DIE ZEIT 33, 09.08.2007 |
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Biografie als IdiotieVon Maximilian Probst Das Kino sucht echte Helden. Ein Dokumentarfilm-Boom bedient unsere kollektive Sehnsucht nach Autoritäten.Man kann von einer großen Zeit des Westerns sprechen, vielleicht auch des Horrorfilms oder der Komödie. Aber wie sieht es mit der Blüte des biografischen Dokumentarfilms aus? Mag sein, dass der eine oder andere sich an Clouzots Picasso-Film erinnert; viele aber haben womöglich noch nie die Kinoleinwand im Lichte eines dokumentarisch verbürgten Lebens leuchten gesehen. Heute dagegen muss man nur aufs Geratewohl in ein kleines Programmkino laufen, um mit einiger Wahrscheinlichkeit in einem Dokumentarfilm über Alberto Giacometti, Francis Bacon, Frank Gehry, Frank Lloyd Wright, Hilde Domin oder Slavoj Žižek zu landen, kurz: in einem Dokumentarfilm über Künstler, Architekten oder Schriftsteller. Warum dieser Biografien-Boom in den Kinos? Was wollen wir von diesen Leuten? Unvermeidlich bewegt sich jede Biografie im Spannungsfeld zwischen der Person und dem Werk eines Künstlers. So scheint auf den ersten Blick eigentlich alles klar zu sein: Wir wollen Einblick gewinnen in das Leben, um dem Werk näherzukommen, um es im Idealfall besser zu verstehen. Aber verdeckt, überlagert, verzerrt nicht womöglich die biografische Kenntnis das Werk? Und macht es nicht das Kunstwerk aus, dass es allgemein verständlich ist, nicht bloß für die Nächsten, die Freunde, sondern auch für gänzlich Fremde? Ein mustergültiges Beispiel für die Verkehrung von Biografie in Idiotie ist Ken Burns' und Lynn Novicks Film über den Architekten Frank Lloyd Wright. Schon in den ersten zehn Minuten fällt zwanzig Mal das Wort Genie. Programmatisch heißt es: "Frank Lloyd Wright brach alle Regeln - in der Kunst wie in seinem Leben!" Der Rest des Films wird zur Zurschaustellung dieser eingangs eingehämmerten Banalität, ein Wechsel von heftigen Beziehungskrisen, unvorstellbaren Familiendramen und intensiven Schaffensperioden (musikalisch immer untermalt mit einem Motiv aus Beethovens Sturmsonate). Wie sollte einem da vor lauter Außergewöhnlichkeit Hören und Sehen nicht schnell vergehen? Dass der Film seine Hauptfigur mit aller Gewalt überhöhen, als Mythos feiern will, erweist sich etwa an Wrights Präriehäusern, die als erste Form einer eigenständigen amerikanischen Architektur gelten. Zwar wird kurz erwähnt, dass Wright sich für die japanische Kultur interessiert habe. Beispiele werden allerdings nicht gezeigt. Wer nicht mit japanischen Tempelanlagen oder den Interieurs von Bauernhäusern vertraut ist, wird kaum bemerken, wie sehr sich Wright dort bedient hat. So verdichtet sich, während die Kamera majestätisch die Räume abschreitet, die Vorstellung einer creatio ex nihilo, der Schöpfung aus dem Nichts. Auch Sydney Pollacks Film Sketches of Frank Gehry folgt diesem Schöpfermythos. Der Bezug zum Werk anderer Architekten wird übergangen, die Dekonstruktion als Kontext von Gehrys Werk nicht erwähnt. Lieber verweilt Pollack bei der langen Liste illustrer Figuren der Kunstwelt, die Gehry und sein Werk mit weihevollen Worten würdigen. "It drops you to your knees", bekennt der Architekt Phillip Johnson, und während die Kamera sich an die Fassade des Guggenheim-Museums in Bilbao heftet, erklärt er uns, wie dort Licht und Form zusammenspielen. So wird nicht nur der Zuschauer übertölpelt; auch die Bilder, die er zu sehen bekommt, werden durch den Kommentar buchstäblich bevormundet. Wir entdecken in ihnen bloß, was man uns vorher verraten hat. Wir verfallen einem platten Staunen, das uns genauso erschlägt wie die Ehrfurchtsbezeugungen der Kommentatoren die Bilder im Film begrifflich erschlagen. Auch in Heinz Bütlers Film Das Herz ist mein Auge über den Schweizer Nationalmaler Ferdinand Hodler klafft diese Lücke zwischen dem Werk und der Art, wie wir es vorgestellt bekommen. "Hodlers Filme sind stumm", sagt der Schriftsteller Peter Bichsel. "Sie lösen kaum Sprache aus." Ernst genommen wird diese Erkenntnis aber weder vom Film noch von Bichsel selbst, der sich immer wieder in lange literarische Erklärungsversuche der Bilder stürzt. Ähnlich ist in den Filmen über Henri Cartier-Bresson, Alberto Giacometti und Ettore Sottsass viel vom Unerklärlichen die Rede. Für den Zuschauer sieht die Sache allerdings anders aus: Für ihn gibt es hier nichts zu deuten. Man hat ihn der Arbeit enthoben, und es reicht, dass er zuweilen geflissentlich nickt. Fast alle Filme betonen die große Entfernung, die uns Zuschauer von den Künstlern, den Außergewöhnlichen trennt: unüberbrückbar die Kluft zwischen ihnen und uns. Um diese Auslegung besser zu verstehen, mag ein kurzer Blick in die Geschichte der Biografie helfen. Einer neuen Studie zufolge entstand sie im 4. Jahrhundert vor Christus mit dem Zerfall der auf Partizipation beruhenden griechischen Polis-Gesellschaften und dem sich mit Phillip II. und Alexander vollziehenden Übergang zum monarchisch und individualistisch geprägten Hellenismus. Drei Jahrhunderte später wiederholt sich die Geschichte am Beispiel Roms: Bis zum 1. Jahrhundert vor Christus stehen der Heraushebung der Einzelleistung eines Dichters oder Staatsmanns die auf Gleichheit und Homogenität gerichteten Standesinteressen der Aristokratie entgegen. Erst mit der Krise der Republik entwickelt sich die Biografie und gelangt im Kaiserreich zur vollen Blüte. Biografien, ließe sich daraus schließen, bieten Anhalts- und Orientierungspunkte in einer Welt, deren Zusammenhalt verlustig geht. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass mit dem Ende der nivellierten Mittelstandsgesellschaft und der Zunahme gesellschaftlicher Ungleichheiten das Interesse an der Biografie hierzulande gewachsen ist. Die vielen biografischen Dokumentarfilme sind in dieser Hinsicht nur Teil eines allgemeinen Trends, der sich etwa auf dem Buchmarkt und im Fernsehen viel früher gezeigt hat. Je weniger man in die Gesellschaft eingebunden ist und je weniger Halt sie verspricht, desto dringender wird das Bedürfnis nach der starken, leitenden Hand. In welcher Hinsicht aber werden uns Gehry und Wright, Giacometti und Hodler als Vorbilder präsentiert, wo doch die Filme sie zusammen mit ihrer Kunst in weite Fernen entrücken? Gehry sagt von sich, er sei "competitive as hell", Hodler malt in allen Lebenslagen, auf unzähligen Blättern hält er die lange Agonie seiner Frau fest, Stift und Pinsel lässt er erst am Tag ihres Todes ruhen. Giacometti wiederum formt und zeichnet wie ein Irrer, ist einmal kein Papier in Reichweite, gleiten seine Finger rastlos über die Tischplatte. Indem nun die Filme den Zugang zur Kunst verwehren, verkaufen sie die andere Seite der Kunst als Ausweg: hart arbeiten. Es ist ein plattes Leistungskonzept, das die Filme von den Künstlern unterzeichnen lassen. Gleichzeitig liefern sie auch das Trostpflästerchen für all den Fleiß und Schweiß. Der Künstler soll für uns den Nachweis erbringen, dass der Alltag nicht alles ist, dass die Welt noch voller Wunder steckt. Und dieser Nachweis gerät umso überzeugender, je mehr er sich auf die Wirklichkeit stützt: "Ich schaue", sagt Alberto Giacometti, "und alles ist mir unbegreiflich - selbst ein Stuhlbein." In diesem Sinne sind die Filme Werbung. Werbung für Wunder in einer entzauberten Welt. Ein Film, der sich dieser Logik entzieht, ist Astra Taylors Dokumentation über den slowenischen Philosophen Slavoj Žižek. "Things exist by mistake", heißt es da, was keine versöhnliche Aussicht ist. Žižek zieht damit aber auch die Prämissen in Zweifel, auf denen der biografische Dokumentarfilm beruht. Entschieden votiert er dafür, die Philosophie als ein namenloses Geschäft zu begreifen. Seine Popularität (und damit auch den Film über ihn) erklärt er sich mit einer Vermeidungsstrategie: Man klatscht ihm Beifall, um ihn nicht ernst nehmen zu müssen. Quer zur herrschenden Biografien-Ideologie auf der Leinwand steht auch die soeben angelaufene Dokumentation Der Rote Elvis über den in die DDR emigrierten Amerikaner Dean Reed. 1987 wurde er nach einem turbulenten Leben als Rockstar, Friedensaktivist, Terrorkomplize und Schauspieler tot aus einem See nahe Berlin gezogen. Der Film von Leopold Grün stellt nur eine Frage: Wer war Dean Reed? Er spürt einem fragwürdigen Leben nach - ohne seiner jemals habhaft zu werden. Hier wird kein Werk verrätselt oder die Welt verzaubert, ein rätselhaftes Leben darf so wirr bleiben, wie es offenbar wirklich war. Und doch lernen wir dabei mehr über das Leben als in all den Künstlerbiografie-Sitzungen, bei denen sich der weiche Kinosessel immerzu in eine harte Schulbank zu verwandeln drohte. |
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www.DeanReed.de
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