Berlinale 6. Tag
Ein bisschen Frieden: Leopold Grüns "Der rote Elvis" (Panorama)
Dean Reed war eine historische Anomalie. Mit ihm hätte sich die DDR getrost als
sozialistisch, aber sexy bezeichnen können. Wenn die Propaganda nicht direkt dem recht
unkreativen Zentralkomitee unterstellt gewesen wäre. Obwohl er Amerikaner war, fand Reed
den Sozialismus ziemlich gut. Und auch wenn er überall in der Welt leben konnte, er wählte
die DDR. Er spielte in 20 Filmen mit, brachte 13 LPs heraus und gab Konzerte in 32 Ländern.
Er war nicht nur in der DDR ein Superstar, sondern hatte auch in Lateinamerika großen Erfolg.
Im Westen kannte Dean Reed kein Mensch, im Osten füllte er mit seinen auf der Gitarre vorgetragenen
sozialutopischen Liedern von Frieden und Sozialismus ganze Stadien. Das Aushängeschild des
Arbeiter- und Bauernstaates kam aus Denver.
Er reiste viel, glaubte an die Weltrevolution und war befreundet mit
Jassir Arafat oder
Salvador Allende.
Nachdem dieser ermordet worden war, nahm Reed Abschied vom Frieden und rannte eine Weile mit einer
Kalaschnikow über der Schulter im
Südlibanon
herum. Sein Leben war gut dokumentiert, weshalb Leopold Grün bei den zeitgenössischen
Aufnahmen aus dem Vollen schöpfen kann. Reed bei Konzerten vor bebenden Mädchen, Reed mit
diversen Frauen, Reed im schnellen Motorboot. Aber auch die Auswahl der heutigen Gesprächspartner
überzeugt. Von der ersten bis zur letzten Frau, von Egon Krenz bis
Armin Mueller-Stahl
beleuchtet eine sehr bunte Riege Reeds flamboyante Existenz im Real Existierenden Sozialismus.
Die große Bandbreite an Zeugen ist auch dringend notwendig, denn Reed war zwangsläufig leicht
schizophren. Er sang Menschen etwas von Freiheit vor, die nicht frei reisen konnten, weil das Regime,
dass er stützte, es verbot. Auch Reed fiel das auf. Grün hat zum Glück ein Protokoll
der Staatssicherheit aufgetrieben, in dem von Reed die Rede ist, der 1982 bei einer Routinekontrolle
auf die Polizisten losging und ihnen nichts weniger als Heuchelei und Faschismus vorwarf.
Reeds Karriere lief sich tot, kritische Sänger wie Wolf Biermann waren in den Achtzigern
angesagter als systemkonforme Lautenspieler. 1986 beging Dean Reed unter mysteriösen Umständen
Selbstmord. Zu dieser letzten Frage sagt Grün praktisch gar nichts, erklärt aber sehr
einleuchtend, wie es dazu kommen konnte. Bis dahin gibt es immer wieder Filmschnipsel von DEFA-Western,
und gesungen wird natürlich auch. Wenn die Mädchen begeistert
"Venceremos"
brüllen und in Wirklichkeit damit nur "Dean, wir werden Kinder haben" meinen, dann wirkt das sehr
beruhigend.
Christoph Mayerl
"Der rote Elvis".
Regie: Leopold Grün. Deutschland, 2006, 90 Minuten (Panorama Dokumente)
perlentaucher.de
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