Sonntag (1.1.1978) 20.00 TV DDR 1 Neuer Fernsehfilm von und mit Dean Reed
El Cantor
Es war im Oktober 1973, als ich zusammen mit Dean Reed über den Bildschirm einen neuen
Film Roman Karmens über Chile sah. Dieser Film des sowjetischen Altmeisters der
Dokumentarfilmkunst war der erste, der die Zusammenhänge und Hintergründe des
faschistischen Putsches gegen die Unidad Popular analysierte. Er war auch der erste, der die
Weltöffentlichkeit davon informierte, daß der Kommunist und Volkssänger
Victor Jara
vor den Augen von Tausenden seiner Compañeros bestialisch umgebracht wurde. Mir ist
die tiefe Erschütterung Dean Reeds über den gewaltsamen Tod seines Freundes und
Kampfgefährten unvergessen geblieben. Aus ihr wuchs und verstärkte sich der Haß
gegen die Peiniger des chilenischen Volkes, denen er mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit
in unzähligen Meetings und Solidaritätskonzerten in der DDR und in vielen anderen
Ländern den Kampf ansagte. Aus ihr wuchs und reifte auch der Plan, dem Leben und Kämpfen
Victor Jaras ein Denkmal zu setzen: "Ein Denkmal, das mit der Kraft seiner Lieder fortwirkt und mit
der Macht des Massenmediums Film immer mehr Menschen erreicht und solidarisch verbündet in der
weltweiten Forderung nach Freiheit für das chilenische Volk."
1976 erarbeitete Dean Reed das Szenarium und schrieb gemeinsam mit Wolfgang Ebeling das Drehbuch zu
seinem Fernsehfilm, der Situationen aus den letzten Wochen im Leben Victor Jaras beschreibt. "Da ist
ganz Persönliches darunter. Die enge Bindung zu seiner Frau und den beiden Kindern, zu Kindern
überhaupt. Dann wieder Begegnungen mit Kampfgefährten und Freunden, alltägliches
Engagement für eine menschliche Gesellschaft. Aber auch die Atmosphäre direkter Bedrohung,
die vielen Anzeichen, wie sich die Reaktion zum Angriff formiert." Wiederholt sprach der Autor mit
Victors Lebensgefährtin Joan Jara-Turner, die jetzt in London lebt. Und er fuhr nach Kuba, um
dort Genossen zu treffen, die mit Victor Jara im berüchtigten 'Estadio National' zusammen waren.
"'El Cantor'
ist als Symbol gedacht für alle revolutionären Sänger in der
Welt. Wir wollten nicht äußere Genauigkeit mit den Personen der Handlung herstellen und
haben deshalb auch andere Namen gewählt, außer Isabel und Angel Parra, die sich selbst
darstellen. Worauf es uns ankam, ist Genauigkeit im Erfassen von Haltungen."
Gedreht wurde ab Februar 1977, vorwiegend in Bulgarien, da die bulgarische Architektur der
chilenischen ziemlich ähnlich ist. "Und auch wegen der zahlreichen Kleindarsteller, die ohne
viel Schminke wie Chilenen aussehen mußten. Schönstes Erlebnis war für mich, als
wir die Szene mit der Kundgebung für die Unidad Popular drehten. Wir brauchten dafür 10.000
Mitwirkende, die mit üblichen Mitteln nicht zu beschaffen waren. Hier half mir der bulgarische
Jugendverband, der Tausende junger Leute auf die Beine stellte und den Drehtag zu einer großen
Solidaritätskundgebung für das chilenische Volk nutzte."
Bei allem Respekt vor der Einsatzbereitschaft eines engagierten Künstlers liegt die Vermutung
nahe, daß die Personalunion von Autor, Hauptdarsteller und
Regisseur
auch einen Menschen mit
guter Kondition überfordern kann: "Die Frage ist nicht unberechtigt, aber ich hatte ein sehr
gutes Kollektiv erfahrener Mitarbeiter zur Seite. Und ausgezeichnete Schauspieler, wie
Friederike Aust,
Gerry Wolff
und andere. Bei der Regie schien mir meine eigene Milieukenntnis von Nutzen; meine
persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen sollten ganz unmittelbar einfließen."
Dean Reed hat viele Jahre in Chile
gelebt und oft mit Victor Jara zusammen gearbeitet. Sie haben
agitiert und gesungen, zugepackt und geholfen, wo es nottat, - in Betrieben und auf Kundgebungen, zu
Jugendveranstaltungen und bei der Schlüsselübergabe neuer Wohnungen. Victor Jaras Weg zur
Unidad Popular war einfach und geradlinig. Als Sohn armer Bauern führte er ihn über den
Kommunistischen Jugendverband folgerichtig in die Kommunistische Partei. Für Dean Reed, Sohn
eines Mathematikprofessors
aus Nordamerika, war der Weg weiter und weniger selbstverständlich.
1961
kam er - an der Spitze amerikanischer Hitlisten vor Elvis Presley, Ray Charles u.a. - als
gefeierter Rock'n'Roll-Star erstmals nach Chile. Als er, ein sensibler und gefühlsbetonter junger
Mann, sich dort mit der unsagbaren Not der einfachen Menschen konfrontiert sah, mit der grausamen
Ausbeutung der Arbeiter in den Salpeterwüsten, den Kupferminen und Kohlebergwerken, erinnerte er
sich an die Worte seines Lehrers, des Schauspieldozenten und Kriegsdienstverweigerers
Paton Price.
"Humanität und Achtung gegenüber allen Menschen hatte Price mich gelehrt, nachzudenken
über Krieg und Frieden. Auch, daß ich meinen Kopf nicht nur zum Haareschneiden habe." Und
der Dreiundzwanzigjährige gebrauchte seinen wachsenden kritischen Verstand. 'Der Junge muß
verrückt geworden sein', erklärte Elvis Presley, und Plattenzar
Gilmore wollte ihn allen
Ernstes zum Psychiater schicken. Sie verstanden ihre Welt nicht mehr, als sie erfuhren, daß
Dean Reed sich vom Showrummel 'Made in USA' lossagte, um in Chile mit Protestsongs, Folklore und
revolutionären Liedern am Aufbau eines menschenwürdigen Lebens mitzuhelfen.
Aus seiner heutigen Sicht sagte uns der populäre Sänger und Schauspieler: "Der Ruhm eines
Künstlers ist im Grunde eine zweitrangige Sache. Der einzige Wert, den Berühmtheit hat,
ist, daß man sich mit dem Gewicht seines Ruhms für eine gute Sache einsetzen kann." Als
solche Sache betrachtet er auch seinen neuen Film. Er weiß, daß er damit eine große
Verantwortung übernommen hat, denn er will mit ihm dazu beitragen, daß Chile nicht wieder
zum Hinterhof Lateinamerikas gemacht wird. "Es ist bitter, zu wissen, daß heute schon wieder
Zehntausende chilenischer Kinder hungern. Aber ich weiß auch, daß die drei Jahre der
Unidad Popular nicht auszulöschen sind aus dem Gedächtnis der einfachen Menschen, daß
die chilenische Arbeiterklasse eines Tages siegen wird. Mit dem Film 'El Cantor' möchten wir die
chilenischen Freunde und Genossen spüren lassen, daß ihnen unsere ganze Liebe gehört
und sie unserer kämpferischen Solidarität sicher sein dürfen."
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