im 'Elkhorn'."
Doch kaum sind diese Worte über seine Lippen, da ist die bessere Luft auch schon voller Blei. - Und verwundert fragen sich Textreporter Bernd Siegmund und Fotoreporter Jo Gerbeth (im Bild rechts bei den Dreharbeiten in Karelien):

Nanu, wer schießt denn da auf KIT & CO.?

"Deckung!"

Ich wurde zu Boden gerissen, presste das Gesicht aufs Eis. Die Kälte traf mich wie ein Schlangenbiss. Mir war zumute wie in jenen schrecklichen Träumen, über die ich nicht weiter reden möchte.

"Wer zum Teufel schießt denn da?" - In diesem keuchenden Schrei erkannte ich die Stimme meines Nebenmannes.

"Der Wern..."

Wieder knallte ein Schuss und riss fetzengleich das Ende des Satzes hinweg.

"Wir müssen fort hier", schrie ein energischer Bass, und alles stürzte wie von Panik gehetzt übers Eis auf die Bäume zu. Sicherheit, Schutz, wie beruhigend kann doch eine Birke sein. Noch immer regierte das kalte Entsetzen. Doch mitten hinein erhob sich wie auf sanften Schwingen ein Lachen. Leise noch, doch dann sich steigernd zu einem jauchzenden Credo, zu einem Glaubensbekenntnis an die vielfältigen Wirkungsmöglichkeiten der Kunst.

"Leute", rief fröhlich der Regisseur, "Genossen Touristen, kommt hervor. Ihr werdet doch nicht auf diese verdammte Dreherei hereinfallen. Trotzdem meine Anerkennung den Herrn Schauspielern. Echter geht's nimmermehr."

Wie leicht vermischen sich doch beim Film Kunst und Wirklichkeit. Erstaunlich, erstaunlich...

Doch wer war denn nun jener Schuft, der auf unsere Helden "Kit" alias Dean Reed und "Shorty" alias Rolf Hoppe schoss? Wäre ich jetzt gehässig, würde ich antworten: Werner Ziegler, Requisiteur für Waffen. Doch ich sag's nicht. Schon allein, um beim Publikum den Glauben an das Echte in der Filmkunst nicht zu zerstören.

Und also muss diese berechtigte Frage weiter im Dunkel bleiben. Zumindest bis zum November. Dann nämlich soll "Kit & Co." durch die heimischen Filmtheater flimmern und Freude ins graue Herbstleben bringen.

Ein abenteuerlicher Klassiker

Es ging wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund: Schon gehört, in Alaska blinkt wieder ein einsam Körnchen... - Allen Lesern, die sich jetzt verdutzt fragen: Nanu, wer oder was blinkt wo..., sei gesagt: Zu spät! Die Chance ist schon vertan, das Rennen in vollem Gange. Ja, so schnell musste man damals sein, wollte man sich in einen Goldrausch versetzen. Damals, das waren die Zeiten der klassischen amerikanischen Gold-Epidemien... Da rannten Millionen Menschen wie von Furien gehetzt los, um sich eine goldene Nase zu verdienen. Ob Universitätsprofessoren oder Gaukler, ob Tellerwäscher, Polizisten, Schnapsbrenner, ob in Kalifornien oder in Alaska... Doch wie traurig, die meisten holten sich nur blaue, erfrorene Glieder.

Jack London, der in vielen Berufen seinen Mann stand, als Austernpirat, Zeitungsjunge, als Seepolizist und Goldsucher in Alaska, kannte das Milieu. Und so sind seine Geschichten mikroskopisch genaue Aufnahmen der damaligen Zeit. Kritische Studien zur Zeitgeschichte im Abenteuergewand.

Nun, die großen Rennen um die faustdicken Goldkörner gehören der Vergangenheit an. Heute gibt es andere Goldquellen. Eine davon heißt Jack London. Seine Stories schreien geradezu nach einer maßgeschneiderten Filmhandlung. Und da in Babelsberg ständig die Suchantennen nach guten Stoffen ausgefahren sind, wurde dieser Ruf vernommen. Dr. Günter Karl schrieb das Szenarium zu "Kit & Co.". Und um weitere Fragen im Keim zu ersticken, sei gesagt: Das ist die Geschichte von "Kit am Klondike", versehen mit einigen Spritzen aus dem "Alaska-Kit".

Regisseur von "Kit & Co." ist Konrad Petzold. Unter drei zumutbaren Stoffen kann er sich seinen jeweils nächsten Film auswählen. So steht es im Vertrag. - Was wäre für ihn unzumutbar? "Ein Musikfilm", sagte er.

Achtzehn Filme hat Konrad Petzold gedreht. Darunter die "Hosen des Herrn von Bredow" und "Osceola". Einen Film pro Jahr macht er. Konrad Petzold gilt als Spezialist für Abenteuerfilme. Bei diesem Genre muss man schnell und variabel reagieren. Die schwierigen Bedingungen bei Außenaufnahmen zwingen einfach dazu. So lebt seine Regiemethode sehr von der Improvisation. Konrad Petzold sagt heute: "Abenteuerfilme machen Spaß, doch sie werden mir auch langsam zu schwer. Ständig auf Achse, ewig dieses Hotelleben, die körperlichen Strapazen am Drehort. Vielleicht steige ich bald auf ein anderes Genre um..." - Doch so ernst ist seine Aussage wohl nicht zu nehmen, denn schon geht ihm der nächste Abenteuerfilm durch den Kopf, dessen Szenarium aus der Feder von Dean Reed stammt.

Optisch abenteuerlich ins Bild gesetzt wird "Kit & Co." von Kameramann Hans Heinrich. Konrad Petzold und Hans Heinrich haben schon mehrere Filme gut über die Runden gebracht. "Wir bilden eine Art Familie", sagt Hans Heinrich, "von der man nie weiß, wer ist die bessere Hälfte von wem."

Vielleicht ist es eine Berufskrankheit, aber Kameramänner neigen dazu, die abgebildete Wirklichkeit der Wirklichkeit selbst vorzuziehen. "Was für eine schöne Gegend", rief ich einmal spontan dem frierenden Hans Heinrich zu. Er nickte nur lakonisch, um zu erwidern: "Das ist noch gar nichts, was meinen Sie wohl, wie gut sich das erst im Film macht."

Und wirklich, von "Kit & Co." ist auch optisch einiges zu erwarten. Denn gedreht wird in unseren heimischen Studiogefilden, im tschechischen Hochgebirge und auf sowjetischen Seen. Genauer gesagt: auf einem, dem Uksch-See. Gelegen in der Karelischen ASSR. Metertief zugefroren, versehen mit tückischen Löchern im Eis, die, romantisch getarnt durch leise rieselnden Schnee, nur auf uns zu warten schienen. Auf uns, darin sind natürlich die Berühmtheiten von Film und Bühne eingeschlossen, die beinahe vollzählig in Karelien versammelt waren. Um das zu belegen, bedarf es nur folgender Namen: Dean Reed, Rolf Hoppe, Renate Blume, Manfred Krug, Monika Woytowicz, Gerry Wolf, Willi Schrade... Und ist es nicht bezeichnend: Keiner ist durchgefallen. Durch die Eislöcher, meine ich.

Der erste Tod ist immer der beste

Wie ein schwerer, mausgrauer Pelz hing Gevatter Nebel über dem See. Der Wind ächzte und stöhnte ganze siebenunddreißig Minuten lang, ehe er diesen ungebetenen Gast vom Eis geblasen hatte. Und wehte dann, freundlich, wie er nun mal ist, das Gekläff der Hunde zu uns herüber. Noch sahen wir die Hundeschlitten mit den Tschuktschen nicht. Einige Inseln, die wie weißgrün bewachsene Buckel eines Riesenwals aussahen, erhoben sich aus dem erfrorenen See und versperrten uns die Sicht.

Doch dann waren sie heran. Auf dem Leitschlitten saß Timofej, so jedenfalls lautete sein russischer Name. "Verdammt heiß heute", begrüßte er uns, um sogleich demonstrativ seinen Pelz zu öffnen. Es waren acht Grad unter Null, und also hatten wir für Timofejs Gebaren nur ein kaltes Lächeln übrig. Aber er verzieh es, hatte er doch heute seinen großen Tag. Sein Eintritt in die Kunst stand bevor. Worauf so mancher Schauspieler das ganze Leben lang wartet, es flog ihm in den Schoß: der große solistische Auftritt vor der Kamera. Timofej sollte sich von seinem Schlitten - wie heißt es doch so plastisch in der rauen Sprache der Goldgräber, Schlittenführer und Jäger - "abknallen" lassen.

"In Würde, aber mit Aktion..." sagte Konrad Petzold noch, und schon gings los.

Mit energischem Gekläff stieben die Hunde davon.

Der Weg führte um eine Insel herum. Eine Minute verging, eine zweite, dritte, vierte, es war eine ziemlich große Insel, fünf Minuten, sechs, sieben, und endlich kam Timofej.

Wie ein Orkan fegte sein Schlitten auf die Kamera zu. Da, der Schuss, und als hätte ihn der Blitz getroffen, fiel Timofej vom Schlitten. Die Hunde aber machten, dass sie davon kamen. Nicht etwa, weil der Knall sie erschreckt hätte, sondern weil ihnen die ganze Filmerei nicht geheuer war. Auch die Kollegen von Timofej zeigten wenig sittliche Reife angesichts der Filmkunst. Sie kugelten sich vor Lachen im Schnee. "Gut", rief dagegen der Regisseur. "Gut, aber wir wiederholen. Denk noch einmal über die Rolle nach, Timofej. Du wirst vom Schlitten geschossen. Da lässt man sich nicht einfach fallen. Du musst mehr hineinlegen. Von innen heraus, meine ich. Na, versuchen wir's noch mal."

Und wieder zogen die Hunde mit kräftigem Gebell davon. Alles klappte wie am Schnürchen, nur Regisseur Petzold sagte: "Nein, Timofej, so hätten wir das vor zwanzig Jahren drehen können, heute stirbt man anders."

Und wieder liefen die Hund mit wütendem Gebell davon.

Dieweil Konrad Petzold, Timofej und die Polarhunde an dieser künstlerischen Darbietung feilen, haben wir etwas Zeit um abzuschweifen.

Eine Berührung - bitte nicht verwechseln mit "Die Berührung" von Ingmar Bergmann - innerhalb des Filmes verdient besondere Beachtung: Dean Reed im Kampf mit einem 50 Kilogramm schweren kaukasischen Wolfshund.

"Ein Kerl von einem Tier", so erzählt Dean Reed, "fürchterlich anzusehen, aber schrecklich nett. Ich stoße auf diesen Hund in der Hütte am Überraschungssee, dessen Boden voller Gold ist. Eine graue, verwilderte Bestie, die mich anspringt und beinahe tötet. So jedenfalls steht's im Drehbuch. Nur, dieser Pfundskerl von Hund war alles andere als wild. Jedesmal wenn er mich sah, freute er sich kindlich, und seine lange, raue Zunge schmatzte liebevoll über mein Gesicht. Doch nicht genug damit: Er legte vertrauensvoll seine Pfoten auf meine Schultern, kraulte mir das Haar und guckte mir sanft in die Augen. Es war einfach nichts dagegen zu machen. Schließlich gaben wir ihn zu Hanno Coldam in Dressur.

Einen Monat später kam der Hund wieder, und es war das Gleiche in grün, nur gekonnter. Um diese Szene für den Film zu retten, machte ich etwas, was sehr gefährlich für mich war. Ich ärgerte den Hund nach Strich und Faden. Reizte ihn, und tatsächlich, wir schienen Erfolg zu haben. Kaum sah er mich, sträubte sich sein Nackenhaar, er fletschte die Zähne und plusterte sich gefährlich auf. Doch war ich auf fünf Meter an ihn heran, da machte er einen Riesensatz, hing mir wieder am Hals, und seine Zunge schleckte zärtlicher denn je an mir herum. Wir waren alle schon verzweifelt, da kam Rolf Hoppe die rettende Idee. Er griff sich diesen Zentnerbrocken und schleuderte ihn mir einfach ins Genick. Diese Aktion kam für den Hund so überraschend, dass er keine Zeit zu Liebkosungen fand. Und damit hatten wir die Aufnahme im Kasten."

Und auch Timofejs Auftritt vor der Kamera schien künstlerisch gereift. Denn nach dem achten Versuch verweigerten die Polarhunde unter müdem Bellen einfach die Arbeit.

"Na gut", rief da auch Konrad Petzold, "wir machen Schluss. Mit den Hunden ist heute sowieso nichts mehr los. Ich denke, die erste Version war die beste. Einpacken, meine Herren, die Sache ist gestorben."

Goldgräber am Samowar

Es war der letzte Tag für uns in Karelien. Als Eiszapfen getarnt standen wir auf dem Uksch-See. Und aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen klappte mal wieder etwas nicht.

"Kinder, wir machen Pause", rief da Regisseur Petzold. Und die ganze Mannschaft bewegte sich auf das kleine Dorf am Ufer zu. Wir waren schon auf der Dorfstraße, als Konrad Petzold in seine Umhängetasche griff und ein Stück trockenes Brot herausholte.

Er biss gerade herzhaft hinein, als sich die Tür eines karelischen Bauernhauses öffnete und eine alte Frau heraustrat. "Aber Junge", schimpfte sie, "was soll denn das? Trockenes Brot, du solltest mehr auf deine Gesundheit achten. Komm ins Haus, da ist Tee, Butter, Lachs..."

Und binnen Minuten war das kleine Dorf von der DEFA besetzt. Denn überall öffneten sich die Türen.

Jeder fand sein Plätzchen am warmen Ofen, gemütlich bullerte der Samowar. In allen Häusern wurde geplauscht, wurden Abenteuer und Erlebnisse ausgepackt, Anekdoten und Episoden erzählt. Es war die Besinnung auf das Eigentliche. Ans Drehen dachte für diesen Tag keiner mehr.

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Letzte Änderung: 2008-09-12