DDR-Zeitschrift 1972

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Die Mutter an ihren Sohn

Während der Arbeiten an dem neuen DEFA-Film "Aus dem Leben eines Taugenichts", in dem Dean Reed die Hauptrolle spielt, erhielt er Besuch von seiner Mutter aus den USA. Sie war dabei, als er im Schloß Ramenau die für den Film wichtigen Szenen drehte, von denen unsere Fotos und der kurze Bericht erzählen. Bei ihrer Abreise schrieb Dean Reeds Mutter an ihren Sohn einen Brief, den wir exklusiv auf der nächsten Doppelseite in Auszügen veröffentlichen.

Geschrieben während einer Autofahrt von Dresden nach Berlin am Ende des zweiwöchigen Besuchs in der DDR

Liebster Dean!

Es regnet, und Deine Rosen auf meinem Schoß sind so frisch und voller Tau wie die Blätter am Straßenrand. Es scheint mir schon wie ein Jahrzehnt, dass ich die gleiche Straße entlang fuhr, aber in die andere Richtung. Ich hatte damals keine Vorstellung davon, was mich bei meinem Besuch in der DDR erwarten würde...

Wir kamen damals etwa um neun Uhr abends in Dresden an. Du hast gerade in einem anderen Hotel Abendbrot gegessen. Wir hatten also Zeit und gingen über die Fußgängerpromenade, die so schön war mit ihren beleuchteten Brunnen und Blumen. Als ich am nächsten Tag früh aus dem Fenster meines Hotels schaute, beobachtete ich die vielen Leute, wie sie einkaufen gingen, herumspazierten oder nur um den Brunnen saßen, Eis aßen und sich entspannten. Ein schöner Anblick: Menschen, Wasser, Blumen - umringt von Neubauten und Geschäften. Wie ein Phönix aus der Asche entstand die neue Stadt.

97 Prozent der Stadt - so erzählte man mir - wurden durch angloamerikanische Bombenangriffe zerstört, 50 Kilometer weit leuchteten die Flammen.

Dresden - die Perle Deutschlands. Man sah jetzt noch an den restaurierten Gebäuden, wie herrlich die Stadt ausgesehen haben muss. Wieviel Mut gehörte dazu, die Stadt neu aufzubauen. Es verlangte bestimmt besonders die Kraft vieler Frauen, weil die Männer gefallen oder in Gefangenschaft waren. Von jedem Ziegelstein musste der Mörtel abgekrazt werden, um ihn für den Neubau noch verwenden zu können. Kein Wunder, dass Männer und Frauen in der DDR vor dem Gesetz gleich sind. Kein Wunder, dass sie sich wirklich wie gleiche fühlen. - Manche dieser Gebäude wurden neu aufgebaut. Andere stehen noch als stilles Denkmal an den Wahn des Krieges...

Ich bin froh, dass Du mich in das Krankenhaus Pulsnitz mitgenommen hast, das Du wegen Deiner Stirnhöhlenvereiterung aufsuchen musstest. Wie sonst hätte ich zum Beispiel die schöne Frau, die dort stellvertretende Leiterin war, je kennengelernt?! Sie hatte gerade ein Abschlussgespräch mit einer Patientin beendet, als wir ihr Büro betraten. Und ich dachte, was für eine freundliche und menschliche Art: Das Personal des staatlichen Krankenhauses war mit dem Herzen bei der Sache, mühte sich jederzeit um seine Patienten, auch dann noch, wenn sie nach Hause fuhren...

Du sagtest mir, dass ich viel gelernt hätte. Ich glaube, dass auch Du in letzter Zeit geistig gewachsen bist. Deine Bemerkungen über Frauen und ihre Position in der Gesellschaft trafen viel mehr das Problem, als ich es je von Dir gehört habe. Ich selbst glaubte früher eigentlich an die Vorrangstellung der Männer, an die Rolle des Mannes als Haus"chef" und an die weibliche Unterlegenheit. Wir sprechen manchmal so viel davon, wie die Frauen durch ihre Kinder die Welt beeinflussen, und das stimmt ja auch. Aber wenn wir nur die alten Vorstellungen pflegen, dann werden wir der Gleichberechtigung und den Frauen nicht gerecht.

Aber zurück zur Ärztin. Frauen in der DDR, sagte sie, haben sehr schwer gearbeitet, und sie wünschten, sie könnten noch mehr Freizeit haben... Sie hat auch darauf hingewiesen, dass die DDR ihren Frauen auf viele Arten hilft: Kinderkrippen, Kindergärgen, bezahlter Schwangerschaftsurlaub, gesetzliches Verbot jeglicher Diskriminierung der Frauen. Frauen mit drei oder mehr Kindern arbeiten nur 40 Stunden in der Woche und bekommen den gleichen Lohn. Die Regierung zahlt Kindergeld. Das machte mich misstrauisch, weil sicher ein Land, das Kinder so gern haben möchte, bestimmt gegen Familienplanung eingestellt sein muss. Ich war deshalb wirklich erstaunt, als ich erfuhr, dass die Pille kostenlos für alle Frauen zugänglich, die Abtreibung gesetzlich geregelt ist. Kinder zu bekommen, die man sich wünscht. - Nun, das ist etwas!...

Potsdam heißt das Schild neben der Straße. Es erinnert mich an den Tanz mit jungen Leuten, der dort im Freien veranstaltet wurde... Die Mädchen und Jungen waren aufgeregt, als Du vorgestellt wurdest. Ich habe den Atem angehalten, als der Scheinwerfer auf Dich gerichtet wurde. Sie schienen wie allen jungen Leute zu sein, hübsch, vielleicht ein bisschen besser angezogen, und doch gab es einen Unterschied! Sie würden schwer zu erreichen sein: Ein unreifer, unnatürlicher Sänger galt für sie nicht. Ich habe Dir die Daumen gedrückt und blieb ganz ruhig.

Dein erstes Lied kam gut an. Dann hast Du ein Befreiungslied gesungen, und sie waren alle still und gespannt. Waren sie so beeindruckt, oder hatten sie die englischen Worte nicht verstanden? Du hast die Spannung gespürt. Mit dem nächsten Lied wuchs der persönliche Kontakt. Singen! riefst Du dem Publikum zu. Singt mit! Ich sang und klatschte mit all den anderen. - Es war geschafft. Ich brauchte die Daumen nicht mehr zu drücken. Die Menge drägte nach vorn, um Autogramme zu bekommen.

Es wurde deshalb sehr spät, als wir mit der Taxe zurück nach Berlin fuhren. Unser sonst so fröhlicher Fahrer war jetzt still und beeindruckt. Und ich erschrak ein bisschen, als er etwas auf meinen Schoß legte. Es war ein Pfirsich. - Dieser Tag war wirklich ein Erlebnis für mich. Erst Dein Erfolg, dann diese kleine Geste der Freundschaft. Ich war gerührt und vermochte kaum die Tränen zurückzuhalten...

So viele haben Dich überall erkannt. Die Mädchen von der Rezeption, die Telefonistinnen, die Dein Foto an der Wand hatten. Und im Restaurant kamen die Gäste an unseren Tisch...

Das Auto bringt mich bis zum Check Point Charly, der Übergangsstelle nach Westberlin. Die Rosen - wie soll ich sie tragen? Mit den drei Gepäckstücken! Ich öffne meine kleine Schultertasche und stecke die Blumen hinein. Nur die roten Köpfe schauen heraus. Sie schwingen auf meinem Rücken, während ich laufe. Ich drehe mich um, um zu winken. Auf Wiedersehen. Dank für alles. Auf Wiedersehen, lieber Dean.

Deine Mutter

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Letzte Änderung: 2007-03-30