Berliner Morgenpost 09.05.2009

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Interview

"Man hat mich zu häufig erschossen"

Wenn es um undurchsichtige Patriarchen-Figuren geht, ist Armin Mueller-Stahl Hollywoods erste Wahl. In der "Da Vinci Code"-Fortsetzung "Illuminati" gibt er jetzt sogar eine Kardinal Ratzinger-Variation. Und entgegen mancher Schlagzeile ist er dessen auch gar nicht müde.

Im Gespräch mit der Berliner Morgenpost erklärt er, wann das Kino seine größte Wirkung auf ihn entfaltet und warum sich europäische Darsteller vor den US-Stars nicht verstecken sollten. Mit Armin Mueller-Stahl sprach Rüdiger Sturm.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Kinobesuch erinnern?

Das war in der Nazi-Zeit - ich glaube "Immensee" mit Kristina Söderbaum, und danach folgte bald der "Münchhausen"-Film mit Albers. Für mich war das eine Einladung in eine Poesiewelt, die mich unglaublich fasziniert hat. Immer, wenn ich einen Film sehen durfte, war ich schon drei Tage vorher nervös.

Gilt das noch oder hat das Kino diese Wirkung für Sie verloren?

Sie hat abgenommen. Momentan haben wir eher geschichtenlose Jahre; ich gebe zwar zu, dass ich in den letzten Monaten nicht so viel Zeit hatte, mir Filme anzusehen, aber von denen, die ich mitbekommen habe, ist mir keiner im Gedächtnis geblieben. Ganz anders als ein "Die besten Jahre unseres Lebens " oder "Die Kinder des Olymp". Auch "Einer flog übers Kuckucksnest" war bedeutend für mich. Letztlich spielt es für mich auch keine Rolle, um welches Medium es sich handelt, ob Film oder Literatur, es geht immer nur um die Geschichten. Ganz besonders liebe ich nicht ganz fertige Geschichten.

Sie meinen Geschichten mit offenem Ende?

Ja, aber nicht zwangsläufig. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. 1945 war ich mit meinen Eltern auf der Flucht. In einer ausgebombten Wohnung fanden wir Unterschlupf für die Nacht, es gab nichts zu essen, wir mussten auf dem Boden schlafen, aber plötzlich fand ich etwas, das für mich viel wichtiger war. In einer Ecke lag das Mittelstück eines Buches - ich weiß nicht mehr, wie es hieß, denn wir konnten es nicht mitnehmen. Aber dieses Stück habe ich mit einer solchen Faszination gelesen, Anfang und Ende habe ich mir dazu gedichtet, das war ein wunderschöner Vorgang. Und das liebe ich auch bei Filmen - dass sie mir Freiräume lassen, wo ich weiterdenken kann. Dazu passt auch meine Vorliebe für Pausen und Stille. Nicht zufällig haben Komponisten wie Brahms sie ausgezählt und aufgeschrieben, weil sie den Dirigenten misstrauten. Genauso wichtig sind sie bei einem Film.

Finden Sie solche Pausen in den Filmen, die Sie machen?

Durchaus. Ron Howard, mit dem ich "Illuminati" gedreht habe, hat ein absolutes Gefühl dafür. Auch wenn dieser Film eine Räuberpistole ist, die manchmal losschießen muss. Ich versuche für meinen Teil, aus solchen Momenten der Stille meinen Figuren ihre Kraft zu verleihen.

Die Präferenz für die Stille scheint bei Ihnen aber so weit zu gehen, dass Sie sich jetzt aus der Branche zurückziehen wollen.

Den Eindruck muss ich korrigieren. Vor zwei Jahren habe ich einem Journalisten im Rahmen einer Ausstellung meiner Bilder gesagt, dass ich mit meiner Zeit geizen werde. Es ist richtig, ich werde die Filmerei langsam auslaufen lassen. Ich bin 78, da wird meine Zukunft knapp, und es gibt noch andere Dinge, die ich außerhalb der Schauspielerei realisieren möchte. Ich habe ja wirklich viel in diesem Beruf getan - 25 Jahre Theater, rund 140 Filme. Aber prompt stand in der Zeitung: "Mueller-Stahl hört auf." Jetzt werde ich bei allen möglichen Interviews gemaßregelt, weil ich in diesem Jahr mit einem Film nach dem anderen im Kino zu sehen bin. Aber zwischen 'langsam auslaufen lassen' und 'aufhören' ist dann doch ein großer Unterschied. Ich möchte meine Glaubwürdigkeit nicht an solchen falschen Zitaten messen lassen.

Es gibt Kollegen, die bis zum letzten Atemzug auf der Bühne oder vor der Kamera stehen wollen. Dieses Bedürfnis haben Sie nicht?

Ich weiß nicht, wie es bei mir laufen wird. Aber egal, wann ich zum letzten Mal eine Rolle spiele, ich höre ja nicht auf, Künstler zu sein. In den vergangenen Monaten habe ich mich offen gestanden viel stärker mit der Malerei beschäftigt als mit dem Film. Meine große Ausstellung auf Schloss Gottdorf hat viel Energie beansprucht. Ich habe noch zwei, drei Bücher in der Schublade. Meine Kreativität widme ich eben genauso gern der stillen Kunst beziehungsweise der Schattenkunst, wie ich sie zu nennen pflege. Ich hatte auch weitere Regieprojekte, aber es ist schwierig, das Geld dafür zusammen zu bekommen. In der gleichen Zeit male ich 100 Bilder. Und ich genieße die Freiheit, die ich dabei habe. Ich muss nicht unbedingt mehr um zwei Uhr nachts aufgeweckt werden, um einen Sonnenaufgang zu drehen, der nie im Film auftaucht.

Inzwischen sind Sie auch ein respektierter Star, der eine andere Behandlung verdienen würde.

Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Ich habe gerne Unannehmlichkeiten auf mich genommen, wenn ich das Gefühl hatte, ich mache einen tollen Film. Offen gestanden, ärgert mich sogar, wie sehr Schauspieler mit Glanz und Gloria gefeiert werden. Das ist ungerecht. Denn die Leute hinter der Kamera, die es genauso verdienen, finden keine Beachtung. Hinzu kommt noch die freiwillige Unterwerfung gegenüber den amerikanischen Stars. Die sind die Götter, die die Preise und den ersten Platz kriegen. Wenn demgegenüber ein Götz George nach Amerika kommt, muss der sich hinten anstellen.

Wobei Sie aber immer wieder mit solchen Hollywood-Größen zusammenarbeiten. Verstehen Sie sich mit denen nicht?

Doch, durchaus. Ich hege beispielsweise große Sympathie für Tom Hanks. Der hat seine Preise sicher verdient, denn er ist der beste Schauspieler seiner Generation. Als wir uns zur ersten Drehbuch-Lesung am Set von "Illuminati " trafen, kam er sofort auf mich zu, als würden wir uns von klein auf kennen. Wir unterhielten uns über die Geschichte von Dean Reed, des amerikanischen Rockstars in der DDR, die er gern verfilmt hätte, oder über Christa Wolf - von der hatte er mehr gelesen als ich. Ich mag es sehr, wenn Leute so unkompliziert und offen sind.

Haben amerikanische Darsteller das den europäischen voraus?

Es mag damit zusammenhängen, dass sie ein sehr schönes Leben in ihren Rollen führen konnten. Ich erinnere mich an die Dreharbeiten zu dem Remake von "Die zwölf Geschworenen". In der Drehpause stand ich mit George C. Scott, Jack Lemmon und Ossie Davis zusammen, und alle schwärmten von ihrer wunderbaren Kinoexistenz. Und dann fragen sie mich: "Liebst du auch dein Filmleben?"

Lieben Sie's?

Nein. Denn ich bin zu häufig erschossen worden. Und meine Charaktere waren zum Teil sehr abstoßend. Als meine Frau "Tödliche Versprechen" gesehen hatte, wollte sie sich am liebsten von mir scheiden lassen. Ich habe eben nie mein Filmleben der Realität vorgezogen. Die Befriedigung, die ich aus meinen Rollen beziehe, kommt auch davon, dass ich damit helfe, eine bessere Welt zu schaffen. Ich bin ein Brückenbauer. Manche sagen, das sei ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber für mich ist es ein Tropfen im Ozean; und da geht er nicht verloren.

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Letzte Änderung: 2009-05-10