Wochenpost 23/1973 01.06.1973

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DEFA-Taugenichts

Dean Reed - beliebter Sänger und Schauspieler, prominenter Vertreter des progressiven Amerika - nun in einem DEFA-Film

Babelsberg scheint einer Renaissance besonderer Art zuzustreben: Die DEFA hat mehr denn je das literarische Erbe als fündigen Stofflieferanten entdeckt. War es gestern E.T.A. Hoffmann mit seinen "Elexieren des Teufels", so ist es heute Joseph Freiherr von Eichendorff mit seinem "Taugenichts", so wird es morgen Willibald Alexis mit den "Hosen des Ritters von Bredow" sein, in absehbarer Zeit gefolgt von Fontanes "Unterm Birnbaum", Goethes "Wahlverwandtschaften", Thomas Manns "Lotte in Weimar", Grimmelhausens "Simplicissimus" und dem Volksbuch vom "Eulenspiegel". Für unsere relativ umfangarme Jahresproduktion fürwahr ein heftiges Verliebtsein in die Literatur von gestern. Zwangsläufig erhebt sich die Frage: Lohnt sich diese Konzentration? Bereichert sie echt das Profil der heimischen Filmproduktion? Die Eichendorff-Verfilmung lässt eine eindeutige Antwort schwerfallen, da weder Notwendigkeit noch Gültigkeit solcher Unterfangen am vorliegenden Ergebnis abzulesen sind.

Wera und Claus Küchenmeister schrieben die filmische Version. Sie ließen dieses fort (so die Rom-Erlebnisse des Helden), fügten jenes hinzu (so die Begegnung mit dem legendären Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini), waren insgesamt darauf bedacht, mit dem Taugenichts einen naturverbundenen und musischen jungen Mann aus dem Volke vorzuführen, der auf der Suche nach der Liebe, dem Glück und sich selbst ist, sich weder vom Adel noch vom Bürgertum in erstarrte Lebensformen zwingen lässt. Das erweist sich als eine durchaus mögliche, auch zeitgemäße Lesart der 1826 erschienenen Novelle, opponierte doch Eichendorff in ihr auch gegen das Inhumane des sich entwickelnden Kapitalismus.

Dieses Angebot des Drehbuchs, den Bildungsweg des Taugenichts engagiert und akzentuiert zu erfassen, nutzte die Regie (Celino Bleiweiß) jedoch kaum. Sie erlag den vielfältigen äußeren Verlockungen des romantischen Stoffes, vornehmlich den zahllosen Natur- und Landschaftsschilderungen, den Sentiments der abenteuerlich gefärbten Geschichte. Und so schwelgt die Kamera (Günter Jaeuthe) in der üppigen Fauna und Flora des frühen neunzehnten Jahrhunderts, berauscht sich an farbenprächtigen Blumenarrangements, Blumenrabatten, Blumensträußen, an lieblichen Wäldern, reizvollen Tälern, hohen Bergen, sanften Höhen. Dazwischen jagt der Taugenichts komponierend, singend und fiedelnd, im trauten Dialog mit seinem herzigen Hündchen Bam, dem Glück hinterdrein. Er erscheint dabei als ein dummer, naiver Tor, als ebenso heitere wie harmlose Frohnatur, die mit großen staunenden Augen durch die sonnigen Lande trampt, aber nirgendwo zu erkennen gibt, wie die Begegnung mit der Umwelt, mit Menschen verschiedenster Klassen und Schichten den Bildungsweg fördert, ihn selbst zu zeitgemäßen Einsichten führt. Enttäuscht sinkt er vielmehr am Ende seiner Odyssee ins kühle Waldesgras, schluchzt jämmerlich und hilflos, bis sich die von ihm geliebte Schöne endlich, endlich seiner erbarmt und mit ihm - nicht wie bei Eichendorff aufs geschenkte Schloss, sondern - in eine weite, wohl das langgesuchte Glück versprechende Ferne reitet.

Der Grundmangel des Films wird so offenbar. Es fehlt ihm einfach an genügend geistiger Souveränität, an einer tieferorientierten ideellen Aufbereitung des zweifelsohne ergiebigen Stoffes, an einer unaufdringlichen, doch spürbaren Verknüpfung zwischen individuellem Geschick und konkretem historischen Hintergrund, damit auch an einem durchgängigen Spannungsbogen, der die - heutzutage mitunter so betulich und schwärmerisch anmutenden - Stationen und Episoden folgerichtig zu einem Ganzen vereint. So wendet sich der Film vornehmlich an das Auge, an das Gemüt. Doch auch da tun sich Missverständnisse der Regie über den Stoff und seine mögliche moderne Umsetzung auf: Dieser vornehmlich auf hohen Schauwert bedachte Stil huldigt einer gelackt-malerischen Idylle, die wenig mit der schlichten, empfindungsreichen Poesie des Dichters gemein hat, sondern mehr an Kunstgewerbe, sogar an "Heimatfilm" gemahnt. Alles wirkt eine Spur zu schön, zu gefällig, zu geglättet, in seiner bemühten Naivität wie ein beschauliches Bilderbuch. Eine auch in &aum;sthetischer Hinsicht moderne Sicht auf jenes Zeitalter findet nicht statt, dafür wird eine redliche Anpassung an den Zeitgeschmack von damals offenbar, was letztlich gar nicht anders denn antiquiert und mitunter kitschig zu wirken vermag.

Dean Reed hat es bei dieser braven Eichendorff-Interpretation schwer mit seinem DEFA-Debüt. Er folgt getreulich den Ambitionen der Regie, spielt einen gut anzuschauenden, doch zu passiv-biederen Taugenichts, fühlt sich offensichtlich dann am wohlsten und auch gefordert, wenn er sich in einer - allerdings sehr bescheidenen - Aktion bewähren darf (Italien-Reise). Die Lieder, die nach Texten der Filmautoren und nach zeitgenössischen Kunstweisen, verwunderlicherweise aber kaum nach Eichendorffs Versen entstanden, entsprechen in ihrer Monotonie, ihrem oft süßlich-banalen Charakter dem Inszenierungsniveau, unterfordern den amerikanischen Sänger und seine Fähigkeiten.

Um zum Ausgangspunkt - dem Wert und der Fülle der gegenwärtigen Literaturverfilmungen - zurückzukehren: Gegenüber dieser "Taugenichts"-Verfilmung erweist sich Brigitte und Ralf Kirstens Entschlüsselung und Deutung von Hoffmanns "Elexiere" weitaus konsequenter, moderner, gerechtfertigter. Übrigens drehte Celino Bleiweiß vor zwei Jahren, gleichfalls nach einem Drehbuch der Küchenmeisters, den Farbfilm "Der kleine und der große Klaus". Hier gelang ihm überzeugend und kunstvoll, was er jetzt trotz hingebungsvollen Mühens nicht schaffte, die sozialen Konturen klar zu erfassen und die Poesie, den Zauber des Märchens dazu.

Hans-Dieter Tok

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