Unsere Zeit 17.08.2007

Die vielen Gesichter des Dean Reed

Leopold Grüns Dokumentarfilm "Der Rote Elvis" jetzt im Kino

In seinem Geburtsland USA sah man in ihm den gescheiterten Sänger und politischen Nestbeschmutzer. In Chile machte ihn ein Song so populär, dass sein Weg stets von Fans gesäumt war. In der DDR, in die er 1972 - der Liebe nach - übersiedelte, war er schnell die Galionsfigur des anderen, fortschrittlichen Amerika, mit dessen Konzerten die FDJ riesige Säle füllte: Dean Reed, Schauspieler, Sänger, Antiimperialist an der Seite von Allende und Arafat, politischer Kämpfer mit Gitarre und Kalaschnikow, aber auch der Schwarm unzähliger junger Frauen zwischen Moskau und Santiago de Chile. 1986, gerade mal 48 Jahre alt, aber nach mehreren Ehen und Affären privat wie politisch desillusioniert, nahm er sich im Zeuthener See bei Berlin das Leben.

Ein Leben so prall voll mit Welt- und Seelenproblemen scheint wie geschaffen als Stoff fürs Kino, und so verwundert es nicht, dass Hollywoodstar Tom Hanks seit etlichen Jahren an einem Spielfilmprojekt über Reed werkelt, das immer noch seiner Realisierung harrt. Der in Dresden geborene Regisseur Leopold Grün nimmt mit seinem Dokumentarfilm "Der Rote Elvis" den kürzeren Weg. Er recherchierte gründlich in Archiven und bei Zeitzeugen, die den verwinkelten Weg des Weltbürgers Reed kreuzten (und in einigen Fällen auch stark beeinflussten). So begegnen wir in Interviews Reeds ersten beiden Ehefrauen, aber auch Isabel Allende, Schauspielerkollegen wie Armin Mueller-Stahl oder Politikern wie Egon Krenz, seinerzeit als FDJ-Chef Förderer, aber - wie er diskret einräumt - auch Nutznießer von Reeds Popularität.

Nimmt man hinzu die Filmausschnitte und die besonders starken Bilder von Reeds Engagement in Chile oder Palästina, so ergibt sich jene Materialfülle, die Grüns Film ab und an aus den Nähten zu sprengen droht. Dass er dennoch der Versuchung widerstand, sie stärker zu straffen oder durch eigenen Kommentar zu ordnen, ist seinem Thema mehr als angemessen. Wo trotz aller Recherchen so viele Fragen offen bleiben müssen, könnte jede solche Wertung nur ein Schuss in den Nebel sein.

So aber kann sich der Zuschauer sein Reed-Bild ganz nach Neigung und Vorwissen aus den bunten Puzzleteilen zusammensetzen, die Grüns Film ihm serviert. Der politisch Naive lässt sich darin ebenso finden wie der Kämpfer, der eitle Frauenschwarm wie der Yankee, dessen Charakterzüge auch seine Distanz zu seinem Heimatland USA nie ganz überdecken kann. Ein Grundzug in Reeds Persönlichkeit bleibt bei all dem unübersehbar: seine heftige Abneigung gegen jede Form von Ungerechtigkeit. Allerdings macht Grüns Film an einem prägnanten Beispiel deutlich, dass auch diese in Reeds persönlichem Umfeld ihre Grenzen hatte: Während ihn ein Regierungskonvoi, der ihn überholte und dabei das Tempolimit stark überschritt, in eine laute Philippika gegen Bonzenprivilegien ausbrechen ließ, habe er, so Grüns Film, ohne Bedenken das Privileg einer komfortablen Zweitwohnung mit Seeblick für sich und seine Affären in Anspruch genommen. Für solche und ähnliche Kratzer an ihrer Pop-Ikone werden die Reed-Fans Grüns Film verdammen, andere werden das Fehlen klarer Antworten oder den etwas marktschreierischen Filmtitel beklagen. Bis Hanks' Spielfilm fertig wird, ist Grüns Film einstweilen ein gutes Mittel, den schönen Kämpfer mit der Klampfe in Erinnerung zu halten.

Hans-Günther Dicks