Sachsens Linke 06.03.2010

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Auf dem Weg zum neuen Amerika

Oder wie ein Sachse 40 Jahre "Amerikanisches" erlebte

Das Erwachen kommt langsam. Längst hat die neue japanische Regierung angekündigt, sich aus dem Afghanistankrieg zurück zu ziehen, ab Januar keine US-Kriegsschiffe mehr auf See zu betanken und eine selbstbewusste weniger kriecherische Außenpolitik gegenüber den USA zu betreiben, da erschien im November eine Studie für die Europäer. Erarbeitet wurde sie vom Europäischen Rat für Auslandsbeziehungen, einer Denkfabrik, die der in den USA lebende ungarischstämmige Milliardär George Soros ins Leben gerufen hat, der mit seiner Stiftung "Soros Foundation" besonders in Mitteleuropa aktiv ist, beispielsweise in Prag oder Budapest. Die Autoren Jeremy Shapiro und Nick Witney des 50seitigen brisanten Textes verlangen von den 27 europäischen Regierungen die in der EU zusammengeschlossen sind, endlich das post-amerikanische Zeitalter einzuläuten und damit aufzuhören, die "besonderen transatlantischen Beziehungen" wie einen Fetisch vor sich her zu tragen.

"Mich interessierten die USA und ihre Selbstdarstellung."

Das könnte schwierig werden. 1989 gab es nicht nur Flüchtlinge in der deutschen Botschaft in Prag oder Warschau – es gab auch welche in der US-Vertretung in Ostberlin. Darüber wird heute sehr wenig berichtet, es ist ja auch schwierig geworden für den Normalbürger in Berlin die US-Botschaft mal kurz so zu besuchen. Doch bis Ende der 80er Jahre ging das problemlos. Man passierte als DDR-Bürger locker eine Sicherheitsschleuse wie auf dem Flughafen, wurde dabei freundlich aufgefordert "Schlüssel oder metallische Gegenstände" in eine Schale zu legen und schon war man drin. Es gab Bücher zum Ausleihen und Broschüren zum mit nehmen sowie einen Raum, in dem man Videos sehen konnte. Ich schaute mir damals "Thriller" von Michael Jackson an – für einen Sachsen bestand die einzige Chance dieses Video zu sehen im direkten Besuch der US-Botschaft an der S-Bahn-Haltestelle Friedrichstraße. Auf einem kleinen Schild sah man die Öffnungszeiten. Ich hatte dort interessante Gespräche mit Amerikanern und als das Amerikahaus in Leipzig gleich nach der Wende entstand, schrieb ich in Berlin darüber für eine Berliner Zeitung. Mich interessierten die USA und ihre Selbstdarstellung. Die Amerikaner waren etwas Besonderes in der DDR. Zwei, die man DDR-weit kannte, lebten erstaunlicherweise hier: Dean Reed und Victor Grossman. Erster war ein Schauspieler an der Seite von DEFA-Häuptling Gojko Mitic und zweiter war ein Journalist, der spannende Sendungen über amerikanische Folk-Musiker im DDR-Rundfunk machte. In der DDR wusste man anders als im Westen um die politische Seite eines Harry Belafonte – angefangen über seine antirassistischen Lieder bis hin zu seinen Besuchen bei den gefangenen Indianerhäuptlingen Dennis Banks und Russel Means, die einen Indianeraufstand in ihrem Reservat gegen katastrophale Lebensbedingungen angeführt hatten – das ND druckte damals ein Foto. Politisiert wurde ich als Kind ebenfalls durch ein amerikanisches Thema. Schon in der ersten Klasse kämpften wir als Jungpioniere damals um die "Freiheit für Angela Davis". Ich sah diese "Angie", eine populäre schwarze Bürgerrechtlerin, später bei bei einer Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin. Sie bedankte sich für die hunderttausenden Karten aus der DDR, die damals tatsächlich zu ihr ins Gefängnis transportiert wurden was bei ihren Wärtern durchaus Eindruck gemacht haben muss – so wie heute, wenn es weltweit um die Freilassung von Mumia Abu-Jamal geht.

Für meine publizistische Unterstützung beim Aufbau des Amerikahauses Leipzig bekam ich von den Amerikanern eine kleine Auszeichnung – ich durfte mit einer ostdeutschen Journalistendelegation u.a. das NATO-Hauptquartier in Brüssel besuchen. Ich glaube es gibt wohl keinen Punkt in Europa, wo das Abhängigkeitsverhältnis Europas von den USA so deutlich wird wie in diesem Militärstützpunkt. Die komplette Anlage folgt ausschließlich amerikanischen Vorgaben und hier war und ist – vergleichbar mit Moskau und seiner früheren Bedeutung für die Warschauer Vertragsstaaten – die eigentliche Kommandozentrale der europäischen Streitkräfte. In der NVA wusste jeder, dass sich ohne den "großen Bruder" kein Rad dreht. Um so erstaunlicher ist es, dass in der EU noch immer so getan wird, als könnte man "europäische Interessen" definieren oder wahr nehmen so lange man sich der NATO-Logik unterordnet. Auch in Afgahnistan stehen alle NATO-Armeen unter US-Kommando.

"den Alleinvertretungsanspruch eines Landes für zwei Kontinente"

Wenn es Obama ernst ist mit den gleichberechtigten Partnern wie China oder Russland, dann müssen auch Europa und Japan aus der brüderlichen amerikanischen Umklammerung entlassen werden. Allein der Name "Amerikahaus" steht für sich – lernt man etwa irgend was z.B. im Amerikahaus Leipzig über Kanada, Venezuela, Brasilien oder Nikaragua? Der Name steht für den Alleinvertretungsanspruch eines Landes für zwei Kontinente und seine Bezeichung ist ebenso vermessen, wie es größenwahnsinnig wäre, wenn sich die Goethe-Institute weltweit in "Europa-Haus" umbenennen würden. Nur am Namen "Amerikahaus" stört man sich nicht – oder noch nicht? Wie wäre es, wenn man in der weltoffensten Stadt Sachsens "echte amerikanische Kulturtage" veranstalten würde – mit lateinamerikanischen Bands, Berichten aus den Favelas von Brasilien, Projekten der solidarischen Ökonomie in Nikaragua und Kuba aber auch über die Hilfe von kanadischen Organisationen für Irak-Deserteure der US-Army und mit Videos über die Lage der Autowerker an den Großen Seen, einer Jazz Session mit schwarzen Musikern aus New Orleans für die Opfer von "Katarina"? Europa kann von Amerika in der Tat viel lernen – so wie Amerika von Europa. Nur bis jetzt wollten viele in Europa bei ihrer USA-Fixiertheit vom wirklichen Amerika noch gar nichts wissen.

1998 habe ich die USA übrigens gesehen – von der kanadischen Seite aus und ich war froh, von den Niagara-Fällen nach Toronto zurück fahren zu können, von dem mir ein älterer US-Amerikaner dort in der Jugendherberge erzählte, dass die Stadt von der ganzen Architektur her typisch amerikanisch sei – nur eben "ohne Kriminialität" und damit "angenehm völlig unamerikanisch".

Ralf Richter

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Letzte Änderung: 2010-03-08