Neues Deutschland 04.08.1977 |
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El Cantor - Sänger der RevolutionGespräch mit Dean Reed über einen neuen FernsehfilmND: Diese Nachricht fand große Aufmerksamkeit: Dean Reed dreht einen Fernsehfilm über Victor Jara, den unvergessenen Sänger der Unidad Popular in Chile... Dean Reed: Vielleicht ist es zutreffender, wenn man sagt, der Film ist dem Andenken Victor Jaras gewidmet. Ich spiele einen chilenischen Sänger, und so soll auch der Film des DDR-Fernsehens heißen: "El cantor". Victors Name wird nicht genannt, und ich war auch nicht um Porträtähnlichkeit bemüht. Aber die Lieder, die ich singe, sind von Victor, und im Drehbuch, das ich unter Mitarbeit von Wolfgang Ebeling geschrieben habe, sind überwiegend Tatsachen aus dem Leben Jaras verarbeitet. Ich habe in London Joan Turner-Jara über das Leben ihres Mannes befragt, habe in Bulgarien, der Sowjetunion und Kuba Kampfgefährten Victors gesprochen, darunter einige, die zuletzt mit ihm im berüchtigten KZ-Stadion gefangen waren, bevor ihn die Faschisten feige erschlugen. Es enstand für mich ein sehr dichtes Bild von den letzten drei Wochen im Leben Victor Jaras, auf die sich die Filmhandlung gründet: sein rastloses Wirken für die Unidad Popular, seine Liebe zu Frau und Kindern, seine Lust am Leben und sein aufrechtes Sterben. ND: Man könnte also sagen, "El Cantor" ist die Symbolgestalt eines revolutionären Künstlers, dargestellt auf authentischer Grundlage? Dean Reed: "El Cantor" soll ein Symbol sein, ja, aber eines aus Fleisch und Blut. Jeder kennt Fakten, die die Unmenschlichkeit des Imperialismus und Faschismus charakterisieren. Fast sieben Millionen Arbeitslose in den USA, Tausende verfolgte, verschleppte Patrioten in Chile. Und andererseits aber Tausende, die dem Terror trotzen. In Diskussionen mit meinem Publikum habe ich jedoch oft festgestellt, wie schwer es manchem fällt, sich konkret mit Tausenden oder Millionen zu identifizieren. Mit einem einzelnen geht das besser. Da prägt sich ein Gesicht, eine Haltung, ein Schicksal ein. Da verkörpert der eine die Kraft und Erfahrung vieler. Ich hoffe, darin wird auch die Kraft unseres Filmes bestehen - dass er einen Helden zeigt, den die Zuschauer zum Freund haben, dem sie nachleben möchten. Lieder für die CUTND: Haben Sie Victor Jara persönlich kennengelernt? Dean Reed: Ja, und es war bei einem historischen Anlass. Präsident Allende hatte mich zu seiner Amtseinführung Anfang November 1970 nach Santiago eingeladen. In Chile traf ich Victor Jara, und wenig später sind wir gemeinsam auf Veranstaltungen für die Gewerkschaft CUT aufgetreten - zunächst einen Tag und dann sogar viereinhalb Monate lang. Unsere Freundschaft bewährte sich in der gemeinsamen Arbeit. Der revolutionäre Prozess forderte den einzelnen ganz. Die Anhänger der Unidad Popular arbeiteten, wenn ich so sagen darf, 25 Stunden am Tag. So war es üblich, dass wir uns nach den gemeinsamen Auftritten sofort trennten, weil auf jeden schon die nächste Aufgabe wartete - der eine hatte eine Kundgebung in einer Fabrik, der andere ein Meeting an einer Schule. Für Privates blieb kaum Zeit. ND: Diese persönlichen Erfahrungen und Eindrücke sind sicher von besonderem Wert für Ihren Film gewesen. War das der Grund, weshalb Sie eine dreifache Verpflichtung als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller übernahmen? Dean Reed: Ja, es gab nur diesen Grund. Ich glaube nicht, dass ich bei einem anderen Stoff den Mut und die Kraft gehabt hätte, diese dreifache Verantwortung zu übernehmen. Regie habe ich geführt, weil ich schon beim Schreiben des Buches überzeugt war, dass den Film nur jemand machen kann, der ganz genau mit dem Land und seinem Volk vertraut ist. Ähnlich verhielt es sich mit der Hauptrolle. Die Gestalt des Sängers, seines Urbildes, war mir vertraut. Wir sind durch die gleiche revolutionäre Schule gegangen. Schule des KlassenkampfsND: Bitte erzählen Sie uns etwas mehr darüber. Dean Reed: Keiner von uns wurde als Revolutionär geboren. Der Landarbeitersohn Victor Jara, ohne Vater und Mutter aufgewachsen, konnte durch die Vermittlung eines Priesters an der katholischen Universität von Santiago studieren. Er hat sich früh einen Namen gemacht als einer der profiliertesten Theaterregisseure. Aber durch den Einfluss der Unidad Popular ist ihm schmerzlich bewusst geworden, dass er unter kapitalistischen Verhältnissen immer nur für eine kleine privilegierte Bevölkerungsgruppe Theater spielen würde. Da suchte er nach künstlerischen Ausdrucksmitteln, mit denen er ein Massenpublikum erreichen konnte - und wurde Sänger. Während des Wahlkampfes hat er zur Gitarre gegriffen und mit selbstgeschriebenen politischen Liedern für die Unidad Popular geworben. Ich bin in den USA geboren und begann meine Karriere als Rock-and-Roll-Sänger in Colorado. Einem progressiven Ehepaar in Hollywood verdanke ich nicht nur erste Einblicke in die Schauspielkunst. Trotzdem hatte ich noch sehr verschwommene pazifistische Vorstellungen und war weit davon entfernt, Marxist zu sein, als ich vor fünfzehn Jahren bei einer Rock-Tournee durch Südamerika zum erstenmal Chile erlebte. Nirgends war mir bis dahin die Unmenschlichkeit des Kapitalismus so krass vor Augen getreten wie hier. Elend, Unwissenheit und Rechtlosigkeit der arbeitenden Bevölkerung wirkten wie ein Schock auf mich. Ich kam zu ähnlichen Erkenntnissen wie Victor: Der einzige Wert von Popularität besteht darin, dass man ein bisschen mehr Kraft hat als andere, zu helfen. Ich beschloss, diese Kraft künftig besser zu nutzen und mit meiner Kunst für die Befreiung der unterdrückten Völker zu streiten Dafür habe ich meinen Preis gezahlt in der Klassengesellschaft. Viermal wurde ich für meine antiimperialistische Gesinnung in den Kerker geworfen. Oft war ich, um leben und meine eigenen künstlerischen Absichten verwirklichen zu können, auch zu Kompromissen gezwungen und habe beispielsweise in Italien Filmrollen gespielt, mit denen ich mich nicht identifizieren konnte. Erst in den sozialistischen Ländern fand ich jene idealen Arbeitsbedingungen, die es mir gestatteten, meinen Einfluss als Künstler ganz in den Dienst des gesellschaftlichen Fortschritts zu stellen. In der sozialistischen DDR fand ich nicht nur ein Zuhause, sondern auch eine künstlerische Heimat. Und mehr noch: Ich fand Verbündete, die mir bei meiner künstlerischen Entwicklung halfen. ND: Wie haben Sie diese Unterstützung bei Ihrem jüngsten Film, Ihrer künstlerisch umfangreichsten und wohl auch schwierigsten Arbeit bisher, gespürt? Dean Reed: Ich glaube sagen zu dürfen, dass ich diese verantwortungsvolle Aufgabe nur übernehmen konnte, weil ich ein Kollektiv an meiner Seite wusste, das ich achten und dem ich vertrauen konnte. Dazu gehören Wolfgang Ebeling, Kameramann Hans Heinrich, mit dem ich schon zwei Filme gedreht habe, Bodo Schmidt, der die Assistenzregie hatte, Heinz Röske, der Szenenbildner, Margit Schaumäker, die Dramaturgin, und natürlich die Schauspieler: Gerry Wolff, sein Sohn Thomas, Friederike Aust, eine vorzügliche Besetzung der Frau des Sängers, und viele hervorragende bulgarische Schauspieler. Bei keinem anderen Film habe ich bisher ein Kollektiv erlebt wie dieses. Jeder wusste, worum es ging, und diese politisch-moralische Übereinstimmung wiederum erwies sich als Kraftquell für mich und alle Beteiligten. Besonderen Dank schulde ich auch meinen Freunden in Bulgarien, wo ich ideale Bedingungen für die Außenaufnahmen fand. Hier bot sich der Kamera eine frappierende Ähnlichkeit mit der Landschaft Chiles und der Mentalität seines Volkes. Geschichte einer SzeneDas Schönste aber war der glühende Internationalismus, der uns in Bulgarien auf Schritt und Tritt begegnete. Dafür nur ein Beispiel. Ich wollte im Film die letzte Demonstration der Unidad Popular zeigen, die Kraft der Volkseinheit sollte dabei noch einmal überwältigend sichtbar werden, und dafür brauchte ich mindestens zehntausend Kleindarsteller. Der Produktionsleiter raufte sich die Haare. "Fünfhundert", sagte er, "höchstens", und das wiederum brachte m i c h aus der Fassung. Da habe ich mich an meine Freunde im bulgarischen Jugendverband gewandt, und mit ihrer Hilfe ist die Szene dann in Sofia so gedreht worden, wie ich sie mir nur im Traum vorzustellen gewagt hätte: Unsere Filmkundgebung, auf der ich als "El Cantor" gemeinsam mit Isabel Parra, Clodomiro Almeyda und vielen anderen prominenten Vertretern der UP mitwirkte, die sich im Film selbst darstellten, war zu einer mitreißenden Demonstration für die Solidarität mit dem chilenischen Volk geworden. ND: Wann werden wir Ihren Film "El Cantor" sehen können, und wie wird er eingesetzt? Dean Reed: Das DDR-Fernsehen hat seine Erstsendung vorläufig für Ende des Jahres vorgesehen. 1978 soll er auch zu den Weltfestspielen in Kuba aufgeführt werden. Natürlich hoffe ich, dass „El Cantor" in vielen Ländern der Erde, vor allem in Amerika, Gelegenheit haben wird, seine Stimme zu erheben für die Freiheit des chilenischen Volkes. Das Gespräch führte Peter Berger |
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www.DeanReed.de
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