Sonntag 43/1973, 28.10.1973

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Was ist uns die Romantik?

Bemerkungen zu den DEFA-Filmen "Die Elixiere des Teufels" und "Aus dem Leben eines Taugenichts"

Dass die Aufführung gleich zweier Filme nach Romanen der deutschen Romantik ein Symptom sei und eine Romantikwelle ankündige, wird ernstlich niemand annehmen, obwohl das Vorurteil, Romantikrezeption müsse notwendig auch Affinität zu romantischen Positionen oder gar Identifikation mit romantischer Weltsicht bedeuten, kaum ganz ausgestorben sein dürfte. Immerhin aber ist die Adaption von romantischen Stoffen so ungewöhnlich, dass sie zu der Frage reizt, ob sich damit das Bedürfnis nach Aneignung auch jener literarischen Epochen ankündigt, deren Wirkungsgeschichte uns eine kritische und geschichtsbewusste Position in verhältnismäßig hohem Maße abverlangt. Beantworten lassen wird sich die Frage bei dieser Gelegenheit freilich nicht. Weil beide Filme ein Verhältnis zu den als Vorlage dienenden Stoffen und deren Problematik eher verbergen als künstlerisch akzentuieren. Was ihnen die Romantik gilt und was wir mit ihr anzufangen wollen, darüber wird Auskunft verweigert, indem der zur Vorlage gewordene Roman so zurechtgemacht worden ist, dass er zur Auseinandersetzung nicht provoziert. Damit wird aber eigentlich die objektiv historische Distanz überspielt, die uns von Vorstellungen und Weltbild der Romane ganz unvermeidlich trennt. Man kann ihnen nur gerecht werden, wenn man sie bewusst herausstellt, anstatt ihnen mit Befangenheit zu begegnen.

Diese Befangenheit ist kein Zufallsprodukt, denn einem ungefangenen distanzierten und somit auch selbstbewussten Verhältnis zum Erbe romantischer Literatur steht dessen widersprüchlicher Charakter ebenso entgegen wie die Rolle, die der Romantik im historischen Prozess ideologischer Auseinandersetzungen zukam. In der Entgegensetzung zur Romantik vollzog sich in den fünfziger Jahren unsere Aneignung von Aufklärung und Klassik, entfaltete sich eine lebendige Beziehung zur bürgerlich-humanistischen Tradition, die im Kampf mit der imperialistischen Ideologie, zunächst auch der faschistischen, eine nie zu unterschätzende Bedeutung besaß und besitzt. Historische Fakten also, erwachsen aus spezifischen Situationen des Klassenkampfes, brachten ein Romantikbild hervor, das sich heute allerdings als zu generalisierend erweist, zum Beispiel auch, weil es die Erschließung weltliterarischer Beziehungen und Prozesse hindert.

[...]

Geradezu als Hindernis für die Entdeckung jener Probleme, die die Romantikrezeption zur Auseinandersetzung mit aktuellen Erscheinungsformen der bürgerlichen Ideologie hätten führen und damit produktiv machen können, wirkt die ängstliche Verharmlosung und Nivellierung weltanschaulicher Gegensätze im Falle des Films, der nach Eichendorffs Novelle "Aus dem Leben eines Taugenichts" entstand. Wieviel Anlass zur Kritik an Freiheitsillusionen und Bürgerschreckpositionen hätte nicht die Begegnung mit einer der Urformen des Protestes gegen die kapitalistische Verwertung des Menschen geboten. Dann nämlich, wenn die Novelle als Versuch verstanden worden wäre, die schöne heile Welt ungetrübter Harmonie zwischen Mensch und Natur und zwischen den Liebenden in die Poesie hinüberzuretten, die Konflikte der Realität aus ihr zu verbannen. Dann wäre nicht verborgen worden, dass der fröhliche Müßiggang des Taugenichts nicht nur der Quell poetischer Produktivität ist, sondern auch die Weigerung, in der Gesellschaft tauglich zu sein und zu arbeiten. Dann wäre auch klar geworden, dass sich hinter dieser Unverträglichkeit von produktiver Muße und gesellschaftlicher Arbeit ein tiefer Widerspruch verbirgt, der sich nicht im Triumph des naiven Poeten über alle bornierten Philister löst, auch wenn Eichendorff ihr zur märchenhaft-glücklichen Lösung führt. Am glücklichen Ende ist, wenn es denn Eichendorffs Taugenichts bleiben soll, nichts zu ändern. Das Taugenichtsideal aber vertrüge zumindest die ironisch-kritische Distanz derer, die wissen, dass weder die romantisch-idyllische noch irgendeine andere Form der Leistungsverweigerung ein wirksamer Widerstand ist, und dass all das Unbehagen, das sich in Antimoden und demonstrativem Nichtstun artikuliert, manipulierbar ist.

Den Taugenichts nun gar ernst zu nehmen und ihn den kühnen Räubern und Selbsthelfern antifeudaler Bewegungen zugesellen, heißt auch Eichendorff Unrecht tun, der ja selbst die Banalität seiner Fabel in Ironie aufhebt. Ihr Verlust im Film macht den Helden und die Geschichte vollends funktionslos, weil beide nun weder zu der Art von Gesellschaftskritik taugen, die der Autor ihnen auftrug, noch zur Repräsentation der progressiv-bürgerlichen Ideale, die Buch und Regie ihnen aufladen.

Ursula Heukenkampf

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Letzte Änderung: 2012-07-12