Der Morgen 13.05.1973

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Reich an Farben und Liedern

Zur DEFA-Verfilmung "Aus dem Leben eines Taugenichts"

Die DEFA hat die Romantik entdeckt. Innerhalb von Monatsfrist kommt nun schon der zweite Film nach einer romantischen Vorlage in unsere Kinos: nach "Elixiere des Teufels" nun also "Aus dem Leben eines Taugenichts". Hatte die E.T.A. Hoffmann-Verfilmung kaum noch Motive mit dem Original gemein, so bleibt der Eichendorff-Streifen zwar näher an der Novelle, interpretiert sie aber dennoch frei; denn eine philologisch exakte Illustration eines vorgegebenen Werkes ist nicht Sache der Autoren Wera und Claus Küchenmeister. Sie bekennen sich zu jener Art von Literaturverfilmung, die die Vorlage nutzt, um Eigenes mitzuteilen. Das ist zweifellos eine Meinung, die man als künstlerische Haltung zunächst einmal akzeptieren muss, wiewohl es beispielsweise in der sowjetischen Filmkunst genügend Beispiele dafür gibt, dass der andere Weg keineswegs für sozialistische Filmschöpfer ungangbar wäre. Die großen sowjetischen Streifen nach Dostojewski, Tolstoi oder Tschechow waren erfolgreich bemüht, den Geist der Dichtung voll zu erhalten und ins neue Medium zu übertragen, und bezogen ihre aktuelle Aussage aus der dialektischen Spannung zwischen dem historischen Geschehen und dem neuen, weiterentwickelten Bewusstsein heutiger Zuschauer.

Ich wünschte mir ein solches Verfahren jedenfalls auch einmal beim filmischen Umgang mit unserem klassischen Erbe. Und gerade Eichendorffs poetische Taugenichts-Novelle hätte dafür wohl eine Chance geboten. Denn der Ausbruch des besitzlosen Müllerburschen aus dem Zwang einer besitzbetonten, beschränkten Welt, die Wanderung des Taugenichts durch Wald und Feld, zu einem gräflichen Schloss und ins ferne Italien, ist eine naive Wanderung zu sich selbst, eine Suche nach Selbstverwirklichung im Einklang mit der Natur und mit der sehnlichst gesuchten Geliebten. All die rührenden Begegnungen mit der Natur, mit dem blauen Himmel voller Lerchenschlag, mit den duftenden Wiesen, auf denen die blaue Blume der Romantik blüht, sind poetische Belege für eine schöpferisch reiche Persönlichkeit.

Der DEFA-Film behält weithin die Grundfabel Eichendorffs bei, aber setzt neue Akzente, eliminiert das Romerlebnis des Helden und setzt dafür eine Begegnung mit dem Räuber Rinaldo Rinaldini, der sich als anarchistischer Streiter gegen die Besitzwelt entpuppt und darüber mit dem Taugenichts einen geschliffenen Disput führt. In der Gestalt des Müllerburschen wird stark die Komponente des Volkspoeten betont, der sich neben seiner Arbeit die Muße fürs Musische nimmt und der von der nichtstuenden Adelswelt am Ende, ehe er seine nichtadlige Schöne doch noch in die Arme nehmen kann, grausam und brutal verhöhnt wird. Aber so viel auch dieser Taugenichts singt und geigt, so oft er auch auf Bäumen träumt und mit seinem possierlichen Hundevieh monologisiert, dennoch gerät die Figur für mein Gefühl etwas nüchtern, fehlt ihr jener Schuss Poesie, der erst den außerordentlichen Reiz gerade dieser literarischen Gestalt ausmacht.

Dabei hat es Regisseur Celino Bleiweiß gewiss nicht an äußerer Schönheit fehlen lassen. Das Barockschloss Rammenau bei Dresden samt Park erweisen sich als recht fotogen. Rumänien bot die südländische Kulisse, üppige Blumenpracht und Waldesgrün kommen wohlgefällig in s Bild und die "geschmückten Menschen", besonders die weiblichen Geschlechts, sind eine Augenweide und werdenvon der brillanten, gelegentlich zur äußeren Glätte neigenden Farbkamera Günter Jaeuthes wohl eingefangen. Komponist Reiner Hornig mischte Volksliedmelos und modischen Schlagerklang. Wenn mir dennoch alles eine Spur zu nüchtern und zu trocken vorkam, so lag das vielleicht an der Kurzatmigkeit der Bildsequenzen, an einer Scheu vor großen, weit ausschwingenden Gefühlen.

Ein Zug von moderner Nüchternheit ist auch dem Hauptdarsteller Dean Reed eigen. Er verfügt über viel Charme und blickt mit ungekünstelter Natürlichkeit in die Welt. Auch die Sangeslust kann man ihm glauben, nur an seinem harten amerikanischen Akzent beim Singen (die Dialoge wurden synchronisiert) konnte ich mich nicht gewöhnen, zumal viel originale und nachempfundene romantische Lyrik dadurch unverständlich blieben.

Eine reizend anzusehende Schöne, blondgelockt und mädchenhaft, spielte Anna Dziadyk, eine kühl-dekorative Gräfin Hannelore Elsner. Keck und frisch die Kammerjungfer von Monika Woytowicz, knabenhaft schmal in ihrer Burschenverkleidung Christel Bodenstein als Flora. Lustig in seiner Amtsgewichtigkeit Hannes Fischers Portier, skuril der Gärtner von Walter Lendrich. Dem hinzuerfundenen Rinaldo Rinaldini lieh Gerry Wolff philosophische Gewichtigkeit. Einen wunderlichen Schwarmgeist von Maler schuf Arno Wyzniewski.

"Aus dem Leben eines Taugenichts" vermag unser Spielfilmangebot zu bereichern, wenn vielleicht auch nicht jeder Zuschauer "seinen" Eichendorff finden wird.

Manfred Haedler

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Letzte Änderung: 2012-07-16