Treffpunkt Kino 3/1973 |
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DEFA-ReportDie Lieder des TaugenichtsEigentlich ist es auf dem DEFA-Gelände in Babelsberg nicht üblich, sich nach "Prominenten" umzusehen, denn bekannte Künstler sind hier ein gewohnter Anblick. Doch der große schlanke Mann, der in dieser Mittagsstunde zielsicher, wenn auch nicht eben sehr eilig dem Haus 4 zustrebt, bildet da eine Ausnahme. Ihn trifft so mancher Blick - und dies nicht nur aus den Augen junger Mädchen. Die sowjetischen Soldaten, Angehörige einer in Potsdam stationierten Einheit, welche bei Ausschachtungsarbeiten zur Verlegung von Kabeln mithelfen - sozialistische Nachbarschaftshilfe sozusagen -, lassen Schaufel und Spitzhacke fallen, um diesen Mann zu begrüßen. Von irgendwoher ist plötzlich ein Fotoapparat da. Man stellt sich in Positur zu einem Gruppenfoto, um die Begegnung mit dem amerikanischen Sänger und Schauspieler D e a n R e e d in der DDR festzuhalten. Es wird viele solcher Fotos geben, mit Bauarbeitern in Magdeburg, mit Schülern in Cottbus, mit Textilarbeiterinnen in Leipzig. Die Sympathie, die Dean Reed während seines Aufenthaltes in der DDR überall entgegenschlug, sie galt nicht einem prominenten Künstler schlechthin. Sie galt und gilt einem Menschen, der sein Talent nutzt, um Zeugnis abzulegen für das andere Amerika, der gegen den Krieg und für den Frieden singt, und nicht nur singt, sondern auch kämpft, der 1970 in Santiago de Chile (vor dem Sieg der Unidad Popular) vor der USA-Botschaft das Sternenbanner wusch und sagte, wodurch und durch wen es beschmutzt wurde, der für seine Überzeugung ins Gefängnis ging, der Mitglied des Weltfriedensrates ist und der die Gage für so manche Veranstaltung für das kämpfende und blutende Vietnam spendet. Dean Reed hatte in dem DEFA-Film "Aus dem Leben eines Taugenichts", den Celino Bleiweiß nach der gleichnamigen Novelle von Josef Eichendorff schuf, die Hauptrolle übernommen. Der Film ist abgedreht, doch ein schwieriges Stück Arbeit, für Dean Reed vielleicht das schwierigste, steht noch bevor: die Musikaufnahmen. Zehn Lieder soll er singen - in deutscher Sprache. Die Texte sind von Eichendorff, Vulpius, Wera Küchenmeister (die gemeinsam mit Claus Küchenmeister auch das Drehbuch schrieb) und anonyme Volkslieder. Die Musik komponierte Reiner Hornig. Es ist durchaus keine "romantische" Musik. "Romantik haben wir genug im Bild", sagt der Komponist. "Die Musik hat eine volkstümliche Melodik und ist im Rhythmus und Arrangement durchaus modern. Sie richtet sich nach dem Gang der Geschichte, das heißt, sie wird im Verlaufe des Films immer aggressiver." Dean Reed ist ein sehr vielseitiger Sänger, und Reiner Hornig war bemüht, dieser Vielseitigkeit und dem Charakter der Stimme des Künstlers gerecht zu werden. Das "Repertoire" wird also vom Liebeslied bis zum Räuberchor reichen. Vier dieser Lieder sollen heute "produziert" werden. Punkt 14 Uhr laufen im Synchronatelier I die ersten Filmausschnitte über die Leinwand. Tonmeister Lambert spielt auf den Knöpfen seines Pultes, nach deren Bedeutung man mich bitte nicht fragen möge, wie auf den Tasten eines Klaviers. Dann gibt er das Zeichen für die erste Aufnahme: "Taugenichts 2013 A Synchronisation Dean Reed das erste Mal". Der Taugenichts, in dieser Situation seines Lebens Gärtnerbursche, sitzt im Park des gräflichen Schlosses im Gras und singt ein kleines Lied von den Ameisen. Der Text geht so: Ameisen, Ameisen, vorwärts, packt an - marschiert eure Wege vorwärts, voran - sind viele beisammen und sind sie auch klein - so wird doch am Ende ein Ganzes sein. Sind viele beisammen... Da hätte ich ja ein Stichwort, um das Kollektiv vorzustellen, welches sich hier kameradschaftlich udn kritisch um ein "Ganzes" bemüht: der Regisseur Celino Bleiweiß, besorgt um die künstlerische Gestaltung, der Komponist Reiner Hornig, dem natürlich die Musik am Herzen liegt, Schnittmeisterin Monika Schindler, welche die Synchronität überwacht, Dr. Hardt, Sprachwissenschaftler der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem auch nicht der geringste sprachliche Schnitzer entgeht, und Tonmeister Lambert, der - sein Titel verrät es - auf guten Ton bedacht ist. Ich habe nicht gezählt, wie oft wir das Ameisen-Lied und die anderen an jenem Nachmittag hörten, im Original und in der Aufnahme, doch ich darf verraten, dass es etliche Zeit dauerte, bis alle kritischen Zuhörer zufrieden waren, auch der kritischste, Dean Reed selbst. "Die Menschen, welche sich den Film anschauen, haben Anspruch auf beste Qualität", sagt er. "Ich möchte, wenn ich dieses Land verlase, wissen, dass alles völlig in Ordnung ist. Vorher gehe ich einfach nicht weg." Und so folgten denn nach lebhafter Diskussion, ob man die Stimme "trocken" aufnehmen und den "Hall" hinterher zumischen solle oder ob gleich mit "Echo" - wie Dean Reed es ausdrückte - gearbeitet werden solle, eben noch eine fünfte und sechste und siebente Aufnahme, bis endlich auch Dean Reeds selbstkritischer Einwand "das war noch nicht groß genug" verstummte. Ich fragte Dr. Hardt nach der Methode, nach der die Texte erarbeitet wurden. "Ganz einfach", sagt er. "Zuerst spreche ich auf Band ein 'Modell', dann spricht Mister Reed, dann vergleichen wir und beginnen, seine Fehler auszumerzen." Dieser "ganz einfache" Arbeitsgang dauert etwa fünf Stunden. Geduld? "Mehr als das", antwortet Dr. Hardt. "Er schüttelt während dieser fünf Stunden höchstens dreimal den Kopf - über sich selbst." Dass es sich nicht um ein bloßes mechanisches Auswendiglernen handelt, dafür ein kleines Beispiel: Als dritte Musikaufnahme des heutigen Tages ist Eichendorffs Lied "Die Gedanken sind frei" an der Reihe. Dort heißt es bekanntlich: "kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen". Zunächst ließ Dean Reed den Buchstaben K immer unter den Tisch fallen. Er sang "ein Mensch" und "ein Jäger". Bis wir ihm die Bedeutung dieses "K" erklärt hatten. Danach verschluckte er es kein einziges Mal mehr. In diesem Lied gibt es übrigens noch eine äußerst schwierige Sprachklippe, das Wort "beglücket". Der Umlaut Ü ist ja für viele Ausländer, gleich welcher Muttersprache, beinahe ein "Unlaut". Wir gönnten uns eine Pause für einen Schluck Kaffee. Doch Reeds Kaffee wurde kalt, weil er sich weiter mit dem verflixten Ü herumplagte. Heimlich und leise natürlich. Bis er plötzlich laut und "beglückt" in unsere verdutzten Gesichter hineinsagte: "was mich beglücket". Wir waren fast versucht, wie Professor Higgins auszurufen "jetzt hat er's, jetzt hat er's!" Aber Textsicherheit, Synchronität, Tonqualität sind ja nur notwendige Voraussetzungen für die gültige künstlerische Gestaltung, sind Etappen, die zum eigentlichen Ziel führen. An dieser Stelle muss der kritische Beobachter und Berichterstatter achten, nicht in Superlative zu verfallen. Der Bauernjunge aus Colorado war gefeierter Star großer Konzerte von Berlin bis Nowosibirsk. Aber dort stand er umgeben von jenem unverwechselbaren Fluidum, welches sich einstellt, wenn Künstler und Publikum einander gefallen, dort wurden seine Lieder getragen von der Begeisterung vieler Menschen. Hier nun ist er allein in einem nüchternen Raum, gezwungen, sich in einer fremden Sprache auszudrücken, sich zudem zu konzentrieren auf den Filmausschnitt - er sang bisher niemals synchron - statt eines enthusiastischen Publikums vor sich, eine Handvoll kritischer Leute "vom Bau" im Rücken. Die Situation glich eher einem Examen als einem Fest. Doch das alles war ohne Belang, sobald er sang. Dann schien für ihn nur noch das Lied zu existieren. Dann faszinierte auch beim ×-ten Male Glanz und Wärme dieser Stimme, ließen Sensibilität und Kraft des Vortrags aufhorchen. Vielleicht wird Eichendorffs Lied zu einem der gesanglichen Höhepunkte des Films werden. Ich weiß es nicht. Reed interpretiert das Lied seines romantischen Helden überraschend und bestechend modern, aggressiv und leidenschaftlich wie einen seiner Protestsongs. In welchem Maße er die große Kunst der Nuancierung beherrscht, wurde mir bewusst bei den beiden Vagantenliedern, welche auf dem Produktionsprogramm dieses Tages standen: "Sind die Brosamen bitter, zieh' ich in die Welt" und "Die Welt will froh erobert sein". Sehr verhalten, dennoch eher trotzig als melancholisch das eine, voller naiver Lebensfreude das andere, sind sie gleichsam Schlüssel zum Charakter des Helden, der auf der Suche ist nach einer Welt, in der der Mensch glücklich sein kann. Längst sind in den Studios die Scheinwerfer erloschen, sind die sowjetischen Soldaten in ihre Quartiere zurückgekehrt, als auch wir das Musikatelier verlassen. Die "Dispo" für den nächsten Tag sieht als Hauptprogrammpunkt den "Räberchor" vor unter Mitwirkung von Gerry Wolff und eines Männerchores. Reiner Hornig hat die Musik schon mal "angespielt". Dean Reed klemmt sich den Text unter den Arm. In seinem Potsdamer Hotel wird er sich "die Sache noch ein bisschen ansehen". Ja, wird denn dieser Mann niemals müde? Der Mann wohl, die Stimme nicht. Ilse Jung |
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www.DeanReed.de
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