Potsdamer Neueste Nachrichten 11.08.2009

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Potsdam-Kultur

So schön wie Träume

Vom Entwurf zum Kostüm. Heute öffnet eine Ausstellung zum 70. Geburtstag von Christiane Dorst

Rolf Hoppe hat sie besonders gern angezogen. Für "Unterwegs nach Atlantis" gleich sieben Mal. Mit einem Streich bewies sie, dass Kleider wirklich Leute machen. Ob Bauer, Säufer oder feine Dame - Hoppe wirkte in jeder Rolle echt. "Er konnte stundenlang probieren und kam auch unbestellt zu uns", erzählt Kostümbildnerin Christiane Dorst und erinnert sich, wie er für die "Frühlingssinfonie" mit dem Gehrock auf Tuchfühlung ging. "Eine Stunde lang stand er vor dem Spiegel, um ein Gefühl für das ungewohnte Kleidungsstück zu bekommen." Christiane Dorst, die zu den kreativsten und produktivsten Kostümbildnern der DEFA gehörte, rückte in über 50 Kino- und Fernsehfilmen den Schauspielern "zu Leibe".

Eine Ausstellung im Filmmuseum, die von Kuratorin Ines Belger vorbereitet wurde und ab heute zu sehen ist, greift 19 Filme heraus und erzählt, wie Christiane Dorst durch zeichnerische Vorgaben in Schnitt, Farbe und Stoff die verschiedensten Charaktere und Zeiten formen half. Bis in die kleinste Nebenrolle gab sie dem Regisseur einen optischen Eindruck seiner Helden an die Hand.

"Meist wusste ich rechtzeitig, ob ich in einer Produktion mitwirke. So konnte ich schon einiges zu Papier bringen und fabulieren. Lustig war es, als ich für den Fernsehfilm 'Das letzte Wort' Typen gezeichnet hatte, die Wolfgang Luderer so inspirierten, dass er die Besetzung danach aussuchte, wie den Schauspieler Günter Rüger vom Hans Otto Theater."

Den kannte Christiane Dorst schon aus ihrem Engagement am Potsdamer Theater. Bereits während ihres Studiums an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee entwarf sie Kostüme für die heimatliche Bühne, wie für "Die Holländerbraut" von Erwin Strittmatter. Zur Premiere bekam sie prompt einen Dauervertrag. "Wir mussten ja damals an dem Ort arbeiten, wohin der Staat uns stellte, ganz im Gegensatz zu heute, wo die Absolventen oft mit fragenden Gesichtern vor ihrer beruflichen Zukunft stehen." Für sie war es jedenfalls genau der richtige Platz, dem sie sieben Jahre die Treue hielt. Bis sie nach Leipzig wechselte und dort vom Kellertheater übers Schauspiel bis zur großen Oper die Kostüme entwarf. "Mitunter zog ich für eine Inszenierung 250 Leute an." Dort lernte die Babelsbergerin organisieren, was ihr später beim Film zugute kam. In Drewitz geboren, war sie schon als Kind oft Zaungast der DEFA und staunte, wenn nachts der Himmel leuchtete und fremde Geräusche herüber drangen. "Ich schwärmte für den Film."

Und da sich in Leipzig einige Regisseure wenig offen zeigten für ihre expressiven Figuren, klopfte sie an den Ort ihrer Kindheitsträume an. Zu der Zeit suchte gerade Egon Günther für seinen Film "Anlauf" eine Kostümbildnerin und aus der Neuen wurde bald eine feste kreative Partnerin. Nicht nur für Egon Günther, auch für Roland Gräf, Frank Beyer, Günter Reisch, Jürgen Brauer, Peter Schamoni oder Lothar Warneke war sie gefragte Mitstreiterin, die ihren großen Freiraum zu füllen wusste. Anders als am Theater, wo lange probiert wurde, entstand der Film oft im Moment. "Gerade aus der Improvisation heraus erwachsen die schönsten Sachen." Wie mit Rolf Hoppe, dessen Beinkleider in "Die Hosen des Ritters von Bredow" zu wenig Patina aufwiesen. "Kurzerhand schmiss sich der Schauspieler zu Boden und suhlte sich so lange im Dreck der Natur, bis er ein echter Ritter war."

Natürlich galt auch für die DEFA der DDR-weite Slogan "Not macht erfinderisch". Während es für besonders glanzvolle Filme auch mal Weststoffe gab, regierte für gewöhnlich die Stegreif-Taktik. Leinen und Baumwollstoffe gab es so gut wie nie. Also wurden Nessel und leichte Wollstoffe in der DEFA-eigenen Färberei auf Schein getrimmt. Auch T-Shirts und Jeans waren Raritäten. Für den Film "Bloody Heart" von Dean Reed über den Indianeraufstand Wounded Knie startete Christiane Dorst einen Aufruf unter der Belegschaft: "Holt Eure Jeans raus". Zwar kamen etliche Hosen zusammen, doch inzwischen war der Regisseur verstorben. "Das hat mich sehr erschüttert, er war so sympathisch und auch so hilflos."

Mit Leidenschaft und Akribie fühlte sich Christiane Dorst in historische Stoffe ein, wälzte wie für "Lotte in Weimar" oder "Caspar David Friedrich" dicke Bücher. "Man musste schließlich nicht nur wissen, wie die Mode war, sondern es ging auch um Zeitgeist, um Charaktere." Doch nicht alles kam ans Licht der Öffentlichkeit, was sie mit angeschoben hatte. Den Stempel "Zu aufwändig" bekam der "Simplicius Simplicissimus" von Heiner Carow. "Der Film wäre sicher toll geworden." Ein dreiviertel Jahr arbeitete sie umsonst für dieses wohl größte DEFA-Projekt. "Als das Aus kam, war ich eine Woche lang wie verstört." Der Film zeichnete Szenen, die es bislang so aus Babelsberg nicht gab, wie das Höllenleben. "Vor allem aber war es wohl der Pazifismusgedanke, der dazu führte, dass der Film nicht produziert wurde."

Wie die Ausstellung im Filmmuseum eindrücklich zeigen wird, ist Christiane Dorst nicht auf einen Strich festgelegt. Man spürt, dass sie sich in der Kunstgeschichte auskennt und gern Anleihen aufnimmt. Mal bei Barlach, mal bei Kollwitz, mal bei Grünwald, immer wieder ließ sie Vergangenes "auferstehen", um Eigenes daraus zu zaubern. Fast bedrohlich wirken die monolithischen Figuren zu "Johannes Kepler", geradezu verspielt die in fernöstliches Kolorit getauchten Damen für den Fernseh-"Freischütz in Berlin". Herausragend die plastischen, von den Gesichtern bis zum Faltenwurf fein ausgearbeiteten zeichnerischen Studien zu ihrer Lieblingsarbeit "Ursula", wiederum eine Gemeinschaftsarbeit mit Egon Günther.

So wie Christiane Dorsts Karriere an der Seite von Egon Günther begann, endete sie auch mit ihm: 1999 mit "Die Braut", in der Veronica Ferres Goethes Ehefrau Christiane Vulpius spielte. Inzwischen konnte die Kostümbildnerin aus dem Vollen schöpfen: "Wir bestellten in London Stoffe, so schön wie Träume."

Auch ans Theater kehrte sie am Ende ihrer Laufbahn noch einmal zurück. Kurz nach dem 11. September 2001 kreierte sie für eine altmodische Inszenierung von Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" in Halle die Kostüme. "Die Leute jubelten, sie waren für wenige Stunden von ihrem Entsetzen über den Anschlag in New York abgelenkt. Auf dem Nachhauseweg sagte ich zu meinem Mann: 'Jetzt ist der Bogen geschlossen'."

Ohne Bitterkeit ist sie in ihren neuen Lebenskreis eingetreten: mit Zeit zum Lesen, Malen, Filme schauen und vor allem Kakteen züchten. Ihre Entwürfe erzählen indes weiter Geschichte(n) - jetzt durch das Filmmuseum, das die Kostümbildnerin damit zum 70. Geburtstag ehrt.

Eröffnung heute um 20 Uhr, Laudatio: Egon Günther. Um 21 Uhr läuft "Die Beunruhigung", Regie Lothar Warneke.

Heidi Jäger

www.pnn.de

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